Dienstag, 22. Dezember 2015

Wintersonnenwende


Heute ist der kürzeste Tag des Jahres, heute wendet es sich, heute ist der Tag des unbesiegbaren Sonnengottes (sol invictus). Da, wo wir im Deutschen mit dem Wort Wende eine Bewegung haben, haben die Engländer einen Stillstand: solstice. Das Wort, das seit dem 13. Jahrhundert in der englischen Sprache ist, kommt aus dem Lateinischen. Kommt von der Sonne (sol) und dem Stillstehen (sistere). Ich dachte mir, wie feiern den Tag mal mit einem kleinen Gedicht und diesem schönen Winterbild von ➱Lucas van Uden. Das Gedicht heißt Ice Moon Chronograph: 18, ich habe es in dem Blog von ➱Red Shuttleworth gefunden.

Abrupt warm-up, false April in December....
You half expect a baby rattler in the rocks.
Winter solstice: time for new laugh-movies,
songs of entombment, early-dark sadness.
Apocalyptic sunlight: the hound refuses kibble.

Wir können dem Gedicht entnehmen, dass es vor einem Jahr in der Gegend von Moses Lake im Staat Washington genau so warm war, wie es jetzt bei uns ist. Ein Phänomen, das gar nicht so ungewöhnlich ist, Kapriolen des Wetters hat es schon immer gegeben. Im Januar 1768 schreibt der Landpfarrer und Naturwissenschaftler Gilbert White: We have had a very severe frost and deep snow this month. My thermometer was one day fourteen degrees and a half below the freezing point, within doors. The tender evergreens were injured pretty much. Da liegt noch Schnee im englischen Selborne. Aber am Ende des Jahres notiert White: Weather more than April than the end of December. Hedgesparrow sings.

Und 1782, am Tag der Wintersonnenwende, ist es wieder so warm: Furze is in bloom... Shortest day. Das folgende Jahr ist meteorologisch noch interessanter: The summer of the year 1783 was an amazing and portentous one, and full of horrible phaenomena; for besides the alarming meteors and tremendous thunder-storms that affrighted and distressed the different counties of this kingdom, the peculiar haze, or smokey fog, that prevailed for many weeks in this island, and in every part of Europe, and even beyond its limits, was a most extraordinary appearance, unlike anything known within the memory of man. By my journal I find that I had noticed this strange occurrence from June 23 to July 20 inclusive, during which period the wind varied to every quarter without making any alteration in the air. The sun, at noon, looked as blank as a clouded moon, and shed a rust- coloured ferruginous light on the ground, and floors of rooms; but was particularly lurid and blood-coloured at rising and setting. All the time the heat was so intense that butchers' meat could hardly be eaten on the day after it was killed; and the flies swarmed so in the lanes and hedges that they rendered the horses half frantic, and riding irksome. 

The country people began to look with a superstitious awe, at the red, louring aspect of the sun; and indeed there was reason for the most enlightened person to be apprehensive; for, all the while, Calabria and part of the isle of Sicily, were torn and convulsed with earthquakes; and about that juncture a volcano sprung out of the sea on the coast of Norway. On this occasion Milton's noble simile of the sun, in his first book of Paradise Lost, frequency occurred to my mind; and it is indeed particularly applicable, because, towards the end, it alludes to a superstitious kind of dread, with which the minds of men are always impressed by such strange and unusual phaenomena.

As when the sun, new risen,
Looks through the horizontal, misty air,
Shorn of his beams; or from behind the moon,
In dim eclipse, disastrous twilight sheds
On half the nations, and with fear of change
Perplexes monarchs….

Den vorbeiziehenden Meteor im Absatz oben hat der englische Maler Paul Sandby gemalt (der wird schon in dem Post ➱Aquarellmalerei erwähnt). Diese Radierung stammt von Henry Robinson. In Deutschland haben wir 1783 das gleiche Wetter wie in England. Den ganzen Sommer lang notiert Georg Lichtenberg eine Anhäufung von Gewittern mit einer Vielzahl von Blitzen, insbesondere um Einbeck. Nun muss man dazu sagen, dass er gerade mit dem Thema Blitzableiter beschäftigt ist, da zählt jeder Blitz doppelt. Aber irgendetwas ist anders mit dem Wetter in diesem Sommer, ein nebliger Rauch scheint über allem zu liegen. ➱Lichtenberg schiebt es auf die armen Kolonisten an der holländischen Grenze, die das Moor abbrennen (diese Praxis wird erst 1923 verboten). Das steht auf jeden Fall in dem Gutachten, das der Professor Lichtenberg erstellt. Auch ein anderer Gelehrter, Christoph Gottfried Bardili, äußert sich 1783 Über die Entstehung und Beschaffenheit des außerordentlichen Nebels in unserer Gegend. Aber eigentlich ist er Philosoph und beschäftigt sich eher mit dem transzendentalen Nebel Immanuel Kants, den er nicht ausstehen kann. Aber die Herren tappen alle im wissenschaftlichen Nebel, wir wissen heute, dass Islands ➱Vulkane Schuld an dem Wetter sind (1816, dem Geburtsjahr der ➱Vampirliteratur, wird es einen ähnlichen Sommer geben).

Lichtenberg denkt nicht nur über Gewitter nach, er lässt auch an seinem Haus einen Blitzableiter anbringen, denn er weiß: Dass in den Kirchen gepredigt wird, macht deswegen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig. Und er wäre nicht Lichtenberg, wenn er nicht auch über Wetter, Gewitter und Blitze spotten könnte: Der liebe Gott muß uns doch recht lieb haben, daß er immer in so schlechtem Wetter zu uns kommt.

Oder ich zitiere doch noch einmal Schopenhauer: Wir haben das Wetter nicht in der Hand. Genauso wie wir das schöne Wetter genießen, bleibt uns nichts anderes übrig, als das schlechte Wetter - wie alle Mühen des Alltags - zu »durchleben«.

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