Montag, 17. Januar 2011

Der Kaiser von Amerika


Heute vor 200 Jahren wurde Joshua Norton geboren (obgleich das Datum seiner Geburt ein klein wenig unsicher ist). Er war der Kaiser von Amerika. Und Protektor von Mexiko. Ich wußte das bis Weihnachten nicht, aber eins meiner Weihnachtsgeschenke war das Buch Eccentrics, da kommt Joshua Norton gleich auf der ersten Seite vor. Das Buch Eccentrics von David Weeks und Jamie James ist eine wissenschaftliche Studie, man sollte es nicht verwechseln mit den English Excentrics von Edith Sitwell. Obgleich auch in diesem wissenschaftlichen Buch wunderbare Anekdoten für den Leser abfallen.

Edith Sitwell gehörte zur englischen upper class. Da nimmt man es hin, wenn jemand exzentrisch ist, das fällt da nicht weiter auf. Das gehört geradezu dazu. Ist Charles nicht auch ein wenig exzentrisch? Der jüdische Geschäftsmann Joshua Abraham Norton hatte sein Geld bei Spekulationen verloren. Er war zwar bettelarm, aber die Stadt liebte ihn, nachdem er sich 1859 zum Emperor Joshua I. erklärt hatte und seinen Regierungssitz in San Francisco genommen hatte. Wenn man sein Vermögen verloren hat, erschießt man sich oder fängt an zu saufen und landet auf der Straße. Joshua Norton wird Kaiser von Amerika. Er ist nicht der einzige Exzentriker auf den Straßen von SF. Da ist noch The King of Pain, der in roter Unterwäsche Rheumamittel verkauft und eine große Kutsche fährt. Und es gibt noch Oofty Goofty. Und da ist auch noch Freddy Coombs, der als George Washington II. über die Straßen flaniert, wir können ihn auf dem zeitgenössischen Cartoon links neben Norton dem Ersten sehen. Die beiden Hunde im Vordergrund heißen Bummer und Lazarus, sie dürfen auf dem Bild nicht fehlen. Wenn Sie wollen, können Sie alles über diese Szene in Herbert Asburys Barbary Coast: An Informal History of the San Francisco Underworld nachlesen. Das Buch ist nach über siebzig Jahren noch lieferbar.

Die Hotels gewährten Joshua Norton einen freien Mittagstisch (wovon auch Lazarus und Bummer profitieren), und angeblich wurde er von den Polizisten der Stadt salutierend gegrüsst. Nach zehn Jahren seiner Regierungszeit veröffentlichte er ein Dekret, dass er eine neue Uniform brauche. Die alte, die ihm Armeeoffiziere geschenkt hatten, war ein wenig fadenscheinig geworden. Die Stadtverwaltung von San Francisco spendierte ihm 1869 eine neue, woraufhin der Kaiser den ganzen Stadtrat in den Adelsstand erhob.

Robert Louis Stevenson hat ihn in The Wrecker portraitiert, und noch viele andere Schriftsteller haben diesen liebenswerten Sonderling literarisch verewigt. Nortons Untertan Mark Twain (der ja auch einmal in San Francisco wohnte) soll ihn als den King in seinen Roman Huck Finn hineingeschrieben haben. Sie erinnern sich sicher an diese beiden bescheuerten Kleinkriminellen King und Duke, die als David Garrick the Younger und Edmund Kean the Elder auftreten. Wenn sie nicht vorgeben, ein König und ein Herzog zu sein. Und wo sich Jim und Huck nachts im Kapitel 23 über Könige und Schwindler unterhalten:

Them rapscallions took in four hundred and sixty-five dollars in that three nights. I never see money hauled in by the wagon-load like that before. By and by, when they was asleep and snoring, Jim says:
"Don't it s'prise you de way dem kings carries on, Huck?"
"No," I says, "it don't."
"Why don't it, Huck?"
"Well, it don't, because it's in the breed. I reckon they're all alike,"
"But, Huck, dese kings o' ourn is reglar rapscallions; dat's jist what dey is; dey's reglar rapscallions."
"Well, that's what I'm a-saying; all kings is mostly rapscallions, as fur as I can make out."
"Is dat so?"


Und dann hält Huck seinem Freund Jim einen kleinen Vortrag über Könige, der in jedem Geschichtsbuch stehen sollte. Da wir gerade bei Sonderlingen, Exzentrikern und Schwindlern sind, möchte ich es nicht unerwähnt lassen, dass ein Sonderling den Verkauf von Huck Finn um Monate verzögert hat. Da Mark Twain bei dem Verkauf des Buches auf eine Subskription setzte, hatte er einen teuren illustrierten Prospekt für die Vertreter drucken lassen. In dem allerdings ein Graveur eine Illustration ein klein wenig ins Pornographische verändert hatte. Die New York World berichtete 1884 darüber. Mark Twain konnte darüber überhaupt nicht lachen.

Solcherlei Scherze macht Norton I. nicht, er ist ein ernsthafter Regent. Nur einmal greift er zu drakonischen Maßnahmen, diesen Maximilian, der da neuerdings in Mexiko herrscht, verurteilt er zum Tode. Schließlich ist Norton I. nicht nur der Kaiser von Amerika, sondern auch der Protektor von Mexiko. Da kann nicht einfach so ein Habsburger Erzherzog herkommen und ihm den Titel streitig machen. Wenn man Maximilian I. und Norton I. auf dem Photo betrachtet, dann muss man natürlich sagen, dass der österreichische Prätendent den besseren Uniformschneider hat. Aber sonst?

Norton I. ist ausser dem Todesurteil gegen Maximilian I. ansonsten ziemlich harmlos. Er erlässt ständig Dekrete und Gesetze. Löst die Republikanische und die Demokratische Partei auf, und schafft den Valentinstag ab:

WHEREAS, the Feast of St. Valentine has repeatedly proven offensive or inconvenient to the majority of the American People;
WHEREAS, the Feast of St. Valentine has been demonstrably debased by unseemly commercialism and rapacious greed;
WHEREAS, all attempts to celebrate the Feast of St. Valentine in the common way debase the true arts of love;
WHEREAS, the above factors in combination have continued to cause strife,discomfort and misery in the Greater Portion of the American People;
WHEREAS, the activities surrounding the Feast of St. Valentine debase and shame the American People;
AND WHEREAS, a more appropriate and honorable claim to that day exists;
NOW, THEREFORE, we decree that the celebration of the Feast of St. Valentine be hereby ABOLISHED;
AND WE FURTHER ORDER that the Fourteenth Day of February each year be rededicated to the celebration of the birth of Joshua Norton I, Emperor of the United States and Protector of Mexico, who, by the grace of God, ruled his people wisely and well for more than twenty years.


Aber er gründet auch die Vereinten Nationen. Und befiehlt den Bau der Brücke über die San Francisco Bay. Daraus wird erst nach seinem Tode etwas. Wenn man alles Nützliche und alles Unnütze, das er angeordnet hat, auflistet und mit dem vergleicht, was die königlichen rapscallions in Huck Finns Version der Weltgeschichte angerichtet haben, dann steht Norton der Erste gar nicht so schlecht da. What was the use to tell Jim these warn't real kings and dukes? It wouldn't a done no good; and, besides, it was just as I said: you couldn't tell them from the real kind, sagt Huck Finn nachdem er seinen kleinen Vortrag über das Wesen der Könige gehalten hat. You couldn't tell them from the real kind, irgendwie hatten wir das schon immer vermutet.


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