Montag, 9. Oktober 2017

Ché Guevara


Uns bleibt, was gut war und klar war:
Daß man bei dir immer durchsah
und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
comandante Ché Guevara

Sie fürchten dich, und wir lieben
dich vorn im Kampf, wo der Tod lacht,
wo das Volk Schluß mit der Not macht.
Nun bist du weg - und doch geblieben.
Uns bleibt, was gut war und klar war:
Daß man bei dir immer durchsah
und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
comandante Ché Guevara.

Und bist kein Bonze geworden,
kein hohes Tier, das nach Geld schielt
und vom Schreibtisch aus den Helden spielt
in feiner Kluft mit alten Orden.
Uns bleibt, was gut war und klar war:
Daß man bei dir immer durchsah
und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
comandante Ché Guevara.

Ja, grad die Armen der Erde,
die brauchen mehr als zu fressen
und das hast du nie vergessen,
daß aus Menschen Menschen werden.
Uns bleibt, was gut war und klar war:
Daß man bei dir immer durchsah
und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
comandante Ché Guevara.

Der rote Stern an der Jacke,
im schwarzen Bart die Zigarre,
Jesus Christus mit der Knarre
- so führt dein Bild uns zur Attacke.
Uns bleibt, was gut war und klar war:
Daß man bei dir immer durchsah
und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
comandante Ché Guevara.


Wolf Biermann hat das ➱Lied 1976 in Köln gesungen, kurz danach wurde er ausgebürgert. Ich habe das Konzert damals im Fernsehen gesehen. Es war ein musikalisches Ereignis, das sicher von dem Abschiedskonzert von The Band übertroffen wurde. Aber das Konzert neun Jahre nach dem Tode von Ché Guevara war natürlich auch ein politisches Ereignis, die Ausbürgerung von Biermann machte Schlagzeilen. Von Seiten der Stasi hieß es: Durch sein hetzerisches Auftreten und Gesamtverhalten in der BRD hat Biermann die bereitwillige Erfüllung der ihm von erbitterten Feinden der DDR übertragenen Rolle, den real existierenden Sozialismus in großem Ausmaß und auf das Gröbste zu verunglimpfen, eindeutig demonstriert. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR war die logische Konsequenz, den Plan des Gegners und die von ihm erstrebten Auswirkungen entschieden zu durchkreuzen. Wenn man Lieder wie Und als wir ans Ufer kamen singt, wo die letzten Zeilen lauten: Ich möchte am liebsten weg sein – und bleibe am liebsten hier, dann verunglimpft man den real existierenden Sozialismus natürlich.

Dass Ché Guevara ein Jesus Christus mit der Knarre war, das findet sich nicht in dem originalen Lied Hasta Siempre, Comandante, das hat sich Biermann ausgedacht. Ché Guevara hat zu dem Thema gesagt: I am no Christ, nor a philanthropist. I am the very opposite of Christ… I will fight with all the arms within reach, instead of letting myself be nailed to a cross. Der Doktor der Medizin Ernesto Rafael Guevara de la Serna, den man Ché Guevara nennt, wurde heute vor fünfzig Jahren von einem betrunkenen Feldwebel der bolivianischen Armee erschossen.

Das traurige Ende eines Kommandanten, der keine Truppen mehr besaß, ist der Anfang von einem Mythos. Die Photographien, auf denen die Rolex (hat er die bei Cuervo y Sobrinos gekauft?) nicht fehlen darf, werden zu ikonischen Bildern eines Revolutionärs, der Stalin verehrte: Nun bist du weg - und doch geblieben. Ché Guevara T Shirts kann man heute immer noch kaufen. Dass er immer kubanische Zigarren rauchte, ist bei seinem Asthma eigentlich erstaunlich, aber er ist ein Mann der Widersprüche.

Im Jahre 1967 starb auch Benno Ohnesorg. Der war kein Revolutionär, und Ché Guevara war sicher nicht sein Held. Aber wir sind jetzt in einer Zeit, wo man bei einer Demonstration sterben kann. Im November 1967 besucht Rudi Dutschke Bremen. Nicht mit einem offenen Jeep mit roter Flagge wie in Zadeks Film Ich bin ein Elefant, Madame. Dutschke kommt mit dem Flugzeug (in dem er zum ersten Mal saß), der Bremer Salonrevolutionär Olaf Dinné hatte ihn abgeholt und in die Lila Eule gebracht. Dort soll er unverständliches Zeug geredet haben. Im nächsten Jahr gab es die Bremer Schülerunruhen, das war der Beginn von 1968. Da hatte sich Olaf Dinné in die Schweiz abgesetzt, wenn es ernst wurde, dann wollte er nichts mit der Revolution zu tun haben.

Im Februar 1968 tötete der General Nguyễn Ngọc Loan in Saigon auf offener Straße einen nordvietnamesischen Soldaten. Im April wird Martin Luther King erschossen und Rudi Dutschke in den Kopf geschossen. Bis zum Massaker von Kent State sind noch zwei Jahre hin. Und in allen Studentenbuden hängen Poster mit dem Bild des Comandante.

Nicht dieses hier. Sondern das Bild, das den Namen Guerrillero Heroico trägt, mit dem 90mm Teleobjaktiv einer Leica geschossen.  Palmen sind nett, sind aber ein christliches Symbol, nichts für Revolutionäre. Die Palme muss weg. Dieses Bild war die Ausgangsbasis, da musste Alberto Korda noch einiges im Labor machen. Beinahe alle berühmten Photos des 20. Jahrhunderts entstanden in der Dunkelkammer des Photographen, ob das das Hissen der Flagge von Iwo Jima oder das Hissen der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag war.

Che Guevara starrt auf dem Bild auf die Calle 23. Er ist auf einer Beerdigung für die Opfer der Explosion des französischen Frachters Le Coubre, was für Propaganda und Presse etwas Ähnliches war wie die Explosion der Maine (die hier einen langen Post hat). Es ist ein leerer Blick, aber man kann alles in ihn hineinlesen. Vor allem, wenn der Photograph das Bild noch ein wenig bearbeitet, dann bleibt was gut war und klar war. Das Victoria & Albert Museum versichert uns: The photograph enshrines Che as a mythic hero. Taken from below, the revolutionary leader with searching eyes and resolute expression becomes larger than life. A perspective that dominates the imagery of social realism, it bears an irresistible aura of authority, independence and defiance.

Das V& A hat das letzte Wort, weil sie diese Ausstellung Che Guevara: Revolutiory & Icon gemacht haben. Für den Modephotographen Alberto Korda bedeutete die Kubanische Revolution das berufliche Aus, nichts mehr mit dem Photographieren von schönen Frauen. Für sein Photo hat er keinen Pfennig Tantiemen gesehen, da Kuba das Internationale Copyright Abkommen nicht unterschrieben hatte. Ich hatte niemals ein Che Guevra Poster und hatte auch nie etwas für ihn übrig. Aber ich finde es erstaunlich, wie man diesen drittklassigen Revolutionär mit einem multimedialen posthumen Personenkult vermarkten konnte. Christopher Hitchens, den ich nie für einen großen Denker gehalten habe, hat gesagt: He belongs more to the romantic tradition than the revolutionary one. To endure as a romantic icon, one must not just die young, but die hopelessly. Che fulfils both criteria. When one thinks of Che as a hero, it is more in terms of Byron than Marx. Vielleicht sollte man Daniel Boorstins The Image: A Guide to Pseudo-Events in America noch einmal lesen.

Es ist die Macht der Bilder, die häufig gefälscht werden müssen, um ihre Macht zu entfalten. Diesen Herrn da links wird man niemals für einen romantischen Revolutionär halten. Obgleich das Outfit stimmt, und er auch eine Zigarre in der Hand hat. Es ist Jérôme Savary in seiner schrägen Inszenierung von Jacques Offenbachs Oper La Périchole. Neben ihm Elise Caron, geradezu göttlich als Périchole. Es ist eine Oper, die etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, mit einer Sängerin, die eine Maitresse eines peruanischen Vizekönigs wird. Vielleicht hat die historische La Perricholi für Peru mehr Gutes bewirkt als Ché Guevara für Kuba.

Ich finde es beruhigend, dass es nicht nur Positives über den kubanischen Rolexträger im Internet zu lesen gibt. So schrieb Philip Holstein zum 80. Geburtstag von Ché Guevara in RP Online: Che und sein Konterfei lösten sich im Laufe der Zeit völlig vom Menschen, von der historischen Gestalt ab. Die Popkultur schliff das Grauenhafte dieses Mannes weg und die Tatsache, dass er seit dem kubanischen Aufstand nur Debakel erlebt hatte. Che wird wie ein schlechter Popsong, der bei einem besonders schönen Erlebnis gespielt wurde, nur noch mit Gerechtigkeit, Güte und der Revolution zu mehr Menschlichkeit assoziiert: Wären doch alle so wie Che! Che wurde zum Luftgeist, zu einer Mischung aus Punk und Puck, zu einem Wesen aus dem Bereich der Sehnsucht, zum letzten Einhorn, alles Menschenlichen beraubt, reine Theorie, ein Ideal. Die Maßstäbe der Realpolitik, der Historie gar, sie passen nicht mehr auf ihn. Heute ist Che nur mehr Zitat, buchstäblich ein Abziehbild. Und er beendet seinen Artikel mit dem Satz: Hätte es Che nicht gegeben, man hätte ihn erfinden müssen.

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