Freitag, 25. März 2011
Romantik
Er erfüllt alle stereotypen Vorstellungen, die wir an den romantischen Dichter haben: jung, genial und ein früher Tod, der das Werk unvollendet lässt. Wir denken an ➱Thomas Chatterton, an ➱John Keats und Percy Bysshe Shelley. Und natürlich an den Freiherrn Georg Friedrich Philipp von Hardenberg, der sich als Schriftsteller Novalis nannte. Klingt romantischer als Fritz, wie ihn seine Familie nannte. Heute vor 210 Jahren ist er gestorben. Sein Werk ist schmal geblieben, der Doppelband mit der Nummer 130/131 in der Reihe der Rowohlts Klassiker im Jahre 1963 enthielt auf zweihundert Seiten das Wichtigste des Werkes. Vieles ist Fragment, und vielleicht sind auch die Fragmente, Epigramme und Aphorismen die Teile des Werkes, die heute noch auf alle Gelegenheiten passen. Jeder kann sich einige Sätze herausnehmen, die für sich große Wahrheiten enthalten. Edgar Allan Poe hat sich für The Mystery of Marie Rogêt bei Novalis bedient. Man hat ihm vorgeworfen, dass Novalis ein Werk namens Moralische Ansichten gar nicht geschrieben hat, aber das ist nicht ganz richtig. Es ist schon von Novalis, allerdings ist der Titel Moralische Ansichten später von Ludwig Tieck hinzugefügt worden.
Das Schreiben in Gesellschaft ist ein interessantes Symptom - das noch eine große Ausbildung der Schriftstellerei ahnden läßt. Man wird vielleicht einmal in Masse schreiben, denken und handeln. Ganze Gemeinden, selbst Nationen werden ein Werk unternehmen: da sind wir Blogger, von Novalis vorausgeahnt. Also gut, das war nicht ganz ernstgemeint, ich wollte nur einmal zeigen, dass man Novalis für alles gebrauchen kann. Er taugt auch vorzüglich für Kalendersprüche, denn vieles, was er sagt, ist von großer Schönheit und ist wahr. So etwas kann man immer leicht vermarkten.
Und so wird es niemanden wundern, in welche Subkulturen Novalis abwandern kann. In der NDT mochte man ihn sehr. Ich habe dieses Kürzel nicht erfunden, es steht für die Neue Deutsche Todeskunst. Und es existierte ja auch einmal eine Krautrock Band, die Novalis hieß. Und natürlich gibt es hunderte von spirituellen Seiten im Netz, auf denen Weisheiten von Fritz Hardenberg zitiert werden. Dass die Hymnen an die Nacht eines Tages bei den Gruftis landen werden, das hat sich Novalis in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt.
Hermann Hesse war von Novalis begeistert: Beinahe alle Prosadichtungen, die ich geschrieben habe, sind Seelenbiographien, in allen handelt es sich nicht um Geschichten, Verwicklungen und Spannungen, sondern sie sind im Grunde Monologe, in denen eine einzige Person [...] in ihren Beziehungen zur Welt und zum eigenen Ich betrachtet wird. Man nennt diese Dichtungen »Romane«. In Wirklichkeit sind sie keineswegs Romane, so wenig wie ihre großen, mir seit der Jünglingszeit heiligen Vorbilder, etwa der »Heinrich von Ofterdingen« des Novalis oder der »Hyperion« Hölderlins, Romane sind. Und das ist jetzt der Augenblick, wo bei mir alle Warnleuchten angehen, wenn ich etwas wie die großen, mir seit der Jünglingszeit heiligen Vorbilder, etwa der »Heinrich von Ofterdingen« des Novalis oder der »Hyperion« Hölderlins lesen muss. Die amerikanische Subkultur, die sich in den sechziger Jahren total bekifft Hermann Hesse reingezogen hat, hätte sich wohl auch an Novalis berauscht, wenn sie ihn gekannt hätte.
Ich glaube, es ist an der Zeit, Novalis gegen seine Verehrer zu verteidigen. Ich habe das nicht ironisch gemeint, als ich sagte, dass sein Werk viele Sätze von großer Wahrheit und großer Schönheit enthält, die man als Lebensmaximen nehmen kann. Aber das enthält die Bibel auch. Und Goethes Werk auch.
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die so singen, oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit wieder gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
Das wäre schön, wenn wir die wahren Weltgeschichten, das, was die Welt im Innersten zusammen hält, erkennen könnten. Novalis, der selbst durchaus in der Welt stand, Bergbauassessor war und in den Wissenschaften belesen war, offeriert uns mit der von ihm geprägten Romantik eine Flucht aus der Welt der Zahlen und Figuren. Dunkelblaue Felsen mit bunten Adern erhoben sich in einiger Entfernung; das Tageslicht [,] das ihn umgab, war heller und milder als das gewöhnliche, der Himmel war schwarzblau und völlig rein. Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.
Da ist es, das mächtigste Symbol der deutschen Romantik, die blaue Blume, wie sie im ersten Kapitel des Heinrich von Ofterdingen dem Helden im Traum erscheint. Die ihm eine Art von Lebenskompass wird, aber auch eine Art Gral ist, den es zu suchen gilt. Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben", sagte er zu sich selbst; "fernab liegt mir alle Habsucht; aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anderes dichten und denken. Wir suchen die blaue Blume noch immer, weil wir wissen, dass der Satz von Novalis Das Märchen ist gleichsam der Kanon der Poesie wahr ist.
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