Montag, 7. November 2011

Kiautschou


Heute vor 97 Jahren hat die deutsche Schutztruppe in Kiautschou kapituliert. Ja, da unten am anderen Ende der Welt war auch mal ein kleines Deutschland, eine "Musterkolonie". Geblieben sind davon noch eine Anzahl von eisernen Kanaldeckeln, auf denen Krupp steht. Und eine Bierbrauerei, deutsches Bier ist wichtig, wenn man in China ist. Der deutsche Admiral Meyer-Waldeck wollte zwar die Stadt Tsingtau gegen die Engländer und die Japaner bis zum Äußersten verteidigen, hatte aber bald keine Munition mehr. Aber wenn wir schon dieses Kiautschou verloren hatten, dann hatten wir an der Hamme bei Worpswede doch noch ein kleines deutsches Kiautschou.

Das war zugegeben nur eine Hammehütte mit Restaurationsbetrieb. In deren Nachbarschaft gab es noch andere Hammehütten mit Namen von Kolonialgebieten: Neu-Kamerun, Neu-Helgoland. Jeder Bremer, der im Winter auf der Hamme Schlittschuh lief, kannte diese Namen. Warum diese mickrigen Hammehütten ihre Namen aus der wilhelminischen Kolonialpolitik haben, weiß ich nicht. Größenwahn oder Ironie der Torfbauern? Die Hammehütte Kiautschou hieß auch bis 1925 nach dem Besitzer des Schankbetriebs Albert Puff Puffs Hütte, die Kneipenwirtin hatte den schönen Namen Mudder Puff. Die kleine Kneipe erfreute sich bei Seglern und Motorbootfahrern großer Beliebtheit:

Hamme runter, Hamme ruff,
am besten ist’s bei Mudder Puff.
Ob Regen oder Sonnenschein,
wir kehr’n hier immer wieder ein.
Und ist das Wetter auch mal mau,
erfreuen wir uns an Kiautschau.
Und ist kaputt mal der Motor,
verliern wir doch nicht den Humor.
Die Hauskapelle spielt dazu,
bis wir dann endlich geh’n zur Ruh.
Wir wühlen uns ins Heu hinein
Und schlafen endlich selig ein.

1925 wurde die Hütte von dem Bremer Farbenhändler Hermann Wedermann gekauft, der sie als Wochenendhaus nutzte und seinen Freunden zur Verfügung stellte. Einer seiner Gäste, der ehemalige Feldwebel Hermann Fahlbusch, wurde am 14. Januar 1931 tot in einem Motorboot gefunden. Der Senat der Hansestadt Bremen richtete ihm vier Jahre später ein Staatsbegräbnis aus. Das hatte sein Rechtsanwalt Rüdiger Graf von der Goltz beantragt. Der ist eine etwas zwielichtige Person, aus der ich nicht schlau werde. Er hatte schon Joseph Goebbels verteidigt. Später aber auch Widerständler wie seinen Cousin Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi. Der Starjurist der Nazis konnte nach 1945 ohne Probleme wieder als Anwalt arbeiten.

Wedermann, der 1911 an der Munte den Segelclub Wümme gegründet hatte, war nicht nur ein begeisterter Wassersportler, er war in den zwanziger Jahren auch schon den Behörden aufgefallen, weil er in seinem Schweinestall in der Schwachhauser Heerstraße ein Waffenlager abgelegt hatte. Und die Gäste, die er da seit 1930 beherbergt, sind keine normalen Sommergäste, die die Landschaft des Teufelsmoors und den Anblick der vorbeiziehenden Torfkähne geniessen wollen. Das sind alles Mörder aus den Killerkommandos der Schwarzen Reichswehr, gerade wie Fahlbusch 1930 durch eine Amnestie freigekommen. Nun machen sie, die von der Presse Fememörder genannt werden, Saufgelage im Wochenendhaus des NSDAP Sympatisanten Wedermann. Der erste, der die Mordtaten der Schwarzen Reichswehr aufgedeckt hatte, war Carl Mertens, der die Schwarze Reichswehr in der Weltbühne als die Idealform eines staatsfeindlichen Verbandes bezeichnete. Heute würde so etwas kriminelle Vereinigung heißen. Für Kurt Tucholsky waren es in seiner Rezension von Mertens' Buch Verschwörer und Fememörder die schwärzesten Seiten der modernen Geschichte Deutschlands.

Ein Bremer Pastor namens Julius Bode hielt die Trauerrede, in der er unter anderem sagte: Man muß sich in Ehrfurcht vor diesem Toten neigen, und wer seine vaterländische Besinnung bestreitet, der versündigt sich an August Fahlbusch. Er hat das letzte für sein Vaterland hergegeben. Nur diejenigen sind berechtigt, an seinem Sarge Kritik zu üben, die selbst mit freier Brust für das Vaterland zu kämpfen bereit sind. Mannesmut und Kameradschaft haben ihn wie keinen Anderen beseelt. Schweigend, stark und stolz hat er gehandelt.

Schöne Worte für einen Mörder. Wenn man dem Artikel 'Julius Bode' von seinem Amtsbruder Emil Hackländer in Bremische Biographie 1912-1962 glauben darf, ist Julius Bode der christlichste Christ seit Jesus Christus gewesen. Die Bremer SPD war damals nicht unbedingt dieser Meinung. So hieß es in der Bremer Volkzeitung unter der Überschrift Kirchlicher Segen für einen Doppelmörder: Man kann wirklich nur wünschen, dass die evangelische Kirche recht bald bekannt gibt, ob sie die Mordverherrlichung des Pastors Bode deckt. Sollte das tatsächlich geschehen, so würden alle diejenigen Recht haben, die da behaupten, dass Kirche und wahrhaft christliches Denken und Tun zwei grundverschiedene Dinge sind. Die haben da in der Bremer Kirche erstaunliche Leute, diesen rechtsradikalen Bode und sein Gegenstück, den Pastor Emil Felden, den die Nazis aus dem Amt jagen. Dafür kriegen sie dann den völlig bekloppten Heinz Weidemann als Landesbischof von Nazis Gnaden. Der beste Beweis dafür, dass Kirche und wahrhaft christliches Denken und Tun zwei grundverschiedene Dinge sind.

Dies dunkle Kapitel Bremer (und deutscher) Geschichte ist für den Bremer Historiker Herbert Schwarzwälder, der rechts immer ein bisschen schlecht sah, kein Thema. Die Namen der Beteiligten tauchen weder in seiner vierbändigen Geschichte der Freien Hansestadt Bremen noch in seinem dreibändigen Das Große Bremen-Lexikon auf. Die geheimnisvolle Geschichte mit dem Tod in der Januarnacht im Motorboot ist auch im Internet kaum repräsentiert, das Informativste kommt aus einem Projekt der 11. Klasse vom Fachgymnasium Wirtschaft der BBS Osterholz-Scharmbeck. Da hätte sich Schwarzwälder mal ein Beispiel dran nehmen können.

Karikatur

Ich kenne den seltsamen Namen Kiautschou und die Hammehütte seit meiner Kindheit. Mein Opa machte immer geheimnisvolle Andeutungen, wenn wir da vorbeikamen, er war ja groß in Verschwörungstheorien. Wie alle hier in der Gegend, aber man redete da lieber nicht drüber. Die reden hier sowieso nicht viel. Ist vielleicht auch besser so.

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