Mittwoch, 16. Mai 2018

Tom Wolfe


Ich war zwei Monate als Blogger im Internet, da gratulierte ich Tom Wolfe zum 79. Geburtstag. Ich hätte ja noch ein Jahr bis zum 80. warten können, aber ich wusste nicht, ob ich dann noch Blogger sein würde oder Tom Wolfe noch leben würde. Er hat noch lange gelebt, vorgestern ist er im Alter von 88 Jahren gestorben. Dennoch war der Märztag 2010 eigentlich sein 80. Geburtstag, ich war nur durch falsche ↝Jahreszahlen getäuscht worden. Wikipedia (deutsch) hält immer noch fälschlicherweise am Geburtsjahr 1931 fest. Der ↝Post vom 2. März 2010 war nicht das einzige Mal, dass der Mann aus den Südstaaten hier einen Auftritt hatte, geben Sie mal seinen Namen in das kleine Suchfeld ein. Es ist erstaunlich, wo er auftaucht. Natürlich in Posts wie ↝Ärmelfutter und ↝Dichtermode, weil ihn Mode mehr interessierte als jeden anderen amerikanischen Schriftsteller. Vielleicht mit Ausnahme von ↝Frederick Seidel. Ich stelle den Post aus dem Jahre 2010 hier noch einmal ein, ich hatte damals noch nicht so viele Leser.

Herzliche Glückwünsche an das whizz kid aus Richmond! Thomas Kennerly Wolfe, Jr. wird heute 79. Er hat sich Tom genannt, weil er nicht mit dem anderen berühmten Thomas Wolfe verwechselt werden wollte. Der, der bei seinem Besuch in Berlin ↝Ernst Rowohlt unter den Tisch getrunken hat. Und diesen Koffer voll Manuskriptseiten abgeliefert hat, aus denen Maxwell Perkins bei Scribners dann Look Homeward, Angel heraus sortieren durfte. Nein, dies ist der Tom Wolfe, der körperlich klein, aber geistig ganz groß ist. Der sich in den siebziger Jahren seinen ersten weißen Anzug bei Vincent Nicolosi in New York machen ließ und seitdem Nicolosis treuester Kunde ist. Die weißen Anzüge sind sein Markenzeichen geworden, schon Mark Twain hatte das erkannt, dass ein weißer Anzug einen großen Wiedererkennungswert hat. Er hat in Yale studiert, hat sogar einen PhD Titel. Begann als Journalist und hat den New Journalism erfunden. Heute assoziiert man ihn mit The Bonfire of Vanities, zu dessen theoretischer Untermauerung er einen langen Essay, ↝Stalking the Billion-footed Beast, geschrieben hat. Rückkehr zum Roman des 19. Jahrhunderts, zu Dickens und (vor allem) Zola war das Rezept, das Dr Wolfe den amerikanischen Schriftstellern verordnete.

Als er noch keinen weißen Anzug trug, hat er The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby geschrieben und den Geist der Sixties eingefangen wie kein zweiter. Ein hypernervöser, vibrierender Stil, geeignet zur Beschreibung von hot rod cars, Las Vegas und Junior Johnson, dem last American Hero. Später werden die American heroes in The Right Stuff wieder auftauchen und ↝Chuck Yeager et al. heißen. Tom Wolfe hat den Begriff New Journalism erfunden und auch einen Sammelband mit einem intelligenten Vorwort über die Anreicherung der Reportage mit literarischen Mitteln versehen. Er war nicht der einzige, der damals so schrieb, auch Hunter S. Thompson hatte es drauf. Und Norman Mailer in The Armies of the Night. Oder die hierzulande weniger bekannte ↝Joan Didion, die eigentlich immer gut ist. Truman Capote sprang auch noch in letzter Minute auf den Zug der non-fiction novel auf und schrieb In Cold Blood. Aufregende Zeiten für die amerikanische Literatur.

Nach den Erfolgen seiner ersten Bücher gab ihm sein Verlag eine carte blanche, und er durfte schreiben worüber er wollte. Er schrieb über Kunst, moderne Kunst und die Kunstkritiker, the kings of cultureburg. Sein Buch The Painted Word war eine Frontalattacke auf alles, was die amerikanische Kunst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs produzierte. From Bauhaus to Our House demontiert süffisant die Idolatrie der ↝Bauhaus Architektur: O Beautiful, for spacious skies, for amber waves of grain, has there ever been another place on earth where so many people of wealth and power have paid for and put up with so much architecture they detested as within thy blessed borders? Und er beantwortet die rhetorische Frage, in die er Katharine Bates' America the Beautiful eingebettet hat, mit einem lakonischen I doubt it seriously.

So lesenswert Romane wie Bonfire of the Vanities und A Man in Full sind, ich finde die Essays von The Kandy-Kolored Tangerine-Flake Streamline Baby und den nachfolgenden Büchern besser. Aber am besten gefällt mir der Tom Wolfe, der der Kunstkritiker und der Literaturkritiker ist. In The Painted Word, in From Bauhaus to Our House, dem Vorwort zu The New Journalism, dem Stalking the Billion-footed Beast und der Jefferson Lecture von 2006. Diese Institution des National Endowment for the Humanities gibt es seit 1972, die crème de la crème Amerikas hat da in Washington gesprochen. Und Tom Wolfe hatte da einen Höhepunkt, als er über La bête Humaine sprach. Ist besser als alles, was amerikanische Präsidenten in letzter Zeit gesagt haben.

Happy birthday, Tom, and many happy returns!

Da der Post damals mit der Erwähnung von amerikanischen Präsidenten endete, sollte ich vielleicht sagen, dass Tom Wolfe, der immer so hip und links wirkt, in Wirklichkeit ein knallharter Konservativer ist. Ich weiß, dass ich damit unser aller Tom Wolfe Bild kaputt mache. Er bewunderte Ronald Reagan (one of the greatest presidents ever) und George W Bush. Donald Trump hat er a lovable megalomaniac genannt. Ich habe in dem Post aus dem Jahre 2010, der nicht häufig gelesen wurde, nichts geändert, nur einige Links eingfügt. Zum Beispiel zu Wolfes programmatischem Aufsatz ↝Stalking the Billion-footed Beast. Tom Wolfe hat sich immer wieder zum Verhältnis des von ihm geprägten New Journalism geäußert. Dass diese neue Form des Schreibens would wipe out the novel as literature’s main event ist wohl ein klein wenig übertrieben. Ich kann hier noch Tom Wolfe aus dem Jahre 1972 mit einem ↝Artikel anbieten, wo er die Entstehung des New Journalism beschreibt.

Ich habe vor Jahrzehnten mal ein Seminar über Tom Wolfe und den ↝New Journalism gemacht. Eine meiner Studentinnnen, die über The Bonfire of the Vanities eine Seminararbeit schreiben wollte, machte etwas Erstaunliches. Sie schrieb dem Professor Dietrich Schwanitz einen Brief, in dem sie sagte, ihr Dozent hätte gesagt, dass sein Roman Der Campus bei Tom Wolfe abgekupfert sei. Professor Schwanitz warf den Brief nicht in den Papierkorb. Nein, er antwortete. Er wolle die Seminararbeit erst sehen, bevor er sich dazu äußere. Die Studentin schickte ihm ihre Arbeit, und Schwanitz schrieb eine lange Stellungnahme, weshalb er was bei Tom Wolfe übernommen hatte. Die Studentin pappte das an ihre Arbeit dran. Bekam natürlich eine eins dafür. Das hätte Tom Wolfe sicher amüsiert.

Dienstag, 15. Mai 2018

Italian light on English walls


Lovely indeed the mimic works of art; ⁠
But nature's works far lovelier. I admire ─
None more admires ─ the painter's magic skill,
Who shows me that which I shall never see,
Conveys a distant country into mine,
And throws Italian light on English walls


Darum geht es den Engländern jetzt im ↝18. Jahrhundert, ein wenig vom Lichte Italiens an den Wänden zu haben, wie es ↝William Cowper in The Task dichtet. Man hat ja sonst schon viel Italien zu Hause, weil man in ↝palladianischen Villen wohnt und sich von ↝Agenten in Rom antike Plastiken nach England schmuggeln lässt. Wenn man einen Maler braucht, der einem das Licht Italiens auf die Gemälde bringt, bietet sich Richard Wilson an, ein Waliser, der lange in Rom gelebt hat. Und der, als er nach England zurückkehrt, international berühmt ist.

Ich möchte mit diesem kleinen Post daran erinnern, dass ↝Richard Wilson, der Vater der englischen Landschaftsmalerei, heute vor dreihundert Jahren geboren wurde. Und ich hätte sicherlich auch einen langen schönen ➽Post zu ihm geschrieben, wenn ich das nicht schon vor einem Jahr getan hätte. Das schrieb ich am 1. August 2014 in dem Post ↝Phillis Wheatley. Der walisische Maler Richard Wilson ist am 15. Mai 1782 gestorben, er war der Begründer der britischen Landschaftsmalerei. I recollect nothing so much as a solemn - bright - warm -  fresh landscape by Wilson, which swims in my brain like a delicious dream, schrieb ↝John Constable, nachdem er dieses Bild von Wilson gesehen hatte.

Phillis Wheatley, die man von Afrika nach Amerika verschleppte, ist als schwarze Sklavin bei John und Anne Wheatley in Boston aufgewachsen. Ihren Vornamen hat sie nach dem Schiff bekommen, das sie im Alter von sieben Jahren von Afrika nach Amerika gebracht hat. 1773 hat sie den Sohn der Wheatleys nach England begleitet, wo sie als Wunderkind herumgereicht wurde. Ihr Gedicht ↝On being brought from Africa to America ist noch heute in jeder amerikanischen Gedichtsammlung. Dies Bild von Richard Wilson hat sie bei dem Earl of Dartmouth gesehen. Sie musste gleich ein Gedicht zu dem Bild schreiben:

Thou who did'st first th' ideal pencil give,
and taught'st the painter in his works to live,
inspire with glowing energy of thought,
What Wilson painted, and what Ovid wrote.

Das Gedicht geht jetzt ↝hier noch weiter, Dichter im 18. Jahrhundert sind nicht für ihre Kürze bekannt. Die Landschaft mit Niobe ist der Beginn der englischen Landschaftsmalerei, und vielleicht beginnt jetzt auch schon die Landschaftsmalerei der englischen Romantik. Das Bild macht nicht nur Eindruck auf die junge Phillis Wheatley, es wurde weithin bekannt. Weil es diesen Stich von William Woollett gab, einen Stich (der wie alle Stiche seitenverkehrt ist) von erstaunlicher Qualität.

Ihrem Gastgeber William Legge, dem zweiten Earl of Dartmouth, wird Phillis Wheatley auch ein ↝Gedicht widmen. Er ist ein einflussreicher Mann, der gerade Staatssekretär für die Kolonien (die sich 1773 noch nicht von England losgesagt haben) geworden ist. Er wird auch dafür sorgen, dass John Newton, der ↝Amazing Grace schrieb, eine Anstellung findet. Dartmouth ist nicht nur Politiker, der den Wünschen der Amerikaner wohlwollend gegenüber steht, er ist auch Philanthrop und Kunstsammler. Er wird bei seiner ↝Grand Tour 1752-1753 in Rom Bilder bei Richard Wilson bestellen, die alle ein wenig nach ↝Claude Lorrain aussehen.

Dies hier nicht, hier ist kein Platz für einrahmende Bäume links und rechts, das ist der Llyn-y-Cau Bergsee des Cader Iris. Richard Wilson hat den Berg bestiegen und ihn gemalt, niemand hatte das vor ihm gemacht. Kenneth Clark in ↝Landscape into Art über Wilson gesagt: Claude, on the other hand, gave to English painting a simpler scaffolding on which the native school could build. There was something in Claude's gentle poetry, in his wistful glances at a vanished civilisation and in his feeling, that all nature could be laid out for man's delight, like a gentleman's park, which appealed particularly to the English connoisseurs of the eighteenth century.

Sometimes his principles of composition, with their wings and stage trees, offered too easy a formula; but Wilson, at his best, understood the two chief lessons of Claude, that the centre of a landscape is an area of light, and that everything must be subordinate to a single mood. As a result, although by no means a skilful artist, Wilson is a true minor poet, a sort of William Collins,writing his Ode to Evening in classic metre and with fresh perception.

Dieses Portrait von Wilson hat sein Kollege Anton Raphael Mengs gemalt, er nahm dafür kein Geld, er wollte nur eins der Landschaftsbilder von Wilson haben. Als der Maler Francesco Zuccarelli ein Landschaftsbild von Wilson sah, riet er ihm, bei der Landschaftsmalerei zu bleiben. Ähnliches riet ihm Horace Vernet. Der sogar Bilder von Wilson in seinem Studio ausstellte. Als Wilson in der Mitte des Jahrhunderts nach London zurückkehrt, ist er berühmt. Wilson hat das Gemälde später an seinen Mäzen Sir Watkin Williams-Wynn verkauft, zusammen mit vier Landschaftsbildern. Da war der Mitbegründer der Royal Academy schon an den Suff gekommen und bekam keine Aufträge mehr. Bei seinem Tod dichtete Peter Pindar:

But, honest Wilson, never mind;
Immortal praises thou shalt find,
And for a dinner have no cause to fear.
Thou start'st at my prophetic rhymes:
Don't be impatient for those times;
Wait till thou hast been dead a hundred year
.

Es gibt mit ↝Richard Wilson Online eine einmalig gute Seite zu Wilson im Internet. Als ich da drin geblättert hatte, sagte mir ein kleiner böser Geist: Teste mal die ↝Kunsthalle Bremen. Die habe ich ja schon mehrfach verspottet, weil sie es nicht fertigkriegen, ihren ↝Online Katalog ins Internet zu bekommen. Und was war? Sie ahnen das schon: Durch die Umstellung unserer Internetseiten ist der Katalog vorübergehend nicht erreichbar. Wir bitten um etwas Geduld!

Sonntag, 13. Mai 2018

Hamburger Sport-Verein


Es ist schon länger her, dass jemand dichtete:

Wir war’n einst die Macht im Norden,
und sind jetzt so klein geworden,
Du aber, Du ganz alleine,
stell uns wieder auf die Beine,
der HSV, ganz zweifelsfrei,
gehört doch nicht in Liga zwei.


Nun ist es doch passiert, nach 54 Jahren steigt das letzte Gründungsmitglied der Bundesliga ab. Es ist traurig. Obgleich ich aus Bremen komme und mehr Zeit im Weserstadion als am Rothenbaum oder im Volksparkstadion verbracht habe, tut es mir doch ein wenig weh mit dem Untergang des HSV. Ich habe ↝Uwe Seeler zum ersten Mal in einem Spiel Schüler Hamburg gegen Schüler Bremen gesehen. Damals kannte niemand seinen Namen, aber alle Zuschauer waren überzeugt: Aus dem wird noch mal was. Ich habe den HSV 1957 bei dem Spiel gesehen, das Uwe Seeler als das denkwürdigste Spiel seiner Karriere bezeichnet hat (das hat ↝hier natürlich schon einen Post). Damals sah Randale auf dem Platz noch so aus. Uwe Seeler war wegen einer unberechtigten roten Karte vom Platz geflogen, der Schiedsrichter konnte mal gerade eben lebend die Kabine erreichen, und der HSV durfte nicht am Rothenbaum spielen, sondern musste ins Bremer Weserstadion umziehen.

Ich habe die ↝Alten Herren des HSV auf der Waldwiese in Kiel gegen eine Auswahl von Schleswig-Holstein spielen sehen. Die Helden von einst waren ein klein wenig langsamer, aber sie haben gewonnen. Hätte man beim HSV die Senioren aufs Spielfeld schicken sollen? Uwe Seeler hat gestern gesagt, dass er sich selbstverständlich auch die Zweitligaspiele angucken wird. Grummelte dann aber noch etwas, was man als Kritik an der Vereinsführung verstehen konnte. Und da liegt der Dollpunkt. Seit Jahren. Ich lasse das mal lieber weg, Dietmar Beiersdorfer habe ich ↝hier schon mal beleidigt. Wenn das mit dem Fußball nichts mehr ist, dann könnte man es beim HSV ja noch mit dem englischen Nationalsport Cricket (der ↝hier einen vielgelesenen Post hat) versuchen, seit dem Jahre 2000 hat der Verein eine eigene Cricketabteilung.

Natürlich ist man hinterher immer schlauer. Man wäre wohl besser beraten gewesen, statt Hollerbach, der immer nur ein übler Rupper war, gleich Christian Titz einzustellen. Siebzehn Trainer in elf Jahren sind kein Zeichen für Kontinuität und Stabilität. Hätten sie jemanden wie Heynckes gehabt, wären sie nicht abgestiegen.

In dem Post ↝Uwe Seeler konnte man vor zwei Jahren ein wunderbares kleines ↝Video der Gruppe LaleLu anklicken. Das habe ich in dem Post ↝Hammonia - Harmonia ? noch einmal gebracht. Klicken Sie es doch einmal an. Und da wir beim Anklicken sind, heute Nacht gab es für den Blog Silvae die schöne Zahl von 3,9 Millionen Lesern.

Samstag, 12. Mai 2018

Fritz Mackensen


Worpswede. Zuerst nur eine Ahnung am Horizont. Da hinten neben dem Weyerberg musste es sein, als Gustav und mein Vater an dem Spätsommertag die Bauern überredet hatten, für uns im ↝Moor Torf zu stechen. Dann zum ersten Mal wirklich: vorne auf dem Kindersitz von Vaddis Fahrrad. Der Schäferhund lief nebenher. Als wir den Opel hatten, immer wieder sonntags zum Kaffee Verrückt. Oma freute sich auf den Kaffee HAG in den kleinen eleganten Tassen. Opa moserte über die Roten, die hier angeblich noch überall waren. Seinen Stahlhelmkameraden Mackensen erwähnte er nie. Später im Winter, wenn Hamme und Wümme zugefroren waren, mit Schlittschuhen nach Worpswede. Als ich den Führerschein hatte, immer wieder mal schnell mit dem Auto hin, über Ritterhude, am Dammgut vorbei und dann die endlos scheinende Moorstraße entlang. Kunst war da nicht mehr, Kommerz schon.

Fritz Mackensen, der Mann, der Worpswede entdeckte, ist am 12. Mai 1953 in Bremen gestorben, arm, krank und vereinsamt. Ein Jahr zuvor hatte der Ehrenbürger Worpswedes das Bundesverdienstkreuz erhalten. Bundespräsident ↝Heuss selbst brachte es ihm nach Worpswede. Da kam für einen Augenblick ein wenig Kultur in die protzige Villa am Weyerberg, die sich Mackensen 1901 von seinem Bruder Albert hatte bauen lassen. Sie war niemals wie der Barkenhof ein Zentrum der künstlerischen Welt. Heinrich Vogeler, dem das alles nicht gefällt, schreibt an Paula Becker nach Paris: Dabei ist hier alles trostlos geworden. Worpswede wird Villencolonie. Es wird noch trostloser.

Als die Engländer 1945 Worpswede besetzten, begrüßte der 79-jährige Major a.D. Mackensen sie mit dem Hitlergruß und rief Sieg Heil. Die Limeys schossen ihm dann die Bilder von der Wand.
Worpswede hat ein schweres ↝Erbe mit seinem Entdecker. Der Leutnant a.D. des Ersten Weltkriegs spaziert mit seinem Schleppsäbel durchs Dorf. Er denunziert 1919 seinen Malerkollegen Heinrich Vogeler 1919 bei den Behörden und vertreibt↝Otto Ubbelohde aus Worpswede. Er war nicht von Anfang an überzeugter Nazi. Im Stahlhelm war er und im antisemitischen Kampfbund für deutsche Kultur, in die ↝NSDAP trat er erst 1937 ein (Martha Overbeck im gleichen Jahr auch), war aber schon 1933 in der SA gewesen.

Er hielt sich in den dreißiger Jahren ein wenig zurück, und er hatte einen Grund für seine Zurückhaltung, nämlich seine Tochter Alexandra. Hier hat er sie 1938 gemalt, da ist sie dreißig Jahre alt, eine schöne Frau. Seit vier Jahren lebt sie bei ihrem Vater, die Jahrzehnte davor hat sie in einem Heim gelebt. Geistig behindert. Vor der Zwangssterilisation hat Mackensen sie nicht  bewahren können, aber jetzt kümmert er sich um sie. Es ist ein wunderschönes Bild, zeitlos, vielleicht mit einem Touch Expressionismus. Dies Bild wird dem Original nicht gerecht, es gibt weder das wunderbare Karmesinrot der Bluse noch das Gesicht von Alexandra richtig wieder. Auch wenn die Farben falsch sind, es bleibt ein schönes Bild. Ein Bild, das in völligem Gegensatz steht zu der Tristesse der Moorbilder und den Propagandabildern, die er für die Nazis gemalt hat. Es ist vielleicht das modernste Bild, das er je gemalt hat. Im gleichen Jahr, in dem er seine Tochter portraitiert, malt Mackensen im Auftrag der Reichskulturkammer das Bild ↝Eine gesunde deutsche Familie und bekämpft als Ausstellungsleiter des Niederdeutschen Malertages alle modernen Tendenzen in Worpswede.


Noch mehr Worpswede hier: Worpswede, Heinrich VogelerFritz OverbeckKunsthalle BremenNiedersachsenstein, Richard OelzeKiautschouSchlittschuhlaufen, Rönnebeck, Manfred HausmannCato Bontjes van Beek, Otto UbbelohdeWilli Vogel

Freitag, 11. Mai 2018

Puffhunde


Ich stolperte durch Zufall in die Sendung Bares für Rares, Sie kennen die vielleicht. Das ist die ↝Sendung mit dem unerträglich schmierigen Horst Richter, der immer Hallöchen sagt. Das ZDF ist ja bannig stolz auf die Sendung, die eine klägliche Imitation von Sendungen wie Antiques Roadshow der BBC ist. Das ZDF war auch richtig beleidigt, als Fachleute enthüllten, dass alles an Horst Lichters Sendung getürkt ist. Wir lassen das mal beiseite und kommen zu den titelgebenden Puffhunden. Heute wollte in der Sendung jemand ein Paar der possierlichen Tierchen verkaufen, die waren aber nicht wirklich alt, einer war beschädigt, eigentlich waren sie nichts wert. Aber die Sache hatte einen Nebeneffekt: innerhalb von einer Stunde wurde der Post ↝Kapitänshunde in diesem Blog hundert Mal angeklickt. Können Sie auch tun, der Post (der schon beinahe 10.000 Mal gelesen wurde) ist kunsthistorisch seriös. Und Sie werden auch nicht mit Hallöchen begrüßt.

Waidmannsheil


Dieses Bild von Thomas Gainsborough zeigt einen englischen Gentleman bei der Jagd. Wir wissen, wer er ist, er heißt Thomas William Coke (spricht sich Cook aus). Er weigert sich geadelt zu werden: I had rather remain the first of the ducks than the last of the geese. Irgendwann nimmt er doch den Titel eines Earl of Leicester an. Der einfache Mr Coke, den seine Zeitgenossen auch Coke of Norfolk nennen, ist Großgrundbesitzer und hat mit dem geerbten Familiensitz Holkham Hall eins der schönsten palladianischen Schlösser Englands. Die Familie wohnt da ↝heute noch.

Grundbesitzer sind viele Adlige in dieser Zeit. Und viele werden sich auf ihren Besitzungen in der Pose eines Jägers malen lassen. Aber niemand ist wie Mr Coke, der natürlich in Eton und auf einer ↝Grand Tour war. Er ist einer der wichtigsten Landwirtschaftsreformer Englands im 18. Jahrhundert, der noch horribile dictu daran glaubt, dass es zu den Pflichten eines Großgrundbesitzers gehört, das Leben derer zu verbessern, die auf seinen Gütern leben. Dafür tritt er (hier auf einem späteren Bild von Thomas Lawrence) auch im Parlament ein.

Was er auf diesem Bild trägt, ist die Mode des 18. Jahrhunderts für den Landedelmann (zu diesem Thema gibt es ↝hier einen Post). Aber es ist noch mehr. Coke hat sich von Gainsborough in der Kleidung malen lassen, in der er als Abgesandter Norfolks vor den König getreten war: As Knight of the Shire he had not only the right to wear his spurs in the House, but a further right to attend Court " in his boots," i.e. in his country clothes; which latter privilege, however, was seldom, if ever, exercised. But on this occasion Coke availed himself of it, and appeared unceremoniously before the King wearing his ordinary country garb. It was an extremely picturesque: dress top-boots with spurs, light leather breeches, a long-tailed coat and a broad-brimmed hat; but it caused the greatest horror at Court, and neither the matter nor the manner of the address was palatable to George III. Noch schlimmer für den König als der Anzug von Coke war die Tatsache, dass er wortgewaltig für die Sache der Revolutionäre in Amerika eintrat.

Coke war schon einmal in diesem Blog, in einem ↝Post, der seinem Sohn von Thomas William Coke gewidmet war. Der hat nämlich den Bowler erfunden. Ich habe noch ein zweites Bild von einem englischen Gentleman bei der Jagd aus der gleichen Zeit wie Gainsboroughs Bild. Es heißt Reclining Hunter, es wurde von dem amerikanischen Maler Ralph Earl gemalt. Der wurde 11. Mai 1751 geboren, ich dachte, ich schreibe mal über ihn. Musste dann aber feststellen, dass es hier längst einen Post namens ↝Ralph Earl gab. Wo allerdings der Reclining Hunter nicht erwähnt wurde.

Das Philadelphia Museum of Art hat über das Bild, das man auch als Duschvorhang kaufen kann, nur zu sagen: Ralph Earl studied in England for several years during the American Revolution and was one of many American painters of the time who included natural scenes in his compositions. This enigmatic depiction of a reclining hunter suggests the emerging English view of the natural world as a place of repose and contemplation, where the beauties and pleasures of the countryside could be enjoyed. Das ist nun ein wenig ärmlich, man könnte mehr zu dem Bild sagen. Viel mehr.

Der Gentleman, der hier bei der Jagd ein Päuschen einlegt, trägt andere Kleidung als Thomas William Coke. So etwas kann man in der Stadt tragen, vielleicht noch beim Lustwandeln in einem ↝Landschaftsgarten, aber nicht bei der Jagd. Und das, was der Gentleman mit dem leicht verblödeten Gesichtsausdruck (oder ist er schlicht besoffen?) erjagt hat, würde kein Jäger jagen. Wir lassen den Esel im Hintergrund aus, der seine Beute geworden ist, aber diese Vögel, die da auf einen Haufen geworfen sind, die jagt man nicht. Man schießt keine Eulen und keine Schwäne. Wahrscheinlich sind auch die Pilze in seinem Hut Gilftpilze.

Gainsborough hat eine Vielzahl von Herren gemalt, die mit ihren Hunden auf ihrem Grundbesitz unterwegs sind. Ihre Kleidung passt sich der Umgebung an. Sie sind nicht für die Großstadt gekleidet, dafür haben sie ein Stadthaus und haben dort die passende Garderobe im Schrank. Dies hier ist George Venables, der zweite Lord Vernon, im dreiteiligen Anzug, dem justacorps, den die englische Mode seit Charles II kennt. Er war schon in dem Post ↝18th Century: Fashion zu sehen. Die Westen, die jetzt gilets heißen (sie kommen meistens aus Frankreich), sind nicht mehr aus dem selben Stoff wie der Rest des Anzugs, négligé clothing wird es genannt. Ist nichts anderes als dressing down, machen die Engländer auf dem Land immer noch.

Während ↝Mr und Mrs Andrews in dem berühmten Bild in der Landschaft stehen, als wäre es eine Bühne für sie, zeigt dieser Herr eine seltsame Naturverbundenheit, er ist beinahe eine Verdoppelung des Baumes. Mr John Plampin, der Grundbsitz und Schloss in Suffolk geerbt hatte, wollte so auf seinem Besitz gemalt werden. Ein wenig the man of feeling, eins mit der Natur. Gainsborough hat das Bild nach einem Bild von Watteau gemalt.

Lassen Sie uns zu dem Bild von Ralph Earl zurückkommen. Das ist wahrscheinlich die reine Satire, eine Parodie eines in England gepflegten Bildtyps. Ralph Earl ist der bad boy der Amerikaner in England, ein habitueller Lügner, ein Säufer und Bigamist. Er kann nicht so gut malen wie ↝John Singleton Copley oder ↝Gilbert Stuart, Körperproportionen stimmen bei ihm nie, wie man auf diesem Selbstportrait sehen kann. Er ist gut in Kleinigkeiten, die Kleidung der Portraitierten ist immer sehr detailgetreu. Dr Caroline  Koblenzer, die das Bild des Reclining Hunter dem Museum in Philadelphia geschenkt hat, hat eine interessante Interpretation geliefert: dies sei ein selbstironisches Portrait eines Mannes, der wisse, dass er in seinem Leben alles falsch gemacht hat.

Donnerstag, 10. Mai 2018

Himmelfahrt


Am einem 10. Mai ist Bachs Kantate Auf Christi Himmelfahrt allein in Leipzig erstmals aufgeführt worden. Es war wie heute ein Himmelfahrtstag. Bach komponierte sie nach einem Text der Leipziger Dichterin Christiana Mariana von Ziegler, die auf einem ↝Text des Barockdichters Josua Wegelin beruht. Bach, der im Salon der Zieglerin verkehrte, hat neun ihrer geistlichen Kantaten vertont, über die sie sagte: Gott zu Ehren, dem Verlangen guter Freunde zur Folge und vieler Andacht zur Beförderung habe ich mich entschlossen, gegenwärtige Cantaten zu verfertigen. Ich habe solches Vorhaben desto lieber unternommen, weil ich mir schmeicheln darf, daß vielleicht der Mangel der poetischen Anmuth durch die Lieblichkeit des unvergleichlichen Herrn Capell-Meisters Bachs dürfte ersetzet, und diese Lieder in den Haupt-Kirchen des andächtigen Leipzigs angestimmt werden.

Auf Christi Himmelfahrt allein
ich meine Nachfahrt gründe
und allen Zweifel, Angst und Pein
hiermit stets überwinde;
denn weil das Haupt im Himmel ist,
wird Seine Glieder Jesus Christ
zur rechten Zeit nachholen.

Weil Er gezogen himmelan
und große Gab empfangen,
mein Herz auch nur im Himmel kann,
sonst nirgends, Ruh erlangen;
denn wo mein Schatz gekommen hin,
da ist hinfort mein Herz und Sinn,
nach Ihm mich stets verlanget.

Ach, Herr, lass diese Gnade mich
von Deiner Auffahrt spüren,
dass mit dem wahren Glauben ich
mag meine Nachfahrt zieren
und dann einmal, wann Dir's gefällt,
mit Freuden scheiden aus der Welt.
Herr, höre doch mein Flehen

Bachs Musik gibt es ↝hier natürlich auch.