Sonntag, 3. November 2013

Monica Vitti


Als er sie entdeckt hatte, vergaß Michelangelo Antonioni all die schönen Frauen, die zuvor in seinen Filmen die Leinwand zierten. Alles, was jetzt kam war nur noch Monica Vitti: Die mit der Liebe spielen (L’avventura) 1960, Die Nacht (La notte) 1961, Liebe 1962 (L'eclisse) 1962 und Die rote Wüste (Il deserto rosso) 1964. Hat sie es gehasst, immer in schwer verständlichen Filmen zu spielen, die offenbar nur für junge Cineasten gedreht wurden? Den ersten Film mit Monica Vitti, den ich sah, war La notte. In dem Film hatte sie schwarze Haare. Sie machte auf mich keinen besonderen Eindruck, blond zu sein oder rothaarig steht ihr besser. Aber in L’avventura und L'eclisse, da haute sie mich um.

Mit der üblichen Herablassung gegenüber seinen Schauspielern hat der Filmregisseur mit dem großen Ego in einem Interview gesagt: With regards to Lucia Bose (hier im Bild), I had to direct her almost with a sense of violence. Before every scene, I had to put her in a state of mind appropriate to that particular scene. If it was a sad scene, I had to make her cry; if it was a happy scene, I had to make her laugh. As for Monica Vitti, I can say she's an extremely serious actress. She comes from the Academy, and therefore possesses an extraordinary sense of craft. Even so, there were many times when we were not in agreement on certain solutions, and I was forced to beg her not to interfere in my domain. Ja, wie sie es machen, ist es falsch. Steve Cochran hat das bei den ➱Dreharbeiten von Il Grido zu sprüren bekommen.

Aber dennoch hat Monica Vitti ein Jahrzehnt mit ihm zusammengelebt. Antonioni hat für sie an der Costa Paradiso ein Haus gebaut, wobei man nicht so recht weiß, was man zu dieser Liebeserklärung in Beton sagen soll. Hatte der Architekt vorher Bunker gebaut? Wenn Sie wissen wollen, wie es innen aussieht, müssen Sie ➱hier klicken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Monica Vitti in diesem Meisterwerk des béton brut glücklich gewesen ist. Man kann häufig lesen, dass Antonioni studierter Architekt gewesen sei (stand sogar einmal in der Zeit), aber das ist nicht wahr, der Sohn eines Großgrundbesitzers hatte einen Universitätsabschluss in Volkswirtschaft.

Obgleich ihn die Architektur schon interessiert. Mit einer gewissen Besessenheit kontrastiert Antonioni in seinen Filmen Monica Vitti mit der Architektur. Wobei ihm die faschistische italienische Architektur häufig als Kulisse dient. Die Szene mit der verlassenen Stadt, die Monica Vitti und Gabriele Ferzetti (der einen Architekten spielt) in L'avventura besuchen, wurde in Catania gedreht, mit einer von Mussolini in Auftrag gegebenen Architektur im Hintergrund.

Und in L'eclisse spielt die Architektur des faschistischen Großprojekts EUR (Esposizione Universale di Roma) eine große Rolle. Es ist die perspektivische Architektur des Raums, die Antonionis Werke im modernen Film so solitär erscheinen lassen wie Piero della Francescas Gemälde in der malerischen Renaissance, hat Wolfram Schütte geschrieben. Solche Sätze wage ich nicht zu schreiben, finde ich aber irgendwie cool.

Die Filme mit Monica Vitti sind Filme über die Liebe, Filme über das Scheitern der Liebe. Monica Vitti wird von Film zu Film zur Verkörperung der Ideen von der Liebe, die den Regisseur seit Cronaca di un amore (1950) beschäftigen. Die Filme dokumentieren aber auch die Emanzipation der Vitti. Und ihre graduelle Entfremdung von Michelangelo Antioni. Dies Photo wurde während der Dreharbeiten von Il deserto rosso gemacht. Sie sieht ihn nicht an, sie blickt in den Spiegel. Und was sieht sie? Sich selbst oder das Geschöpf, das Dr. Frankenstein Antonioni aus ihr gemacht hat?

Kurz nach Il deserto rosso überraschte sie ihre Fans als Modesty Blaise in dem gleichnamigen schrillen Pop Art Film von Joseph Losey. An der Seite von zwei Engländern, Terence Stamp (hier etwas weniger bekleidet) und ➱Dirk Bogarde (mit weißen Schuhen und weißem Rolli). Falls Sie diese wunderbare Verhohnepiepelung der damals grassierenden James Bond Fime verpasst haben sollten, müssen Sie hier mal eben in den Trailer gucken. Dirk Bogarde hatte die Rolle nur übernommen, weil er mit dem Regisseur ➱Joseph Losey befreundet war und die Filme mit ihm zu seinen besten Filmen gehörten. Dieser nicht. Der wunderbar schräge Film wurde ein Flop, und mit ihm starb Monica Vittis Hoffnung auf eine internatiomale Karriere.

Dirk Bogarde entwickelte bei den Dreharbeiten eine unüberwindliche Abneigung gegen Monica, für die er am Anfang geschwärmt hatte, mit der er zu Beginn der Dreharbeiten jeden Tag schwimmen gegangen war. Aber dann gelangte sein Kalauer Miss Veetee is a peetee ihr zu Ohren, die Atmosphäre bei den Dreharbeiten war vergiftet. Da halfen auch keine Blumen. Und noch Jahrzehnte später sagte Bogarde in seiner Desert Island Disc Sendung (können Sie ➱hier ganz hören): I've fallen deeply in love with every leading lady I've ever worked with - except Monica Vitti who was a beast. Auf dem Photo oben, wo Monica Vitti von Joseph Losey und Dirk Bogarde eingerahmt wird, sehen noch alle glücklich aus. Doch was tun Schauspieler nicht alles für Werbezwecke?

Aber mit solchen Geschichten wollen wir uns heute nicht aufhalten, wir sind nicht die Bunte oder Gala. Oder wie die Blätter alle heißen, die beim Zahnarzt und beim Friseur herumliegen. Heute sind Glückwünsche angesagt: Monica Vitti hat einen runden Geburtstag. Wozu ihr in diesem Blog, der ja manchmal ein richtiger Filmblog ist, natürlich gratuliert wird. Ich hätte auch ein wenig Filmschnipsel. ➱Hier gibt es einen Monica Vitti Tribute und diese ➱Szene müssen Sie unbedingt sehen. Und dann habe ich zum Geburtstag noch ein schwer verständliches Gedicht, weil dies ja  ein Blog mit Niveau ist:

                                     Ode To The Sublime By Monica Vitti

                                                      I want everything
                                 Everything is a naked thought that strikes.
A foghorn sounding through fog makes the fog seem to be everything.
  Quail eggs eaten from the hand in fog make everything aphrodisiac.
 My husband shrugs when I say so, my husband shrugs at everything.
The lakes where his factory has poisoned everything are as beautiful as
                                                           Bruegel.
I keep my shop, in order that I may sell everything there, empty but I leave the
                                                           light on
                                              Everything might spill.
Do you know that in the deepest part of the sea everything goes transparent?
                                            asks my husband’s friend
                           Corrado and I say Do you know how afraid I am?
 Everything requires attention, I never relax my neck even when kissing
                                                           Corrado.
Kant says “everything” exists only in our mind, attended by a motion of
                                                        pleasure and
pain that throws itself back and forth in me when I lay on Corrado’s bed
                                                     fighting with
everything with Corrado watching from across the room then he came to the
                                                          bed and
mounted me and this made no difference except now I had to fight everything
                                         through Corrado, which I did
“undaunted” (so Kant) on his freezing bed in its midnight glare.
What will you take? I ask Corrado who is leaving for Patagonia and when he
                                                          says 2 or 3
valises I say if I had to go away I would take with me everything I see.
To this Corrado says nothing which is not I think the opposite of
                                                        everything.
Doesn’t seem right is what my husband would say, he says this about everything—
  especially since I came out of the clinic, a clinic for people who want
                                           everything, everything I see
           everything I taste everything I touch everyday even the ashtrays and at
             the clinic I had only one question What shall I do with my eyes?

Das ist von der kanadischen Dichterin Anne Carson, heißt Ode To The Sublime By Monica Vitti. Hier spricht die Guiliana, die Monica Vitti in Antonionis The Red Desert spielt. Ich habe Anne Carson hier schon einmal zitiert, als ich über ➱Catherine Deneuve schrieb. Merken Sie etwas? Der Frau fällt nix ein, als schwer verständliche Gedichte über Schauspielerinnen zu schreiben, das wird langsam fad. Als das Gedicht im London Review of Books veröffentlicht wurde, gab es einen Leserbrief von einem Leser namens Pete Hutton, der so wunderbar ist, dass man ihn unbedingt zitieren muss:

When my eyes alighted on the words ‘Monica Vitti’ in the title of Anne Carson’s poem ‘Ode to the Sublime by Monica Vitti’ (LRB, 25 April), I set to reading with what I can only describe as lust, because unless there are two Monica Vittis in this world, the subject of the poem must be the Italian film star, one of whose films was L’Avventura (1960). I saw this film a long time ago, probably only a few years after it came out, and my then adolescent hormones were so impressed by the leading lady that I cut a picture of her out of a newspaper, and stored it, to be looked at whenever I needed to be reminded of some of the astonishingly beautiful things the world contains. I read the poem once, I read it twice, I read it again – and again, many times. I looked at it from different angles – literally not figuratively – in case some sort of physical manipulation might render it comprehensible. No luck (or no brains). I liked it, I hasten to add, but I could have screamed with a frustration almost equal to the frustration, 35 years ago, of not being able to make love to Monica Vitti: the frustration of not understanding what Anne Carson is talking about.

In fact I stalked over to my wife and used some loud and unprintable words to her, as she writes poems which can be almost as obscure as this one and could therefore be expected to see straight into the heart of Anne Carson’s project. She told me to control my language and to throw that issue of LRB into the nearest rubbish bin. In case I should be thought a literary pygmy I should mention that I have actually studied literature to postgraduate level and taught it for about twenty years, including so-called practical criticism of unfamiliar texts. On the minus side, I should mention that I now live in Zimbabwe (or try to) where our brains have recently received quite a battering.

I’m willing to be humiliated, but could Anne Carson, or anyone else – even Monica Vitti – please explain ‘Ode to the Sublime by Monica Vitti’? Ich glaube, wir alle sind Pete Hutton sehr, sehr dankbar, dass er diesen Leserbrief geschrieben hat. Nein, das einzig wahre Geburtstagsgedicht für Monica Vitti ist ein einziger Satz von ihr (➱hier gelesen von Mario Giacalone), nur so etwas geht für Frauen, die wie ein Gedicht sind: La poesia è una grazia, una possibilità di staccarsi per un po' dalla terra e sognare, volare, usare le parole come speranze, come occhi nuovi per reinventare quello che vediamo.

Noch mehr Antonioni in diesem Blog hier: ➱Steve Cochran, ➱Michelangelo Antonioni, ➱Antonioni, ➱Swinging London

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