Montag, 13. Dezember 2010

Harry Heine


Hätt’ er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher, soll sein Onkel in Hamburg über ihn gesagt haben. Der junge Harry interessiert sich nicht so sehr für den Tuchhandel. Er wird auch seinen Namen ändern, den ihm sein Vater angeblich wegen eines englischen Freundes gegeben hat. Er ändert sowieso alles, was sein Leben betrifft. Selbst dass er am 13. Dezember geboren wurde, ist nicht ganz sicher. Als er in Göttingen seinen Doktortitel erhält, heißt er schon Heinrich Heine. Auf der Doktorurkunde steht das lateinische Henrico. Es steht auch George IV von England drauf, denn der ist nominell der Rektor der Universität. Bei den vielen Klamotten, die der fette Georgie zuhause sammelt, hatte er auch bestimmt einen Talar der Universität Göttingen. Harry Heine hat Göttingen gehasst. Er mag auch den König von England nicht. Weil er ja - wir wissen es schon - ein glühender Verehrer Napoleons ist. Denn ein Gedicht wie dieses, ein Jahr nach der Schlacht von Waterloo geschrieben, das schreibt kein Franzosenhasser.

Nach Frankreich zogen zwei Grenadier',
Die waren in Rußland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
Sie ließen die Köpfe hangen.

Da hörten sie beide die traurige Mär:
Daß Frankreich verlorengegangen,
Besiegt und zerschlagen das große Heer –
Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.

Da weinten zusammen die Grenadier'
Wohl ob der kläglichen Kunde.
Der eine sprach: »Wie weh wird mir,
Wie brennt meine alte Wunde!«

Der andre sprach: »Das Lied ist aus,
Auch ich möcht mit dir sterben,
Doch hab ich Weib und Kind zu Haus,
Die ohne mich verderben.«

»Was schert mich Weib, was schert mich Kind,
Ich trage weit beßres Verlangen;
Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind –
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!

Gewähr mir, Bruder, eine Bitt':
Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab mich in Frankreichs Erde.

Das Ehrenkreuz am roten Band
Sollst du aufs Herz mir legen;
Die Flinte gib mir in die Hand,
Und gürt mir um den Degen.

So will ich liegen und horchen still,
Wie eine Schildwach', im Grabe,
Bis einst ich höre Kanonengebrüll
Und wiehernder Rosse Getrabe.

Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab –
Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!«


Ich hab vor wenigen Tagen im Modernen Antiquariat für zwei Euro den Band Heinrich Heine, erschienen in der vorzüglichen Reihe der Sammlung Metzler (Realien zur Literatur Band 261), gekauft. Diese blaue Paperback Reihe, deren Konzeption aus einer Zeit stammt, als die Bücher des Verlages noch für wissenschaftliche Seriosität standen. Der gute Ruf ist angeknackst, seit sich die Holtzbrinck Gruppe immer weiter in den Verlag hineingefressen hat. Was sie an in jüngster Zeit an Schnellschüssen herausgehauen haben, ist erheblich unter dem Niveau, das der Verlag einst hatte. Und die Neubearbeitung von Kindlers Literatur Lexikon, mit der sich der Verlag jetzt schmückt, ist auch nicht so dolle. Ich schreibe (als betroffener Autor von KLL Artikeln) darüber gerne noch einmal ausführlich. Aber falls Sie sich das jetzt zu Weihnachten kaufen wollten, spiele ich mal eben den Spielverderber: Tun Sie es nicht! Kaufen Sie sich die letzte Ausgabe (inklusive der beiden Supplementbände) vor der Metzler Unternehmung von 2009!

Aber der 1991 erschienene Heine Band ist noch vom Feinsten, ist natürlich auch längst vergriffen. Der Autor ist Jeffrey L. Sammons, ein Amerikaner. Warum kann das kein Deutscher machen, könnten Sie jetzt fragen. Wenn ich jetzt etwas gehässig wäre, dann würde ich sagen: weil die Auslandsgermanisten besser sind. Ich hätte dafür auch Beispiele. Die Goethe Biographie des Engländers Nicholas Boyle oder die Geschichte der deutschen Literatur 1740-1789 von  Sven Aage Jörgensen, Klaus Bohnen und Per Öhrgaard (die den Band VI der Literaturgeschichte von De Boer/Newald ersetzt hat). Und Jeffrey L. Sammons mit dem Heine Buch bei Metzler. Es ist die einzige deutsche Publikation des Yale Professors. Warum bringt kein deutscher Verlag seine Bücher zu Heine auf den Markt? Despite several efforts, I was unable to arrange for publication of a German translation of my own biography, sagt Sammons. Erstaunlich. Warum bringt man die Heine Bücher von ➱Fritz J. Raddatz auf den Markt? Hier kann man die Anzahl der Fragezeichen beliebig verlängern. Das ist doch alles unzuverlässige Scharlatanerie, die Sache mit Goethe und dem Frankfurter Bahnhof, die ihn den Job bei der Zeit kostete, war ja kein Zufall.

Wenn man als Leser etwas über Leben und Werk eines Autors erfahren möchte, wird man zuerst zu der Reihe rowohlts monographie greifen. Diese von Kurt Kusenberg in den fünfziger Jahren begründete Reihe ist das Vorzeigestück des Rowohlt Taschenbuch Verlages. In immer einheitlichem Format (und einheitlicher Länge), reich bebildert, erfüllen diese Bände hervorragend ihren Zweck der Erstinformation. Rowohlt hatte von 1960 bis 1997 den Band von Ludwig Marcuse im Programm, ein langer Essay, der in der Basis seines Manuskripts auf die dreißiger Jahre zurückgeht. Ist aber immer noch gut lesbar, wenn es auch nicht state-of-the-art scholarship ist. Die präsentierte der Verlag zur Zweihundertjahrfeier de Geburtstags von Heine aus der Feder von Christian Liedtke, der in der Heine-Forschung bisher nur durch eine Magisterarbeit hervorgetreten war. Daten, Fakten, Forschungslage, alles auf dem neuesten Stand. Ansonsten ein bisschen leer, nondescript, würde der Engländer sagen.

Wir haben offenbar ein schwieriges Verhältnis mit unserem deutschen Dichter. Nach dem Krieg hat sich die Germanistik der DDR mehr auf Heine gestürzt als ihre Kollegen im Westen. Als 1985 bei Hanser (vier Jahre später bei Rowohlt als Taschenbuch) Wolfgang Hädeckes Biographie erschien, war es neben dem Buch von Manfred Windfuhr die erste deutsche Heine Biographie in Jahrzehnten. Wobei man Joseph A. Kruses Dissertation Heines Hamburger Zeit (1972 bei Hoffmann und Campe) nicht vergesen sollte. Ein hervorragendes Buch. Der Professor aus Berkeley, der Kruse den Titel Heines Stellvertreter auf Erden verpasste, wusste, was er sagte. Kruse, der gerade als Leiter des Düsseldorfer Heine Instituts  pensioniert wurde, hat 1983 beim Insel Verlag einen schönen Band vorgelegt. Wenn man sich nur ein Buch zu Heine kauft, dann sollte man diesen exzellent bebilderten Band kaufen! Und falls Sie noch keine Werkausgabe im Regal stehen haben, sollte es natürlich die Ausgabe von Klaus Briegleb sein. Das ultimative Bilderbuch ist natürlich der Düsseldorfer Ausstellungkatalog von 1997  'Ich Narr des Glücks'. Heinrich Heine 1797-1856: Bilder einer Ausstellung, natürlich wieder von Joseph A. Kruse herausgegeben. Es gibt antiquarisch noch Reste davon. Lohnt sich unbedingt.

Zu seinen Lebzeiten war Heine der meistgelesene und bekannteste deutsche Dichter, da wird er - wenn man die Hörer seiner vielen vertonten Lieder einrechnet - wahrscheinlich sogar Goethe übertroffen haben. Danach haben wir in Deutschland uns ein wenig von Heine entfernt. Man denke nur an die Skandale der Heine ➱Denkmäler. Zur Zeit der Nazis wurde sein Name in den Lesebüchern bei den Liedern entfernt und die Loreley zu einem Volkslied mit unbekanntem Verfasser erklärt. Im Dezember 1988 beschloss der Senat der Düsseldorfer Universität, dass die Universität den Namen Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tragen sollte. Dem war ein mehr als zwanzig Jahre langer Streit um die Namensgebung vorausgegangen. Den Namensgeber hätte das bestimmt belustigt.

Mein Opa, im 19. Jahrhundert geboren und mit dem damals weit verbreiten Irrglauben aufgewachsen, dass die Franzosen unser Erbfeind sind, ist bestimmt kein Freund von Heine gewesen. Trotzdem sang er am Klavier mit großer Inbrunst die Loreley und die Zwei Grenadiere. Und darüber hätte Heine auch lächeln können.

Erstorben ist in meiner Brust
Jedwede weltlich eitle Lust,
Schier ist mir auch erstorben drin
Der Haß des Schlechten, sogar der Sinn
Für eigne wie für fremde Not –
Und in mir lebt nur noch der Tod!

Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und gähnend wandelt jetzt nach Haus
Mein liebes deutsches Publikum,
Die guten Leutchen sind nicht dumm;
Das speist jetzt ganz vergnügt zu Nacht,
Und trinkt sein Schöppchen, singt und lacht –

Er hatte recht, der edle Heros,
Der weiland sprach im Buch Homeros':
Der kleinste lebendige Philister
Zu Stukkert am Neckar, viel glücklicher ist er,
Als ich, der Pelide, der tote Held,
Der Schattenfürst in der Unterwelt.


Lesen Sie auch: Heinrich Heine

1 Kommentar:

  1. Ich glaube eine neue Idee zu haben. Ein Post über Heine. Ist zwar schon mal dagewesen, aber ich werde eine zweite Person hinzufügen: Eberhard Esche. Der konnte den Heinrich so gut sprechen. Und ein schön bebildertes Exemplar des Wintermärches steht auch zu Hause im Schrank. Das passt. Also großen Dank für diesen Tipp.

    AntwortenLöschen