Dienstag, 22. November 2011

Endzeit


Was ich von dem neuesten Film von Lars von Trier hielte, wurde ich letztens gefragt. Meine Antwort löste in der Runde ein peinliches Schweigen aus. Die Franzosen haben dafür ein schönes Idiom: un ange passe. Was die französische Firma Seraphin, die luxuriöse Lederjacken herstellt, vor Jahrzehnten zu dem wunderbaren Werbespruch Un ange passe, Un Séraphin est éternel veranlasste. Meine Antwort bezüglich des neuesten Lars von Trier Filmes war ziemlich einfach gewesen, ich habe nämlich gesagt, dass ich noch nie einen Lars von Trier Film gesehen habe. Früher hielt ich den mal für einen guten Regisseur, aber das lag nur daran, dass ich ihn immer mit Lars Becker verwechselt habe. Das ist der Mann, der die Reihe Nachtschicht für das ZDF dreht, der versteht sein Handwerk, der ist wirklich gut.

Auf alles, was aus dem Weltall zu uns kommt, sind wir ja dank TV und Kino bestens vorbereitet. In den neurotischen fünfziger Jahren hatte Jack Arnold ein Genre perfektioniert, bei dem in die Ruhe der Eisenhower-Ära außerirdische Wesen einbrechen; sie kommen aus dem Weltraum oder sind aus der Urzeit übriggeblieben. Invaders from Mars und Invasion of the Body Snatchers sind typische Produkte dieser Zeit. Dann erschien The Thing (offensichtlich ein Erbe von Frankensteins Monster) am Nordpol, und dann kam The Creature of the Black Lagoon (mit zahlreichen sequels). Glücklicherweise siegen Wissenschaft und US Air Force in den fünfziger Jahren immer, aber endgültig besiegt kann die Gefahr natürlich nicht werden. Dann könnte Hollywood nämlich keine Katastrophenfilme mehr drehen. Und so gilt die Botschaft am Ende von The Thing weiterhin: watch the skies, watch everywhere, keep looking - watch the skies! Sie gilt natürlich auch für den neuesten Lars von Trier Film: watch the skies!

Das Feuilleton ist jetzt voll mit Lars von Trier, die Sache mit Adolf Hitler ist irgendwie vergessen, jetzt geht es um Melancholia und das Ende der Welt. Ich dachte immer, dass dieser Schundfilmregisseur Roland Emmerich (the master of disaster) das filmische Ende der Welt gepachtet hätte. Aber der ist ja jetzt weg vom Katastrophenfilm und serviert die ollesten Kamellen der Shakespeare-Verschwörungstheorien als neue Forschung. Diese filmischen Endzeitphantasien scheinen irgendwie periodisch wiederzukommen.

Kann sich irgend jemand noch an Enki Bilal erinnern? Seine Comics hat man ja auch einmal zu einem Film gemacht. Weshalb Charlotte Rampling da mitgespielt hat, weiß ich bis heute nicht. Der Film wurde prompt mit Blade Runner (aber auch mit The Fifth Element) verglichen. Die amerikanischen Großstädte wurden jetzt Endzeit-düster. Hatten nichts mehr von dem puritanischen Ideal, der city upon a hill, der Stadt, in die jeder hineinschauen kann. Jetzt ist Endzeit. Die postmodernen filmischen Großstadtversionen sind seit der city upon a hill einen langen Weg gegangen, wobei sie sich unterwegs bei Jules Verne, H.G. Wells, Franz Kafka, George Orwell und allen Comics der dreißiger Jahre bedient haben. Fritz Langs Metropolis wollen wir gar nicht erst erwähnen.

Blade Runner nach dem Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? von Philip K. Dick ist inzwischen beinahe dreißig Jahre alt, damals fand man den ganz toll. Nicht jedermann. Halliwell's Film Guide sprach von little more than an updated Philip Marlowe case und Tom Milne beschrieb das Missverhältnis zwischen futuristischer Ausstattungsorgie und dürftiger Handlung als : The sets are indeed impressive, but they are no compensation for a narrative so lame that it seems in need of a wheelchair. Ich finde es immer toll, wenn Hollywood das wirkliche Amerika, L.A. oder New York in eine postmoderne futuristische Landschaft verwandelt. Amerika ist in seiner Infrastruktur eine der rückständigsten Nationen der Welt, die haben noch überirdische elektrische Leitungen. Kann man hier schon auf diesem Photo einer an eine Häuserwand gemalten Zukunftsvision (The Isle of California) sehen, überirdische Leitungen aber blockbuster über die Endzeit! Das Bild The Isle of California ist nach vier Jahrzehnten inzwischen völlig verblichen, aber Kalifornien ist immer noch da, soviel zu Zukunftsvoraussagen.

In den achtziger Jahren war überall Untergang. Der Kunsthistoriker Otto K. Werckmeister schrieb sogar ein Buch über die neue Endzeitmode: Zitadellenkultur: Die schöne Kunst des Untergangs in der Kultur der achtziger Jahre. Darin wurden die Comics von Enki Bilal philosophisch aufgewertet. Da haben Filme wie Blade Runner und Tarkowskis Stalker schon etwas angerichtet. Endzeit war plötzlich chic. Apokalyptische Endzeitängste plagten die dunklen achtziger Jahre, habe ich gerade in einer Rezension von Mark Greifs Bluescreen gelesen. Habe ich zwar nichts von gemerkt, aber apokalyptische Endzeitängste klingt schon mal toll.

Ich fand die ganzen Endzeitfilme, die jetzt sogar amerikanische Comics der dreißiger Jahre (wie Superman und Batman) recycelten, eigentlich nur komisch. Aber die Filmdesigner sorgten schon dafür, dass auch der simpleste kiddie stuff einen hochpolierten Endzeit-Touch bekam. Anton Furst, der für das Design von Neil Jordans Company of Wolves (und auch die leuchtenden Wolfsaugen) verantwortlich zeichnete, hatte als Designer für Batman das Ziel to make Gotham City the ugliest and bleakest metropolis imaginable...we imagined what New York City might have become without a planning commission. A city run by crime, with a riot of architectural styles. An essay in ugliness. As if hell erupted through the pavement and kept on going.

Es war alles Oberfläche in den Filmen, der Expressionismus des deutschen Films der zwanziger Jahre und der Film Noir wurde in eine von der Ästhetik des Videoclip dominierte postmoderne Farbwelt versetzt. Ob das nun Filme von Leo Carax (Mauvais Sang) oder die Brüder Coen (Barton Fink) waren, Cronenbergs Naked Lunch oder die Filme von David Lynch waren, Alien nicht zu vergessen. Klaustrophobische Innenräume (etwas, was ➱Ken Adam schon perfektioniert hatte) gewinnen immer mehr an Bedeutung. Und alles ist natürlich schön Endzeit-dunkel. Der Filmkritiker Tom Shone sprach von einem triumph of art direction over film direction.

Man kann das offensichtlich gut verkaufen, vor allem wenn man es noch mit Titeln wie Verblendung, Verdammnis oder Hell garniert. Zumal die neuen Szenarien auch noch einen tödlichen Virus nach dem anderen enthalten. Kein Computervirus. Nix mehr mit Schweinegrippe, gleich die Auslöschung der ganzen Menschheit. Bei diesem ganzen filmischen Unsinn sehnt man sich doch den deutschen Heimatfilm der fünfziger Jahre wieder zurück. El sueño de la razón produce monstruos hieß eine Bilderfolge von Goya. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Ob sie nun Roland Emmerich, Lars von Trier oder Tim Fehlbaum heißen.

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