Ich wollte heute nichts schreiben, schaute aber mal zur Sicherheit auf das Tagesblatt der Wikipedia, ob ich was Wichtiges verpasse. Und sah, dass Hugo von Montfort am 4. April 1423 gestorben ist. Hugo von Montfort? Sagt Ihnen nichts? Für den gab es hier vor drei Jahren schon mal einen Post. Leider nicht viel gelesen. Ist aber interessant für die Anfänge der deutschen Literatur. Auch wenn man nicht Germanistik studiert hat. Ich stelle den Post, der damals den Titel Tagelied hatte, einfach noch mal hier hin:
Mich straft ein wachtr des morgens fruo;
Er sprach: wenn wilt du haben ruo,
Dîn singen abelân?
tichten tuo nit mer,
Das rât ich dir bi miner er.
Davon man tanzen tuot.
Wächter, des wil ich volgen dir,
Der lied geticht ich nimer mir,
Des solt du sicher sin.
Sus muoss ich loben selge wib.
Die sind der weit doch leidvertrib,
Ach got wie lieb und zart!
Ich weit, wer frowen übel Sprech,
Das man in durch die zungen stech:
Das laster muest er hän.
Wächter, nu merk was da beschach.
Was ich uf erden ie gesach.
Das dunket mich ein wind
Gen zarter lieber frowen gunst;
Da hilf et weder sinn noch kunst:
Das ist beweret wol. David und och Salamon,
Sampson der mochte nit bestän,
Der schönst verlor den lib:
Das machet als der frowen werk.
Es macht nichts, wenn Sie jetzt nicht alles vom mittelhochdeutschen Text verstehen. Die letzte Zeile hier (ich habe das Gedicht etwas ➱abgekürzt) verstehen Sie auf jeden Fall: die Frauen sind an allem schuld. Den Satz Gen zarter lieber frowen gunst; Da hilf et weder sinn noch kunst verstehen Sie auch. Diese Weisheiten kannte unser Autor, der heute vor 591 Jahren starb, schon längst. Es sind, wenn man so will, Plattitüden des Minnesangs. Immer wieder beklagen Sänger die Falschheit der Frauen. Wie zum Beispiel Ulrich von Liechtenstein: Ich het mich unsælden underwunden, dô ich mich der valschen underwant. Ich kann dieses Lied des Hugo von Montfort auch in gesungener Form anbieten, sogar von Hermann Prey. Klicken Sie ➱hier. Und ich kann ➱hier auch noch das Werk des Grafen Hugo von Montfort beinahe wie im Original offerieren, man staunt immer wieder über die Möglichkeiten des Internets.
Das Werk des adligen Gelegenheitsdichters Hugo von Montfort hat lange im Schatten dieses Herrn hier gestanden; der ist zwar nur ein Ritter und kein Graf, aber die Germanistik mochte Oswald von Wolkenstein (nachdem sie ihn entdeckt hatte) immer lieber als den Grafen von Montfort. Das scheint sich jetzt ein wenig zu ändern, die liebevolle Sorgfalt, mit der sein Werk ins Internet gestellt wurde, zeigt, dass man sich jetzt auch dem Grafen Montfort zuwendet. Wahrscheinlich braucht Dieter Kühn den nicht mehr für sein Mittelalter Quartett (obwohl er da hinein gepasst hätte). Das Quartett sollte ich doch einmal vorstellen.
Ich weiß nicht, warum ich noch nie einen langen Essay über Dieter Kühns Leistungen als Übersetzer geschrieben habe. Gut, ich habe in dem Post über ➱Alain-Fournier gesagt: Aber man lernt an der Universität wenig - wenn man nicht auf Leute wie ➱Gisela von Stoltzenberg trifft. Ich habe von Dieter Kühns Buch über Neidhart von Reuental, von seiner Übersetzung von Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde und von seinem großartigen Buch Wolfram von Eschenbach: Parzival mehr gelernt als durch mein Germanistikstudium.
Ich kann das nur wiederholen. Ich kann es auch fett setzen. Und 20 Punkt. Die Universität hat offenbar inzwischen dazugelernt, ich habe vor Wochen das Buch Mittelhochdeutsch als fremde Sprache: Eine Einführung für das Studium der germanistischen Mediävistik von Klaus-Peter Wegera, Simone Schultz-Balluff und Nina Bartsch im Grabbelkasten gefunden. Hat mich einen Euro gekostet, ich fing gleich auf der Straße an zu lesen. Die Autoren haben meinen Respekt. Wenn ich so etwas vor Jahrzehnten gehabt hätte! Und was hatte ich? Eine pädagogisch und didaktisch völlig unfähige Flachpfeife, die jeden Sonnabendvormittag (!) an der Uni Hamburg dreihundert Leute in Gotisch unterrichtete. Er ist natürlich noch Professor geworden.
Aber von solcher Literaturempfehlung wie Mittelhochdeutsch als fremde Sprache, die sich wohl eher an Germanistikstudenten richtet, bleiben meine Leseempfehlungen für den normalen Leser die Bücher Wolfram von Eschenbach: Parzival und Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde des Gottfried von Straßburg von Dieter Kühn. Bücher, in denen auf eine romanhafte Einführung in Leben und Zeit des Dichters (die bei dem Parzival Buch über 400 Seiten lang ist) eine unübertreffliche Neuübersetzung folgt. In Köln kann man mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit fahren, wenn man ins deutsche Mittelalter will, dann sollte man Dieter Kühn lesen.
Und für die Fans des Tiroler Ritters Oskar von Wolkenstein ist natürlich Ich Wolkenstein. Eine Biographie von Dieter Kühn eine Empfehlung; das Buch gibt es inzwischen in einer stark erweiterten Neufassung. Das Buch ist längst zu einem kleinen Klassiker geworden. Als es 1977 erschien, leitete es - wie Peter Wapnewski in seiner ➱Rezension im Spiegel vermutete - eine neue deutsche Begeisterung für das Mittelalter ein. Die ist inzwischen da. Bei Amazon gibt es 942 Angebote für historische Romane mit dem Thema Mittelalter, über die Fernsehschirme wandert eine Wanderhure. Und die Fantasy Filme zu dem Thema (lesen Sie ➱hier mehr dazu) kann man kaum zählen. Sir Walter Scott hat da mit Ivanhoe etwas angerichtet. Doch die meisten dieser Produktionen sind leider schnell geschriebener Trash. Dieter Kühns Bücher sind etwas Seriöses.
Ich weiß nicht, was den Designer des Schutzumschlags der Ausgabe des S. Fischer Verlages bewogen hat, dem Liebespaar einen Drachen auf die Bettkante zu setzen. Zwar kommt in Gottfrieds Tristan und Isolde ein Drachenkampf vor, aber am Liebeslager gibt es keine Drachen. Außerdem haben die Liebenden bei Gottfried eine Minnegrotte. Da kommt kein Unbefugter hinein: sô ist der Minnen hûs bewart, valsch unde gewalte vor bespart. Dieses Photo stammt aus dem Film L'Eternel retour, zu dem Jean Cocteau das Drehbuch schrieb. Zur Zeit Richard Wagners stellte man sich seine Liebenden wahrscheinlich so vor, als seien sie von ➱John William Waterhouse oder ➱Lord Leighton gemalt worden. Wäre die die Geschichte der star crossed lovers ein Wächterlied (was sie nicht ist), dann gäbe es da natürlich einen Wächter. Der keinen Drachen ins Schlafzimmer lassen würde.
In der ersten Zeile von Hugo von Montforts Gedicht wird ein Wächter genannt. Der kommt in vielen dieser Lieder vor. Er soll dafür sorgen, dass die Liebenden bei ihrem heimlichen Treffen nicht gestört werden. Von keinen eifersüchtigen Ehegattten und von keinen Paparazzi. Und natürlich von keinem Drachen. Man hat diese Lieder - die eine klar definierte Gruppe in jener europäischen Liebeslyrik sind, die wir Minnesang nennen - im Deutschen auch Wächterlieder genannt. Gebräuchlicher ist heute der Terminus Tagelied (okzitanisch Alba, altfranzösisch Aube), eine Gattung, in der sich auch ➱Ezra Pound versucht hat:
Alba
As cool as the pale wet leaves
of lily-of-the-valley
She lay beside me in the dawn.
Sieht mehr nach einem ➱Haiku als einem Alba aus, so kurz sind die provenzalischen Albas normalerweise nicht. Die Dichter des Minnesangs haben noch Zeit. Frauen wollen schließlich umworben werden, das braucht seine Zeit. Wo sie doch der leidvertrib sind. Und man gegen sie sowieso gar nichts machen könne: Gen zarter lieber frowen gunst; Da hilf et weder sinn noch kunst. Aber die Dichter wissen auch, dass der frowen werk unheilbringend sein kann.
Ein österreichischer Jurist namens Eberhard Kummer hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Melodien, die Burk Mangolt aus Bregenz im frühen 15. Jh. im Auftrag des Grafen komponierte, mit der Schoßharfe nachzusingen. Kann man auf CD kaufen (fro welt, ir sint gar húpsch und schón: Die Lieder des Hugo von Montfort), man kann aber auch eine Viertelstunde ➱hier hinein hören. Hugo von Montfort ist einer der wenigen Minnesänger, von dem Melodien zu seinen Liedern erhalten sind. So etwas haben wir bei Walter von der Vogelweide oder Wolfram von Eschenbach nicht.
Bei den französischen troubadours schon. 1908 erschien das Buch (➱hier im Volltext) Die Melodien der Troubadours, nach dem gesamten handschriftlichen Material zum erstenmal bearbeitet und herausgegeben, nebst einer Untersuchung über die Entwickelung der Notenschrift (bis um 1250) und das rhythmisch-metrische Prinzip der mittelalterlich-lyrischen Dichtungen, sowie mit Übertragung in moderne Noten der Melodien der Troubadours und Trouvères von Dr Jean Baptiste Beck. Ich weiß nicht, ob er für die Länge des Buchtitels ins Guinness Book of Records gekommen ist. Wenn Ihnen das jetzt zu lang ist, dann hören Sie doch ➱hier einmal hinein.
Oder hören Sie ➱hier Rod Stewart Live at the Troubadour.
Ich kann das nur wiederholen. Ich kann es auch fett setzen. Und 20 Punkt. Die Universität hat offenbar inzwischen dazugelernt, ich habe vor Wochen das Buch Mittelhochdeutsch als fremde Sprache: Eine Einführung für das Studium der germanistischen Mediävistik von Klaus-Peter Wegera, Simone Schultz-Balluff und Nina Bartsch im Grabbelkasten gefunden. Hat mich einen Euro gekostet, ich fing gleich auf der Straße an zu lesen. Die Autoren haben meinen Respekt. Wenn ich so etwas vor Jahrzehnten gehabt hätte! Und was hatte ich? Eine pädagogisch und didaktisch völlig unfähige Flachpfeife, die jeden Sonnabendvormittag (!) an der Uni Hamburg dreihundert Leute in Gotisch unterrichtete. Er ist natürlich noch Professor geworden.
Aber von solcher Literaturempfehlung wie Mittelhochdeutsch als fremde Sprache, die sich wohl eher an Germanistikstudenten richtet, bleiben meine Leseempfehlungen für den normalen Leser die Bücher Wolfram von Eschenbach: Parzival und Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde des Gottfried von Straßburg von Dieter Kühn. Bücher, in denen auf eine romanhafte Einführung in Leben und Zeit des Dichters (die bei dem Parzival Buch über 400 Seiten lang ist) eine unübertreffliche Neuübersetzung folgt. In Köln kann man mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit fahren, wenn man ins deutsche Mittelalter will, dann sollte man Dieter Kühn lesen.
Und für die Fans des Tiroler Ritters Oskar von Wolkenstein ist natürlich Ich Wolkenstein. Eine Biographie von Dieter Kühn eine Empfehlung; das Buch gibt es inzwischen in einer stark erweiterten Neufassung. Das Buch ist längst zu einem kleinen Klassiker geworden. Als es 1977 erschien, leitete es - wie Peter Wapnewski in seiner ➱Rezension im Spiegel vermutete - eine neue deutsche Begeisterung für das Mittelalter ein. Die ist inzwischen da. Bei Amazon gibt es 942 Angebote für historische Romane mit dem Thema Mittelalter, über die Fernsehschirme wandert eine Wanderhure. Und die Fantasy Filme zu dem Thema (lesen Sie ➱hier mehr dazu) kann man kaum zählen. Sir Walter Scott hat da mit Ivanhoe etwas angerichtet. Doch die meisten dieser Produktionen sind leider schnell geschriebener Trash. Dieter Kühns Bücher sind etwas Seriöses.
Ich weiß nicht, was den Designer des Schutzumschlags der Ausgabe des S. Fischer Verlages bewogen hat, dem Liebespaar einen Drachen auf die Bettkante zu setzen. Zwar kommt in Gottfrieds Tristan und Isolde ein Drachenkampf vor, aber am Liebeslager gibt es keine Drachen. Außerdem haben die Liebenden bei Gottfried eine Minnegrotte. Da kommt kein Unbefugter hinein: sô ist der Minnen hûs bewart, valsch unde gewalte vor bespart. Dieses Photo stammt aus dem Film L'Eternel retour, zu dem Jean Cocteau das Drehbuch schrieb. Zur Zeit Richard Wagners stellte man sich seine Liebenden wahrscheinlich so vor, als seien sie von ➱John William Waterhouse oder ➱Lord Leighton gemalt worden. Wäre die die Geschichte der star crossed lovers ein Wächterlied (was sie nicht ist), dann gäbe es da natürlich einen Wächter. Der keinen Drachen ins Schlafzimmer lassen würde.
In der ersten Zeile von Hugo von Montforts Gedicht wird ein Wächter genannt. Der kommt in vielen dieser Lieder vor. Er soll dafür sorgen, dass die Liebenden bei ihrem heimlichen Treffen nicht gestört werden. Von keinen eifersüchtigen Ehegattten und von keinen Paparazzi. Und natürlich von keinem Drachen. Man hat diese Lieder - die eine klar definierte Gruppe in jener europäischen Liebeslyrik sind, die wir Minnesang nennen - im Deutschen auch Wächterlieder genannt. Gebräuchlicher ist heute der Terminus Tagelied (okzitanisch Alba, altfranzösisch Aube), eine Gattung, in der sich auch ➱Ezra Pound versucht hat:
Alba
As cool as the pale wet leaves
of lily-of-the-valley
She lay beside me in the dawn.
Sieht mehr nach einem ➱Haiku als einem Alba aus, so kurz sind die provenzalischen Albas normalerweise nicht. Die Dichter des Minnesangs haben noch Zeit. Frauen wollen schließlich umworben werden, das braucht seine Zeit. Wo sie doch der leidvertrib sind. Und man gegen sie sowieso gar nichts machen könne: Gen zarter lieber frowen gunst; Da hilf et weder sinn noch kunst. Aber die Dichter wissen auch, dass der frowen werk unheilbringend sein kann.
Ein österreichischer Jurist namens Eberhard Kummer hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Melodien, die Burk Mangolt aus Bregenz im frühen 15. Jh. im Auftrag des Grafen komponierte, mit der Schoßharfe nachzusingen. Kann man auf CD kaufen (fro welt, ir sint gar húpsch und schón: Die Lieder des Hugo von Montfort), man kann aber auch eine Viertelstunde ➱hier hinein hören. Hugo von Montfort ist einer der wenigen Minnesänger, von dem Melodien zu seinen Liedern erhalten sind. So etwas haben wir bei Walter von der Vogelweide oder Wolfram von Eschenbach nicht.
Oder hören Sie ➱hier Rod Stewart Live at the Troubadour.
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