Samstag, 30. November 2013

Poet des Kinos


Im Kino gewesen, geweint, schreibt Franz Kafka in sein Tagebuch. Sagen Sie mir doch, warum man im Cinema jeden Augenblick weint oder vielmehr heult wie ein Dienstmädchen! sagt Thomas Mann. Wir waren neulich alle bei der Erstaufführung der 'Großen Parade', auch Olaf Gulbransson, dem wir am Ausgang begegneten. Der lustige, muskulöse Eskimo war tränenüberschwemmt. 'Ich habe mich noch nicht abgetrocknet', sagte er entschuldigend, und wir standen noch lange mit feuchten Augen in einfältiger Gelöstheit beieinander. Das Kino ist der Ort der Gefühle. Thomas Mann hat Bambi zweimal gesehen, war jedes Mal ergriffen. Was hätte er nur zu den Filmen von Terrence Malick gesagt? Hätte er mit dieser poetischen Bildsprache etwas anfangen können? Ich kann mit Bambi nicht so viel anfangen (es gibt dazu ➱hier einen kurzen Post), heute fällt mir dazu immer der ➱Kurzfilm Bambi Meets Godzilla ein.

Es wird nach einem happy end im Film jewöhnlich abjeblendt, wusste schon Kurt Tucholsky. Der Film ist zuende, das Leben geht weiter. Aber manche Filme bleiben in unserem Kopf, Kopfkino. Manche Bilder werden wir nicht mehr los. Das gilt natürlich besonders für die Filme von Terrence Malick, die Kritiker als cinematic poetry beschrieben haben. Malick is the modern American cinema's great poet-philosopher, whose images, painstakingly perfectionist in their historical accuracy yet imbued with the timelessness of myth, speak of a fascination with - and perhaps, faith in - the transcendent, hat Geoff Andrew in seinem Buch The Director's Vision gesagt. Malick wird heute siebzig, und das wäre für diesen Blogger eine schöne Gelegenheit, über seine Filme zu schreiben. Jedoch - Sie ahnen es schon: das habe ich längst getan. Vor genau drei Jahren gab es ➱hier schon einen Post zu dem Regisseur.

Da bleibt mir nur, Happy Birthday zu sagen. Vielleicht mit einem schönen Kino-Gedicht? Nicht das ➱Danach von Tucholsky, es soll schon etwas Poetisches sein für den Poeten des Kinos Terrence Malick. Und so habe ich mir von Jürgen Theobaldy Das alte Kino (aus seinem Gedichtband 24 Stunden offen, 2006) ausgesucht. Um diesen deutschen Dichter, der gleichzeitig mit Rolf Dieter Brinkmann die Bühne der Literatur betrat, ist es ein wenig still geworden. Aber er schreibt noch immer. Sein erster Gedichtband hatte auch etwas mit dem Kino zu tun, er hieß Sperrsitz. Erschien im gleichen Jahr, in dem Malick seinen Film Badlands präsentierteHans Christoph Buch hat Jürgen Theobaldy als ein im Verborgenen blühendes Talent bezeichnet und beklagt, dass dieser deutsche Schriftsteller viel zu wenig gewürdigt werde. In diesem Blog tun wir natürlich etwas dagegen, hier werden Dichter immer gewürdigt. Auch die Poeten des Kinos. Wie Terrence Malick. Man muss die wenigen Dichter, die wir noch haben, hegen und pflegen. Wo gerade mit Hans-Jürgen Heise einer der bedeutendsten deutschen Dichter der Gegenwart gestorben ist. Zwar haben wir heute poetry slams bis zum Abwinken, aber keine wirklichen Dichter. Wo wir doch das Volk der Dichter und Denker sind. Was bleibet aber, stiften die Dichter, sagt ➱Hölderlin. Und wer wollte ihm da widersprechen?








Das alte Kino,

in dem du deine ersten Filme sahst,
wird einem Supermarkt von Aldi weichen.
Das Fenster vor der Kasse ist verrammelt,
den Saal von einst, noch gibt es ihn,
und eben schmeißt der Kerl in Blau
den Pressluftbohrer an.

Zwei letzte Kinogeher drehen ab
und kommen dir entgegen Arm in Arm.
Auch du drehst ab, um deiner ersten Frau,
ihr, die doch gestorben ist, zu folgen,
auf dem schiefen Trottoir dort,
den Schienen nach der Straßenbahn,
bis sie innehält, sich umdreht und dich
mit ihrem Blick, wie leicht befremdet, streift.

Das alte Kino hätte es für immer geben
sollen,
für immer dieses Fenster auf die Welt hinaus,
die nirgends mehr versprach als hier,
am Rand des dunkelroten Vorhangs,
und wenn du nach den Bildern greifen wolltest,
ergriff dein Schatten dich.

Und du sagst du und nicht mehr: ich,
vielleicht weil du der Nächste bist,
der sich entfernen wird, wie hieß es einst?
Es hieß: Auf Nimmerwiedersehn. Und einst?
Das Einst, dem du dich nähern wirst,
dich näherst, als werde es dereinst das Jetzt.

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