Freitag, 1. Juli 2016

Georg Friedrich Kersting


Er hat stille Bilder gemalt, der Georg Friedrich Kersting, der am 1. Juli 1847 starb. Dies hier hängt in der Kieler Kunsthalle (wie auch das Bild der Dame vor einem Spiegel), hängt da aber nicht immer, weil es häufig ausgeliehen wird. Es ist das perfekte Interieurbild des deutschen Biedermeier. Die Kunsthalle Kiel besitzt die beiden kleinen Kerstings (dies ist 47 mal 36 cm groß) seit 1856. Da hat eine Frau Becher, eine geborene von Binzer, sie der Kunsthalle geschenkt. Ich nehme an, dass das Marie Becher, die Tochter von August Daniel von Binzer gewesen ist. Das Gesicht der Frau am Stickrahmen ist von uns abgewandt, aber wir können es im Spiegel erkennen. Wir wissen, dass die Frau auf diesem Bild aus dem Jahre 1827 Kerstings Ehefrau ist. Und dass das Bild an der Wand den Maler selbst zeigt.

Aber nur bei dem Kieler Bild, denn die beiden anderen Versionen des Bildes zeigen Kerstings Malerkollegin Louise Seidler. Dies hier ist die zweite Fassung von 1817, die im Nationalmuseum Warschau hängt. Wir wissen, dass die junge Malerin, die bei Jakob Wilhelm Roux Pastellmalerei studierte, Stickarbeiten ausgeführt hat, um ihr Studium zu finanzieren: Obgleich ich bei Handarbeiten bei Weitem nicht so geschickt war, wie meine Schwester Wilhelmine, welche später ihre ganze Aussteuer selbst besorgte, so suchte ich doch durch Fleiß zu ersetzen, was mir fehlte. Ich nähte, strickte und stickte heimlich, oft bei Nacht, zu jämmerlichen Preisen, und erwarb mir auf diese Weise Geld genug, um den Unterricht bei Roux zu bezahlen.

Das erste dieser drei Bilder (1811), das die Weimarer Kunstsammlungen besitzen, zeigt ebenso wie das Kieler Bild ein Portrait im Spiegel, diesmal von Louise Seidler. Das hat sie selbst gesagt: Zwei andere Bilder, welche Kersting malte, kamen später durch Goethe nach Weimar. Das eine, „der elegante Leser“ genannt, stellt einen jungen Mann dar, welcher beim Schein einer Studirlampe eifrig liest; das andere ein in prunkloser Wohnung am Stickrahmen arbeitendes junges Mädchen, deren Gesicht man im gegenüberhängenden Spiegel erblickt. Es ist mein eigenes Porträt. 

Die Topfpflanzen am Fenster sind natürlich nicht irgendwelche Topfpflanzen. Kunsthistoriker versichern uns, dass die Hortensie für Entsagung steht, die Rose für erwachende Liebe. die Myrte für Vorfreude auf die Hochzeit und die Zwerg-Granate für Kindersegen. Bei den Gemälden der Romantik ist das symbol hunting der Kunsthistoriker immer von Erfolg gekrönt. Ich habe in dem Post ➱Kreidefelsen schon einige böse Dinge über Helmut Börsch-Supans Auslegetechnik bei den Bildern von Caspar David Friedrich gesagt. Das Bild an der Wand zeigt den Chirurgenmajor und Director über die Kranken Jean Baptist Paul Geoffroy aus Lisieux, einen Freund von Marschall Bernadotte, mit dem sich Louise Seidler 1806 verlobt hatte. Zwei Jahre später war er schon tot, im Spanienfeldzug am Fieber gestorben.

Für Louise Seidler brach die Welt zusammen: Das Leben des Lebens war für mich abgeschlossen; mein Dasein in dieser Zeit war nur noch ein dumpfes Hinbrüten. Die Eltern schicken sie nach Dresden, damit sie auf andere Gedanken kommt, das Elbflorenz hatte ja damals mehr als die Pegida zu bieten. Und angesichts der Bilderfülle der Dresdner Kunstgalerie (die übrigens seit kurzem mit Stephan Koja einen neuen Leiter hat) beschließt die junge Louise Seidler, Malerin werden zu wollen. Sie studiert bei Jakob Wilhelm Roux und dem berühmten Gerhard von Kügelgen.

Der hat ➱hier schon einen Post, er muss jedoch unbedingt im Zusammenhang mit den drei Bildern der Stickerin am Fenster genannt werden. Weil das so aufgeräumte Biedermeier Zimmer sein Studio ist. Und wahrscheinlich ist dieser Mann am Sekretär auch Kügelgen selbst. Man sieht dies Bild heute als ein Gegenstück zu der Stickerin an, das sagt auch der ➱Wikipedia Artikel, der glücklicherweise einmal hervorragend ist. Ist bei Wikipedia selten, kommt aber mal vor.

Wenn das Bild vom Mann am Sekretär als ein Gegenstück zur Frau am Stickrahmen gesehen wird, so ist das Kieler Bild ➱Vor dem Spiegel auch ein Gegenstück zur stickenden Gattin von Kersting. Leider wissen wir über die jugendliche weibliche Gestalt in weißem Kleid (so ➱Lilli Martius im Katalog der Kunsthalle von 1958) überhaupt nichts. Detailverliebt hat Kersting die Garderobe der jungen Dame gemalt, wir können den gelben Hut bewundern, der auf dem Tisch liegt. Und es gibt auch einen (nicht durch Topfpflanzen verstellten) Landschaftsausblick - dafür sind Fensterbilder ja eigentlich da. Das Bild ist sicherlich ein Prunkstück des deutschen Biedermeier, aber wir sollten den Interieurmaler Kersting nicht zu einem ➱Vermeer aus Mecklenburg machen.

Der Herausgeber der Lebenserinnerungen von Louise Seidel bezeichnet die beiden Kieler Bilder als äußerlich ziemlich unscheinbar. Dagegen ist dieses in Warschau gemalte Bild aus der Sammlung Schäfer beinahe spektakulär, interessanter als die junge Dame vor dem Spiegel ist es auf jeden Fall. Bei Kerstings Interieurs hat sich das Bürgertum in seine kleine private Welt zurückgezogen, die Aussenwelt dringt in diese Welt nicht ein. Es sei denn durch gelbe Hüte oder schwarze Zylinder.

Ich möchte noch einmal auf die Blumen am Fenster der Stickerin zurückkommen. Verweise auf die Blumensprache sind in der Romantik nicht selten. Kommen auch heute noch vor, ich zitiere mal eben die Berliner Zeitung: Auf Wunsch Kate Middletons hat der Hofflorist Shane Conolly sechs Bäume entlang des roten Teppichs aufgestellt: Feldahorn, ein Sinnbild für Demut und Zurückhaltung, und Hainbuchen, die als Zeichen für Ausdauer und Belastbarkeit gelten. Kate Middleton ist in der traditionellen, symbolhaften Blumensprache bewandert, heißt es, und sie hat das Kirchenschiff ausschließlich mit saisonalen Blüten schmücken lassen: Flieder für Treue und Ackerwinde für Verbundenheit. In den Brautstrauß sind Maiglöckchen als Symbole der Unschuld gebunden, dazu Hyazinthen für Beständigkeit, Myrthe für Liebe und Bartnelken, die auf Englisch Sweet William heißen, für Ritterlichkeit. Jetzt wissen wir es: Die Ackerwinde (deren Wurzeln so tief reichen, dass die Blume nie vergeht. So oft man sie ausreißt, immer wieder erblüht sie aufs Neue) steht für Verbundenheit. In unseren Gärten bezeichnen wir sie als ein hässliches Unkraut. Zwischen schöner Symbolik und trister Realität liegen Welten.

Und da wir bei Flora und Fauna sind, möchte ich mein Lieblingsbild von Kersting einmal abbilden, das das Kerstingsche Wohnzimmer in den deutschen Wald verlegt. Es ist schon in dem Post ➱Lützow zu sehen. Kersting war stolz darauf (er hat sich auch mit seinem ➱Eisernen Kreuz gemalt), als Freiwilliger im Lützowschen Freikorps am Krieg gegen Napoleon teilgenommen zu haben. Das Geld für seine Uniform musste er sich von seinen Malerfreunden Gustav Carus, ➱Caspar David Friedrich und Gerhard Kügelgen leihen, das können wir auch auf dem ➱Selbstportrait sehen, wo er einen Geldbeutel in der Hand hält. Später hat er selbst Geld verdient. Weniger mit seinen Bildern denn als Malervorsteher der Königlich-Sächsischen Porzellanmanufaktur in Meißen.

Georg Friedrich Kersting ist in diesem Blog kein Unbekannter. Lesen Sie auch: Lützow, Moritz von Schwind, Deutsche Romantik, Uniformen, Jungfrauen

2 Kommentare:

  1. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich was zu meckern habe: Elbflorenz hat auch heute mehr als PEGIDA zu bieten, mal abgesehen davon, dass diese Bemerkung doch etwas vom Thema abweicht. Das muss doch mal gesagt werden dürfen.
    Viele Grüße aus dem Nordosten.

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  2. Die Posts über diese Malstile und die Geschichten dahinter finde ich immer sehr schön.

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