Donnerstag, 3. Dezember 2015

Mauritius


Ich dachte, ich gönne Ihnen bei dem Schmuddelwetter einmal solch ein Bild, einen Blick auf die Insel Mauritius. Ich bin da nie gewesen, nicht einmal in meinen Träumen. Die weite Welt und die touristischen Ziele interessieren mich nicht so sehr. Was vielleicht daran liegt, dass ich in Erdkunde nie aufgepasst habe, es war ein Fach, das mich nicht neugierig machte. Lag auch an den Erdkundelehrern. Die Welt, die ich mir vorstellte als ich klein war, war ein Flickenteppich, zusammengebastelt mit meiner Briefmarkensammlung (die ich schon in dem Post ➱Briefmarken erwähnt habe), Dierckes Weltatlas und dem Globus von Opa. Der war schon ziemlich alt. Ein Viertel der Welt hatte da noch die Farbe pink. Die Farbe bedeutete England, das wusste ich.

Die Insel Mauritius hatte auf dem Globus auch diese Farbe, aber die Briefmarken, die dort zur Zeit der Königin Victoria ausgegeben wurden, waren nicht pink. Das wusste jeder Sammler, egal wie alt er war. Sie gehören zu den seltensten Briefmarken der Welt. Aber Mauritius hatte nicht immer den Engländern gehört. Die hatten die Insel, die zuvor Île de France hieß, zuvor den Franzosen abgenommen.

Von Mauritius wusste ich nicht viel, als ich klein war. Von Sansibar schon. Nicht, dass ich schon Sansibar, oder der letzte Grund von ➱Alfred Andersch gelesen hätte. Nein, aus dem simplen Grunde, weil der Afrikaforscher Gerhard Rohlfs aus unserem Ort kam, der war da mal Generalkonsul gewesen. Als ich auf die Gerhard Rohlfs Schule kam, gab es einen Pflichtvortrag über ihn, der in der Mittelstufe wiederholt wurde. Und ich wusste natürlich dank Opa und Heimatmuseum eine Menge über ihn. Gerhard Rohlfs hat längst einen ➱Post. Und die Prinzessin ➱Emily Ruete aus Sansibar auch. Gerhard Rohlfs ist kein Held meiner Jugend, je mehr ich über ihn las, desto fremder wurde er mir. Irgendwie hat er mehr von ➱Karl May an sich als von ➱Richard Francis Burton.

Wie uns das Photo oben mit dem Blick auf Mauritius (und vielleicht auch jede Briefmarke) in eine andere Welt entführt, so entführt uns auch folgender Romananfang in eine andere Welt: Have you never, dear reader, during one of those long, cold, melancholy winter's evenings, when, alone, with no companion - save your own thoughts, you have heard the wind whistling along the corridors, and the rain beating against the the windows of your dwelling - have you never, I say, on such an occasion, felt a sensation of disgust creeping over you at the thoughts of our sombre climate, our damp and muddy Paris, whilst - in imagination you were transported to some enchanted oasis, carpeted with verdure and full of freshness, where you could in whatever season of the year it may be, on the banks of a limpid and sparkling stream, reclining at the foot the foot of a palm-tree under the shade of the Jameroses, lull yourself by degrees to rest, in a mingled sensation of happiness, of languor, and repose?

Der Roman heißt George; or, the Planter of the Isle of France, im französischen Original heißt er natürlich Georges. Sein Handlungsort ist die Île de France (die heute wieder Mauritius heißt, wie die Holländer sie einst genannt hatten), der Roman thematisiert die Sklaverei. Es ist ein früher Roman von Dumas, den der Autor später ausgebeutet hat, als er den Graf von Monte Christo schrieb. Und die Royal Navy kommt auch drin vor. Vor dieser englischen Seemacht (unterstützt durch die Schiffe der East India Company) musste heute vor 205 Jahren der französische Gouverneur und Befehlshaber der Île de France, Charles Mathieu Isidore Decaen, kapitulieren.

Zu ihrer Überraschung finden die Engländer auch einen Landsmann auf der Insel, den der Gouverneur jahrelang widerrechtlich gefangen gehalten hat: den Forschungsreisenden und Royal Navy Captain Matthew Flinders. Wenn er nach England zurückkommt, macht man ihn umgehend zum Post Captain, was bedeutet, dass er bei seinem Ausscheiden aus der Navy automatisch Admiral wird. Das ist nur verdient, er ist einer der größten Forschungsreisenden Englands gewesen, er ist der Mann, der Australien umsegelt hat. Und Mauritius hat er natürlich in der Gefangenschaft auch kartographiert.

Mit der Eroberung von Mauritius (und La Réunion) wetzen die Engländer die böse Scharte von Grand Port aus: eine der wenigen Seeschlachten, die die Royal Navy gegen Napoleon verliert. Von diesem Ereignis gibt es mehr französische Bilder als englische. Man sieht das nicht so gerne, wenn eine englische Fregatte ihre Flagge streicht oder brennend im Meer versinkt. Das malen die Franzosen mit Genuss (wie hier Pierre-Julien Gilbert), alle anderen Seeschlachten lieber nicht. Und die Seeschlacht von Grand Port steht auch als französischer Sieg auf einer Säule des Triumphbogens.

Zusammen mit Orten, die für die Franzosen eigentlich nicht so großartig waren, wie Diersheim und Malojaroslawez, aber triomphe ist nun mal triomphe. Weshalb Düsseldorf dabei ist, weiß niemand. Hat natürlich einen Grund: Im September 1795 ist General Jourdan bei Eichelkamp über den Rhein gekommen. Alles weitere entnehmen Sie doch dem Buch Nähere Darstellung des Übergangs der Franzosen am Niederrhein bei Eichelkamp und Duisburg (1796), das man bei Google Books lesen kann.

Auch auf dem ➱Arc de Triomphe verewigt ist der Name des Vaters von Alexandre Dumas: General Thomas-Alexandre Davy de la Pailleterie. Den die Österreicher auch den schwarzen Teufel genannt haben. Seine Mutter war noch eine Sklavin. Wenn Dumas mit Georges Munier einen Mulatten als Helden seines Romans Georges wählt, dann weiß er, worüber er schreibt. Ich lasse den schwarzen Teufel mal beiseite und empfehle das schöne Buch von Tom Reiss Der schwarze General: Das Leben des wahren Grafen von Monte Christo (The Black Count: Glory, Revolution, Betrayal, and the Real Count of Monte Cristo).

Bei den Aktivitäten der Royal Navy im Stillen Ozean kenne ich mich auch ein wenig aus. Nicht durch Briefmarken, sondern durch diese schönen Seeromane, in denen die Engländer Meister sind. Wenn Britannia schon nicht mehr die Wellen der Ozeane beherrscht, den Seeroman haben sie immer noch unter Kontrolle. Natürlich könnte man Patrick O'Brians The Mauritius Command lesen, aber ich mag den Autor nicht. Das habe ich schon mehrfach in diesem Blog gesagt, zuerst in ➱Intertextualität und zuletzt in ➱Admiral Thomas Cochrane. Meine Leseempfehlung zu Mauritius wäre der Roman The Darkening Sea von Alexander Kent. Der in Wirklichkeit Douglas Edward Reeman heißt. Der war schon 1940 mit sechzehn in der Royal Navy und stieg bis zum Leutnant in der Royal Navy auf (als Captain Bligh die ➱Bounty kommandierte, war er übrigens auch nur Leutnant).

Mauritius haben die Engländer bis 1968 behalten. Heute werden da unter anderem noch Jacketts und Anzüge produziert, die in England als Made in England verkauft werden. Weil in England die Knöpfe angenäht und die Teile aufgebügelt werden (lesen Sie mehr in dem Post ➱Schneiderkrieg). Die Insel La Réunion (die unter Napoleon Île Bonaparte hieß), haben die Engländer schon früh zurückgegeben. Wenn ich etwas über Réunion weiß, dann verdanke ich das ➱François Truffaut. Ganz am Anfang von Das Geheimnis der falschen Braut (La sirène du Mississipi) gibt es eine Szene, die Réunion in historischer Zeit zeigt.

Bevor dann Belmondo und Deneuve ins Bild kommen und wir uns mehr auf diese beiden als auf die Insel konzentrieren. Sie können alles über den Film in dem langen Post ➱Waltz into Darkness lesen. Und Jean Paul Belmondo trägt natürlich keine Klamotten aus Mauritius oder Réunion, was er trägt, ist von ➱Francesco Smalto. Das steht schon in dem Post Waltz into Darkness, der auch ein Post über die Pariser Herrenmode ist. Als ich damals den Film Das Geheimnis der falschen Braut im Kino sah, wusste ich nichts, aber auch gar nichts über Réunion. Ich schloss diese Wissenslücke umgehend. So kann man die Weltgeschichte durch Briefmarken, Romane und Filme kennenlernen.

Der amerikanische Maler Gilbert Stuart (der hier Sir Joshua Reynolds portraitiert hat) wurde heute vor 260 Jahren geboren, das muss ich eben noch erwähnen. Der hat natürlich schon einen ➱Post, und er ist hier häufig genannt worden. Er hat wenig mit Mauritius zu tun, aber es wird mir zum Schluss noch gelingen, einen großen Bogen von Gilbert Stuart zu Mauritius zu schlagen. Dafür brauche ich den Kapitän und Navigator Nathaniel Bowditch. Der eines Tages Ehrendoktor von Harvard sein wird und Mitglied aller wissenschaftlichen Gesellschaften der Welt (Sie können ➱hier einen Blick in sein Hauptwerk werfen). Am 25 Dezember 1803 ist Bowditch in den Hafen von Salem eingelaufen, es herrschte der dichteste Nebel. Er hatte seit vierundzwanzig Stunden keinerlei Messungen an den Sternen vornehmen können, aber er vertraute auf seine Berechnungen. Und von woher war Bowditch mit seinem Dreimaster Putnam gekommen? Natürlich aus Mauritius.

Das Bild von Gilbert Stuart (das letzte, das er malte) zeigt den practical navigator (das ist auch der Name seines Hauptwerkes, das man auch Sailors’ Bible nennen wird) Nathaniel Bowditch in den 1820er Jahren. Da hatte er einen Ruf als Professor an die Universität Harvard abgelehnt, weil er als Direktor einer Versicherung das Doppelte verdiente. Der Mann, der nie studiert hat, der sich Mathematik, Latein und eine Vielzahl von Fremdsprachen selbst beibrachte, bleibt Harvard aber verbunden. Er sitzt im Verwaltungsrat und bewahrt die Universität in den 1820er Jahren vor einem finanziellen Chaos. Für viele Neuengländer ist er immer noch ein amerikanischer Held, das Kinderbuch Carry On, Mr Bowditch wird heute an amerikanischen Schulen verwendet.

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