Freitag, 12. November 2021

englische Oberhemden


Sie haben lange nichts mehr über Mode geschrieben, sagte mir ein Leser. Das Gefühl habe ich auch, auch wenn es von Zeit zu Zeit etwas über Mode gab. Wenn ich in meinen Wordpress Themenblog Kleiderschrank gucke, der ja leider wegen WSoD nicht weitergeführt wird, dann gab es in diesem Jahr Posts wie Blaustrümpfe, Orchideen, der Oberrock und Coco Chanel. Gut, früher war es mehr. Es gab allerdings auch immer andere Stimmen, ein Leser schrieb, er würde in meinem Blog alles lesen, außer wenn ich über Hemden und Schuhe schriebe. Ich bin gerade dabei, Hemden in den Schränken aufzuräumen, eine echte Aufgabe angesichts meiner Sammlung.

Ich fand eins im Schrank, an das ich mich kaum erinnerte, zog es an, es passte hervorragend. Es ist von der englischen Firma Raymond Cleeve. Meine Mutter hatte es mir mal von Terner in Hannover mitgebracht. Das war ein Laden, den sie liebte, der hat hier schon einen Post, der Fuchsjagd heißt. Meine Mutter ist lange tot, Terner gibt es nicht mehr, aber das Hemd ist noch da. Ich guckte bei ebay nach Cleeve Hemden, fand eins zum Sofortkauf für vier Euro und kaufte es. Und beschloss, mal eben einen Post über englische Oberhemden zu schreiben. Früher habe ich beinahe nur englische Hemden getragen, wenn ich mir jetzt das angucke, was da auf der Leine zum Bügeln hängt, dann sind das beinahe alles Italiener.

Raymond Cleeve, der seine Hemdenfabrik in Chard in Somerset hatte, begann bei der Firma British Van Heusen Co Ltd. Die war 1928 in Taunton in Somerset gegründet worden. In Somerset saß seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein großer Teil der englischen Hemdenindustrie. Und wir sollten nicht vergessen, dass die Firma Fox, die den berühmtesten Flanellstoff der Welt herstellt, auch in Somerset zuhause ist. Die British Van Heusen, die einen Royal Warrant als Hoflieferant besaß, hat nichts mit dem amerikanischen Phillips-Van Heusen Konzern zu tun. Dieses Van Heusen war nur ein Markenname der Firma Harding, Tilton and Harley Ltd, weil John Manning van Heusen um 1910 einen halbwegs weichen Kragen erfunden hatte.

Der allerdings noch nicht Teil des Hemds war, so wie hier sah ein British Van Heusen Hemd in den zwanziger Jahren aus. Man knöpfte den Kragen an das Hemd und kaufte noch einen Ersatzkragen dazu. Solche Hemden hat man bis 1971 produziert, Engländer sind ja traditionell. Der englische Politiker Enoch Powell hat erst im hohen Alter bei seinem Schneider erfahren, dass es schon seit langem Hemden mit angesetztem Kragen gibt.
 
Die Hemden, wie wir sie heute kennen, sind eine englische Erfindung. Im Jahr 1871 hat sich die Firma Brown, Davis & Co. aus Aldermanbury die Knopfleiste patentieren lassen. Vorher konnte man ein Hemd nicht aufknöpfen, man zog es über den Kopf, so wie wir heute ein Unterhemd anziehen. Es ist die 1898 gegründete Firma T.M. Lewin, die um 1900 dieses coat shirt, wie es damals genannt wird, auf den Markt bringt. Hundertzwanzig Jahre später muss T.M. Lewin seine 66 Läden in England aufgeben und seine sechshundert Angestellten entlassen. Die Firma ist weiterhin im Onlinehandel tätig.

Raymond Cleeve hört bei Van Heusen auf, als es mit denen bergab geht. In seiner Fabrik in Chard, was nicht so weit von Taunton weg ist, werden weiterhin Hemden mit anknöpfbaren Kragen hergestellt, erst ab 1976 gibt es die Oberhemden, wie wir sie kennen. Die Firma wuchs und wuchs, und 1998 bezog sie ein neues Gebäude. Sogar Prinzessin Anne kam zur Einweihung. Als es mit der Firma zuende ging, wurde der Name (und die Fabrik in Chard) von Michael Drake gekauft. Der hatte 1977 mit Scarves, Shawls and Plaids angefangen, ich habe zwei Schals von der Firma, die wirklich luxuriös sind. Dann kamen noch Schlipse hinzu und dann alles andere. 2013 kaufte man die Firma Rayner and Sturges, die letzte Firma, die fabrikmäßig Hemden Made in England herstellte, und die einst Ede & Ravenscroft, Dunhill, Paul Smith und Crombie belieferte. Rayner and Sturges wurde nach Chard in die alte Fabrik von Raymond Cleeve verlegt.

Als Emma Willis im Jahre 2000 ihren Laden für Oberhemden in der Jermyn Street eröffnete, hatte sie auch Krawatten von Drake's im Angebot. Sie hatte Kunst an der Slade School of Fine Art studiert, hatte dann aber beschlossen, dass ihre Zukunft im Hemdennähen läge. Sie hat klein angefangen, heute ist sie groß im Geschäft. Sie macht die Hemden für Huntsman, und stattet Daniel Craig, Hugh Grant, Benedict Cumberbatch und diesen Herrn hier aus. Einen Royal Warrant als Hemdenmacherin von Charles hat sie noch nicht, aber ihr Antrag läuft. Dieses Photo wurde gemacht, als Charles ihre Fabrik in Gloucester besuchte. 

Sie ist stolz darauf, dass ihre Hemden Made in England sind, viele große Namen der Jermyn Street können das nicht mehr von sich sagen. Ihre Stoffe bezieht Emma Wills seit fünfundzwanzig Jahren von der Schweizer Firma Alumo, englische Weber gibt es ja nicht mehr so viele. Thomas Mason und David & John Anderson gehören längst dem Italiener Albini. Im 19. Jahrhundert wurde in England die Hälfte der Baumwollstoffe der Welt gewebt, zu den Bedingungen wollen wir lieber nichts sagen. Ein Gedicht wie Song of the Shirt konnte nur in England entstehen.

Willis stellt sich im Internet erstklassig dar, einen Blog hat sie auch. Sie tut auch gute Werke (und redet darüber), zum Beispiel mit ihrem Projekt Style for Soldiers. Während des Höhepunkts der Corona Welle hat sie den National Health Service durch ihr Project Style for Surgeons mit Kitteln aus erstklassigen Schweizer Vollzwirn beliefert. Das ist etwas anderes als die Firma van Laack, die 100.000 ihrer an das Land Nordrhein-Westfalen gelieferten Kittel zurücknehmen musste. Den Deal mit den Kitteln hatte der Firma Armin Laschets Sohn vermittelt, der Mode Blogger ist und auf der Gehaltsliste von van Laack steht.

Dass Turnbull & Asser auch eine Fabrik in Gloucester haben, das steht hier schon 2013 in dem Post Haikragen, sie haben aber auch noch eine Fabrik in Sidcup. Ich hatte in den siebziger Jahren mal eine schwere Turnbull & Asser Phase, ich liebte diese lappigen Manschetten mit den drei Knöpfen. Dass Mr Fish das Hemd mit der umgestülpten Manschette (die Cocktail Cuff genannt wird) für James Bond in Dr No gemacht hat, das weiß ich natürlich, Sie können das in dem Post Haikragen und in dem Post Agentenmode sehen. Es ist immer noch im Programm. Das Hemd, das Daniel Craig in Casino Royale getragen hat, kostet 410 Pfund. Dieses schöne Haus aus dem Georgian Age ist das Bearland House in Gloucester, es beherbergt die Fabrik von Emma Willis. Turnbull & Asser hat in Gloucester nur einen häßlichen Zweckbau in einem Industriegebiet. Wenn Sie alles über Turnbull & Asser wissen wollen, dann klicken Sie hier einmal →Turnbull & Asser an. Ein bisschen Zeit müssen Sie für die opulente Show von Bildern und Videos schon mitbringen.

Karl Lagerfeld ließ sich mehr als tausend Hemden von Hilditch & Key machen, er schickte ihnen Zeichnungen wie diese, und sie machten ihm diese weißen Hemden mit dem hohen Kragen. Ich hatte mal ein Hilditch & Key Hemd, aber da war der Kragen in kürzester Zeit durchgescheuert, Qualität war das nicht. Ihre Hemden sollen jetzt aus Italien kommen, vielleicht sind die ja besser. Formelle englische Oberhemden sind auch nicht jedermanns Sache. Ich erinnere mich noch an die wunderbare Kolumne im Observer von Sue Arnold, wo sie in der Jermyn Street für ihren Mann ein Hemd kaufen will. Das war in den siebziger Jahren geschrieben, als Sue Arnold noch dope nahm, und London das Swinging London war. Da trug man Blümchenhemden und schrille Sachen aus der Carnaby Street, aber keine formellen englischen Hemden mit steifem Kragen.

Die 1984 gegründete Firma  Thomas Pink war auch in der Jermyn Street, wie auch der Billiganbieter Charles Tyrwhitt (designed in London made in Vietnam), der Straßenname edelt das Produkt. Tyrwhitt war der erste Händler, der sich konsequent auf den deutschen Markt orientierte. Inzwischen schalten aber auch andere Händler wie zum Beispiel Hawes & Curtis deutschsprachige Anzeigen im Internet. Thomas Pink wurde 1999 von Louis Vuitton aufgekauft, dann ließen sie das Thomas weg und waren nur noch Pink, jetzt sind sie ganz weg. Der Laden in der Jermyn Street ist geschlossen. Die Qualität von Emma Willis oder Turnbull & Asser hatten ihre Hemden nie, Made in England waren sie auch nicht. Zuerst kamen ihre Hemden aus Irland, später aus Vietnam (wo auch die van Laack Hemden gefertigt werden). Ich besitze eins von Thomas Pink (in pink), aber ich trauere der Firma nicht nach. 

Auch andere Firmen, die schon lange in der Jermyn Street sind, haben Probleme. Die 1865 gegründete Firma New & Lingwood, die zuerst in Eton beheimatet war, ist 2015 von einer amerikanischen Investorengruppen namens Pop Capital gekauft worden, sie haben ihr Personal verjüngt, um eine jüngere Klientele anzuziehen, aber finanziell geht es ihnen nicht so gut. Ihr bisheriger Direktor, der Südafrikaner Anthony Spitz, der New & Lingwood 1992 kaufte, blieb nach dem Deal mit Pop Capital weiterhin Geschäftsführer.

Niemand weiß genau, wer ihre Hemden macht, sie sollen ihre Fabrik in Essex geschlossen haben. In den 1990er Jahren haben sie Bowring und Arundel aufgekauft, den letzten Hemdenmacher auf der Savile Row, der noch Handarbeit lieferte. Als die Gabi zum erstenmal nach London fuhr (wo die schuhverrückte Frau im Laden von Manolo Blahnik beinahe ohnmächtig wurde), hat sie mir ein New & Lingwood Hemd mitgebracht. Dem fielen beim Auspacken schon zwei Knöpfe ab, Qualität sieht anders aus.

Ich kaufte keine Engländer mehr, ich trug Hemden von Stenströms und Italienern wie Truzzi, Orian, Fray und Lilian Fock. Ich weiß auch nicht, was aus der Jermyn Street wird, der Brexit hat die englische Modeindustrie schwer angeschlagen. Boris Johnson interessiert das kaum. New & Lingwood hatte als Hemdenlieferant der jungen Gentlemen an der Privatschule Eton begonnen. Boris Johnson war in Eton, aber er ist kein Kunde von New & Lingwood. Er ist auch kein Gentleman.

Hat ein englischer Premierminister jemals so ausgesehen? Vanessa Friedman von der New York Times hat von einem silly style gesprochen, der Johnson auszeichnet. Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow erschien er in einem Anzug von Oliver Brown, den er für vierunddreißg Pfund pro Tag bei der Firma My Wardrobe HQ gemietet hatte. Seine Frau hatte bei der Firma auch ihr Hochzeitskleid gemietet. Wer leiht sich schon einen Anzug? Man kann sich bei Moss Bros einen Morning Coat leihen, wenn man zu einer Hochzeit muss, aber sonst geht das nun gar nicht.

Das britische GQ Magazin hatte nur Hohn für den Premierminister übrig: That's right, Bojo – AKA Worzel Gummidge 2.0 – has finally made a good sartorial decision. Oft derided by the likes of, well, us for wearing the kind of outfits that a blind clown would struggle to make look quite so terrible (remember the floral short and Dennis The Menace beanie combo he wore to go running in 2017? We do), Johnson's decision to wear a second-hand suit at the summit, which is taking place in Scotland's second city until 12 November, is perhaps the smartest (/only?) piece of sartorial virtue signalling we've ever seen from the man at Number Ten. Er hat Schwierigkeiten mit Hemden, das weiße Hemd, das er zur Hochzeit trug war ungebügelt, und offenbar kann er sich nicht einmal die Manschetten richtig zuknöpfen. 2015, als er auf seinem Weg nach oben war, hat er einen Stapel Oberhemden von Turnbull & Asser geschenkt bekommen, die trägt er heute wahrscheinlich zum Joggen. 



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