Navigare necesse est, vivere non est necesse, ist am Haus der Seefahrt in Bremen eingemeisselt. Die Seefahrt, die nach diesem schönen lateinischen Wort wichtiger ist als das Leben, braucht das Navigieren. Das Navigieren ist eine Kunst, bei der Seekarten und Leuchtfeuer helfen. Seit dem 14. Jahrhundert gibt es so genannte handschriftliche Seebücher, in denen die Küstenlinien mit Hinweisen auf Klippen und Strömungen verzeichnet sind. Ein Jahrhundert später kommen die ersten Seekarten hinzu. Auch Leuchttürme in der einen oder anderen Form (zum Beispiel der der Feuerblüsen) gibt es schon in der Antike und im Mittelalter. Der Leuchtturm von Hook Head in Irland wurde schon 1172 als Seezeichen gebaut (die meisten alten Leuchttürme wie zum Beispiel Neuwerk sind zuerst als Seezeichen gebaut worden, die Befeuerung kam später), er hatte ab dem 17. Jahrhundert eine Laterne. Er steht immer noch an der gleichen Stelle, sieht heute aber etwas moderner aus.
A new Prometheus, chained upon the rock,
Still grasping in his hand the fire of love,
It does not hear the cry, nor heed the shock,
But hails the mariner with words of love.
"Sail on!" it says: "sail on, ye stately ships!
And with your floating bridge the ocean span;
Be mine to guard this light from all eclipse.
Be yours to bring man nearer unto man.
Manchmal ist die Wirklichkeit melodramatischer als jeder Roman. Also zum Beispiel diese Geschichte von Grace Darling und dem Longstone Lighthouse, die im viktorianischen England jeder kannte. Verbunden mit dem Bau von Leuchttürmen wird es in Deutschland auch die Deutsche Gesellschaft zu Rettung Schiffbrüchiger geben, da brauchen dann der Leuchturmwärter und die kleine Grace nicht mehr in in den frühen Morgenstunden bei tosendem Sturm ins Boot zu steigen. Wir sind meinem Heimatort Vegesack sehr stolz auf die DGzRS, weil ihr Gründer Adolf Bermpohl aus unserem Ort kam.
Weshalb natürlich auch der erste Bundespräsident zur Indienststellung der Theodor Heuss in Vegesack war. Unser Heimatmuseum in der Weserstraße hatte ein ganzes Stockwerk, das nur der DGzRS gewidmet war; ich habe da Stunden verbracht, als ich noch klein war. Die Rettung von Schiffbrüchigen ist immer spannend, auch wenn hier nur ein kleines Modell stand, dessen Rettungsleinen mit der Hosenboje durch den ganzen Raum hingen.
Die beiden Photos oben sind aus dem neuen Heim des Heimatmuseums im Schönebecker Schloss, da sieht das Ganze nicht mehr so spektakulär aus. Vielleicht war es auch damals nicht ganz so großartig, die Erinnerung verändert ja vieles. Die Bremer und Hamburger Reeder haben Adolph Bermpohl bei der Gründung der DGzRS unterstützt, so ganz altruistisch waren ihre Motive nicht. Denn die Schiffe, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Auswanderer nach Amerika beförderten, strandeten häufig schon vor den Ostfriesischen Inseln, so zum Beispiel das Auswandererschiffe Johanne 1854 vor Spiekeroog. Sehr zur Freude der Strandräuber.
Dies Bild mit den Strandräubern in den Dünen aus dem Jahre 1873 ist von Hinrich Wrage, es passt eigentlich schön hierher. Es ist die Strandung der Alliance im September 1860 auf dem Borkum Riff und das tatenlose Zusehen der Insulaner, das den Ausschlag für den Aufruf zu Beiträgen für Errichtung von Rettungsstationen auf den deutschen Inseln der Nordsee von Adolph Bermpohl gibt. Der Lehrer an der Seefahrtsschule und ehemalige Obersteuermann Bermpohl macht etwas Unerhörtes, er schreibt einen Aufruf an die ganze Nation. Und hält ihr vor, dass sie auf dem Gebiet der Seenotrettung zurückgeblieben ist: Während die Ufer der meisten zivilisierten Staaten soweit sie von der Nordsee bespült werden, Dänemark selbst nicht ausgenommen, den mit der Wut der Elemente Kämpfenden durch Rettungsstationen wenigstens die Möglichkeit einer Hilfe vor dem Äußersten bieten, bringen die deutschen Ufer dem Schiffbrüchigen nicht nur keine Hilfe, sondern dieser ist, selbst wenn sein Leben gerettet werden könnte, zu sehen genötigt, wie einzelne entmenschte Inselbewohner seinen Tod wünschen, um in erbärmlicher Habsucht das sogenannte Strandrecht ausüben zu können.
Wenn man mit dem Schiff von Bremerhaven kommend den Leuchtturm Roter Sand querab hatte, dann war man in der Nordsee. Für viele Auswanderer im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war es das letzte, was sie von Deutschland sahen. Als der Leuchtturm fertig war, schrieb ein gewisser Gerhard von Thienst ein Gedicht, das nicht unbedingt zur Weltliteratur zählt (das Gedicht von Longfellow wohl auch nicht). Aber wir an der Weser, über die Friedrich Schiller sagte, dass der Fluss nicht das kleinste Epigramm wert sei, sind nicht gerade mit Wesergedichten verwöhnt. Außer Franz von Dingelstedts Weserlied haben wir ja nichts, also gibt es hier dieses Leuchtturmgedicht:
Wo sich der Weser Wellen
vermählen der offenen See,
da ragt für fahrende Gesellen
ein trautes Mal in die Höh’.
Es ist gar trefflich gegründet
in Meerestiefen sein Stand.
Dem Maat sicher Fahren kündet
der Leuchtturm auf Roter Sand.
Ich weiß nicht mehr, wie oft ich den Leuchtturm gesehen habe. Nicht, dass ich ständig nach New York fuhr, Bremer fuhren in den fünfziger und sechziger Jahren ständig nach Helgoland (das uns die Engländer heute vor sechzig Jahren wieder zurückgegeben haben). Nicht wegen der Schönheit der Insel oder weil da unsere Nationalhymne entstanden ist, nein, natürlich nur wegen des zollfreien Einkaufs. Weil da die Burberry Regenmäntel und die Peter Scott Pullover weniger kosteten als in London. Von Dunhill Pfeifen und schottischem Whisky ganz zu schweigen. Also dem, was der Insel den schönen Namen Fuselfelsen eingetragen hat. Der Leuchtturm Roter Sand war immer sehr eindrucksvoll, er ist aber auch ein Werk der Ingenieurskunst. Der erste Leuchtturm der Welt, der auf dem Meeresgrund errichtet wurde (trefflich gegründet in Meerestiefen sein Stand). Denn alle anderen Leuchttürme zuvor standen auf dem Festland in Küstennähe, auf Felsen vor der Küste (a new Prometheus, chained upon the rock) oder wurden auf Sandbänke gebaut.
Und das bringt mich zu einem anderen Werk der Ingenieurskunst, dem Kieler Leuchtturm. Der ist zwar nicht aus dem Jahre 1885 wie der Leuchtturm Roter Sand - und es gibt auch kein Gedicht über ihn - aber seine Konstruktion verlangte auch einiges an Planung und Einfallsreichtum. Der Kieler Leuchtturm wird in diesem Jahr fünfundvierzig Jahre alt, und Gerd Newiger hat mich überredet, in meinem Blog an dieses Jubiläum zu erinnern. Weil ich doch so viele Leser hätte (die habe ich wirklich, im Augenblick sind es mehr als tausend am Tag) und er sich wünschte, dass dies Jubiläum irgendwie gefeiert wird.
Als sie noch vor Kiel schwamm, sah sie noch nicht so toll aus. Wurde auch manchmal im Nebel gerammt, im Winter vom Eis eingeschlossen. Dann musste das Feuerschiff Kiel Reserve ran. Mit diesem roten Schiff hätte man natürlich kein Beck's Bier verkaufen können. Der Mast mit der Laterne ist übrigens erhalten geblieben, er steht heute in Kieler Schiffahrtsmuseum. Ich habe letztens meinem Freund Volker erzählt, dass ich demnächst über den Kieler Leuchtturm schreiben wollte. Da hat er mir gleich alles über die Schwierigkeiten bei den Bauarbeiten erzählt. Die Geschichte kannte ich nun ja schon von Gerd Newiger - und Sie haben sie hier gerade auch schon gelesen. Ich habe ihn unterbrochen und ihn gefragt, woher er das alles weiß. Der Volker ist Segler und hat ein eigenes Boot, ist ständig auf der Ostsee unterwegs. Der kann auch Seekarten lesen. Ich nicht. Das einzige Mal, dass man mich auf der Ostsee an die Pinne eines Folkeboots gelassen hat, gab es auch schon eine Grundberührung. Konnte ich wissen, dass die 1,20 m auf der Seekarte kein Druckfehler war? Ich dachte, die Ostsee wäre tiefer. Doch eine Untiefe ist nun mal nicht die Steigerung von Tiefe, sondern sie ist eben das: un-tief. Aber dafür habe ich als Süßwassersegler gute Kenntnisse auf dem Zwischenahner Meer und weiß auch, dass es da keine Welse gibt.
Gerd Newiger hat bei seinem Bericht Der Bau des Kieler Leuchtturms aus meiner Sicht als Zeitzeuge, Mitwirkender und Ideengeber seine eigene Rolle ein klein wenig heruntergespielt, das ist wahrscheinlich diese norddeutsche Zurückhaltung. Aber natürlich ist er stolz auf das Bauwerk - und das kann er ja auch sein. Leuchttürme werden ja für kleine Ewigkeiten gebaut. Der Kieler Leuchtturm ist historisch gesehen eigentlich viel zu jung, um schon Beachtung zu finden. Für einen Leuchtturm sind 40 Jahre noch kein Alter, schrieb Newiger vor fünf Jahren. Hätte es die verschiedenen Erdbeben nicht gegeben, würde der älteste Leuchtturm der Welt auf der Insel Pharos vor Alexandria wahrscheinlich immer noch stehen. Erdbeben sind hier oben an der Ostsee nicht zu befürchten, und so kann der Kieler Leuchtturm noch sehr alt werden. Der Leuchtturm müsste mal saniert werden (der Unterwasserbetonkörper ist glücklicherweise kerngesund, das hat man schon festgestellt), das weiß das Wasser- und Schiffahrtsamt auch. Aber man hat kein Geld, Minister Ramsauer steckt gerade das Geld in die notwendige Vertiefung des Nord Ostsee Kanals und hat endlich Gelder für neue Schleusen in Brunsbüttel freigegeben. Die Tatsache aber, dass man schon mal mit spitzem Bleistift dabei ist, die Kosten für eine mögliche Renovierung zu addieren, hat Gerd Newiger ganz zuversichtlich gemacht, dass ihm (und uns) der Leuchtturm erhalten bleibt. Vielleicht liest Herr Ramsauer dies hier heute und macht noch ein bisschen Geld locker.
Als echte Norddeutsche kaufen wir jetzt natürlich nur noch Briefmarken mit Leuchttürmen drauf. Und wenn Sie das nächste Mal auf einer Kneipentheke dies Schiffchen sehen: tun Sie was rein! Gerd Newiger hat mir erlaubt, dass ich seine E-Mail Adresse hier publiziere, was ich gerne tue: gerd_newiger@kabelmail.de. Also falls Sie Fragen haben oder Interesse am Kieler Leuchtturm haben, fragen Sie nicht mich, fragen Sie ihn. Oder wollen Sie vielleicht die kleine Feier am 5. Juli als Sponsor unterstützen?
Gerd Newiger hat mir einen halbstündigen Film über den Kieler Leuchtturm geliehen, den die Wasser- und Schiffahrtsdirektion während der Bauarbeiten gedreht hat. Ich hoffe, dass er die mal überreden kann, den Film bei YouTube einzustellen. Der Film ist wirklich eine eindrucksvolle Dokumentation. Bis dahin können Sie bei YouTube eine Computersimulation betrachten und (bei schönem Wetter) eine Fahrt zum Leuchtturm machen.
Nachtrag 21. April 2012: Der Film, den die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Kiel in den Jahren 1964-1967 über den Bau des Kieler Leuchtturms gedreht hat, ist jetzt bei ✺YouTube zu sehen!
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