Montag, 19. April 2010

Vulkane


Den ganzen Sommer 1783 notiert Lichtenberg eine Anhäufung von Gewittern mit einer Vielzahl von Blitzen, insbesondere um Einbeck. Nun muss man dazu sagen, dass er gerade mit dem Thema Blitzableiter beschäftigt ist, da zählt jeder Blitz doppelt. Aber irgendetwas ist anders mit dem Wetter in diesem Sommer, ein nebliger Rauch scheint über allem zu liegen. Lichtenberg schiebt es auf die armen Kolonisten an der holländischen Grenze, die das Moor abbrennen (diese Praxis wird erst 1923 verboten). Das steht auf jeden Fall in dem Gutachten, das der Professor Lichtenberg erstellt. Auch ein anderer Gelehrter, Christoph Gottfried Bardili, äußert sich 1783 Über die Entstehung und Beschaffenheit des außerordentlichen Nebels in unserer Gegend. Aber eigentlich ist er Philosoph und beschäftigt sich eher mit dem transzendentalen Nebel Immanuel Kants, den er nicht ausstehen kann.

Die Sache mit den Moorbränden, schön und gut, aber weshalb ist im Languedoc die Sonne in diesem Sommer so blutrot? Hundert Jahre später wird man in ganz Europa ähnliche Wetterphänomene beobachten, selbst oben in Schweden und Norwegen ist der Himmel plötzlich blutrot. Vielleicht ist das Rot auf Munchs Bild Der Schrei der wirkliche Himmel. Aber damals weiß man, dass der Krakatau explodiert ist, man spürt die Auswirkungen überall auf der Welt. Wenn man das Ausmaß dieses Vulkanausbruchs betrachtet (und Arno Schmidts Radioessay Krakatau von 1958 gibt da einen guten Eindruck), dann kommt einem die Totenstille auf Europas Flughäfen sehr unbedeutend vor. Dabei wäre Lichtenberg schon auf dem richtigen Weg gewesen, mit seiner Erklärung des Wetters, als er in einem Brief an Johannes Andreas Schernhagen vom 26. Juni 1783 (der natürlich wieder einmal von Blitzen und Gewittern handelt), ganz beiläufig schreibt: Wer weiß, ob nicht die Asche des Vesuvs zuweilen bis zu uns kommt... Die Asche kommt 1783 nicht vom Vesuv, sie kommt - wie heute - aus Island. Der Skaptar Jökull speit monatelang Asche und Feuer, aber dass sich das bis Einbeck und Göttingen auswirkt, darauf kommt Lichtenberg nicht. Erstaunlicherweise scheint ihm auch keiner seiner englischen Korrespondenten von dem sand summer zu berichten (in Schottland ist die Rede vom year of the ashie), in dem die Luft voller Asche und Schwefeldioxid ist und Menschen und Tiere sterben. Die Engländer haben es ja mit dem Wetter, und so finden sich schon im 18. Jahrhundert eine Vielzahl von Amateurmeteorologen, die sorgfältig alle Abweichungen von der Normalität registrieren.

Hinterher ist man immer schlauer, und wenn man heute nach Zeugnissen der Naturkatastrophe sucht, wird man fündig werden. Selbst in Cowpers Langgedicht The Task finden sich mit portentous, unexampled, unexplained Hinweise auf das irreguläre Wetter. Der universal Perturbation in Nature folgt ein Schreckenswinter. Ein Jahr später, im Dezember 1784, wird Benjamin Franklin in einem Vortrag andeuten, dass der Ausbruch der Laki Vulkane an der Wetterveränderung schuld sein könne. Darauf hätte Lichtenberg kommen können, als er die Vielzahl der Gewitter (die zeitgleich auch in England beobachtet werden) rund um Göttingen registrierte und die Moorbauern des Bourtanger Moores verdächtigte, an allem Schuld zu sein. In Bezug auf die methodische Registrierung in der Meteorologie wird dem großen Lichtenberg da ein Engländer voraus sein. Der kleine Luke Howard ist damals elf Jahre alt, aber die Veränderungen am Himmel werden ihn von da an sein ganzes Leben beschäftigen. Goethe wird von ihm als der allerliebsten Erscheinung: ein Quäker, Laborant, Naturmensch und Christ sprechen und ihm mit Howards Ehrengedächnis eine Reihe von kleineren Gedichte widmen. Luke Howard wird die Wolken systematisieren, das hat Lichtenberg nicht hinbekommen. Vielleicht liegt das auch daran, dass er 1783 Margarete Elisabeth Kellner kennengelernt hat, da muss sich der Gelehrte erstmal auf die Liebe konzentrieren.

Wenige Jahrzehnte später ist wahrscheinlich wieder ein Vulkan schuld an einem aussergewöhnlichen Sommer, der Ausbruch des Tambora auf der Insel Sumbawa führt 1816 zu einem Sommer, den man in Amerika eighteen hundred and frozen to death nennt. Lord Byron hält sich in diesem Sommer in der Villa Diotati bei Genf auf, er hat seinen neuen Leibarzt Dr. John Polidori bei sich. Die Shelleys wohnen in der Nähe und hocken ständig bei Byron im Salon. Auf Grund des schlechten Wetters geht man nicht mehr aus dem Haus. Beschliesst stattdessen, Schauergeschichten zu schreiben. Shelley schreibt keine, der hat gerade eine grauenhafte Erscheinung. Polidori, der ihn zu beruhigen versucht, klaut ihm Teile von seiner Vision. Nimmt dann noch eine Erzählung dazu, die Byron aufgegeben hatte und bastelt daraus seinen Vampyr. Mary Shelley schreibt Frankenstein, Lord Byron ein Gedicht namens Darkness. Die Vulkanasche des Tambora bringt den europäischen Schauerroman hervor! Schreibt jetzt gerade auf einem Flugplatz ein gestrandeter Urlauber auch einen Schauerroman?

Es gibt heute zwei Vulkangedichte, eins ist von ➱Emily Dickinson, das andere ist von einer Schülerin der vierten Klasse einer Schule auf Hawai. Die haben da ja ständig wirkliche Vulkane vor Augen, während Vulkane in Amherst (Massachussetts) eher selten sind.

Volcanos are smoky and ashy.
Others are hot and gushy.
Lanai is one island that has a volcano.
Cones are one type of volcano.
Active volcanos are dangerous.
Names, like you and me, 
Volcanos have them too.
Others are sleepy, 
they aren't that dangerous.


Volcanoes be in Sicily
and South America,
I judge from my geography.
Volcanoes nearer here,
a lava step, at any time,
am I inclined to climb,
a crater I may contemplate
Vesuvius at home.

Ich finde das Vulkangedicht von der Viertklässlerin besser, aber ich mochte Emily Dickinson noch nie.

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