Sonntag, 26. November 2017

Verzierungen


Hallo, hat heute zufällig jemand "Wilsberg" angeschaut und das Lied im Abspann erkannt? Das war ein ganz bekannter Song, aber ich komm nicht drauf. Sätze wie diesen findet man zuhauf im Internet. Am Ende eines Wilsberg Krimis gibt es immer einen Song. Immer englisch. Die sind da in Münster ziemlich anglophil. Es ist neuerdings Mode geworden, an Krimisendungen zum Schluss einen Song dranzuklatschen.

Manchmal geht das auf. Zum Beispiel gab es in dem Tatort Der Himmel ist ein Platz auf Erden Martha Wainwrights Dans le silence, was ein sehr schönes Lied ist. Es ist übrigens auch ein schöner Tatort, nicht diese billige Dutzendware, sondern eine sorgfältig photographierte Geschichte, die schon Kinoqualität hatte.

Ich zitiere mal eben ein Gegenbeispiel, den Polizeiruf 110, der den Titel Ikarus hat. Der ist eigentlich nur erwähnenswert, weil es die letzte Sendung mit dem motoradfahrenden Polizeihauptmeister Horst Krause ist. Der Rest ist mit Jules et Jim verglichen worden, ist aber eher peinlich. Aber am Ende, als man schon schön schläfrig war, da gab es ein Lied, das jeden wach werden ließ. Sanft, eingängig, traurig. Es war Serge Gainsbourgs La Noyée. Hat nichts mit Polizeihauptmeister Horst Krause und seinem Hund zu tun, ist aber immer schön. Egal, ob Serge Gainsbourg das singt, oder ob Carla Bruni das haucht.

Es gibt Krimisendungen, in denen ein Lied strukturell sein kann. Das Lied ➱Unser Land, das Hans Hartz in der ersten Folge der Serie Schwarz-Rot-Gold sang, beherrschte die Handlung. Es ist übrigens ein Lied, das heute noch seine Bedeutung hat, ich habe es in dem Post Unser Land zitiert. Die musikalischen Verzierungen in den meisten Krimisendungen haben keine wirkliche Funktion. Rudolf Arnheim hatte einstmals postuliert: Filmmusik war immer nur dann gut, wenn man sie nicht bemerkte. Können Sie sich noch an die Musik des ersten Tatorts Taxi nach Leipzig erinnern? Die Gitarre am Schluss war ja nett, kann aber nicht mit La Noyée konkurrieren.

Natürlich findet man in den Tatort Sendungen auch klassische Musik. So kann man auf einer Seite der ARD lesen: Dieser "Tatort" hat einen artifiziellen Rahmen, in dem der Musik eine exponierte Rolle zukommt. Die Musik wurde teilweise exklusiv vom hr- Sinfonieorchester eingespielt. Insgesamt enthält der Film 23 Ausschnitte aus Werken der klassischen Musik. Die Damen und Herren auf dem Gruppenphoto hier sind diejenigen, die im Laufe der 90 Minuten niedergemetzelt werden. Die bodycount Fans sind noch am Zählen, es ist irgendetwas zwischen 47 und 53 Toten. Bei 23 klassischen Musikstücken gibt das eine Relation von zwei Toten pro Musikstück. Händels Lascia ch’io pianga ist auch dabei. Gab es auch schon mal in Ein starkes Team, als Maja Maranow traurig war. Zusammen mit der schönen Maja Maranow ist Händels Arie immer O.K.

Der Tatort mit den vielen Toten hatte den Titel Im Schmerz geboren. Er sollte nicht verwechselt werden mit dem Tatort Der große Schmerz. Auch da gab es siebenundvierzig Tote. Diese junge Dame hier spielt eine russische Killerin, normalerweise soll sie wohl eine Sängerin sein. Nicht, dass sie das Lascia ch’io pianga singen könnte, oder wie Carla Bruni das La Noyée hauchen könnte. Sie singt auch glücklicherweise in dem Tatort nicht. Es ist eine gewisse Helene Fischer.

Ich habe mit dem guten Tatort Der Himmel ist ein Platz auf Erden (hier noch einmal ein Bild daraus) und Martha Wainwrights Dans le silence angefangen, und ich bin dann niveaumäßig immer weiter nach unten gegangen. Jetzt bin ich bei Til Schweiger Tatorten angekommen. Da drunter geht wenig. Vielleicht der Botulismus Mörder aus Münster, doch dann ist Schluss. Eine Tatort Musik sollte noch erwähnt werden, sie ist von Klaus Doldinger und klingt so. Es gibt sie in jedem Tatort, wenn es nach Til Schweiger gegangen wäre, dann gäbe es sie nicht mehr. Glücklicherweise geht nicht alles nach Til Schweiger.

Vor über neunzig Jahren beklagte der Krimiautor R. Austin Freeman in The Art of the Detective Story den Verfall der Gattung: A widely prevailing error is that a detective story needs to be highly sensational. It tends to be confused with the mere crime story, in which the incidents - tragic, horrible, even repulsive - form the actual theme, and the quality aimed at is horror - crude and pungent sensationalism. Here the writer's object is to make the reader's flesh creep; and since that reader has probably, by a course of similar reading, acquired a somewhat extreme degree of obtuseness, the violence of the means has to be progressively increased in proportion to the insensitiveness of the subject. The sportsman in the juvenile verse sings:

I shoot the hippopotamus
with bullets made of platinum
Because if I use leaden ones
his hide is sure to flatten 'em:

and that, in effect, is the position of the purveyor of gross sensationalism. His purpose is, at all costs, to penetrate his reader's mental epidermis, to the density of which he must needs adjust the weight and velocity of his literary projectile.


Es fällt nicht schwer, das eins zu eins auf heutige Tatort Produktionen zu übertragen, ob sie nun durch Musik gerettet werden sollen oder nicht. Ich gucke mir das sowieso nicht mehr an; wenn man Krimis mit Stil sucht, dann wendet man sich nach England. Bei diesen beiden Herren ist man immer gut aufgehoben.

Und es gibt in allen Folgen von Morse auch viel Musik. Morse spielt Klavier, singt im Chor und ist in jedem Konzert zu finden. Er liebt Wagner und besucht sogar Bayreuth (sein Chef glaubt, dass er in Beirut war). In einem solchen Krimi darf sich die Liebe des Helden zur Musik auch auf die Filmmusik auswirken. Das sind keine Verzierungen, die an eine Handlung geklebt werden, das ist etwas Funktionales. Vielleicht bekommen die deutschen Zuschauer die Serie, dies es überall auf der Welt gab, ja auch einmal zu sehen. Die einzigen Deutschen, die Morse im Fernsehen sehen konnten, lebten in der DDR, da war er seit 1989 auf DDR2 zu sehen.

Die literarische Figur, die sich Colin Dexter ausgedacht hat, liebt nicht nur die Musik, er zitiert auch gerne. Morse hat klassische Philologie in Oxford studiert (Colin Dexter auch, er allerdings in Cambridge), er ist ein gebildeter Mann, er zitiert gerne Literatur. Damit ist Colin Dexter voll in der Tradition des englischen Krimis im Golden Age of the Detective Story, als gebildete Autoren für ein gebildetes Publikum schreiben. Das sind Verzierungen, die man gerne mag, und nebenbei bildet ein Krimi von, sagen wir, Michael Innes ja auch ungemein. Ich nehme mal an, dass die Romane von Michael Innes, Edmund Crispin, Josephine Tey oder Margery Allingham nicht zu der Bettlektüre von Til Schweiger gehören. Bis zur letzten Folge von Morse, die The Remorseful Day heißt (was aus How Clear, How Lovely Bright von A. E. Housman stammt), ist die Serie vollgespickt mit Zitaten.

So etwas ist in deutschen Krimis eher selten. Und wenn, dann findet man es in der völlig schrägen Krimireihe, die München Mord heißt. Da deklamiert Alexander Held (Bild) als Kommissar Schaller schon mal völlig unvermittelt das Gedicht Über die Heide von Theodor Storm. Man ist als Zuschauer nicht darauf gefasst, und so haben die Verse eine große Wirkung:

Über die Heide hallet mein Schritt;
Dumpf aus der Erde wandert es mit.

Herbst ist gekommen, Frühling ist weit -
Gab es denn einmal selige Zeit?

Brauende Nebel geisten umher;
Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.

Wär ich hier nur nicht gegangen im Mai!
Leben und Liebe - wie flog es vorbei!


Da kann man nur sagen: weiter so. Peppt den deutschen Krimi mit Bildung und Musik auf, fünfzig Leichen sind ein Irrweg.

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