Donnerstag, 29. März 2012

Québec


Heute vor 380 Jahren haben die Engländer und Franzosen den Vertrag von Saint-Germain-en-Laye abgeschlossen. Es musste dieser Ort sein, weil da das Schloss stand, das die französischen Könige bewohnten, bevor sie nach Versailles umzogen. Mit diesem Vertrag gaben die Engländer den Franzosen Québec zurück. Irgendwann haben sie es sich wieder geholt, das ist eine lange Geschichte. Aber in Québec gibt es heute noch knallharte Nationalisten, die nur Französisch sprechen und am liebsten ein eigener Staat wären. Leider hat ihnen der oberste kanadische Gerichtshof das verboten.

Ansonsten sind die Kanadier ja Leute, mit denen man gut auskommen kann. Wir hatten an meinem Institut immer wieder kanadische Gastprofessoren. So habe ich mir mit Aritha Van Herk (links) ein Büro geteilt, wir haben meistens über Raymond Chandler geredet, nie über ihre Romane. Dabei hatte ich die aus Höflichkeit alle gelesen, bevor sie ankam. Sie war damals schon ziemlich berühmt, und ihre Romane gab es schon in deutscher Übersetzung bei Rowohlt. Sie war von meinen englischen Schuhen begeistert, vielleicht hat sie die inzwischen schon in einen Roman hineingeschrieben. Gastprofessoren, die selbst Schriftsteller sind, sind ja für den Literaturunterricht eine tolle Sache. Unsere Studenten haben auf jeden Fall immer davon profitiert.

Natürlich gab es auch immer wieder einmal Verständigungsprobleme kultureller Art. Ich habe während eines Fußballspiels versucht, Rudy Wiebe (links) die Regeln des Spiels zu erklären. Er hingegen erzählte mir alles über kanadisches Eishockey, das nicht so langsam, und langweilig sei wie das, was da vor unseren Augen auf dem Rasen stattfand. Der Dichter Stephen Scobie war von dem deutschen Wort Schwarzfahrer so begeistert, dass er gleich ein Gedicht mit dem Titel Black Riders schrieb. Den Dichter Henry Beissel habe ich ➱hier schon einmal erwähnt, und den Sprachwissenschaftler und Jazzkritiker ➱Jack Chambers natürlich auch.

Dass halb Kanada zu uns kam, war natürlich kein Zufall. Die Universität verdankte das der beharrlichen Arbeit von Professor Konrad Groß (links), dem es immer wieder gelang, interessante Gäste in die kulturelle Provinz zu locken. Sogar die große Margaret Atwood ist einmal gekommen, allerdings nur für einen Tag. Das war das Jahr, in dem sie in Berlin war (und dort The Handmaid's Tale schrieb). Ich hatte da meinen Photoapparat mitgeschleppt und mit dem Teleobjektiv einige schöne Aufnahmen gemacht. Nach ihrem Vortrag gab es eine Fragestunde, in der ein Kollege sich peinlicherweise bemüßigt fühlte, die Schriftstellerin zu attackieren und an einem ihrer Bücher herumzumäkeln.

Er hatte zwar ihre Bücher nie gelesen, konnte aber darüber reden - das gehört zu den Grundbedingungen von Universitätswissenschaftlern und anderen Vertretern der chattering classes. Denn was wären alle möglichen Talkshows zum Thema Kultur, wenn wir die chattering classes nicht hätten? Und, andersherum, was wären Richard David Precht und Thea Dorn, wenn sie die Talkshows nicht hätten? Margaret Atwood ging mit dieser peinlichen und unhöflichen Kritik ganz souverän um, indem sie charmant lächelte und fragte Have you read my book? In diesem Augenblick machte meine Kamera in die atemlose Stille im Saal ein lautes Klack. Immer wenn ich das Photo anschaue, höre ich ihre Stimme: Have you read the book?

Eines Tages hatten wir eine Professorin aus Québec zu Gast. Das Thema ihres Vortrags interessierte mich überhaupt nicht, aber aus Höflichkeit gegenüber dem Konnie Groß bin ich dahin gegangen. Der Vortrag war im Englischen Seminar, er war in englischer Sprache angekündigt. Und was macht diese beinharte Québécoise? Sie schnattert auf Französisch los (was im übrigen nicht das feine Französisch von Paris ist). Das war natürlich ein Affront, zumal zu diesem Vortrag auch die nicht-universitäre Öffentlichkeit eingeladen war. Die ersten Zuhörer verließen da schon den Hörsaal. Ich bin da geblieben.

Ich trug an dem Tag ein englisches Hemd mit einem steifen hohen Kragen, das verleiht einem Haltung und Würde. Ich weiß nicht, welches Modemagazin vor Jahrzehnten diesen blöden Spruch dressing well is the best revenge herausgebracht hat, aber es gibt so Situationen, in denen elegante Kleidung wie eine Ritterrüstung ist. Als der Vortrag zu Ende war, gab es nur ein kurzes Beifallsklopfen. Und auch keine Fragen oder Diskussionen. Als ich den Hörsaal gerade verlassen hatte, war plötzlich diese Separatismusfanatikerin neben mir und fragte mich, wo die Damentoilette sei. Natürlich auf Québec-Französisch. Und da habe ich mich gerächt und im schönsten Französisch gesagt: Je vous prie de m'excuser, Madame, mais je ne parle pas français. Ich glaube, sie hat diese kleine Beleidigung verstanden.

Die Verträge von Saint-Germain-en-Laye haben ja selten eine politische Ruhe gebracht. Das Edikt von Saint-Germain-en-Laye vor vierhundertfünzig Jahren bedeutete den Beginn der Hugenottenkriege. Und bei der Vertragsunterzeichnung des Friedens von Saint-Germain-en-Laye soll der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor! (Rächer, erstehe du mir einst aus meinen Gebeinen!) gesagt haben. Vielleicht hätten die Engländer Québec doch besser behalten, dann hätte ➱General Wolfe Québec nicht zurückerobern müssen.

In days of yore, from Britain's shore
Wolfe, the dauntless hero, came
And planted firm Britannia's flag
On Canada's fair domain.
Here may it wave, our boast and pride
And, joined in love together,
The thistle, shamrock, rose entwine
The Maple Leaf forever!


Das ist The Maple Leaf forever, beinahe die Nationalhymne von Kanada. Aber in Québec würden sie sich eher die Zunge abbeißen als dieses Lied zu singen.

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