Der Tatort war eine halbe Stunde zuende (und wurde gerade auf OneHD wiederholt) da konnte man auf der ARD Seite zu ✺Die Nacht gehört dir einen Kommentar lesen, der den Titel Nackte Tatsachen hatte, und der mir wunderbar in den Post ➱Nackt gepasst hätte: Warum im Tatort immer so viel nackte Haut gezeigt werden muss, ist mir ein Rätsel. Zugegeben, ist das schon nett anzusehen, aber macht einen Tatort noch nicht zu einem guten Film. Ich hätte mir gewünscht, dass nicht so viel auf dem Privatleben der Leute rumgehampelt wird. Nur die Honigfrau war sehr nett. Die Honigfrau (Maja Beckmann) ist die junge Frau, in die sich der Kommissar Felix Voss (Fabian Hinrichs) verliebt hat. Diese Geschichte ist voller Honig, aber frei von Nackheit und Sex.
Vielleicht ist es eine Gegengeschichte gegen das Sexleben des Mordopfers, das mit zwei Messerstichen ins Herz getötet wurde. Wir erfahren peu à peu, dass das Liebesleben der Managerin (Anna Tenta) aus Bekanntschaften aus Dating Portalen bestand. Das gäbe nun natürlich dem Regisseur die Möglichkeit, viel nackte Haut zu zeigen. Aber der Regisseur heißt Max Färberböck, der ist nicht auf billige Effekte aus. Die verzweifelte Sehnsucht nach Liebe und die Unmöglichkeit, glücklich zu werden, ein Leitmotiv bei Färberböck, dominiert auch diesen Film, der gleichermaßen durch seine dramaturgische Feinmechanik wie durch seine filmästhetische Umsetzung besticht. Leckerbissen für Arthouse-Liebhaber, heißt es bei Rainer Tittelbach.
Das Leben des Mordopfers bleibt im Dunkeln, nur einige Rückblenden bringen etwas Licht. In der einen ist Anna Tenta nackt mit einem weißen Schleier zu einer Coverversion von Jimmi Hendrix ✺Angel tanzend zu sehen. Das dauert allerdings nur wenige Sekunden, ein paar Sekunden länger als die Nacktszene von Ulla Jacobsson 1952 in ✺Sie tanzte nur einen Sommer. Und dann haben wir zur Musik von Nina Simones ✺Don’t Let Me Be Misunderstood einen Blick auf die Beamten des ganzen Kommissariats, die auf einer Großleinwand offenbar erotische Szenen sehen. Wir sehen die nicht, wir sehen nur die Kriminalbeamten. Das ist ein sehr witziges Bild. Oliver Jungen von der FAZ will hier schwülstige Softporno-Bilder gesehen haben, aber auf meinem Bildschirm waren die nicht.
Ich wollte an dem Abend keinen Tatort sehen, ich wollte den Film über ✺Clara Haskil sehen, aber ich hatte den Fernseher nach der Tagesschau nicht ausgemacht, und schon lief da der Tatort Die Nacht gehört dir. Ich wusste nichts darüber, aber ich sah sofort, dass dies etwas Besonderes war, ich erkannte die Handschrift des Regisseurs. In dem Post Verzierungen habe ich geschrieben: Manchmal geht das auf. Zum Beispiel gab es in dem Tatort ✺Der Himmel ist ein Platz auf Erden Martha Wainwrights ✺Dans le silence, was ein sehr schönes Lied ist. Es ist übrigens auch ein schöner Tatort, nicht diese billige Dutzendware, sondern eine sorgfältig photographierte Geschichte, die schon Kinoqualität hatte.
Der Himmel ist ein Platz auf Erden war auch ein Tatort von Färberböck, der die Drehbücher für seine High-End Krimis zusammen mit Catharina Schuchmann schreibt. Und wahrscheinlich auch die Musik aussucht. Wenn es nicht Martha Wainwrights ✺Dans le silence oder Lucinda Williams' ✺Angel ist, dann hat er mit Verena Marisa Schmidt eine junge Komponistin in seinem Team, die schon zahlreiche Preise bekommen hat.
Färberböck wagt die Revolution im modernen Tatort: Er bringt Ermittler, die keinen an der Klatsche haben. Sie sind eher warm als innerlich erfroren, eher linkisch als cool. Und berührbar von dem, was passiert. […] Dieser Fall […] hat ein paar Längen, aber die Geschichte nimmt Fahrt auf, sie findet einen Sound, und tatsächlich alle Darsteller sind mit Liebe ausgesucht, schrieb Holger Gertz in der Süddeutschen nach der Ausstrahlung von Der Himmel ist ein Platz auf Erden. Max Färberböck ist auf dem besten Weg, aus dem heruntergekommenen Tatort Format ein Gesamtkunstwerk zu machen, meilenweit von Til Schweiger Tatorten entfernt. Glücklicherweise.
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