Vor einem halben Jahrhundert war er hier, das war im Mai 1959 eine Sensation. Das Cover der Schallplatte Metronome MLP 15031 zeigt einen roten englischen Doppeldeckerbus mit dem Zielort Moscow, der durch das Brandenburger Tor fährt. Die Quadriga da oben hatte man vor einem halben Jahr in einer Nacht- und Nebelaktion heruntergeholt und den Preußenadler und das Eiserne Kreuz entfernt. Dieser Militarismus verträgt sich angeblich nicht mit den Staatszielen der DDR. Vor Schinkels Neuer Wache paradieren sie aber noch jeden Tag in ihren Uniformen, die den Wehrmachtsuniformen so ähnlich sehen. Aber man kann damals noch durch das Brandenburger Tor fahren. Ulbrichts Satz Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten, ist noch nicht ausgesprochen. Zu dem Konzert, das der Engländer (zu dessen Band der rote Bus gehört) in der Deutschlandhalle gibt, werden auch dreitausend DDR Bürger kommen. Ein Viertel des Publikums. So voll war die Deutschlandhalle nicht mal 14 Tage vorher, als Bubi Scholz hier boxte.
Der Engländer, von dem hier die Rede ist, heißt Chris Barber. Er wird heute achtzig Jahre alt. Happy Birthday, Chris! Er ist das Aushängeschild des Traditional Jazz, was die Engländer trad jazz oder einfach nur trad nennen. Die Rückkehr zu Dixieland und New Orleans Jazz. Auch in Deutschland entstehen jetzt solche Jazzbands, wie die Low Down Wizards von Abbi Hübner oder Addi Münsters Old Merry Tale Jazzband. Wenn sie aus Skandinavien kommen, heißen sie Papa Bue's Viking Jazzband. Aber eigentlich kommt die Bewegung aus den USA, wo George Lewis jetzt eine Renaissance feiert, und aus England. Ohne Humphrey Lyttelton (ein Mitglied des englischen Adels) wäre das vielleicht nichts geworden. Heute spielen ältere Herren mit grauen Bärten bei der Eröffnung von Baumärkten Dixieland. Damals, als es noch neu war, wurde es Zickenjazz genannt. Wer das sagte, hatte Charlie Parker im Kopf (und im Ohr) und hasste das Dixieland Revival.
Chris Barber bringt den Klarinettisten Monty Sunshine mit, Lonnie Donegan ist leider nicht mehr bei der Band. Dafür hat Barber jetzt Ottilie Patterson als Sängerin. Und die kann wirklich singen. Wenn sie, nachdem die Band mit dem Climax Rag richtig Stimmung in der Deutschlandhalle gemacht hat, ihr Easy, Easy Baby erstmal a cappella beginnt, hat sie das ganze Publikum für sich. Das Konzert war lange vorher ausverkauft, Chris Barber ist schon berühmt. Vier Wochen vor dem Berliner Konzert war er mit seiner Band in der amerikanischen Ed Sullivan Show aufgetreten. Live, wie man so schön sagt. Die erste britische Band, die das in Amerika geschafft hat. Auch in Berlin spielt Barber sein Ice Cream, You Scream, das fehlt in keinem Konzert, es ist sein Markenzeichen. George Lewis hat es zuerst aufgenommen, und es ist sicherlich auch eine Reverenz an den großen Klarinettisten, der sich nach dem ersten Erfolg in den Roaring Twenties als Hafenarbeiter durch die Great Depression durchgeschlagen hat.
Der Jazz hat von seinem Beginn an auch die Dichter herausgefordert, selbst Ezra Pound war der neuen Musik gegenüber aufgeschlossen. Aber derjenige, der wohl am besten den Rhythmus des Jazz mit der Lyrik verbunden hat, ist Langston Hughes gewesen. Und deshalb gibt es heute als Geburtstagsgruß für Chris Barber ein Gedicht von Langston Hughes.
Juke Box Love Song
I could take the Harlem night
and wrap around you,
take the neon lights and make a crown,
take the Lennox Avenue busses,
taxis, subways,
and for your love song tone their rumble down.
Take Harlem's heartbeat,
make a drumbeat,
put it on a record, let it whirl,
and while we listen to it play,
dance with you till day -
dance with you, my sweet brown Harlem girl.
Das Bild ganz oben zeigt Ottilie Patterson am Mikrophon, von Chris Barber ist rechts nur die Posaune zu sehen. Sorry, Chris.
Lesen Sie auch: ➱Lonnie Donegan, ➱Ingeburg Thomsen, ➱Philip Larkin
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