Mittwoch, 10. September 2014

Rönnebeck


Da hat er gewohnt, in Bremen-Rönnebeck. Das Haus kenne ich, hübsch am Steilufer gelegen, mit Blick über die Weser. Mit den Worten des Hausbesitzers klingt das so: Als ich mich im Jahre 1950 entschloß, dem Künstlerdorf Worpswede den Rücken zu kehren und im Blumenthaler Ortsteil Rönnebeck für meine Familie und mich auf dem Steilufer der Unterweser ein Haus zu bauen, da fragten die Freunde – soweit sie die Gegend noch nicht kannten – warum ich denn gerade diese Stätte gewählt hätte. […] In Blumenthal spüre ich den Atem der See und die Grenzenlosigkeit der Welt. Aber auch zugleich den Duft der Wiesen und Wälder in der freien Landschaft. Ich spüre die Lust der weiten Horizonte und zugleich die Wohltat einer heimatlichen Geborgenheit. Was will ich mehr?! 

Wenn irgendein Blumenthaler behaupten würde, In Blumenthal spüre ich den Atem der See und die Grenzenlosigkeit der Welt, dann würde man ihn zu Recht für total bescheuert halten. Die Nordsee ist fünfzig Kilometer weg, wie soll man hier den Atem der See spüren? Aber diesem eloquenten Neu-Blumenthaler ließ man das durchgehen. Weihnachten hat er immer in der Farger Kirche gepredigt, da musste man hin. Weil dies kein normaler Pastor war, sondern ein ordinierter Laienprediger, der auch noch ein Dichter war. Seine Andachten haben mir nichts gegeben, an die von dem wortgewaltigen Pastor Hemmelgarn in Grohn kann ich mich noch nach Jahrzehnten erinnern. Als ich in einem Literaturkalender sah, dass der Bremer Dichter Manfred Hausmann heute Geburtstag hat, dachte ich mir, ich sollte etwas dazu schreiben. Ich fange mal mit einem Gedicht an:

Alle Liebenden sind miteinander verwandt

Alle Liebenden auf der weiten Welt
blicken gern schweigend empor zum Sternenzeit.
Alle Liebenden treiben im Leben umher
wie die Geisterschiffe auf gischtendem Meer.
Alle Liebenden, die in der Gnade leben,
sind den Erloschenen gnadenlos dargegeben.
Alle Liebenden lieben die Dunkelheit,
die barmherzig vereint, was der Tag entzweit.
Alle Liebenden sehen in Flur und Wald,
sehen in Blume und Stern die geliebte Gestalt.
Alle Liebenden wachen und suchen sich sacht,
wenn der Regen ans Fenster weht zur Nacht.
Alle Liebenden müssen stündlich erbeben,
weil sie über dem tiefsten Abgrund schweben.
Alle Liebenden lächeln schmerzlich beglückt,
wenn das eine den Schlaf des andern erblickt.
Alle Liebenden sind der Qual geweiht,
die das Unendliche fühlt in der Endlichkeit.
Alle Liebenden sagen dasselbe Gebet:
Gib dem Engel Kraft, der hinter mir steht!
Alle Liebenden, die sich anschaun, erkennen
tausendmal mehr, als tausend Weise benennen.
Alle Liebenden stehn vorm Angesicht
Gottes und erschauern, und fassen es nicht.

Veröffentlicht am 1. Juli 1948 in der Zeit. Da hatte der Mann, der den Nazis sehr nahe stand, aber gerne den Eindruck erweckte, dass er die Innere Emigration erfunden hätte, gerade Thomas Mann übel verleumdet. In einem offenen Brief schrieb er: Im Jahr 1933 hat Thomas Mann in einem langen und bewegten Brief an den damaligen Innenminister Frick mit eindringlichen Worten darum gebeten, aus der Schweiz, wo er damals mit abgelaufenem Pass weilte, ins nationalsozialistische Deutschland zurückkehren zu dürfen. Er verpflichtete sich, so schrieb er, zu schweigen und sich nicht in das politische Getriebe einzumischen. Auf keinen Fall wolle er in die Emigration gehen. Der Brief wurde nicht beantwortet. Und so musste Thomas Mann gegen seinen Willen das Dritte Reich meiden. Damals wäre er also gern ins Hitlerische Deutschland zurückgekehrt. Aber er durfte es nicht. Nichts davon war wahr.

Der Skandal hat Manfred Hausmann nicht geschadet, er wurde, wie es so schön in einem ➱Feature von Radio Bremen heißt, zum Seelentröster der Kriegsgeneration. Und schreibt über die Liebe. Ich habe bei ➱YouTube noch ein Liebesgedicht von Hausmann gefunden. Vertont und bebildert, kitsch as kitsch can. Ein Liebesgedicht aus dieser Zeit ist berühmt geworden, aber das stammt nicht von Hausmann, das ist von Jacques Prévert. Ich zitiere es in diesem Blog gerne, zum Beispiel ➱hier

Ich schreibe in den nächsten Tagen irgendwann noch einmal über Hausmann. Manfred Hausmann Fans lesen das besser nicht. Aber erst einmal soll hier morgen der versprochene Post über die Maßkonfektion stehen.

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