Sonntag, 15. April 2012

A night to remember


Titanic und kein Ende in diesen Tagen. Es gibt sogar eine Schiffsreise auf den Spuren des Luxusliners der White Star Line. War schon seit zwei Jahren ausgebucht. Angeblich hüllen sich die Passagiere dabei auch in die Mode von 1914. Da wollen wir mal hoffen, dass kein Eisberg im Weg ist und die Schiffskapelle nicht ➱Nearer, My God, to Thee spielen muss.

Den Titel für diesen Post habe ich mir natürlich bei ➱Walter Lord geborgt (der als Kind den Atlantik auf dem Schwesterschiff der Titanic überquerte), sein Buch A Night to Remember gilt zu recht immer noch als Standardwerk. Wahrscheinlich wäre es besser, dies Buch zu lesen, als den Untergang der Titanic auf einen schmalzigen Song von Celine Dion zu reduzieren, der jetzt überall im Radio dudelt. Man kann die Sender wechseln wie man will, überall ➱My heart will go on. Das Schreckliche des Ereignisses ist längst der Vermarktung durch die Vergnügungsindustrie gewichen.

Im Jahre 1912 war das Ereignis noch nichts für die Vergnügungsindustrie, aber die Presseberichterstattung trug schon alle Züge dessen, was wir heute bei ähnlichen Ereignissen finden. Die Katastrophe wurde zu einem Symbol für alles mögliche, für den Sozialisten H.G. Wells war es the penetrating comment of chance upon our entire social system. Beneath a surface of magnificent efficiency was - slapdash.

Für viele Zeitungen war das Ereignis ein Beweis für englisches Heldentum im Angesicht des Unvermeidlichen, so wie man schon den Untergang der ➱Birkenhead sechzig Jahre zuvor mythologisiert hatte. Kiplings Wort vom Birkenhead drill war wie der Ausruf Women and Children First zu einer Maxime geworden - mit Ausnahme von J. Bruce Ismay, den Coward Of The Titanic. Für George Bernard Shaw war diese Romantisierung (die Mark Girouard im Eingangskapitel von The Return to Camelot beschreibt) ein wenig zu viel des Guten: Why is it that the effect of a sensational catastrophe on a modern nation is to cast it into transports, not of weeping, not of prayer, not of sympathy with the bereaved nor congratulation of the rescued, not of poetic expression of the soul purified by pity and terror, but of a wild defiance of inexorable Fate and undeniable Fact by an explosion of outrageous romantic lying?

Kaum ein englischer Schrifsteller schwieg damals. Thomas Hardy schrieb sein Gedicht ➱The Convergence of the Twain, und Joseph Conrad schrieb im English Review den Artikel Some reflections, Seaman-like and otherwise, on the loss of the Titanic. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, wusste der Kapitän Joseph Conrad, wovon er redete: But she sank, causing, apart from the sorrow and the pity of the loss of so many lives, a sort of surprised consternation that such a thing should have happened at all. Why? You build a 45,000 tons hotel of thin steel plates to secure the patronage of, say, a couple of thousand rich people (for if it had been for the emigrant trade alone, there would have been no such exaggeration of mere size), you decorate it in the style of the Pharaohs or in the Louis Quinze style--I don't know which--and to please the aforesaid fatuous handful of individuals, who have more money than they know what to do with, and to the applause of two continents, you launch that mass with two thousand people on board at twenty-one knots across the sea--a perfect exhibition of the modern blind trust in mere material and appliances. And then this happens. General uproar. The blind trust in material and appliances has received a terrible shock. I will say nothing of the credulity which accepts any statement which specialists, technicians and office-people are pleased to make, whether for purposes of gain or glory You stand there astonished and hurt in your profoundest sensibilities. But what else under the circumstances could you expect?

Mein Gedicht heute heißt natürlich Titanic. Es stammt aus dem Gedichtband Not in these Shoes von der walisischen Dichterin Samantha Wynne-Rhydderch, der 2008 in der Reihe Picador Poetry erschien. Falls Sie jetzt Schwierigkeiten mit der Aussprache des Namens haben, benutzen Sie doch einfach dieses kleine ➱Gadget. Ist eine tolle Sache, funktioniert auch mit anderen Sprachen als English. ➱Samantha Wynne-Rhydderch hat mit zwei Gedichtbänden schon eine Vielzahl von Lesern und Kritikern begeistert. Nicht alles ist in Not in these Shoes ist ➱brillant, aber vieles ist sehr, sehr gut. Manches ist in seiner Einfachheit schlicht verblüffend wie das zweite Titanic Gedicht in dem Band, das Oyster Forks heißt und eine nüchterne Bestandsliste ist, von den 1.000 oyster forks, über die 12.000 dinner plates bis zu der Schlußzeile: Lifeboats: 20. Das zweite Titanic Gedicht ist nur drei Zeilen lang, es hat etwas von einem Haiku:

Titanic

Cadences
before water filled the open lung
of the baby grand.

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