Freitag, 22. Juli 2011

Brooklyn Bridge


Vor fünf Jahren brachte die Deutsche Post eine Sondermarke zum 200. Geburtstag von Johann August Röbling heraus. In Deutschland kannte ihn da wohl kaum jemand. In Amerika kennt man den John Augustus Roebling schon. Weil er die Brooklyn Bridge gebaut hat. Er hat das Jahrhundertbauwerk niemals in seiner Vollendung sehen können, weil er vorher gestorben ist, heute vor 142 Jahren.

Der junge amerikanische Dichter Hart Crane hatte aus seinem Zimmer in der Pension mit der Adresse 110 Brooklyn Heights eine hervorragende Sicht auf die Brücke. Wahrscheinlich hat er deshalb dieses riesig lange Gedicht The Bridge geschrieben. Amerikas Antwort auf T.S. Eliots The Waste Land. Hart Crane hat, als er das Gedicht schrieb, nicht gewusst, dass John Augustus Roeblings Sohn einmal an der gleichen Adresse gewohnt hat. Der hieß Washington Augustus Roebling, er hat die Brücke nach dem Tod seines Vater zu Ende gebaut. Obgleich er, genau wie sein Vater, bei den Bauarbeiten einen schweren Arbeitsunfall hatte. Irgendwie ist das sehr passend auf den Brooklyn Heights zu wohnen, wenn man nach George Washington benannt wurde. Denn hier hat der General George Washington seine erste Schlacht in dem Revolutionskrieg geschlagen. Hier an dieser Stelle kommt eine Menge zusammen: der Beginn des Unabhängigkeitskrieges, Ingenieurskunst von deutschen Einwanderern und amerikanische Dichtung der Moderne.

Die Brooklyn Bridge ist nicht nur einfach eine Brücke, für viele amerikanische Kulturkritiker ist sie ein Symbol, vielleicht wichtiger als Miss Liberty, das schöne Geschenk aus Frankreich, Wenn Sie alles dazu wissen wollen, dann lesen Sie doch Alan Trachtenberg Brooklyn Bridge: Fact and Symbol und Richard Haw ➱The Brooklyn Bridge: A Cultural History.

Das Gemälde oben ist von dem amerikanischen Maler Childe Hassam. Natürlich hätte ich eins von den Bildern von Joseph Stella nehmen können, aber ich nehme lieber das etwas unbekanntere Bild. Die Brooklyn Bridge von John Marin finde ich auch sehr schön. Auf John Sloans tollem Bild The Wake on the Ferry ist die Brooklyn Bridge nicht mit drauf, auf dem Stich, den er davon angefertigt hat, ist sie allerdings zu sehen. Ich glaube, ich schreibe irgendwann mal über die Maler der Ashcan School. Ich mache mir das heute leicht, ich drucke hier zum Andenken an den Todestag von Johann August Röbling den Anfang von Hart Cranes The Bridge ab. Und vorher noch den ➱John Sloan (allerdings ohne die Brooklyn Bridge).










To Brooklyn Bridge

How many dawns, chill from his rippling rest

The seagull’s wings shall dip and pivot him,
Shedding white rings of tumult, building high
Over the chained bay waters Liberty–

Then, with inviolate curve, forsake our eyes
As apparitional as sails that cross
Some page of figures to be filed away;
–Till elevators drop us from our day …

I think of cinemas, panoramic sleights
With multitudes bent toward some flashing scene
Never disclosed, but hastened to again,
Foretold to other eyes on the same screen;

And Thee, across the harbor, silver-paced
As though the sun took step of thee, yet left
Some motion ever unspent in thy stride,–
Implicitly thy freedom staying thee!

Out of some subway scuttle, cell or loft
A bedlamite speeds to thy parapets,
Tilting there momently, shrill shirt ballooning,
A jest falls from the speechless caravan.

Down Wall, from girder into street noon leaks,
A rip-tooth of the sky’s acetylene;
All afternoon the cloud-flown derricks turn …
Thy cables breathe the North Atlantic still.

And obscure as that heaven of the Jews,
Thy guerdon … Accolade thou dost bestow
Of anonymity time cannot raise:
Vibrant reprieve and pardon thou dost show.

O harp and altar, of the fury fused,
(How could mere toil align thy choiring strings!)
Terrific threshold of the prophet’s pledge,
Prayer of pariah, and the lover’s cry,–

Again the traffic lights that skim thy swift
Unfractioned idiom, immaculate sigh of stars,
Beading thy path–condense eternity:
And we have seen night lifted in thine arms.

Under thy shadow by the piers I waited;
Only in darkness is thy shadow clear.
The City’s fiery parcels all undone,
Already snow submerges an iron year …

O Sleepless as the river under thee,
Vaulting the sea, the prairies’ dreaming sod,
Unto us lowliest sometime sweep, descend
And of the curveship lend a myth to God.

Hart Crane ist nicht der einzige, der die Brooklyn Bridge hier ein Bild von Frank Mason) besungen hat. Viele amerikanische Dichter haben sie in ihrer Dichtung behandelt. Die Organisation Poets House veranstaltet jedes Jahr einen Spaziergang über die Brücke, bei dem ➱Brooklyn Bridge Gedichte vorgelesen werden. Und bei dem natürlich auch an John Augustus Roebling erinnert wird. Vor fünf Wochen hat Bill Murray auf der Brücke Gedichte vorgetragen, da sind aber an dem Tag nur dreihundert Lyrikfreunde gekommen. Das muss im nächsten Jahr mehr werden! Merken Sie sich den Termin im Juni doch schon mal vor.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Marshall McLuhan


Wenn man das Glück hatte, in der Zeit groß geworden zu sein, in der die immer mehr um sich greifende Kultserie Mad Men spielt, dann konnte man kulturell viel entdecken. Man war bei Rock'n Roll, Cool Jazz, Existentialismus, Nouvelle Vague und Popkultur direkt dabei. Die ganzen Bücher über Folklore, Jazz und Pop der fünfziger und sechziger Jahre, die es heute gibt (Mad Men Unbuttoned inklusive), sind noch nicht geschrieben. Man war noch Teil einer lebendigen Kultur. Wenn sich erst eines Tages die Kulturkritiker des Feuilletons über die Kultur hermachen, ist die Kultur längst tot. Vor allem, wenn Adorno über die Pop Kultur nörgelt. Ich habe das nie verstehen können, was die 68er Revolution in Deutschland immer mit Adorno hatte, der hatte doch keine Ahnung von Jazz!

Wenn ich an mein Leben in diesen Tagen denke, als man noch mit Jackett und Krawatte zum Hauptseminar und genauso gekleidet zur Demonstration ging, dann gab es an der Universität damals nicht so viele Höhepunkte. Also auf jeden Fall nicht solche kulturelle  highlights wie im Alltag. Obgleich sich damals erstaunlicherweise die populäre Kultur des Alltags und die an der Uni gepredigte elitäre Kultur manchmal vermischten. Man besuchte ein Aristoteles Seminar und ging hinterher ins Kino, um Leichen pflastern seinen Weg zu sehen. Und danach in eine Studentenkneipe, um über griechische Philosophie und amerikanische Western zu diskutieren. Einer der Höhepunkte des Unilebens war sicherlich ein Oberseminar über Marshall McLuhan im Wintersemester 1967/68. Der kanadische Professor war damals in aller Munde, man wusste noch nicht so ganz, was man von ihm halten sollte. Für viele war er der originellste Denker außerhalb eines Irrenhauses, auf jeden Fall hatte ihn die New Yorker Zeitung Village Voice so getauft. Sein Buch Understanding Media war damals gerade mal drei Jahre alt, und schon wurde es hier an der Uni behandelt. Das war irgendwie cool. Denn normalerweise beschäftigte sich die Uni damals nur mit Autoren, die mindestens hundert Jahre tot waren und zu denen es Berge von Sekundärliteratur gab, die der Professor angeblich gelesen hatte.

Und es gab noch eine Steigerung der coolness in diesem Seminar, nämlich ein Wochenendseminar auf dem Koppelsberg bei Plön, einem gerade frisch gebauten Tagungszentrum. Normalerweise wäre das nichts Besonderes gewesen, da wurde nur das ganze Seminar in die Natur verlegt und man hatte die schöne Möglichkeit, den Professor abends beim Tischtennis zu schlagen. Tischtennis war jetzt für Intellektuelle erlaubt, schließlich hat Jewgeni Jewtuschenko bei seinem Besuch der Bundesrepublik mit Hans Magnus Enzensberger Tischtennis gespielt. Solch schöne Wochenendseminare waren damals an dem Institut, an dem ich studierte, mehr oder weniger die Regel. Es gab auch eine Vielzahl von extracurricular activities. Es gab einen summer dance und einen winter dance, Weihnachtsliedersingen (natürlich englische Weihnachtslieder), ein literarisches Preisrätsel und eine Fußballmannschaft des Englischen Seminars. Und nach einem Oberseminar oder Kolloquium ging man mit dem Professor in Kneipen, die Oblomow, QuamQuam oder Heinrich VIII hießen. Aber vielleicht war das alles auch nur bei den Anglisten so, weil die so viel vom englischen common sense abbekommen hatten. Heute gibt es das alles nicht mehr. Die Vielzahl der extracurricular activities hat leider abgenommen. Statt wirklicher sozialer Kontakte gibt es jetzt soziale Netzwerke.

Ich würde das Wochendseminar am Koppelsberg gar nicht erwähnen (und auch nicht, dass ich selbstverständlich den Professor beim Tischtennis geschlagen habe), hätte es nicht einen Gastreferenten namens Klaus Wellershaus vom NDR gegeben. Der war gerade ein Jahr in San Francisco gewesen und brachte nun alles an Popmusik aus Amerika mit, was hier noch völlig unbekannt war. Wir schleppten Kisten voller Langspielplatten aus seinem alten VW Käfer ins Tagungszentrum. Allein die LP von Velvet Underground mit dem Warhol Bananen Cover wäre heute ein Vermögen wert! Und Wellershaus war an diesem Wochenende zehn Adornos wert. Jemanden wie Klaus Wellershaus, der für die Popmusik etwas war, was Rolf Dieter Brinkmann für die Vermittung der amerikanischen Lyrik war, hat es beim Norddeutschen Rundfunk nicht wieder gegeben. Falls Ihnen der Name Klaus Wellershaus nichts sagt, sollten Sie unbedingt den schönen Artikel von Heinz Rudolf Kunze aus dem Jahre 2002 lesen. Wo immer Klaus Wellershaus jetzt sein mag - und falls er dies zufällig zu lesen bekommt - ich bin ihm heute noch dankbar für diesen Tag.

Das alles ist mir eingefallen (nein, ich hatte es nie wirklich vergessen), als ich im Kalender las, dass Marshall McLuhan heute vor hundert Jahren geboren wurde. Wenn man mir McLuhan sagt, fallen mir automatisch drei Dinge ein: 1) die Sache mit dem originellsten Denker außerhalb eines Irrenhauses (diesen Spruch kann man übrigens bei allen möglichen Gelegenheiten verwenden), 2) Klaus Wellershaus und die amerikanische Popmusik und 3) Tom Wolfe. Der scharfsinnige Beobachter der amerikanischen Kultur hatte den neuen Philosophen schon 1965 in einem ➱Artikel in der New York Herald Tribune gefeiert. Der Titel des Artikels war typisch Tom Wolfe: suppose he is what he sounds like, the most important thinker since newton, darwin, freud, einstein, and Pavlov what if he is right? Am Schluss von Tom Wolfes rhapsodischer Kulturkritik schleppen Howard Gossage (der Mann, der McLuhan entdeckte und vermarktete) und sein Kumpel Gerry Feigen den kanadischen Professor in ein zweifelhaftes Etablissement, in dem man eher den Schuhverkäufer Al Bundy vermuten würde:

In San Francisco, Gossage and Feigen take McLuhan to a "topless waitress" restaurant, the Off
Broadway, at the request of some writer from New York in a loud checked suit. Herb Caen, the columnist, is also along. Everybody is a little taken aback. There they all are in the black-light gloom of the Off Broadway with waitresses walking around wearing nothing but high-heel shoes and bikini underpants, and nobody knows quite how to react, what to say, except for McLuhan. Finally, Caen says that this girl over here is good looking -

   "Do you know what you said?" says McLuhan, "Good look ing. That's a visual orientation. You're separating yourself from the girls. You are sitting back and looking. Actually, the lights are dim in here, this is meant as a tactile experience, but visual man doesn't react that way."
   And everyone looks to McLuhan to see if he is joking, but it is impossible to tell there in the gloom. All that is clear is that . . . yes, McLuhan has already absorbed the whole roaring whirligig into his motionless center.

Wenn man als Philosoph die ganze Welt der Medien erklären kann, schöne Formulierungen wie the medium is the message oder global village geprägt und das Internet vorhergesagt hat, dann hat man auch in einer New Yorker Tittenbar eine gut klingende Formulierung drauf. Und das unterscheidet McLuhan von Adorno, der bei einem kleinen Happening mit bloßen Brüsten von Studentinnen schon ausflippte und die Hochkultur bedroht sah.

Dank Howard Gossage, dem Socrates of San Francisco, der auch gut in die TV Serie Mad Men passt, ist Marshall McLuhan vermarktet worden. Er hat bei diesem Spiel mitgespielt und sich gerne vermarkten lassen. Aus dem Professor für Englische Literatur, der von James Joyces Finnegan's Wake für seine Medientheorien inspiriert wurde, war ein Medienstar geworden. Man kann ihn heute noch auf YouTube in einer Vielzahl von Interviews sehen. Seinen schönsten Auftritt hatte er in Woody Allens Annie Hall (Der Stadtneurotiker), wenn Woody (= Alvy) sich in der Schlange vorm Kino mit jemandem über Marshall McLuhan streitet. Und plötzlich den echten ➱Professor McLuhan hinter einem Filmplakat hervor zerrt.

The man in line moves toward Alvy. Both address the audience now.
MAN IN LINE Wait a minute, why can't I give my opinion? It's a free country!
ALVY I mean, d- He can give you- Do you hafta give it so loud? I mean, aren't you ashamed to pontificate like that? And-and the funny part of it is, M-Marshall McLuhan, you don't know anything about Marshall McLuhan's...work!
MAN IN LINE (Overlapping) Wait a minute! Really? Really? I happen to teach a class at Columbia called "TV Media and Culture"! So I think that my insights into Mr. McLuhan-well, have a great deal of validity.
ALVY Oh, do yuh?
MAN IN LINE Yes.
ALVY Well, that's funny, because I happen to have Mr. McLuhan right here. So ... so, here, just let me-I mean, all right. Come over here ... a second.
Alvy gestures to the camera which follows him and the man in line to the back of the crowded lobby. He moves over to a large stand-up movie poster and pulls Marshall McLuhan from behind the poster.
MAN IN LINE Oh.
ALVY (To McLuhan) Tell him.
MCLUHAN (To the man in line) I hear-I heard what you were saying. You-you know nothing of my work. You mean my whole fallacy is wrong. How you ever got to teach a course in anything is totally amazing.
ALVY (To the camera) Boy, if life were only like this!


Ja, Woody, das kannst Du laut sagen.

Mittwoch, 20. Juli 2011

All the Pretty Horses


All the Pretty Horses von Cormac McCarthy erschien im Mai 1992, die deutsche Übersetzung folgte ein Jahr später bei Rowohlt. All the Pretty Horses war McCarthys erster beim Publikum erfolgreicher Roman, 190.000 in sechs Monaten verkaufte Exemplare der Erstausgabe bedeuteten den ersten Platz auf der Bestsellerliste der New York Times. Der Autor kaufte sich vom ersten Honorar einen neuen Truck. Auch wenn sich die Romane, die er seit dreißig Jahren schrieb, niemals verkauft hatten, brachten sie ihm doch immerhin eine Vielzahl von Stipendien ein, sodass er zumindest besser als Edgar Allan Poe leben konnte.

Der Roman wurde 1992 mit dem National Book Award und dem National Book Critics Award ausgezeichnet. Der weltweite Erfolg bewirkte auch, dass McCarthys bisher nur einem kleinen Zirkel vertrautes, hermetisches Werk (The Orchard Keeper, 1965 - Outer Dark, 1968 - Child of God, 1973 - Suttree, 1979 - Blood Meridian, or the Evening in the West, 1985) eine Verbreitung erreichte, die dem kritischen Ruhm des Autors entsprach. Das gilt besonders für Blood Meridian, der nun von vielen Kritikern als McCarthys Hauptwerk angesehen wurde.

All the Pretty Horses ist im Untertitel The Border Trilogy Volume One betitelt. Der zweite Teil  der Trilogie, die zur Zeit des Endes des Zweiten Weltkriegs an der Grenze zwischen den USA und Mexiko spielt (McCarthys poetischem Äquivalent zu Faulkners Yoknapatawpha County), erschien 1994 mit The Crossing. Die Startauflage dieses Romans (200.000 Exemplare) war nach einem Monat verkauft, obwohl der Roman sehr viel schwerer zu lesen ist als All the Pretty Horses. Die Romane vor der Border Trilogy hatten im Schnitt nur eine Gesamtauflage von 2.500 Exemplaren pro Titel erreicht. Der letzte Band der Trilogie, Cities of the Plain, kam 1998 auf den Markt, er war für viele Leser eine Enttäuschung.

Der vierteilige Roman All the Pretty Horses, der Elemente des Western, des pikarischen Romans und des Entwicklungsromans vereint, beginnt im Texas des Jahres 1948. John Grady Cole, der sechzehnjährige Held des Romans, hat seinen Großvater verloren, auf dessen Farm er seit der Trennung seiner Eltern gelebt hat. Der Anfang ist der typische Cormac McCarthy Stil, eine atmosphärische, dichterische Beschreibung, eine Art Joycescher epiphany:

   The candleflame and the image of the candleflame caught in the pierglass twisted and righted when he entered the hall and again when he shut the door. He took off his hat and came slowly forward. The floorboards creaked under his boots. In his black suit he stood in the dark glass where the lilies leaned so palely from their waisted cutglass vase. Along the cold hallway behind him hung the portraits of forebears only dimly known to him all framed in glass and dimly lit above the narrow wainscotting. He looked down at the guttered candlestub. He pressed his thumbprint in the warm wax pooled on the oak veneer. Lastly he looked at the face so caved and drawn among the folds of funeral cloth, the yellowed moustache, the eyelids paper thin. That was not sleeping. That was not sleeping.
   It was dark outside and cold and no wind. In the distance a calf bawled. He stood with his hat in his hand. You never combed your hair that way in your life, he said.
   Inside the house there was no sound save the ticking of the mantel clock in the front room. He went out and shut the door.
   Dark and cold and no wind and a thin gray reef beginning along the eastern rim of the world. He walked out on the prairie and stood holding his hat like some supplicant to the darkness over them all and he stood there for a long time.
   As he turned to go he heard the train. He stopped and waited for it. He could feel it under his feet. It came boring out of the east like some ribald satellite of the coming sun howling and bellowing in the distance and the long light of the headlamp running through the tangled mesquite brakes and creating out of the night the endless fenceline down the dead straight right of way and sucking it back again wire and post mile on mile into the darkness after where the boilersmoke disbanded slowly along the faint new horizon and the sound came lagging and he stood still holding his hat in his hands in the passing ground-shudder watching it till it was gone. Then he turned and went back to the house.


Eine beinahe hundertjährige Tradition der Gradys geht mit John Grady Cole zuende. Die einseitige Familiengeschichte am Anfang des Romans ist gleichzeitig eine Geschichte des amerikanischen Westens:

   The house was built in eighteen seventy-two. Seventy-seven years later his grandfather was still the first man to die in it. What others had lain in state in that hallway had been carried there on a gate or wrapped in a wagonsheet or delivered crated up in a raw pineboard box with a teamster standing at the door with a bill of lading. The ones that came at all. For the most part they were dead by rumor. A yellowed scrap of newsprint. A letter. A telegram. The original ranch was twenty-three hundred acres out of the old Meusebach survey of the Fisher-Miller grant, the original house a oneroom hovel of sticks and wattle. That was in eighteen sixty-six. In that same year the first cattle were driven through what was still Bexar County and across the north end of the ranch and on to Fort Sumner and Denver. Five years later his great-grandfather sent six hundred steers over that same trail and with the money he built the house and by then the ranch was already eighteen thousand acres. In eighteen eighty-three they ran the first barbed wire. By eighty-six the buffalo were gone. That same winter a bad die-up. In eighty-nine Fort Concho was disbanded.
   His grandfather was the oldest of eight boys and the only one to live past the age of twenty-five. They were drowned, shot, kicked by horses. They perished in fires. They seemed to fear only dying in bed. The last two were killed in Puerto Rico in eighteen ninety-eight and in that year he married and brought his bride home to the ranch and he must have walked out and stood looking at his holdings and reflected long upon the ways of God and the laws of primogeniture. Twelve years later when his wife was carried off in the influenza epidemic they still had no children. A year later he married his dead wife's older sister and a year after this the boy's mother was born and that was all the borning that there was. The Grady name was buried with that old man the day the norther blew the lawnchairs over the dead cemetery grass. The boy's name was Cole. John Grady Cole
.

Johns Mutter, die als Schauspielerin in zweitklassigen Theatern auftritt, will die Farm verkaufen. Johns Vater, vom Krieg physisch und psychisch gezeichnet, weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat. John Grady Cole, der trotz seines jugendlichen Alters alle Qualitäten des archetypischen amerikanischen Westernhelden besitzt, verläßt mit seinem Freund Rawlins Farm und Familie und reitet nach Mexiko, in ein Land, das als eine Art von mythischem, reinem "Westen" noch nicht von der bedrohlichen, alles verändernden Zivilisation erfaßt ist. Das ähnelt ein wenig dem wunderbaren Schluß von Mark Twains Huckleberry Finn: But I reckon I got to light out for the territory ahead of the rest, because Aunt Sally she's going to adopt me and sivilize me, and I can't stand it. I been there before. Das Motiv mit Mexiko als einem neuen, wahren Westen ist nicht unbedingt neu, wir kennen es schon aus dem Film Stagecoach.

Den beiden Jugendlichen schließt sich ein großsprecherischer Tunichtgut namens Jimmy Blevins mit einem gestohlenen Pferd an. Mexiko stellt sich den Protagonisten als eine unberührte, schöne (im Sinne von sublime) aber doch auch feindliche Natur und Gesellschaft dar. Die Grenze ist in den Romanen der Border Trilogy nicht nur eine geographische und kulturelle Trennlinie, auf einer symbolischen Ebene markiert sie in All the Pretty Horses wie in The Crossing den Übergang von innocence zu experience, ein Moment so vieler amerikanischer Initiationsromane. Blevins‘ Pferd geht in einem Gewitter verloren (eine der wenigen komischen Szenen des Romans), Blevins stiehlt das Pferd ein zweites Mal und wird von berittenen Mexikanern verfolgt.

John Grady Cole und Rawlins verdingen sich im zweiten Teil des Buches auf der Hacienda des aristokratischen Don Hector Rocha y Villareal, dessen Leidenschaft, ebenso wie die von John Grady, die Pferdezucht ist. Eine Liebesgeschichte zwischen der schönen Tochter des Pferdezüchters und John Grady findet trotz der Warnungen von Alejandras Patentante Duena Alfonsa, dass Don Hector dieser Verbindung niemals zustimmen wird, rasch ihre Erfüllung. Am Ende des idyllischen zweiten Teils werden John und Rawlins auf Betreiben Alejandras Vaters als angebliche Komplizen des Pferdediebes Blevins verhaftet.

Könnte man Teil II als Paradies überschreiben, so wäre Teil III Hölle zu nennen. Themen wie Gewalt und das Böse im Menschen, die in der Art der Romane Flannery O‘Connors oder eines Peckinpah-Western schon Blood Meridian gekennzeichnet hatten, werden hier wieder aufgenommen. John Grady und Rawlins treffen im Gefängnis den inhaftierten Blevins, der des Pferdediebstahls und mehrfachen Mordes angeklagt ist. Die Gefangenen werden zum Staatsgefängnis in Saltillo gebracht, Blevins wird auf dem Weg dahin am Straßenrand exekutiert. Die beiden Amerikaner werden im Gefängnis mißhandelt, John Grady muß schwerverletzt einen Angreifer in Notwehr töten und erkennen, dass das Böse der Welt auch in ihm ist. Am Ende dieses Teils werden John Grady und Rawlins überraschend (dank der Intervention von Alejandras Patentante) freigelassen, und Rawlins kehrt in die USA zurück.

Im vierten Teil des Romans sucht John Grady vergeblich Alejandra. Duena Alfonsa erzählt ihm ihre Familiengeschichte, die ähnlich wie die Familiengeschichte der Gradys die Geschichte der USA ist, eine Geschichte Mexikos ist. John trifft Alejandra ein letztes Mal zu einer Liebesnacht in einem Hotel, aber für diese Liebe gibt es keine Zukunft. Tief im Inneren verletzt, wendet sich der Held wieder den Tieren zu, die dem Roman den Titel geben, und deren Schönheit, Reinheit und edles Wesen bisher seine Zuflucht aus der Welt der Menschen war. Er holt sich mit Waffengewalt (wobei er angeschossen wird) seine Pferde zurück und setzt sich in den Besitz von Blevins‘ Pferd, des unschuldigen schönen Tieres, das der Auslöser für Gewalt und Tod war. Er entführt den Hauptmann, der den Tod von Blevins zu verantworten hat. Die Entscheidung, über das Leben des Hauptmanns zu urteilen, wird ihm von mexikanischen Briganten abgenommen, die ihre eigene Rechnung mit dem verhaßten Polizeioffizier zu begleichen haben. John Grady Cole reitet allein zurück nach Texas, erzählt einem amerikanischen Richter seine Geschichte (eine Art von Beichte und Absolution) und versucht, Blevins‘ Pferd seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzubringen. Ein Zuhause gibt es für unseren Helden am Ende seiner quest nicht (The Crossing hat ein ähnliches Ende). Der Vater ist tot, und auch die mexikanische Haushälterin, die über fünfzig Jahre im Dienste der Familie stand, ist gestorben: am Ende steht wie am Anfang des Romans eine Beerdigungsszene. John Grady Cole reitet dann, beobachtet von einer Gruppe Indianer, wie der Held des amerikanischen Western, in den Sonnenuntergang und wird eins mit der Landschaft.

Selten seit Thomas Hardy oder Paul Bowles (The Sheltering Sky) hat ein Roman derart von Landschaftsbeschreibungen gelebt. Mit elementarer Wucht, die viele Kritiker an Herman Melville und Faulkner erinnerte, positioniert McCarthy seine Helden vor einer extensiv und poetisch beschriebenen Landschaftskulisse, welche Gefühle, Gedanken und Träume der ansonsten im behavioristischen Stil Hemingways eher lakonischen Charaktere reflektiert. Wenn einzelne Kritiker die Romane auch als "Heimatromane", postmoderne Blut-und-Boden-Literatur und amerikanischen Mythenmix abgetan haben und manche zu Recht beklagt haben, dass viele Charaktere und Situationen stereotyp seien, so wird sich doch kaum ein Leser dem Sog von McCarthys poetischer und manchmal rätselhaft dunklen Sprache und seinem pessimistischen Stoizismus entziehen können.

All the Pretty Horses ist im Jahre 2000 von Billy Bob Thornton verfilmt worden. Wer den Roman gelesen hatte, wußte, das kann nicht gutgehen. Es macht keinen Sinn, Cormac McCarthy verfilmen zu wollen. As slick and superficial as a Marlboro advertisement, schrieb die New York Times, und da konnte auch das Schnuckelchen Penélope Cruz nichts rausreissen. Inzwischen ist der Roman eines vorher so gut wie unbekannten Autors ein Gegenstand der Vermarktung geworden. Erstausgaben werden zu Preisen angeboten, zu denen man sich eine Basisbibliothek der Weltliteratur in Paperbacks kaufen kann. Der Außenseiter wird zum Mainstream Autor. Der Verlag bietet auf seiner Internetseite schon Vorschläge an, wie Lehrer den Roman im Unterricht behandeln können. Und offeriert ein Audiobook, gelesen von Brad Pitt. Natürlich ist das nicht der ganze Roman, der da von dem Hollywoodstar vorgelesen wird. Gleichzeitig mit dieser Aufnahme erschien in den USA ein zehnstündiges Hörbuch (auf 9 CDs), gelesen von jemandem, der wirklich einen Text lesen und vortragen kann: Frank Muller. Für den Herbst dieses Jahres ist diese Aufnahme, die sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden war, neu angekündigt. Wenn Sie kein Brad Pitt Fan sind, aber unbedingt ein Audiobook haben wollen, sollten sie so lange warten.

Dies ist ein Geburtstagsgruss an Cormac McCarthy von einem Fan der ersten Stunde. McCarthy wird heute 78 Jahre alt. Er schreibt immer noch, arbeitet zur Zeit an mehreren Romanen. Seine alte Olivetti Schreibmaschine ist vor Jahren bei Christies für 254.000 Dollar verkauft worden. Er hat immer noch keinen Computer. Aber eine neue Olivetti. Genauer gesagt, eine gebrauchte Olivetti, die ihm ein Freund für elf Dollar besorgt hat. Vielleicht hätte ich mir vor fünfzig Jahren auch eine Olivetti kaufen sollen und keine Olympia.

Alle Photos sind natürlich von Ansel Adams, ich dachte mir, diese Mexiko Bilder passen irgendwie zu dem Roman.

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Dienstag, 19. Juli 2011

Samuel Colt


Da hängt er an der Wand, der treue Colt. 1890 von William Harnett gemalt, ist er erst seit 1935 im Besitz des Wadsworth Atheneum in Hartford (CT). In Hartford ist nicht nur die Fabrik von Samuel Colt, auch ➱Mark Twain hat hier gewohnt. Und die Fabrik in seinen Roman A Connecticut Yankee in King Arthur's Court hineingeschrieben. Da arbeitet sein Held, bevor er ins England von König Arthur versetzt wird: I am an American. I was born and reared in Hartford, in the State of Connecticut -- anyway, just over the river, in the country. So I am a Yankee of the Yankees -- and practical; yes, and nearly barren of sentiment, I suppose -- or poetry, in other words. My father was a blacksmith, my uncle was a horse doctor, and I was both, along at first. Then I went over to the great arms factory and learned my real trade; learned all there was to it; learned to make everything: guns, revolvers, cannon, boilers, engines, all sorts of labor-saving machinery. Why, I could make anything a body wanted -- anything in the world, it didn't make any difference what; and if there wasn't any quick new-fangled way to make a thing, I could invent one -- and do it as easy as rolling off a log.

Das Wadsworth Atheneum (das im 19. Jahrhundert auch große Zuwendungen aus der Familie Colt bekommen hat) ist das erste öffentliche Kunstmuseum Amerikas. Im Gegensatz zu all den Gründungen von Museen in der Zeit des Gilded Age, mit deren Finanzierung sich banausenhafte Millionäre ihren Ruhm für die Ewigkeit erkaufen, sammelt man von Anfang an amerikanische Malerei. Besonders die Hudson River School. Einen Teil dieser Bestände konnte man 2007 unter dem Titel Neue Welt: Die Erfindung der amerikanischen Malerei in der Bucerius Stiftung in Hamburg sehen. Das Metropolitan Museum in New York kümmert sich in seinen Gründungsjahren kaum um die eigene amerikanische Kunst. Viele Museen werden auch im Laufe der Zeit amerikanische Gemälde aus dem 19. Jahrhundert abstoßen. Was sich rächen wird, weil sie eines Tages dieselben Bilder zum Hundert- und Tausendfachen wieder zurückkaufen werden, ein Vorgang, der vor vierzig Jahren begonnen hat. 1979 wird ein Bild von Harnett für 300.000 Dollar verkauft, ein bis dahin ungeahnter Preis für diesen Maler. Heute bringen selbst echte kleine Harnetts mindestens 100.000 Dollar, und für Kopien aus dem 19. Jahrhundert werden auch tausende gezahlt.

Wie viele amerikanische Maler des 19. Jahrhundert war auch William Michael Harnett schnell vergessen. Der Galeristin Edith Gregor Halpert sagte das kleine Namensschild auf der Rückseite von The Faithful Colt überhaupt nichts, als ihr das Bild im Jahre 1935 angeboten wurde. Aber sie wußte schon, dass sie da etwas Besonderes in der Hand hatte. Es erinnerte sie ein wenig an die die trompe-l’œil Malerei von Raphaelle Peale wie seinem berühmten Venus Rising from the Sea - A Deception (After the Bath), das ja der Vorläufer für so viele spätere amerikanische Maler war, die sich auf die trompe-l’œil Malerei spezialisiert hatten. Kaum war das Bild 1935 für 300 $ in den Besitz des Museums in Hartford gelangt (heute würde es das Tausendfache bringen), da ging es auch schon auf Reisen und ist seitdem ein ständig begehrtes Vorzeigestück der amerikanischen trompe-l’œil Malerei. Man kann sich auch im Internet bei einer Vielzahl von Adressen Reproduktionen davon bestellen. Dagegen ist nichts zu sagen, solange Harnetts treuer Colt der einzige Colt im Hause ist.

Harnett, der wegen einer selbstgemalten naturgetreuen fünf Dollarnote vom gerade frisch gegründeten Secret Service (der ja zum Schutz der US Währung gegründet wurde) verhört wurde, ist nicht der einzige Maler, der sich auf die realistische Wiedergabe von Alltagsgegenständen spezialisiert hat. Es ist vielleicht interessant hervorzuheben, dass dieses Phänomen genau ein Jahrhundert vor dem amerikanischen Photorealismus auftaucht. Neben Harnett gibt es da noch John Frederick Peto (der nach dem Tod Harnetts viele seiner Bilder mit dem Namen Harnett signieren wird), John Haberle und Jefferson D. Chalfant. Und es wird auch Maler wie Nicholas Brooks (und später Otis Kaye) geben, die sich nur auf das naturgetreue Abmalen von Geldscheinen spezialisiert haben. Dieses Genre der Malerei floriert offensichtlich. Auf jeden Fall bis der Kongress das per Gesetz im Jahre 1909 verbietet.

Der faithful Colt ist im Jahre 1890 schon ein älteres Modell (Waffenfreaks wissen, dass es ein Modell aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg ist). Sein Besitzer hat ihn an den sprichwörtlichen Nagel gehängt, der kleine Zeitungsausschnitt kündet noch von seinem letzten Einsatz. Das Bild ist auch ein symbolischer Abgesang auf das Ende des Wilden Westens, es fällt zeitlich beinahe mit Frederick Jackson Turners berühmter Frontier These zusammen. Da war Samuel Colt, dessen Peacemaker eine so wichtige Rolle beim winning of the West gespielt hat, schon dreißig Jahre tot. Aber Harnetts Faithful Colt hat dann doch noch seinen Weg in das Museum von Hartford gefunden, dem Samuel Colts Witwe Elizabeth Hart Jarvis Colt 1905 über tausend Objekte schenkte. Ich weiß nicht, ob man sich damals mehr über die Sammlung der Gemälde der Hudson River School oder Samuel Colts Waffensammlung gefreut hat.

Ja, Samuel Colt (der heute Geburtstag hat) sammelte Kunst. Und er gab Kunst in Auftrag. Und das hier habe ich mir als kleinen gag zum Schluss aufgehoben. Der Maler George Catlin hatte von Colt den Auftrag, in einem Dutzend Bilder die Produkte aus der Colt Waffenfabrik darzustellen. Und er malt sich dann auch selbst, wie er mit einem Colt einen Büffel schießt. Das ist nun zweifellos nicht politically correct - und passt auch überhaupt nicht zu dem Bild, das wir von George Catlin haben - ist aber irgendwie sehr amerikanisch. Der Colt erobert nicht nur den Westen. Hier tötet er auch den Büffel, die Nahrungsgrundlage der Indianer.

Alle Segnungen der Technik, die Mark Twains Connecticut Yankee, der Vorarbeiter aus der Waffenfabrik von Samuel Colt in Hartford, in das England von König Arthur bringt, werden sich am
Ende des Romans als todbringend erweisen.

Der Katalog Amerika: Die Neue Welt in Bildern des 19. Jahrhunderts von Stephan Koja, der ein gutes Kapitel über die amerikanische trompe-l’œil Malerei hat, ist antiquarisch noch sehr preiswert zu finden. Für das Standardwerk After the hunt: William Harnett and other American still life painters, 1870-1900 von Alfred Frankenstein will ein Händler bei Amazon Marketplace über tausend Euro haben, lesen Sie es doch einfach ➱hier.

Montag, 18. Juli 2011

Vanity Fair


“It’s some sandwiches, my dear,” said she to Amelia. “You may be hungry, you know; and Becky, Becky Sharp, here’s a book for you that my sister—that is, I —Johnson’s Dixonary, you know; you mustn’t leave us without that. Good-by. Drive on, coachman. God bless you!”
And the kind creature retreated into the garden, overcome with emotion.
But, lo! and just as the coach drove off, Miss Sharp put her pale face out of the window and actually flung the book back into the garden.
This almost caused Jemima to faint with terror. “Well, I never”— said she—“what an audacious”—Emotion prevented her from completing either sentence. The carriage rolled away.

Das ist nicht nett, was die junge Becky Sharp da im ersten Kapitel von Thackerays Vanity Fair tut. Dr Johnsons berühmtes Wörterbuch schmeißt man nicht aus dem Fenster der Kutsche. Aber Becky Sharp ist nun mal nicht nett. Gottseidank. Kinder im englischen Roman sind ja sonst immer unausstehlich artig und fromm. Junge Frauen natürlich auch. Aber nicht Becky Sharp. Wahrscheinlich, weil ihre Mutter eine Französin ist. Die Unmoral kommt aus dem Ausland. Thackerays Barry Lyndon ist Ire. Der steigt auch auf in der Welt. Gut, zum Schluss sitzt er im Gefängnis, aber dank einer Rente zu netten Bedingungen. Eigentlich wollte Thackeray diesen Absatz am Schluss des Romans Barry Lyndon haben:

Justice, forsooth! Does human life exhibit justice after this fashion? Is it the good always who ride in gold coaches, and the wicked who go to the workhouse? Is a humbug never preferred before a capable man? Does the world always reward merit, never worship cant, never raise mediocrity to distinction? never crowd to hear a donkey braying from a pulpit, nor ever buy the tenth edition of a fool's book? Sometimes the contrary occurs, so that fools and wise, bad men and good, are more or less lucky in their turn, and honesty is 'the best policy,' or not, as the case may be.

Und über Vanity Fair mit dem Untertitel A Novel without a Hero hat er gesagt: What I want is to make a set of people living without God in the world (only that is a cant phrase), greedy, pompous men, perfectly self-satisfied for the most part, and at ease about their superior virtue. Das ist ein gefährliches Spiel, das der junge Autor da treibt, das Publikum ist eher Herz+Schmerz gewöhnt. Und am Ende, beim winding-up, soll alles gut sein. Und alle Romanfiguren müssen natürlich so furchtbar moralisch sein wie es das viktorianische Publikum liebt. Und große rührselige Szenen sollen in den Romanen sein, die man von Monat zu Monat in einer Zeitschrift liest. Charles Dickens verzichtet nie auf große rührselige Szenen, Thackeray schon. Obgleich der Colonel William Dobbin, wahrscheinlich der einzig gute Mensch in dem Roman, uns sicherlich immer wieder rührt. Seine History of the Punjaub wird er wohl nie zu Ende bekommen.

Wenn Thackeray über die napoleonische Zeit schreibt, dann begibt er sich auf gefährlichen Boden: er kennt die Zeit eigentlich nicht. Zum Zeitpunkt der Schlacht von Waterloo war er vier Jahre alt, viele seiner Leser können sich noch genau an diese Zeit erinnern. Thackeray, der unter Pseudonymen wie Charles James Yellowplush, Michael Angelo Titmarsh und George Savage Fitz-Boodle ironische und satirische Dinge geschrieben hat, braucht das Geld. I am engaged to write a monthly story at 60₤ a number, schreibt er in einem Brief im Januar 1846, der voller finanzieller Zukunftsspekulationen ist. Ein Jahrzehnt zuvor hatte der junge Thackeray sein Vermögen verspielt (das kriegt Baudelaire auch hin), der Zusammenbruch zweier indischer Banken besorgte den Rest. Jetzt schreibt er in anderthalb Jahren das Riesenwerk Vanity Fair, einen der wichtigsten englischen Romane. Dickens hin oder her. There is no use denying the matter or blinking it now. I am become a sort of great man in my way--all but at the top of the tree: indeed there if the truth were known and having a great fight up there with Dickens. So groß der Erfolg von Vanity Fair ist, Dickens finanzieller Erfolg ist immer noch größer.

Aber wie Theodore Roosevelt seinen Kindern erklärte
Of course one fundamental difference between Thackeray and Dickens is that Thackeray was a gentleman and Dickens was not. Um dann noch hinzuzufügen: But a man might do some mighty good work and not be a gentleman in any sense. Ein Gentleman braucht nicht zu arbeiten, Dickens muss arbeiten. Dickens kommt von unten, Thackeray kommt von oben in der viktorianischen Gesellschaft. Thackeray ist ein Gentleman, aber Gentlemen sind langweilig, sagt Professor Mario Praz in seinem Buch The Hero in Eclipse in Victorian Fiction. Für Praz ist Thackeray ein humorist who never loses the urbanity of gentleman. Ja, aber deshalb lesen wir ihn doch so gerne. The Hero in Eclipse ist, wie alles, was Mario Praz geschrieben hat, sehr geistvoll und sehr scharfsinnig, aber ich habe ein wenig das Gefühl, dass Praz Thackeray deshalb ständig kritisiert, weil der ihm, dem italienischen Gentleman viel zu ähnlich ist. Denn wie der Kunstsammler und Regency Spezialist in seinem Palazzo (oben) gewohnt hat - so hätte Thackeray wohnen können.

William Makepeace Thackeray wurde heute vor zweihundert Jahren geboren. Den ständigen Wettstreit mit seinem Konkurrenten Charles Dickens hat er sicherlich verloren, es werden heute noch immer viele Romane von Dickens gelesen. Aber einen Roman wie Vanity Fair hätte Dickens nie schreiben können. Von Thackeray hat nur Vanity Fair überlebt. Obgleich es sich auch lohnen würde, seinen quasi-autobiographischen Roman Pendennis zu lesen (ist genau so lang wie Vanity Fair).  Der Autor, der als Puppenspieler in der Vorrede von Vanity Fair, diesem gigantischen Panorama der Regency Zeit, vor den Vorhang getreten ist, schließt seine Geschichte mit Ah! Vanitas Vanitatum! which of us is happy in this world? Which of us has his desire? or, having it, is satisfied? —come, children, let us shut up the box and the puppets, for our play is played out.

Und damit höre ich heute auch auf.

Sonntag, 17. Juli 2011

High Society


Hier bewegt sie sich noch in der High Society Amerikas, wenig später ist die Fürstin eines Zwergstaates. Dessen High Society bestimmt so zweifelhaft ist wie die von Hollywood. Wenn man an all das Pack denkt, das da letztens im Zuge der Fürstenhochzeit als beste Freunde der Grimaldis im Fernsehen gezeigt wurden, man glaubt es ja nicht. Aber dies hier muss High Society sein, denn der Film heißt so. Und wir merken uns mal: nur wo High Society drauf steht, ist auch High Society drin. Dabei ist der Film eigentlich eine Mogelpackung. Steht zwar High Society drauf, ist aber The Philadelphia Story drin.

Hollywood ist in den fünfziger Jahren in dire straits, wie der Engländer so sagt. Der Siegeszug des Fernsehens bedroht die Traumfabrik in ihrer Existenz. Die neuen Waffen im Kampf gegen den Bildschirm heißen jetzt: Breitwandfilme, Blockbuster, Bibelverfilmungen, Ben Hur und so'n Zeuch. Alles letztlich der Triumph der Cecil B. DeMille Formel. Darf ich die schönen vier Verse noch einmal bringen?

Cecil B. DeMille
Rather against his will
Was persuaded to leave Moses
Out of the War of the Roses

Und dann haben wir da noch die Bedrohung aus dem All oder die Monster aus der blauen Lagune. Wenn diese Filme im Kino floppen, kann man sie ans Fernsehen verkaufen, haben eh in der Produktion nichts gekostet. Die Imitatoren von Jack Arnold drehen da schon billige B-Pictures. Und wenn das alles nicht funktioniert, dann greift Hollywood in seiner Verzweiflung zu seiner letzten Waffe: Dem Re-Make. Re-Makes sind ja eigentlich ein Krankheitsymptom, das uns zeigt, dass es dem Patienten sehr, sehr schlecht geht. Finden Sie nicht auch, dass es viel zu viele Re-Makes in den letzten zehn Jahren in Hollywood gegeben hat? Und da wir schon einmal dabei sind: auch ein großer Teil dessen, was in den fünfziger Jahren in die deutschen Kinos kommt, ist nichts als ein Re-Make von Komödien aus den dreißiger und vierziger Jahren. Kohlhiesels Töchter waren nicht wirklich neu.

Also, dieser schöne bunte Film High Society, heute vor 55 Jahren im Kino, ist für Hollywood eine Wunderwaffe: VistaVision und Technicolor! Und dann auch noch ein Musical! Und eine Komödie! Und ein Re-Make! Das muss ja gut gehen. Oder, um Hilaire Belloc zu zitieren: I shoot the Hippopotamus with bullets made of platinum/ 'cause if I use the leaden one his hide is sure to flatten 'em. Wenn es der Nation schlecht geht, geht sie ins Kino und guckt Komödien in denen beliebte Filmschauspieler Frack und Abendkleider tragen und so tun, als ob sie zur High Society gehören. Und natürlich wahnsinnig witzig sind. Diese platte Formel funktioniert im Amerika der Great Depression genau so wie im Nazi-Deutschland.

Throughout most of the Depression, Americans went assiduously, devotedly, almost compulsively, to the movies. The movies offered a chance to escape the cold, the heat, and loneliness; they brought strangers together, rubbing elbows in the dark of movie palaces and fleapits, sharing in the one social event available to everyone (Carlos Stevens in From the Crash to the Fair: The Public Theatre). Hollywood wird seinem Ruf als Traum-Fabrik gerecht. Gerade in der Great Depression läuft die Traumfabrik zur Höchstform auf und erfindet die romantische Filmkomödie (die eigentlich Ernst Lubitsch erfunden hatte) mit einem Schuss screwball comedy. Mit der screwball comedy, dem Geschlechterkampf in der High Society, hat Hollywood etwas Neues, auch wenn es vielleicht doch nur die durch den tough talk der dreißiger Jahre leicht variierte Lubitsch Formel ist. Aber seit It Happened one Night (1934) ist diese Form der Filmkomödie nicht mehr wegzudenken. Taucht auch gleichzeitig im Krimigenre auf: The Thin Man ist letztlich auch nur eine screwball comedy. Und zehn Jahre später ist mit Arsen und Spitzenhäubchen schon alles wieder vorbei. Die Höhepunkte sind sicher Bringing Up Baby und The Philadelphia Story. Und damit sind wir wieder bei den filthy rich, bei Katharine Hepburn, die jemanden namens Tracy Lord spielt. Tracy Lord, achten Sie auf diese Schreibweise! Bitte denken Sie jetzt nicht an Traci Lords.

Das reale Vorbild für diese Tracy Lord hat es wirklich gegeben, es war eine Dame der feinen Gesellschaft namens Helen Hope Montgomery Scott (links), die von Philip Barry in ein Theaterstück hineingeschrieben wurde. Barry, der mit den Scotts befreundet war, schrieb die Rolle (zusammen mit Hepburn) von Tracy Lord als Paradestück für Katharine Hepburn. Es wurde einer ihrer größten Erfolge. Katharine Hepburn kam nicht aus Philadelphia, kam aber aus einer feinen Familie. Allerdings hatte sie nichts mit der etwas irrealen Welt von Helen Hope Montgomery Scott gemein. Grace Kelly, die später die Rolle von Katharine Hepburn spielen durfte (allerdings wurde sie in der deutschen Version auf von Tracy Lord auf Daisy Cord umgetauft), kam allerdings aus Philadelphia. Allerdings gehörte ihre Familie nicht unbedingt zur High Society.

Aber dann singt ihr Bing Crosby True Love vor, und sie kehrt vor dem Traualtar zu ihrer alten Liebe zurück und heiratet doch nicht Frank Sinatra, Jimmy Stewart oder Louis Armstrong sondern Bing Crosby. Oder Louis Henri Maxence Bertrand Rainier Grimaldi. Oder verwechsle ich da was? Es kommt ja darauf an, dass am Schluss geheiratet wird. Es heiraten noch andere, nämlich das Reporterpärchen Mike Connor und Liz Imbrie vom Spy Magazin. Die Repräsentanten der kleinen ehrlichen Leute, die mit den filthy rich nix zu tun haben. Die, wie James Stewart davon träumen, eines Tages nicht mehr diese journalistische Drecksarbeit machen zu müssen, sondern ihren großen Roman zu schreiben: I'm not gonna do it, Liz. I'm gonna tell Sidney Kidd very plainly and simply I'm a writer. I'm not a society snoop. I'm gonna tell him just that...Let Kidd fire me! Start writin' short stories again - that's what I should be doin' anyway. I'm gonna tell him just that. Alle Reporter träumen in Hollywoods Produktionen den Traum des écrivain manqué. Und Mike Connor (der nicht aus Zufall einen irischen Namen trägt) darf sogar für einen Augenblick die Braut im Arm halten. Das Publikum darf nur gucken, nicht anfassen.

Wenn die ganze Story der Philadelphia Story während einer Zeit der großen gesellschaftlichen Gegensätze als amüsanter Einblick in die Irrungen und Wirrungen der High Society durchgehen mag, funktioniert der Film von 1956 überhaupt nicht, flimsy as a gossip-columnist's word schrieb die The New York Times. Und Halliwell's Film Guide (der dem Film keinen Stern gibt, seinem Vorgänger aber die Höchstnote von vier Sternen) bemerkte: Cold, flat, dull musical reworking, with ill-cast performers and just a few bright moments. Dass der Film überhaupt funktioniert, liegt nur an der Musik von Cole Porter.

Am Ende von The Philadelphia Story ist aus der oberflächlichen Society Tussi ein richtiger Mensch geworden:

Tracy: (To her father) How do I look?
Mr. Lord: Like a queen - like a goddess.
Tracy: And do you know how I feel?
Mr. Lord: How?
Tracy: Like a human. Like a human being.
Mr. Lord: Do you know how I feel?
Tracy: How?
Mr. Lord: Proud.

Ja, so sollen Märchen enden, the prettiest sights in this pretty world is the privileged classes enjoying their privileges. Der Engländer Cary Grant, der zu dieser Zeit der erste Schauspieler ist, der sich an kein Studio mehr bindet, und der für den Film die Höchstgage heraus gehandelt hatte, wird seine ganze Gage dem englischen war effort spenden. James Stewart wird zur Luftwaffe gehen, alle anderen haben noch nicht gemerkt, dass Krieg ist. In der screwball comedy gibt es so etwas nicht. Im Jahre 1940 gibt es noch einen zweiten Film, der in Philadelphia spielt. In dem die High Society von Philadelphia nicht so gut wegkommt. Er heisst Kitty Foyle, und die Hauptdarstellerin wird den Oscar bekommen, den Katharine Hepburn alias Tracy Lord so gerne bekommen hätte.

Samstag, 16. Juli 2011

Coming through the Rye


Anyway, I keep picturing all these little kids playing some game in this big field of rye and all. Thousands of little kids, and nobody’s around – nobody big, I mean – except me. And I’m standing on the edge of some crazy cliff. What I have to do, I have to catch everybody if they start to go over the cliff – I mean if they’re running and they don’t look where they’re going I have to come out from somewhere and catch them. That’s all I do all day. I’d just be the catcher in the rye and all. I know it’s crazy, but that’s the only thing I’d really like to be.


Vor sechzig Jahren ist The Catcher in the Rye erschienen. Sie erinnern sich, dieser Roman mit dem frechen Anfang: If you really want to hear about it, the first thing you'll probably want to know is where I was born, and what my lousy childhood was like, and how my parents were occupied and all before they had me, and all that David Copperfield kind of crap, but I don't feel like going into it, if you want to know the truth. In the first place, my parents would have about two hemorrhages apiece if I told anything pretty personal about them. They're quite touchy about anything like that, especially my father. They're nice and all - I'm not saying that - but they're also touchy as hell. Besides, I'm not going to tell you my whole goddam autobiography or anything. I'll just tell you about this madman stuff that happened to me around last Christmas just before I got pretty run-down and had to come out here and take it easy.

Out here im letzten Satz heißt Kalifornien, und to take it easy heißt, dass er nicht mehr an der Pencey Prep ist sondern in der Psychiatrie. Wegen this madman stuff that happened to me around last Christmas just before I got pretty run-down. Ich kann nicht behaupten, dass es mein Lieblingsroman ist. Ich habe vor genau einem ➱Jahr eigentlich schon mal eine ganze Menge dazu gesagt, aber ich wollte heute das Jubiläum nicht verpassen. Ich habe damals auch gesagt, dass ich eigentlich Edisto von Padgett Powell viel besser finde. Was mir das Lob von mindestens einem Leser eintrug. Ich glaube, ich werde irgendwann mal ein wenig über Padgett Powell schreiben. Wenn ich sein neuestes Buch gelesen habe. The Interrogative Mood: A Novel? heißt es. Also, falls ich überhaupt mal zu Lesen komme, ich schreibe zu viel.

Salinger ist hier schon so häufig erwähnt worden. Seinen Borgward habe ich auch schon erwähnt. Irgend wie mag ich nicht mehr über ihn schreiben. Lesen Sie doch den Post vom 16. Juli 2010. Aber ich hätte doch noch was Nettes für Sie: einen schönen Artikel von Louis Menand aus dem New Yorker:

"The Catcher in the Rye" was turned down by The New Yorker. The magazine had published six of J. D. Salinger's short stories, including two of the most popular, "A Perfect Day for Bananafish," in 1948, and "For Esmé —with Love and Squalor," in 1950. But when the editors were shown the novel they declined to run an excerpt. They told Salinger that the precocity of the four Caulfield children was not believable, and that the writing was showoffy—that it seemed designed to display the author's cleverness rather than to present the story. "The Catcher in the Rye" had already been turned down by the publishing house that solicited it, Harcourt Brace, when an executive there named Eugene Reynal achieved immortality the bad way by complaining that he couldn't figure out whether or not Holden Caulfield was supposed to be crazy. Salinger's agent took the book to Little, Brown, where the editor, John Woodburn, was evidently prudent enough not to ask such questions. It was published in July, 1951, and has so far sold more than sixty million copies.



Das fängt doch gut an. Sie können ➱hier weiterlesen.