Sonntag, 7. November 2021

Berlin im Regen


Der Maler Lesser Ury, der heute vor hundertsechzig Jahren geboren wurde, machte da weiter, wo sein Kollege Franz Skarbina aufgehört hat: Berlin bei Nacht zu malen. Franz Skarbina hat hier schon einen Post, da soll Lesser Ury auch einen bekommen. Weil ich durch Zufall im Netz dieses Bild gefunden habe, das Brandenburger Tor vom Pariser Platz aus gesehen. 1928 gemalt, Pastell auf Pappe. Es ist nicht groß, 35 x 50 cm, aber es bleibt im Gedächtnis. Vor allem, weil da in der Bildmitte diese Frau ist. Sie stiehlt der Viktoria oben auf der Quadriga die Show. Ohne die Frau, die modisch im Stil einer garçonne daherkommt, wäre das Bild nix. 

Kurz nach dem Mauerfall hat die Deutsche Bank das Bild für ihre Sammlung gekauft, weil es eine Arbeit von historischer und zukünftiger Bedeutsamkeit sei. Vor wenigen Monaten hat die Bank das Bild bei Ketterer verkaufen lassen. Es war auf 100.000 Euro geschätzt, erbrachte aber 337.500 €. Dies war die zweite spektakuläre Auktion, in der die Kunstsammlung der Deutschen Bank unter den Hammer kam; im letzten Jahr hatte man sich von vielen Teilen des Tafelsilbers getrennt, unter anderem von dem riesigen Triptychon Faust von Gerhard Richter. Wenn auf diesem Bild von Lesser Ury die Sonne nach einem Gewitter wieder hervorkommt, dann gilt das nicht für die Deutsche Bank. Die macht Milliardenverluste, und die Millionen von Donald Trump wird sie wohl auch nicht wiederbekommen. Wir werden dies hübsche Bild wahrscheinlich in keinem Museum wiederfinden, aber wir können uns das Berlin nach dem Gewitterregen hier noch auf einem kleinen Video anschauen.

Ich habe noch ein kleines Gedicht vom Wetter in Berlin: was bleibet aber, stiften die Dichter. Es ist von Christian Morgenstern und heißt schlicht Berlin:

Ich liebe dich bei Nebel und bei Nacht,
wenn deine Linien ineinander schwimmen, -
zumal bei Nacht, wenn deine Fenster glimmen
und Menschheit dein Gestein lebendig macht.

Was wüst am Tag, wird rätselvoll im Dunkel;
wie Seelenburgen stehn sie mystisch da,
die Häuserreihn, mit ihrem Lichtgefunkel;
und Einheit ahnt, wer sonst nur Vielheit sah.

Der letzte Glanz erlischt in blinden Scheiben;
in seine Schachteln liegt ein Spiel geräumt;
gebändigt ruht ein ungestümes Treiben,
und heilig wird, was so voll Schicksal träumt.


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