Sonntag, 25. April 2010
Loreley
Am 25. April notiert eine junge Frau in ihrem Tagebuch: So I am really very very intreeged as I have heard so much about Paris and I feel that it must be much more educational than London and I can hardly wait to see the Ritz hotel in Paris. Die junge Frau hat Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung (aber die haben ihre Zeitgenossen Fitzgerald und Hemingway auch). Die junge Frau ist eine Blondine und sie kommt aus der schlimmsten Gegend Amerikas, der Sahara of the Bozart. Ja, H.L. Mencken ist wieder einmal schuld, ohne ihn hätte es diesen Roman mit der Tagebuch schreibenden Blondine nicht gegeben. Sagt die Autorin im Vorwort. H.L. Mencken umgibt sich gerne mit witless blondes. Eine von ihnen wird zur Romanfigur. Die Romanautorin, eine Freundin von Mencken, gibt ihr den Namen Lorelei. Lorelei Lee ist, obgleich der Roman Gentlemen Prefer Blondes von Anita Loos ein Bestseller wird, nicht die berühmteste Lorelei in der Literatur. Wir haben da eine Zauberin in Bacharach am Rheine, die ist noch viel berühmter. Obgleich sie nicht von Marilyn Monroe im Film gespielt wird wie Lorelei Lee.
Unsere deutsche Loreley, die auf einem Felsen am Rhein sitzt, ihr goldenes Haar kämmt und die gesamte Rheinschiffahrt behindert, ist genau so eine literarische Erfindung wie Lorelei Lee. Nix mit alten Sagen und jahrhundertealten Erzählungen. Das einzige, was da alt ist, ist der Felsen am Rhein, der Lurlei heißt. Und -lei (oder -ley) ist nicht der Nachname von Lore. Das heißt schlicht Stein, Schiefer. Ist aus dem Keltischen entlehnt und ist seit dem 14. Jahrhundert im Mittelhochdeutschen. Findet sich im Rheinischen auch in Ortsnamen. Das einzige, was diesen Lurfelsen gegenüber jedem anderen Felsen auszeichnet, ist, dass es da ein mehrfaches Echo gibt. Und der Felsen mit der Rheinbiegung erfreute sich auch bei Malern einer gewissen Beliebtheit, aber ohne blonde Dame. Aber das Märchen aus alten Zeiten, dass Heinrich Heine nicht mehr aus dem Sinn kommt, das gibt es nicht. Die Geburtsstunde der Loreley ist das Jahr 1800, als Clemens Brentano sich das ausdenkt. Oder 1802, als der Roman Godwi veröffentlicht wird, in dem die Ballade Zu Bacharach am Rheine wohnt eine Zauberin enthalten ist. Und zwanzig Jahre später schreibt Heinrich sein Gedicht Ich weiß nicht was soll es bedeuten, das zu einer Art zweiten Nationalhymne wird. Das wäre bestimmt nicht passiert, wenn die Loreley eine regionale Blondine wäre, die irgendwo in Holzminden an der Weser oder in Tangermünde an der Elbe säße und sich dort ihre Haare kämmte. Nein, der Rhein muss sein. Unser Schicksalfluss, über den die Deutschen singen:
Es braust ein Ruf wie Donnerhall,
wie Schwertgeklirr und Wogenprall:
Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein
Wer will des Stromes Hüter sein?
Denn das liebe Vaterland kann nur ruhig sein, wenn die Wacht am Rhein fest und treu steht. Mein Opa sang das noch mit Inbrunst, aber der kam aus einem anderen Jahrhundert und glaubte fest daran, dass die Franzosen unser Erbfeind seien. Heute hat der Franzose einen ungarischen Namen und Marianne ist eine schnuckelige Italienerin, die Chansons haucht. Aber sie sind keine Erbfeinde mehr, das Erbe habe wir glücklicherweise nicht angetreten. Und der Rhein ist auch kein Schicksalfluss mehr, sondern ein großer Abwässerkanal. Dessen Wasserqualität in den letzten Jahrzehnten besser geworden sein soll. Vielleicht können Wellgunde, Woglinde und Floßhilde jetzt wieder dadrin schwimmen. Falls sie die Damen nicht kennen, das sind die Rheintöchter, die Richard Wagner erfunden hat, damit sie das Gold im Strom hüten. Es gibt noch Nachfolgerinnen, die auch Rheintöchter heißen, ein feministisch angehauchter Damenchor, der im Kölner Gürzenich auftritt.
Während die zahllosen Loreley Dichtungen seit Heinrich Heine so gut wie vergessen sind, ist dessen Loreley noch in aller Munde. Und es dröhnt natürlich jedesmal aus den Lautsprechern der Ausflugsdampfer, wenn sie den Lurlei Felsen passieren. In der Version von Friedrich Silcher, der im 19. Jahrhundert ja alles vertont hat, was uns lieb und teuer ist: Ännchen von Tharau, Ich hatt' einen Kameraden, Alle Jahren wieder, Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus und wie die Lieder alle heißen. Es gibt noch eine andere Lorelei zur Musik eines anderen Komponisten. Ella Fitzgerald hat 1960 in Berlin in der Deutschlandhalle das Lied von George Gershwin mit dem Text von seinem Bruder Ira gesungen. Das ist viel witziger, besonders die Zeile I want to bite my initials on a sailor's neck. Seit Brentano die Loreley erfunden hat, seit Heine sie populär gemacht macht, gibt es Nachdichtungen und Parodien. Guillaume Apollinaire hat sie ins Französische übertragen, Mark Twain sie ins Englische übersetzt. Und wir haben auch Loreleyen von Erich Kästner, Karl Valentin, Johannes R. Becher und Ulla Hahn. Lorelei Lee, gespielt von Marilyn Monroe, das blonde Dummchen, das gar nicht so dumm ist, singt die Loreley nicht. Die singt Diamonds are a girl's best friend. Wenn man Brillis hat, kann man auch zum Friseur gehen und braucht sie sich nicht oben auf einem Felsen zu kämmen.
Mein Gedicht des Tages ist heute ganz kurz, es ist eine Strophe aus dem 15-strophigen Gedicht Ruhr-Gebiet, das am 15. Dezember 1979 von Allen Ginsberg in Heidelberg geschrieben wurde (das ganze Gedicht finden Sie in dem Post ➱Ruhrgebiet):
Too much industry
No fish in the Rhine
Lorelei poisoned
Too much embarrassment.
Lesen Sie auch: Lurley
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen