Henry Percy, der neunte Earl of Northumberland, der am 5. November 1632 starb, verbrachte einen großen Teil seines Lebens im Londoner Tower. Sein Vater war im Tower gestorben, sein Großvater war hingerichtet worden. Das schöne Bild, das Anthony van Dyck von ihm gemalt hat, ist erst nach seinem Tod entstanden. Henrys Sohn Algernon hatte es in Auftrag gegeben, hat sich auch gleich von van Dyck malen lassen. Henry Percy ist einer der reichsten Adligen Englands, besitzt eine große Bibliothek, beschäftigt sich mit Astrologie und Astronomie und macht alchemistische Experimente. Das hat ihm den Namen the Wizard Earl eingetragen. Er beschäftigt auch den englischen Astronomen Thomas Harriot, den man sicher zu Recht einmal den englischen Galileo genannt hat. Henry Percy zahlt dem Mann, der die Sonnenflecken entdeckte und die erste Karte vom Mond zeichnete, hundert Pfund im Jahr. Das ist damals viel Geld.
Henry Percy lässt seinen Astronomen auch in Syon House wohnen, wo auch er manchmal wohnt, wenn er nicht gerade für fünfzehn Jahre im Tower wohnt. Das Anwesen ist berühmt, weil der Architekt Robert Adam es umgebaut hat, und es gibt hier auch schon einen Post dazu. Syon House ist auch berühmt, weil hier viele Filme gedreht wurden: The Madness of King George, Gosford Park und Teile von Endeavour. Und natürlich Joseph Loseys Film ✺Accident.
Wenn Henry Percy von 1606 bis 1621 im Tower sitzt, kann ihn sein Astronom jederzeit besuchen, all seine Freunde auch. Sir Walter Raleigh sowieso, weil der auch im Tower sitzt. Zwanzig Diener kümmern sich um Percy in seiner Wohnung im Martin Tower, er erzieht dort seine Söhne, und einige Jahre lebt seine Tochter bei ihm. König James lässt ihn und andere politische Gefangene an seinem sechzigsten Geburtstag frei. Percy war im Tower, weil man ihn verdächtigte, am Gunpowder Plot beteiligt gewesen zu sein. Das war er nicht, aber sein Cousin Thomas Percy gehörte zu den Verschwörern, der Vorwand reicht dem König, um ihn einsperren zu lassen. James benützt das Sondergericht, die Star Chamber, um seine politischen Gegner zu verfolgen. Mit dem Habeas Corpus Act von 1640 wird die Star Chamber abgeschafft. Ende der 1580er Jahre soll Henry Percy dem berühmten Miniaturmaler Nicholas Hilliard sechzig Shillings für ein Portrait gezahlt haben. Dies fünf mal sechs Zentimeter große Bild hier kann es nicht sein, denn dies Portrait des im Gras (wahrscheinlich des Parks von Syon House) liegenden Lords schreibt man inzwischen Rowland Lockey zu.
Das Bild wirkt weiter, zwanzig Jahre später wird Isaac Oliver den Lord Herbert of Cherbury in ähnlicher Pose malen, auch mit aufgestütztem Kopf. Auch im Freien, aber diesmal nicht in einem Garten. Der Dichter und Philosoph trägt die Kleidung eines Höflings, Schwert und Schild weisen ihn als Soldaten aus. Auf seinem Schild finden wir Dinge, die Kunsthistoriker als Impresa bezeichnen, eine persönliche, häufig schwer verständliche Symbolik. Zu den Impresen, conceits und Symbolen auf diesem Bild habe ich hier eine schöne Seite des National Trust.
Haben Sie Ihren Alciatus dabei? fragte mich Helmut Papajewski. Ich hatte ihn dabei, die kleine gelbe Leinenausgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft passte in die Jackentasche. Der Alciatus war natürlich das Emblematum Libellus des Andreas Alciatus, Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker, die sich mit dieser Zeit beschäftigen, können nicht ohne den Alciatus leben. Es ist der Schlüssel für eine verrätselte Welt von Emblemen, Impresen und Symbolen. Henry Percy wird dem Maler gesagt haben, was von seiner persönlichen Symbolik auf dem Bild sein soll. Manches können wir enträtseln, so kann der abgesägte Ast des Baums vorne links ein Symbol dafür sein, dass einige seiner Vorfahren geköpft wurden. Die Percys waren eine katholische Familie, die im Rising of the North die schottische Königin Mary auf Englands Thron sehen wollten. Einer von Henry Percys Vorfahren wird als katholischer Märtyrer betrachtet, ein anderer wurde vom Papst seliggesprochen. Henry gehört zwar der Church of England an, aber viele glauben, dass er in seinem Herzen Katholik ist.
Vieles auf dem Bild kann man erklären, manches bleibt ein Rätsel. Diese Waage hält eine Kugel, die die Weltkugel symbolisieren kann. Ihr Gewicht wird balanciert durch kleine Federn. Und dan haben wir da noch die Schrift TANTI. Jetzt wird es schwierig. Glücklicherweise gibt es den Dr Laurence Shafe, der einen Magistertitel vom Courtauld Institut hat (wo Roy Strong auch seine Dissertation schrieb) und noch zwei Doktortitel besitzt. Der erklärt uns auf seiner Seite beinahe alles, muss aber am Schluss zugeben, dass uns der Schlüssel für alle Geheimnisse des Bildes fehlt: Unfortunately, we have lost the key and are left with tantalizing glimpses of hidden meanings.
Nicht immer helfen uns der Alciatus und die Symbollexika. Und vielleicht ist das auch gut so. Robert Walser hat einmal bei einer Wanderung mit Carl Seelig gesagt: Man muss nicht hinter alle Geheimnisse kommen wollen: Das habe ich mein ganzes Leben so gehalten: Ist es nicht schön, dass in unserem Dasein so manches fremd und seltsam bleibt, wie hinter Efeumauern? Das gibt ihm einen unsäglichen Reiz, der immer mehr verloren geht. Man kann sich das Bild von Hilliard als Druck kaufen und es an die Wand hängen, aber das hat nichts mit dem Original zu tun, denn das hat gerade mal die Größe eines DIN A4 Blattes.
Das Bild ist über Jahrhunderte im Familienbesitz gewesen, es wurde 1937 bei Christie's verkauft. 1940 kaufte es die holländische Historikerin Dr. Maria Elisabeth Kronenbergh bei Frederik Muller in Amsterdam, es wurde ihr als ein Porträt von Sir Philip Sidney verkauft. 1981 erwarb das Rijksmuseum das Bild. Es wird dem Rijksmuseum nicht gefallen, dass eine bis dato unbekannte Kunsthistorikerin namens Cathy J. Reed im British Art Journal behauptet, das Bild stelle Robert Devereux, den zweiten Earl of Essex, dar. Nun ist das British Art Journal nicht das Burlington Magazine, man wird das cum grano salis nehmen. Der Aufsatz provozierte einen Artikel einer jungen Kunsthistorikerin namens Céline Cachaud. Sie hat eine schöne Internetseite, die Hillyarde and Co heißt, und da hat sie einen langen illustrierten Artikel zur Frage der Identifikation des melancholischen Herrn auf dem Rasen. Dieser Herr hier sieht aus wie ein Adeliger, ist aber nur ein Goldschmied und limner. Auf einer kleinen runden Miniatur hat sich Nicholas Hilliard so gemalt, wie er sich sieht. Vier Zentimeter klein, aber doch riesengroß: This self-portrait is vain as hell. The picture of his own dapper handsomeness that Nicholas Hilliard created in 1577, when he was about 30, is a revolutionary assertion that artists are stars who belong in the best society, hat Jonathan Jones im Guardian geschrieben.
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