Im Märzen, wenn der Bauer die Rößlein anspannt und die Märzsonne an den Zimmerdecken die ersten Spinnenfäden und in den Zimmerecken das zeigt, was der Engländer slut's wool nennt, dann packt einen das Frühjahrsputzfieber. Mich jedes Jahr. Wenn Sie hier mehrere Tage nichts hören sollten, dann hat es mich schlimm erwischt. Ich habe in der letzten Woche schon mal angefangen und CDs neu sortiert. Sah hinterher im Regal und in den Kästen genau so aus wie vorher. Ist aber jetzt System drin. Bei dieser schönen Tätigkeit stellte ich fest, dass ich ein halbes Dutzend Othmar Schoeck CDs besaß. Als ich dann las, dass der Schweizer Komponist heute vor 54 Jahren gestorben ist, dachte ich mir: dann schreibst du mal über Othmar Schoeck. Ist aber leichter gesagt als getan, weil ich eigentlich wenig über ihn weiß und ihn wahrscheinlich auch nicht richtig verstehe.
Ich bin vor Jahren auf ihn gekommen, als ich diese schlimme Fischer-Dieskau Phase hatte. Denn unser deutscher Vorzeigesänger hat sicherlich viel dazu getan, dass Schoeck nicht in der Vergessenheit versunken ist. Meine Fischer Dieskau Begeisterung hat schon früh angefangen, als ich Schuberts Winterreise mit Fischer-Dieskau und Gerald Moore zu Weihnachten geschenkt bekam. Und dann auch Gerald Moores Buch Am I too Loud? las. Was immer noch ein schönes Buch ist. Viel besser als die geschwätzigen Memoiren von Hubert Giesen, der Fritz Wunderlich am Klavier begleitete. Und als die Fischer-Dieskau CDs eines Tages immer mehr wurden, konnte es natürlich nicht ausbleiben, dass mir irgendwann auch Das stille Leuchten und Unter Sternen in die Hand fielen.
Schoeck, der heute mehr oder weniger vergessen ist - obgleich es in den letzten zehn Jahren zahlreiche Versuche gegeben hat, seine Opern wieder aufzuführen - hat ein riesiges Werk von Liedern hinterlassen. Nach Gedichten von Schweizer Dichtern wie Conrad Ferdinand Meyer und Gottfried Keller, aber auch deutschen Romantikern wie Lenau und Eichendorff. Romantiker liegen ihm sowieso, weil er irgendwie der letzte Romantiker ist. Alles ist ein wenig elegisch und voller Entsagung, Sehnsucht und Weltschmerz. Ich habe das Gefühl, dass Schoeck da weiter macht, wo Gustav Mahler und Richard Strauss aufgehört haben. Es ist ein Werk zwischen den Zeiten. Er hat zwar auch mit der modernen Musik geflirtet, aber er scheint immer wieder ins 19. Jahrhundert zurückzukehren. Wenn ich den Heerwagen am Himmel betrachte, sehe ich immer den kleinen Gottfried Keller vorne auf der Deichsel sitzen und spähen, wohin wir fahren, hat er nach der Vollendung seines Zyklus Unter Sternen (nach Gedichten von Keller) gesagt. Weniger das Einzellied als ein ganzer Zyklus sind seine Sache: Der Zyklus ist meine Grossform. Nur der Liederzyklus kann zur gesungenen Grossform heranwachsen. Deshalb schreibe ich ja auch Zyklen.
Man muss die Lieder auch im Stück hören, die Wirkung kommt über das Gesamterlebnis. Es bleibt für mich eine rätselhafte aber sehr schöne Musik. Und deshalb bin ich ganz dankbar, dass mich meine kleine Aufräumaktion einmal wieder zu Othmar Schoeck geführt hat. Ich bin, wie gesagt, kein Fachmann, aber wenn ich einen Tip aus der Kategorie Anfänger beraten Anfänger geben sollte: Fangen Sie mit dem Zyklus Elegie (Opus 36) - der Verarbeitung einer unglücklichen Liebe zu einer jungen Genfer Pianistin - an! Ich habe eine sehr schöne Aufnahme des WDR mit Klaus Mertens (Bariton), die auch im Handel leicht erhältlich ist.
Die erste Monographie über Schoeck schrieb der Schweizer Germanist Hans Corrodi, ein glühender Schoeck Verehrer. Sie erschien 1931, fünf Jahre später in einer erweiterten Auflage und ein Jahr von Schoecks Tod in der dritten Auflage. Da war sie schon auf 430 Seiten angewachsen. Die heutigen Schoeck Verehrer betrachten das Werk mit einiger Skepsis. Es gibt auch schon Besseres. Nämlich das Buch von Chris Walton, das am 7.3. 1995 beim Atlantis Musikbuchverlag erschienen ist. Das war die deutsche Übersetzung der Dissertation, die der junge Engländer an der Universität Oxford eingereicht hatte. Leider war der Atlantis Verlag kurz nach dem Erscheinen des Buches pleite (er wurde später von Schott in Mainz gekauft), sodass das Buch keine große Wirkung hatte. Aber zum fünfzigsten Todestag von Schoeck hatte Walton, inzwischen Professor in Pretoria, die Idee, sein Originalmanuskript noch einmal zu überarbeiten. Und diese englische Ausgabe Othmar Schoeck: Life and Works ist seit zwei Jahre wieder auf dem Markt.
Die Bilder im Text sind von Schoecks Lieblingsdichter Gottfried Keller, der bevor er Schriftsteller wurde, Landschaftsmaler war.
Dann haben Sie wohl die vielbeachteten und vielbesprochenen Opernaufführungnen von PENTHESILEA verpasst: 2007 in Basel, 2008 in Dresden, 2009 in Lübeck, 2011 in Frankfurt am Main. Ausserdem ist sein Stück NOTTURNO für Bariton und Streichorchester ein kleiner Renner, der jedes Jahr an verschiedenen Punkten der Erde aufgeführt wird (und von dem im September die x-te Aufnahme erscheint). Ebenso sein Konzert für Horn und Streichorchester. Nicht zu vergessen sein Streicherstück SOMMERNACHT... Nun, Schoeck ist nie populär gewesen, er hat auch keine Sinfonien oder sonstige "Hits" geschrieben. Doch seine Musik ist alles andere als tot. Wenn er heute noch leben würde, er könnte von den Tantiemen leben (bescheiden zwar, doch es wäre möglich).
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