Freitag, 26. Oktober 2018

der heilige Doktor


Als ich vor Jahren über die Lebenserinnerungen der Fürstin Wolkonskaja schrieb, stieß ich auch auf einen Deutschen, der ähnlich wie die Fürstin nach Sibirien gegangen war. Der heilige Doktor von Moskau hat man ihn genannt. Die katholische Kirche ist nach hundertfünfzig Jahren dabei, den tiefgläubigen Arzt selig zu sprechen. Lew Kopelew hat seine Biographie geschrieben. Im Vorwort zu Kopelews Buch sagt Heinrich Böll: An Haass könnte man den Unterschied zwischen Gutmütigkeit (die in den meisten Fällen eine Komponente Faulheit hat) und Güte (die ruhelos ist und Tiefe voraussetzt) studieren. Die Rede ist von dem deutschen Arzt Friedrich Joseph Haass, der in Moskau als Arzt der Prominenz und als Armenarzt wirkt. Der Bundespräsident Johannes Rau (der bereits 1954 über Haass einen Aufsatz verfaßte) schrieb zu dessen 150. Todestag: Damals hatte sein hundertster Todestag im Jahre 1953 in Deutschland wenig Beachtung gefunden. Wir hatten diesen großartigen Arzt und Gefängnisreformator vergessen – zu Unrecht vergessen.

Dr Haass (hier mit dem roten Wladimirorden) kam im Gefolge russischer Adliger nach Moskau und wurde als Fjodor Petrowitsch Gaas von der russischen Zarin 1807 zum Chefarzt der renommierten Pawlowskaja Klinik ernannt. 1812 arbeitet er als Chirurg in der russischen Armee, die Napoleon über die Beresina treibt. Tolstoi, dessen Gattin Haass gekannt, hätte ihn in Krieg und Frieden hineinschreiben können. Dostojewski hat den Mann, für den auch Gefangene Gottes Geschöpfe sind, in Der Idiot verewigt: Alle Verbrecher standen bei ihm auf der gleichen Stufe, einen Unterschied gab es für ihn nicht. Er sprach mit ihnen wie mit Brüdern, sie aber betrachteten ihn schließlich als ihren Vater. Ab 1814 wird er eine Privatpraxis für die Moskauer Aristokratie unterhalten (wird aber auch die Armen versorgen). Wenn er 1828 zum Mitglied des Moskauer Gefängnisschutzkomitees ernannt wird, wird er seine Stelle als Stadtphysikus aufgeben und sich die nächsten 25 Jahre lang der Fürsorge um die Gefangenen widmen, vor allem der, die nach Sibirien verbannt worden waren.

Von den 121 Dekabristen in Sibirien werden nur 50 am Leben bleiben. Sie werden nach 25 bis 30 Jahren amnestiert oder auf ihre Güter verbannt werden. Dr Haass wird sich um viele von ihnen kümmern, wird mit ständigen Eingaben an Nikokaus I eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zu erreichen versuchen. Man wird die Dekabristen nicht vergessen, sie dürfen eine Korrespondenz mit ihren Familien unterhalten. Und russische Dichter werden sie besingen. So der Dichter Nikolaj Alexejewitsch Nekrasow, der die Fürstin Trubezkaja in seinem berühmten Gedicht Russische Frauen besingt.

Die Fürstin Wolkonskaja war nicht die einzige Ehefrau eines der verurteilten Dekabristen, die ihrem Gatten nach Sibirien folgt, elf Frauen werden das auch tun. Die erste war die Fürstin Trubezkaja (deren Mann einer der Anführer des Austand war), die mit der Wolkonskaja in dieser Hütte wohnen wird. Trotz der bescheidenen Verhältnisse wird das hier zu einem Zentrum des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens von Irkutsk werden.

Am Ende seines Lebens wird der gute Doktor sein ganzes Vermögen geopfert haben. Der Staat bezahlt seine Beerdigung, zu der 20.000 Menschen kommen werden. Sein Grab in Moskau wird immer noch geschmückt. Ich hätte heute zum Schluss noch ein kleines Schmankerl, das Drehbuch zu einem Film oder einem TV Zweiteiler von Paul Mommertz. Der Autor war von der Bayerischen Filmförderung gefördert worden, das Skript fand allerdings aus Kostengründen keinen Produzenten. Sie können es hier lesen.

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