Als die Bremer Baumwollbörse vor über hundert Jahren gebaut wurde, sah sie noch etwas anders aus, auf dem Turms des Kontorhauses war noch eine gotische Spitze. Der Entwurf des Gebäudes stammte von Johann Georg Poppe, der neben Heinrich Müller der berühmteste Architekt Bremens war. Müller, der auch die Bremer Börse am Markt baute (heute das Gebäude der Bürgerschaft), war schon einmal in diesem Blog, weil er in Vegesack die Villa Fritze gebaut hat.
Der protzige Bau der Baumwollbörse, in dem die gleichen Geschäfte gemacht wurden wie in New Orleans auf diesem Bild von Degas, wies schnell Mängel im Material auf und bekam in den 1920er Jahren eine neue Fassade. Diesmal aus dem Wesersandstein der Obernkirchener Sandsteinbrüche; aus diesem Stein waren schon Jahrhunderte zuvor das Ratshaus und der Schütting gebaut worden. Und das Gewerbehaus und der Sockel des Rolands. Die Renovierungsarbeiten wurden dem Architekten Otto Blendermann übertragen, der hier schon einen Post hat und auch in dem Post Hohehorst vorkommt. Man will das Gebäude jetzt modernisieren, es hat eine Ausschreibung gegeben, aber so richtig glücklich ist man mit den preisgekrönten Entwürfen nicht.
Die Bremer Baumwollbörse beherbergt den gleichnamigen Verein, der die Wahrung und Förderung der Interessen aller am Baumwollhandel und an der Erstverarbeitung von Baumwolle Beteiligten zum Ziel hat. Seit dem Jahre 1906 sitzt ein Vertreter des Schweizer Spinner-, Zwirner- und Webervereins im Vorstand der Bremer Baumwollbörse. Das ist noch heute so, Peter Spoerry, dessen Familie seit 150 Jahren Baumwolle webt, ist eins der Bremer Vorstandsmitglieder. Hier ist er beim Betrachten von Baumwolle, nicht etwa im schweizerischen Glarus, sondern in der Karibik.
Weil die Firma Spoerry da eine Plantage hat und unbestritten der Weltmarktführer bei West Indian Sea Island Cotton (WISIC) ist. Das ist nun das Feinste vom Feinsten, weil die Fasern der WISIC Baumwolle länger sind als die der feinsten Giza Baumwolle. Die meisten Sea Island Hemden, die auf dem Markt angeboten werden, sind allerdings nicht aus Sea Island Cotton, sondern aus ägyptischer Baumwolle. Peter Spoerry steht mit seiner Fabrik gut da, was man von seiner Konkurrenz, der Alumo AG, im Augenblick leider nicht sagen kann.
Denn die ist gerade von der Firma Cilander übernommen worden, der schon vorher Teile der Alumo gehört haben. Cilander veredelt Baumwolle und ist schon seit dem 19. Jahrhundert im Geschäft. Alumo, 1918 gegründet, hieß zuerst nach seinen Gründern Albrecht und Morgen, daraus wurde dann AluMo. Die Firma stellt nach eigenen Angaben die besten Baumwollstoffe der Welt her. Ich habe die Firma schon in dem Post englische Oberhemden erwähnt, weil Emma Willis auf den Stoff von Alumo schwört. Und auch italienische Luxusfirmen wie Finamore weisen darauf hin, dass der Stoff ihrer Hemden von Alumo kommt. Cilander und Alumo, das bedeutete bisher eine problemlose Kooperation, aber jetzt hat Cilander beschlossen, die Weberei in Appenzell aufzugeben. Fortan wird in Ägypten gewebt, in das Gebäude der Appenzeller Weberei wird wahrscheinlich ein Supermarkt einziehen. Die umtriebige Chefin von Alumo, Sandra Geiger, wird jetzt Schwierigkeiten haben, ihre Produkte mit dem Gütesiegel
Swiss Made zu verkaufen. Und
✺Parties wie die zum hundertjährigen Bestehen der Firma wird es wohl erst einmal nicht mehr geben.
Dass die Schweiz zu einem Zentrum der Seiden- und Baumwollweberei wurde, hat etwas damit zu tun, dass Ludwig XIV das Edikt von Nantes widerrufen hat und hundertausende von Hugenotten Frankreich verlassen, die Schweiz wird zu einem
⇾Asylland. Brandenburg auch, wo der Große Kurfürst das
Edikt von Potsdam erlässt, die calvinistischen Glaubensflüchtlinge werden ihm Preußen aufbauen. Es sind nicht nur diejenigen, die mit Tuchen und Stoffen umgehen können, die in der Schweiz eine Industrie begründen. Wären die Hugenotten nicht gewesen, dann hätten die Schweizer wohl keine
Uhrenindustrie. Der aus Frankreich geflohene Industrielle
Daniel Vasserot gründet in Genf die ersten Webereien. Und auch die
Kattun- und Calicodruckerei siedelt sich hier an. Um 1720 gibt es in Genf schon sieben Fabriken, die bedruckte Baumwolle (auch
⇾Indiennes genannt) herstellen. 1785 wurde das Werk
Fabrique-Neuve in Cortaillod, Neuchâtel, der größte Hersteller von
⇾Indiennes in Europa. Es produzierte damals 160.000 der bunt bedruckten Stoffbahnen im Jahr. Der schöne Stoff auf diesem Bild wurde wohl um 1800 in Neuchâtel gewebt.
Von Schweizer Oberhemden war bisher noch keine Rede, die kommen aber noch. Zuerst kommen Taschentücher, Bett- und Tischwäsche und Trikotagen. Die Firmen Zimmerli und Calida sind ja weltweit für ihre Qualität bekannt, die Firma Lehner für ihre Taschentücher auch. Und das
Glarner Tüchli lebt immer noch.
Wir sollten auch die Seidenweberei nicht vergessen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts nannte man den Ort Horgen im Kanton Zürich
Klein-Lyon, weil es dort zehn
Seidenwebereien gab. Die Baumwollwebereien, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen, sind heute zum größten Teil Industriegeschichte. Vieles wird jetzt von Historikern aufbereitet, wie zum Beispiel in diesem ausführlichen Artikel über die
⇾Spinnerei Felsenau 1864–1975 von
Christian Lüthi, dem Vizedirektor der Universitätsbibliothek Bern. Wenn man genügend sucht, dann ist das Internet voll mit einzelnen Beiträgen zur Unternehmensgeschichte der Schweiz.
Eine der ersten Hemdenfabriken war die 1902 in Stabio gegründete
Camiceria Realini. Pietro Realini war nicht nur der Fabrikbesitzer, er war auch der Bürgermeister des Ortes. Die Devise, die er ausgab war:
Il lavore è fatica ma grazie alla fabbrica si puo evitare l'emigrazione. Wir sind ganz im Süden der Schweiz, da spricht man noch Italienisch. Und man ist arm, man ist dankbar für jede
Fabrik, die Arbeitspätze bringt. Das Geschäft floriert, 1923 kann man ein neuen Gebäude beziehen, und Petro Realini und seine Gattin tun mit ihren Stiftungen gute Werke, die von einem Waisenhaus bis zu einem Altersheim reichen. 1976 wird die Hemdenfabrik von der
Ermenegildo Zegna Gruppe übernommen und heißt jetzt
Consitex.
Die Luxuslinie
Zegna Couture kam auch aus Stabio, wurde aber nicht in Zegnas Hemdenfabrik genäht. Da vertraute Zegna doch auf eine ganze andere Firma. Die hatte den Namen Brülisauer, ein Name, den man sich schlecht merken kann. Herbert Brülisauer hatte die Firma 1961 gegründet, er produzierte Qualitätshemden unter dem Namen
Resisto und belieferte Großkunden wie
PKZ oder die Warenhauskette
Manor. Doch denen wurde die Swiss Made Qualität bald zu teuer, und da verlegte sich Brülisauer, dessen Sohn Marco 1993 in die Firma gekommen war, auf das Luxussegment, Klasse statt Masse.
Und nähten die Hemden für Zegna und Tom Ford. Aber diese Kunden ließen keine Kreativität und Originalität zu und wollten immer weniger zahlen, und so beschloss Marco Brülisauer, auf Zegna und Tom Ford zu verzichten und nur noch Hemden der eigenen Marke herzustellen. Unter dem Namen Bruli. Den Namen kann man sich leicht merken. Man hat aber für alles Fälle des Namens Resisto behalten, das braun-gestreifte da unten ist meins. Heißt Resisto, hat aber ein kleines Etikett innen drin: Made in Switzerland und prodotto da Bruli.
Marco Brülisauer arbeitet eng mit der Firma Alumo zusammen, beide Firmenchefs loben den anderen (beziehungsweise die andere) in höchsten Tönen:
'Alumo ist bei mir das höchste Segment an Stoffen', sagt Marco Brülisauer. 'Marco macht wirklich wunderschöne Hemden', sagt Sandra Geiger. konnte man im letzten Jahr im Schweizer Wirtschaftsmagazin
Bilanz lesen. Der Hemdenhersteller Bruli, nach eigenen Angaben der letzte unabhängige Hemdenhersteller der Schweiz, scheint gut im Geschäft zu sein, die Firma hat jetzt sogar einen
Online Store. Die Hemden kosten zwischen 300 und 500 Euro, sie haben ein unverwechselbares Zeichen, an dem man ein Bruli Hemd erkennt. Und das ist ein im Ärmelschlitz des linken Ärmels eingewirkter, beinahe unsichtbarer, silberner Farben. So etwas nennt man Understatement. Diese Bruli Anzeige ist das Gegenteil von Understatement, sie ist völliger Unsinn. Das Zitat ist nicht von Leonardo da Vinci, es wurde zum erstenmal in einer
Apple Reklame im Jahre 1977 verwendet.
Viele Schweizer Firmen sind untergegangen, über viele sucht man vergebens etwas zu erfahren. Die sind in der Schweiz nicht nur bei Banken verschwiegen, Hemden der Firma Diamant's Habillement de Luxe, die es früher bei
Terner in Hannover gab, gibt es nicht mehr. Terner auch nicht. Wer die erstklassigen Linea hB Swiss Hemden (von denen ich eins aus
Rottach-Egern habe), produziert hat, habe ich lange nicht gewusst. Inzwischen habe ich das herausgefunden: die Linea hb Hemden wurden auch von Bruli hergestellt, das hb stand offenbar für Herbert Brülisauer. Die besten Schweizer Hemden, die ich besitze, stammen von zwei inzwischen untergegangen Firmen. Sie haben alle ein Swiss Made Label eingenäht, aber ich weiß nicht, wer die Hemden hergestellt hat. Die eine untergegangene Firma ist die von
Werner Baldessarini, dessen Hemden damals den Vergleich mit den besten italienischen Hemden aushielten. Tun sie nach zwanzig Jahren immer noch. Hemden halten bei mir lange, weil ich so viele habe.
Die andere nicht mehr existierende Firma ist Hein Gericke Classic. Da hatte sich der König der Biker Lederjacken (er wird schon im Post
Lederjacken erwähnt) eine kleine Luxuskollektion zugelegt. In aufwendig gemachten Katalogen bepries Gericke seine Hemden:
Aus feinsten naturbelassenen Baumwollstoffen italienischer Weber im schweizer Tessin nach alter Shirtmakertradition genäht. Das alles stimmte, sogar der Musterverlauf war angepasst und die Knopflöcher waren handgenäht. Das ist man bei
Fray (die 1991 auch die Firma
pegaso kauften) und Borrelli gewöhnt, aber hier? Die Hemden kosteten 169 Mark, das teuerste 298 Mark. Der Preis fiel aber bei Gericke schnell ins Bodenlose. Es muss ja einen Grund dafür geben, weshalb er in den letzten zwanzig Jahren fünf Insolvenzen hingelegt hat. Ich habe noch zwei aus der teuersten Kategorie, die irgendwann ganz preiswert geworden waren, und ich rätsele noch immer, wer im Tessin die damals gemacht hat.
Wenn wir an die Schweiz denken, dann fallen uns Banken und Uhren ein, nicht unbedingt die Mode. Aber die Modeindustrie hat für die Schweiz eine große Bedeutung. 1939 waren in der Modeindustrie eine Viertelmillion Menschen beschäftigt, und die exportierten Waren machten fünfunddreißig Prozent des gesamten Schweizer Exports aus. Ich habe diese Zahlen von der ersten
⇾Schweizer Modewoche 1942 in Zürich, zu der
Hans Aeschbach dies Plakat entwarf: Baumwollstoff als Kunstwerk. Wir sind im Krieg, aber noch kommen Kunden aus dem Ausland in die Schweiz und staunen, was man zu zeigen hat.
Die einzige Hemdenfirma, die in dem Bericht auftaucht, ist die Herrenwäschefabrik
Beltex in Arzo. Die ist in den folgenden Jahren immer wieder mit Anzeigen in Schweizer Zeitungen und bewirbt ihre Produkte mit dem Satz
Die Wahl des Herrn der sich zu kleiden weiß. 1948 kann die
Fabrlque de lingerie pour messieurs Beltex ihrer Anzeige im
L'Impartial noch hinzufügen:
L'expédition suisse à l'Himalaya de l'été dernier était équipéede chemises Beltex. Elles ont admirablement fait leurs preu-ves. Les sportifs qui choisissent notre marque pour les jeux olympiques.
Ich weiß nicht, was aus der Beltex geworden ist, in Arzo gab es noch die Hemdenfabrik
Carristar, aber die ist seit sieben Jahren auch nicht mehr existent. Einen Teil der Belegschaft und der Ausrüstung der Carristar hat
Yari Copt übernommen und seine Hemdenfirma
Old Captain Co gegründet:
Premetto che purtroppo, un mese fa, la Carristar di Arzo, una delle fabbriche con le quali collaboravo, è stata costretta a chiudere i battenti. Sono comunque riuscito ad integrare parte del personale e dei macchinari all’interno della fabbrica di moda Dresdensia di Pregassona, l’altro nostro laboratorio con cui collaboriamo creando un angolo di camiceria. Und da macht er jetzt bunte Hemden, das Tessin lebt wieder.
Ein Dauererfolg von Schweizer Hemden ist natürlich das Edelweiss Hemd. Die Familie Jenni in Meiringen näht die seit 1978 mit der Hand, hundertzwanzig bis hundertvierzig Hemden in der Woche. Der Preis beträgt achtzig Franken. Es gibt sie aber billiger. In den
Landi Läden werden sie für 22,90 Franken verkauft. Die kommen dann aber nicht von der
Märithüsli AG der Jennis, die kommen aus Kolumbien. In den letzten Jahren hat es an Schweizer Schulen immer wieder
Vorfälle gegeben, bei denen Lehrer den Schülern verboten haben, diese Schweizerhemden zu tragen, weil sie fanden, dass diese Hemden rassistisch seien. Da wird sich Michelle Hunziker jetzt Gedanken machen, ob sie das Hemmli noch tragen darf. Die haben echte Sorgen in der Schweiz.
Ich besitze ein einziges Bruli Hemd, das hier. Es hat mich bei ebay zwanzig Euro gekostet, keine fünfhundert. Es ist sehr unauffällig, man fühlt und merkt ihm die Qualität und die Handarbeitet an, es hat auch handgenähte Knopflöcher, aber so richtig mitreißend ist es nicht. In Fitzgeralds Roman
The Great Gatsby schleppt Jay Gatsby seine geliebte Daisy vor seinen Kleiderschrank und zeigt ihre seine Hemden. Das ist die Stelle des Romans, wo Daisy dann
They're such beautiful shirts. It makes me sad because I've never seen such beautiful shirts schluchzt. Wenn ich einer Frau den Kleiderschrank mit den Hemden zeigen würde, würde sie auch so etwas schluchzen. Mein erstes Hemd, das außer mir niemand hatte, hat mir meine Oma genäht. Das war in den Adenauerjahren, als es nur weiße Hemden gab. Ich aber wollte ein blau-weiß gestreiftes Hemd haben, gab es in ganz Bremen nicht. Selbst bei
Charlie Hespen nicht, der sich ganz an England orientierte. Da hat mir meine Oma das blau-weiß gestreifte Hemd genäht. Den Kragen hat sie nicht so ganz hingekriegt, aber das machte nichts.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen