Turners akademischer Lehrer Wiliam F. Allen hatte über die Germanen geforscht und die Theorie aufgestellt, dass sich an der Grenze des römischen Reiches, im Kontakt mit den Germanen und im Kampf gegen die Umwelt, eine neue Kultur herausbildet. Eine Art sozialer und kultureller Evolutionslehre. Klingt nachvollziehbar, dass sich an der Grenze zweier Kulturen da etwas ganz Neues herausmendelt. Was Turner, der in einer kleinen Grenzstadt aufgewachsen ist, jetzt in seiner Rede
The Significance of the Frontier in American History sagt, ist nichts anderes als die Übertragung des Teuteburger Wald Modells (wie ich das einmal frech formuliere) auf Amerika. Ein bisschen von Darwins survival of the fittest plus Manifest Destiny und Winning of the West.
Was 500 Jahre nach Columbus eine so schöne kleine Theorie war, hat vor den Augen kritischer Historiker längst keinen Bestand mehr. Richard Slotkin hat in einer Vielzahl von Werken gezeigt, dass Turners These nur ein nationaler Mythos ist, der 1893 genau in die Zeit passte. Und in David Hackett Fischers Albion's Seeds wird Turner gar nicht erst erwähnt. Aber heimlich hält sich die frontier thesis irgendwie immer noch, so wie das Bild von John Gast American Progress immer noch im kollektiven amerikanischen Gedächtnis ist. Da schwebt die allegorische Columbia über den Siedlern, die es nach Westen zieht. Der Mississippi (oben rechts im Bild) liegt hinter ihnen, links fliehen die letzten Indianer aus dem Bild. Columbia zieht mit der einen Hand einen Telegraphendraht, in der anderen hält sie ein Schulbuch. Ja, so wird es gewesen sein. Obgleich das in Cormac McCarthys großem Roman Blood Meridian, Or the Evening Redness in the West ein klein wenig anders dargestellt wird.
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