Mittwoch, 30. November 2011

Jonathan Swift


Der große Spötter und Satiriker Jonathan Swift hat heute Geburtstag. Vieles von dem, was er schrieb, hat immer noch seine Bedeutung. Bei A Modest Proposal for Preventing the Children of Poor People in Ireland From Being a Burden on Their Parents or Country, and for Making Them Beneficial to the Publick müsste man nur Irland aus dem Titel streichen, es würden sich Länder finden lassen, in denen heute die Verhältnisse nicht viel anders sind. Gulliver's Travels lebt heute noch als Kinderbuch. Was es nie gewesen ist. Libertatis Vindicatorem hat er als Zeile für sein Epitaph geschrieben, He served human liberty hat Yeats es übersetzt. Zur Feier seines Geburtstags gibt es hier heute ein kleines Gedicht, das immer noch aktuell ist:

Advice to the Grub Street Verse-writers

Ye poets ragged and forlorn,
Down from your garrets haste;
Ye rhymers, dead as soon as born,
Not yet consign'd to paste;
I know a trick to make you thrive;
O, 'tis a quaint device:
Your still-born poems shall revive,
And scorn to wrap up spice.
Get all your verses printed fair,
Then let them well be dried;
And Curll must have a special care
To leave the margin wide.

Lend these to paper-sparing Pope;
And when he sets to write,
No letter with an envelope
Could give him more delight.

When Pope has fill'd the margins round,
Why then recall your loan;
Sell them to Curll for fifty pound,
And swear they are your own.

Nach fünfzig Jahren brauchen literarische Texte Fußnoten zum besseren Verständnis, hat Dr Johnson gesagt. Wie recht er doch hat. Manche Texte brauchen schon bei ihrem Erscheinen Fußnoten. Die Grub Street ist nach der Definition von Samuel Johnsons Dictionary: originally the name of a street... much inhabited by writers of small histories, dictionaries, and temporary poems, whence any mean production is called grubstreet. Oder, um es mit den Versen eines Anonymus im Grub Street Journal zu sagen:

Court fools and poets once illustrious lived:
With different titles graced distinct they shone:
But both are now so scarce; ‘tis well contrived
To join a poet and a fool in one.


Am Anfang seiner Karriere hat auch Dr Johnson in der Grub Street gewohnt. Der im Text erwähnte Pope ist natürlich der berühmte Alexander Pope, der den Homer ins Englische übersetzt hat (und Shakespeare verschlimmbessert hat). Curll bezieht sich auf Edmund  Curll (es lohnt sich, den Wikipedia Artikel zu lesen), den Verleger mit dem schlechtesten Ruf in der Geschichte englischer Verlage. Swift und Pope, deren Werke er unautorisiert nachdruckt, hatten ihre Privatfehden mit ihm. Swift schreibt einmal an Pope, dass man einen Hohlkopf (dunce) wie Curll aber vorzüglich für satirische Zwecke gebrauchen könne. Das tut Pope auch, er schreibt ihn in die Dunciad (in der auch die Grub Street eine Hauptrolle spielt). Edmund Key brachte sofort A Compleat Key to the Dunciad heraus, natürlich unautorisiert. Für Gulliver's Travels hatte er auch sofort so etwas parat: A Key, Being Observations and Explanatory Notes, upon the Travels of Lemuel Gulliver. By Signor Corolini, a noble Venetian now residing in London. In a letter to Dean Swift. Translated from the Italian Original. London: 1726. Das sind so die juristischen Tricks, die man jetzt erfindet, ein angeblicher Venetianer in London.

Alexander Pope hat seine Dunciad übrigens Jonathan Swift gewidmet hat, der auch gleich am Anfang vorkommt:

O thou! whatever title please thine ear,
Dean, Drapier, Bickerstaff, or Gulliver!
Whether thou choose Cervantes’ serious air,
Or laugh and shake in Rabelais’ easy chair,
Or praise the Court, or magnify Mankind,
Or thy griev’d country’s copper chains unbind;


Das Gedicht von Swift Advice to the Grub Street Verse-writers ist eine satirische Anleitung zum geistigen Diebstahl. Warum bin ich an dieser Stelle nur wieder versucht, den Namen von dem Baron Guttenberg-Münchhausen wieder zu erwähnen? Der hat natürlich niemals geklaut und betrogen, ih bewahre! Da ist ihm nur die Kontrolle über die achtzig Datenträger entglitten. Das ist jetzt eine schöne Kreativität beim Lügen. Es erinnert mich etwas an den Witz mit dem amerikanischen Studenten, der im Studienbuch in jedem Fach ein NG (für No Grade) stehen hat und seinen Eltern auf deren Frage sagt, dass die Abkürzung NG natural genius bedeutet.

Denn wer sind die denn, die da über den armen verwirrten Baron mit seinen achtzig Datenträgern und vier Computern rechten wollen? Ich bin nicht bereit, mir von einer Kommission, die noch nicht einmal mehrheitlich mit Juristen besetzt gewesen ist, eine rechtlich relevante vorsätzliche Täuschung vorwerfen zu lassen. Und es hätte rechtlich gar nicht zu einer solchen Überprüfung kommen dürfen. Denn bei dieser unrechtmäßigen Überprüfung seines großartigen Werkes ging es […] um den drohenden Verlust von Forschungsgeldern, was das Vorgehen rechtfertigen sollte. Denn schliesslich sei es ja so: Wenn ich die Absicht gehabt hätte, zu täuschen, dann hätte ich mich niemals so plump und dumm angestellt, wie es an einigen Stellen dieser Arbeit der Fall ist. Das musste an dieser Stelle ja mal gesagt werden. Aber wenn jemand so ehrlich ist, dann wird er nicht verstanden. Ein Professor in Bayreuth spricht von Realitätsverlust und der Stern titelt diese Woche mit Der Sound des Größenwahns.

Der Verleger Edward Curll, der mit Lug und Betrug reich geworden ist, hat auch immer die seltsamsten Ausreden für seine Machenschaften gefunden. Lügner und Betrüger haben immer Ausreden. Vous appellés cela betrügen? Corriger la fortune, l'enchainer sous ses doits, etre sûr de son fait, das nenn die Deutsch betrügen? betrügen! O, was ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak! für ein plump Sprak!

Ich möchte zum Schluss dieser unerfreulichen Gedanken ein Zitat von dem berühmten Clifford Geertz bringen, der in Bezug auf die Definition der Kultur gesagt hat: Cultural systems must have a minimal degree of coherence, else we would not call them systems; and, by observation, they normally have a great deal more. Und dann hinzufügte: But there is nothing so coherent as a paranoid’s delusion or a swindler’s story. Der letzte Satz gefällt mir ganz besonders.

A lie does not consist in the indirect position of words, but in the desire and intention, by false speaking, to deceive and injure your neighbour. (Jonathan Swift)

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