Donnerstag, 17. November 2011

Method Acting


Vor hundert Jahren wurde Lee Strasberg geboren. Für viele wäre es besser gewesen, wenn sie nie von ihm gehört hätten. Marilyn Monroe zum Beispiel. Lee Strasberg gehörte zu den Begründern des Group Theatre, und dann hat er das Method Acting erfunden. Er hatte einmal die Schauspieltruppe von Konstantin Stanislawski gesehen, und nun bastelte er sich aus Stanislawskis Theorien seine Method, die er in seinem Actors Studio predigte. Nach der Theorie von Strasberg spielte der Schauspieler nicht einfach eine Rolle, er wurde praktisch zu der Person, die er spielte. Robert De Niro fraß sich 27 Kilo an, um den Boxer Jake LaMotta zu spielen. Natürlich nicht um ihn zu spielen - um Jake LaMotta zu sein.

Englischen Schauspielern ist das Method Acting immer sehr seltsam vorgekommen, though this be madness yet there is method in 't.  Wenn Laurence Olivier Richard III spielte, kam er als Laurence Olivier auf die Bühne und spielte dann Richard. Er war nicht schon morgens beim Frühstück und in allen Wochen zuvor im Privatleben Richard III gewesen. Wenn man sich von einem Augenblick zum anderen verwandeln kann, dann ist man ein Schauspieler. Wenn man sich über Nacht verwandelt, ist man Gregor Samsa. Theater ist die Kunst des schönen Scheins, und das einzige Gesetz der Bühne wurde nicht von Stanislawski oder Strasberg formuliert, sondern von Noel Coward: Just know your lines and don't bump into the furniture. Denn die Schauspielerei ist nichts Großartiges, wie schon Katharine Hepburn sagte: Acting is the most minor of gifts... After all, Shirley Temple could do it when she was four.

Karl Malden hat in seiner Autobiographie die wunderbare Geschichte erzählt, wie er mit Maureen Stapleton Macbeth probt. Lee Strasberg redet stundenlang auf sie ein, um ihnen zu erklären, wer sie sein sollen und wie sie zu spielen haben. Hinterher gestehen die beiden sich irgendwann, dass sie nichts, aber rein gar nichts von den Ausführungen von Strasberg verstanden haben. Und Maureen Stapleton sagt: Let's just play the scene quietly between the of us. Let's do nothing. Und wenn sie das tun, ist Strasberg begeistert und ruft: Now that's what I meant! Wir können die Gedanken der beiden, Either something's wrong with us or something's wrong with him, sicherlich verstehen.

Durch den Mitbegründer des Actors Studio Elia Kazan ist Karl Malden berühmt geworden. Karl Malden gehört zu der Gruppe der Method Actors, und die Filme von Elia Kazan wurden jetzt beinahe nur noch mit Method Actors besetzt. Die Mitglieder des Actors Studio finden jetzt auch aus einem anderen Grund schnell eine Beschäftigung in Hollywood: die Hexenjagd des HUAC und anderer Ausschüsse (wie der des berüchtigten Joe McCarthy) hat hunderte von Schauspielern arbeitslos gemacht. Dazu hatte Elia Kazan - Hollywood's Number One Rat wie die Village Voice titelte - seinen Teil beigetragen. Wenn man so will, sind die Method Actors die Profiteure der paranoiden Kommunistenhatz.

Kazans Filme, wie A Streetcar Named Desire, On the Waterfront und East of Eden, die die fünfziger Jahre prägten, trugen zur Verbreitung von the Method bei. Oder, wie es der Cambridge Companion to American Theatre so schön süffisant formuliert: ...the Studio became renowned as the high temple of the Method. The popular notion of the Studio as a place where the mumble, scratch, and slouch are tokens of integrity derives from film directed by Elia Kazan (A Streetcar Named Desire, 1951; On the Waterfront, 1954; East of Eden, 1955) which feature moody, verbally inarticulate, spectacularly neurotic performances by Studio members as Marlon Brando and James Dean.

Als Julie Burchill noch wirklich gut war und noch keiner gehässig Trendnutte über sie sagte, da hat sie einen hervorragenden Essay über die englische Jugendkultur geschrieben, der den Titel The Method Rhythm hatte. Und da heißt es über die Method: An invitation to self-delusion, the Method offered an opportunity for actors never to have to admit that they were wearing masks, blurring the line between fantasy and reality - ciphers no more! - an attraction that was impossible to resist, both to themselves and their constituency. The method and its practitioners had a more profound effect on white Western teenagers in the Fifties than even rock and roll. The Method achieved the ultimate postwar showbusiness dream - it was bigger than Elvis.

So ein klein wenig Vitriol peppt einen Text doch immer auf. Aber ich habe das nur deshalb abgetippt, weil ich überzeugt bin, dass sie Recht hat. Es geht nicht um Schauspielkunst, es geht um Inszenierung. Lord Byron war darin ein Meister. Aber neben der Selbstinszenierung war er auch noch ein großer Dichter. Sein amerikanischer Namensvetter ist nur ein Meister der Method Acting Selbstinszenierung. Falls Sie es nicht wussten, James Dean hieß mit Vornamen BYRON. Den kleinen Gag konnte ich nicht auslassen.

Ich habe am Anfang Marilyn Monroe erwähnt. Das hat seinen Grund. Weil ich der Überzeugung bin, dass der Scharlatan Strasberg, der kein wirklicher Regisseur, sondern so etwas wie der Bagwan der Actors Studio Sekte ist, ihr Leben versaut hat. Sein ehemaliger Kumpel aus dem Tagen des Group Theatre und den Anfängen des Actors Studio hat über ihn gesagt: The more naïve and self-doubting the actors, the more total was Lee’s power over them. The more famous and the more successful these actors, the headier the taste of power for Lee. He found his perfect victim-devotee in Marilyn Monroe.

Wenn er ein wirklicher Pädagoge gewesen wäre, dann hätte er ihr gesagt: Baby, Du siehst gut aus, Du kannst tanzen und singen, Du kommst im Film gut an - was willst Du mehr auf der Welt? Und hätte sie wieder nach Hause geschickt, statt ihr den teuren Privatunterricht zu geben und sie in die vollständige Abhängigkeit zu treiben. Um dann nach ihrem  Tod zu sülzen: For us, Marilyn was a devoted and loyal friend – a colleague constantly reaching for perfection. We shared her pain and difficulties, and some of her joys. She was a member of our family.... It is difficult to accept the fact that her zest for life has been ended by this dreadful accident. Despite the heights and brilliance she had attained on the screen, she was planning for the future. She was looking forward to participating in the many exciting things. In her eyes, and in mine, her career was just beginning.... She had a luminous quality. A combination of wistfulness, radiance, and yearning that set her apart and made everyone wish to be part of it - to share in the childish naivete which was at once so shy and yet so vibrant.

Die Veröffentlichung von Fragments hat uns eine andere Marilyn Monroe gezeigt, ihre Briefe an Strasberg und seine Frau Paula sind Hilfeschreie des armen Monsters an seinen Dr Frankenstein. Und für die psychologisch geschulten Leser (und wer ist das heutzutage nicht) habe ich noch einen Traum von ihr, den sie in Form eines Gedichts aufgeschrieben hat. In dem sie sich vorstellt, dass Strasberg sie operiert. Und dann all ihre Probleme verschwunden sind:

Best finest surgeon—Strasberg
to cut me open which I don’t mind since Dr. H
has prepared me—given me anaesthetic
and has also diagnosed the case and
agrees with what has to be done—
an operation—to bring myself back to
life and to cure me of this terrible disease
whatever the hell it is—













Und wenn die Chirurgen ihres Traumes (Dr H ist ihre Psychiaterin Dr Margaret Hohenberg, eine Freundin von Strasberg) sie aufgeschnitten haben, finden sie NICHTS:

and there is absolutely nothing there—
Strasberg is
deeply disappointed but more even—
academically amazed
that he had made such a mistake. He
thought there was going
to be so much—more than he had ever
dreamed possible …
instead there was absolutely nothing—
devoid of
every human living feeling thing—
the only thing
that came out was so finely cut sawdust—like out of a raggedy ann doll—and the sawdust
spills
all over the floor & table and Dr. H is
puzzled
because suddenly she realizes that this is a
new type case. The patient … existing
of complete emptiness
Strasberg’s dreams & hopes for theater
are fallen.
Dr. H’s dreams and hopes for a permanent
psychiatric cure
is given up—Arthur is disappointed—
let down +


Ich lasse das mal unkommentiert so stehen und gebe Marilyn das letzte Wort. Mit einem kleinen Gedicht, das wiederum aus Fragments stammt:

on the screen of pitch blackness
comes/reappears the shapes of monsters
my most steadfast companions …
and the world is sleeping
ah peace I need you—even a
peaceful monster.


Marilyn Monroes Tapfer lieben: Ihre persönlichen Aufzeichnungen, Gedichte und Briefe (S. Fischer 2010), die Übersetzung von Fragments, lohnt die Lektüre unbedingt. Wenn Sie keine 24,95 € dafür ausgeben wollen, dann lesen Sie doch diesen hervorragenden ➱Essay, den Sam Kashner für Vanity Fair geschrieben hat.

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