Freitag, 10. Februar 2012

Edgar Wallace


Trying to assess Wallace’s work in literary terms would be as pointless as applying sculptural evaluation to a load of gravel, hat Colin Watson in seinem Buch Snobbery with Violence über Edgar Wallace geschrieben. Ein klein wenig fies ist das schon. Was hätte Wallace über die Romane seines Kollegen Watson gesagt? Ein klein wenig interessanter als a load of gravel ist Edgar Wallace doch. Immerhin hat kein Geringerer als George Orwell über ihn gesagt: It would be interesting and I believe valuable to work out the underlying beliefs and general imaginative background of a writer like Edgar Wallace. Orwell schrieb das in einem Brief an Geoffrey Gorer und fügte dem Satz noch hinzu: But of course that's the kind of thing nobody will ever print. Doch das Genre, das soviel Ideologie transportieren kann, hat ihn nicht losgelassen, wenig später schrieb er seinen berühmten Essay ➱Raffles and Miss Blandish. In dem Edgar Wallace natürlich nicht fehlen durfte.

Edgar Wallace ist heute vor achtzig Jahren in Beverley Hills gestorben. Er war in Hollywood gewesen, weil er an dem Drehbuch von King Kong gearbeitet hatte. Obgleich das endgültige Drehbuch nicht sein Werk war, wird sein Name im Titel des Films genannt. Sein Leichnam wurde auf dem Luxusliner Berengaria nach England gebracht. Sein Sarg war in einem Salon aufgestellt, mit dem Union Jack, Blumen und Kränzen geschmückt. Als die Berengaria in Southampton einlief, hatte sie ihre Flagge auf Halbmast. Es war, als wäre ein König in seine Heimat zurückgekommen. Und ein König des Kriminalromans war er zu seinen Lebzeiten gewesen.

There is no end to any story, but here I will make the end of mine; for an autobiography should conclude at some decent interval from to-day. I shall be broke again and rich again; but broke or rich, I shall, if the Lord keeps me in good health, be grateful and happy for every new experience, for every novel aspect which the slow-moving circle of life presents to me. I have made many big friends and provoked a few little enmities, which will clear up someday. And I am here! Newspaper-boy, cabin-boy, soldier, journalist, writer--what next? Whatever it is, I'll bet it is interesting, hat er in seiner Autobiographie ➱Edgar Wallace by Himself geschrieben. Deren Erscheinen im Jahre 1932 er nicht mehr erlebt hat.

Newspaper-boy, cabin-boy, soldier, journalist, writer: das umreißt sein Leben. Eine einzige Horatio Alger Story, from rags to riches. Die Geschichte seines Lebens hat manche Parallelen mit dem Leben von Dickens. Allerdings hinterließ der bei seinem Tod mehr Geld als Wallace, der Multimillionär Edgar Wallace war pleite. Wenige Jahre nach seinem Tod erschien das erste Buch über ihn, Edgar Wallace: The Biography of a Phenomenon. Geschrieben von ➱Margaret Lane, die später den Earl of Huntingdon heiratete. Zuvor war sie mit Bryan Wallace, dem Sohn von Edgar Wallace verheiratet gewesen. Graham Greene, der Wallace einmal als eine lebende Buchfabrik bezeichnet hatte, schrieb damals staunend über das Buch von Margaret Lane: has there ever before been so literate a biography of a writer so completely outside the world of serious letters? Es bleibt bis heute ein wichtiges Buch, man kann es antiquarisch noch sehr billig finden.

Wir kennen Edgar Wallace in Deutschland ja meistens nur durch die ➱Edgar Wallace Filme, die mit den Romanen häufig wenig zu tun haben. Über die schreibe ich gerne ein anderes Mal, ich bleibe heute einmal bei den Romanen. Die bei uns ja meist in der Version des Goldmann Verlags verbreitet sind, diese roten Cover hat sicherlich jeder schon einmal gesehen. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der einen Edgar Wallace auf Englisch las. Nicht dass ich behaupten wollte, dass es große Literatur sei, aber wenn man sich ernsthaft mit Wallace beschäftigen wollte, sollte man ihn schon im Original lesen (auf dieser ➱Seite gibt es eine ganze Menge Wallace). Die deutschen Übersetzungen sind ein trauriges Kapitel. Wilhelm Goldmann hat nie vernünftige Honorare an seine Übersetzer bezahlt, ich kann das so apodiktisch sagen, weil ich Leute kenne, die früher mal für Goldmann übersetzt habe (und weil ich Wilhelm Goldmann einmal kennengelernt habe).

Die ersten Übersetzungen der Romane von Wallace sind schon sehr alt, weil Wallace schon seit den zwanziger Jahren ein Goldmann Autor ist. Der junge Verleger Wilhelm Goldmann war von den Afrika-Erzählungen wie Sanders of the River begeistert, die er 1925 herausbrachte. Die Krimis folgten wenig später. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Goldmann viele Romane neu übersetzen oder bearbeiten lassen, Ende der sechziger Jahre gab es einen Schub von Neuübersetzungen. Da enthielten die Romane dann auch zum ersten Mal die Namen der Übersetzer, wie Gregor Müller oder Tony Westermayr (der auch ➱Dick Francis und manche ➱Star Wars Romane übersetzt hatte). Gleichzeitig scheinen aber bei Billiganbietern alte Lizenzausgaben mit immer wieder nachgedruckten Druckfehlern aus der Vorkriegszeit im Handel zu sein.

Was Edgar Wallace schreibt, ist zweifellos formula fiction, aber er hat seine eigene Erfolgsformel. Eine spannende Handlung, in die eine Vielzahl von verwirrenden Nebenhandlungen eingebaut sind: Inside the frame of the principal mystery, minor mysteries, slighty overlapping are started like harses and pursued for a short distance, each new problem being set immediately before the solution of its predecessor. Häufig verliert man als Leser den Überblick über die Personen. Der Autor auch, das kommt davon, wenn man einen Roman an einem Wochenende schreibt.

Eine der Neuerungen von Wallace für den englischen Kriminalroman ist die Einführung eines love interest, etwas, was der "reine" Detektivroman im Golden Age of the Detective Novel der zwanziger Jahre zu vermeiden versuchte. Der war inzwischen nicht mehr so ein schöner viktorianischer Gesellschaftsroman wie Wilkie Collins' The Moonstone, sondern war zu einer etwas blutleeren Form eines Kreuzworträtsels in Romanform verkommen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass das Kreuzworträtsel in der gleichen Zeit entsteht, in der die orthodox detective novel ihren Höhepunkt hat.

Bei Edgar Wallace lernt der Held (meist ein Beamter im Dienst ihrer Majestät, kaum jemals ein Privatdetektiv) schon am Anfang eine stereotyp schöne junge Frau kennen: A beautiful girl, sometimes of independent means, more usually a secretary, who always in the course of the story turns out to be deeply though innocently involved in a financial plot and therefore the object of the villain's machinations. She is always partly responsible for the solving of the mystery, and rarely escapes being locked in an attic or a dungeon with a homicidal monster. Knapper als Margaret Lane das hier tut, kann man die Rolle der Heldin nicht beschreiben. Wenn eine Sekretärin am Ende des Romans eine Millionenerbin ist, wird das die weibliche Leserschaft von Edgar Wallace in den finanziell unsicheren zwanziger Jahren sicher getröstet haben.

Es verfehlt seine Wirkung offensichtlich nicht. So nannte der ansonsten immer kritische Willy Haas in der Literarischen Welt 1929 Wallace zwar einen sich selbst vernichtenden Kolportageschmierer und skrupellosen Geldjäger - aber eben doch ein mythisches Genie, das buchstäblich nur stundenweise zu sich selbst kam und zu seinem Genie, bekannte aber gleichzeitig, dass er die Romane mit der Autosuggestion lese, es handle sich um Parodien. Dennoch, wenn ich einmal drin stecke, kann ich nicht mehr aufhören. Von wie tief muss eine Wirkung kommen, die sogar ungefährdet die Schwelle der unfreiwilligen Lächerlichkeit überschreitet?

Ich lasse das mal so stehen, ich könnte jetzt tagelang weiter schreiben. Aber das lasse ich lieber, sonst werde ich noch wie Edgar Wallace. Und Willy Haas hat natürlich Recht. Ich habe mir, bevor ich dies hier schrieb, einige Edgar Wallace Romane aus einem Bücherschrank genommen. Und was ist passiert? Ohne es wirklich zu wollen, habe ich ratzfatz zwei Stück gelesen. Als ich noch studierte, fuhr ich an einem Tag der Woche immer in der Straßenbahn, in dem der Professor für Archäologie saß, dessen Vorlesung ich wenig später hören würde. Er sah ein wenig aus wie Richard Wagner, weil er ein schwarzes Barrett und einen weitwehenden Mantel trug. Er nutzte die letzten Semester vor seiner Emeritierung dazu, mit seinen wissenschaftlichen Feinden in seiner Vorlesung öffentlich abzurechnen. Die Vorlesungen gingen immer über rotfigurige attische Tonvasen, über die habe ich in mehreren Semestern erstaunlich viel nutzloses Wissen angesammelt. Und was las der Fachmann für rotfigurige attische Tonvasen in der Straßenbahn? Ich traute damals meinen Augen kaum: jede Woche Edgar Wallace! Diese billigen roten Goldmann Paperbacks. Damals fand ich das furchtbar daneben, aber inzwischen glaube ich mit Willy Haas, dass Edgar Wallace ein Geheimtip für Connoisseurs ist.

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