Samstag, 14. April 2012

Politisch Lied


Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!, den Satz darf man zitieren, der ist von Goethe. Politische Gedichte sind immer ein klein wenig problematisch. Wenn man heutzutage politisches Gedicht bei Google eingibt, sind die ersten Seiten zugemüllt mit Günter Grass. Dabei hat es schon immer politische Gedichte gegeben. Was Christian Fürchtegott Gellert (in dem Post ➱Eduard Daege) unerschrocken Friedrich II. vorträgt, ist auch ein politisches Gedicht. Unsere deutsche Literatur hat immer politische Lyrik gehab, nicht nur zur Zeit der Freiheitskämpfe gegen Napoleon und 1848. Wenn Dichter, die politische Gedichte geschrieben haben, lange genug tot sind, dann mögen wir sie auch, vorher meistens nicht. Dann tun sie uns nicht mehr weh. Heinrich Heine wäre so ein Fall.

Was that dir, Thor, dein Vaterland?/Dein spott' ich, glüht dein Herz dir nicht/Bey seines Namens Schall! Das ist jetzt nicht auf Günter Grass gemünzt, das ist von Klopstock. Ich wollte mich aus dieser augenblicklichen Hysterie heraushalten, aber dann schickte mir ein Freund diesen selbstgezeichneten Cartoon da oben, der noch'n Gedicht betitelt ist (wobei der Hahn auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hahn von Günter Grass auf dem Wahlplakat weiter unten hat). Und ich dachte mir, dass dieser Hahn eine größere Verbreitung erfahren sollte. Es muss auch bei ernsten Themen - oder in Zeiten einer Massenhysterie wie jetzt - ein wenig Humor dabei sein. Vielleicht hatte Oliver Welkes heute-show gestern Abend schon eine kathartische Wirkung.

Wenn ich auch Günter Grass gern gegen eine Flut von Schwachsinn, die jetzt über die Deiche der Vernunft schwappt, verteidigen möchte, muss ich vorwegschicken, dass er nicht unbedingt mein Lieblingsautor ist. Ich mag ihn eigentlich gar nicht. Ich mag Günter de Bruyn, ich mag Martin Walser, aber ich mag Grass nicht. Ich rauche zwar auch Pfeife und besitze auch ➱Cordjacketts, aber da hören die Gemeinsamkeiten schon auf. Ich habe ihn mehrmals gesehen, habe auch einmal mit meiner alten Leica ein paar schöne Photos von ihm gemacht (die ihm wohl auch gefallen haben); meine Ex kannte ihn und besaß mehrere Bücher mit persönlicher Widmung. Und mein Freund X (der nicht genannt werden möchte) hatte mal eine Freundin, die später die Frau von Günter Grass wurde. Ich besitze eine Werkausgabe und habe das meiste von Grass gelesen. Ich habe eine Ausstellung besucht, die sein künstlerisches Werk präsentierte. Hat mich nicht wirklich begeistert, so wie mich Grass nie so recht begeistert hat - mit Ausnahme von seinem Roman Ein weites Feld, den finde ich ➱wunderbar. Im Gegensatz zu Herrn Reich-Ranicki.

Ich neide Grass seinen Nobelpreis nicht, im Vergleich mit vielen anderen, die ihn nie hätten kriegen dürfen (wie zum Beispiel diese Herta Müller), hat er ihn vielleicht sogar verdient. Sub specie aeternitatis wahrscheinlich nicht. Ich will sein "Gedicht" Was gesagt werden muss in der ➱Süddeutschen nicht verteidigen. Sie haben bemerkt, dass ich das Wort Gedicht in Anführungszeichen gesetzt habe.

Als literarisches Kunstwerk ist es lächerlich, verglichen mit großer politischer Dichtung ist es einfach nur schlecht. Das besagte Gedicht ist stilistisch aber eher, na sagen wir mal höflich, bemüht? fragte die Reporterin Nana Brink im Interview den Präsidenten der Akademie der Künste Klaus Staeck. Das war noch höflich. Aber dennoch hat Günter Grass das Recht, grottenolmschlechte Gedichte zu schreiben, wenn ihm danach ist. Und er hat auch das Recht auf eine eigene Meinung, auch wenn das, was er in diesem Gedicht sagt, vielleicht nicht ganz zu Ende gedacht ist. Aber von der political correctness - für die die Skribenten von Frau Friede Springer bekanntlich zuständig sind - abweichende Meinungen muss es geben dürfen. Grass hätte das, was er sagen wollte, auch in normaler Prosa sagen können. Zola hat mit J'accuse diesen Weg gewählt. Aber der hatte auch mehr zu sagen. Das alte Lied, das spiel ich neu, Da tanzen alle Leute, Das ist die Vaterländerei, O Herr, mach uns gescheute!

Ich weiß nicht, wann zuletzt ein Gedicht in der Geschichte der deutschen Literatur einen derartigen Wirbelsturm von Reaktionen hervorgerufen hat. Es ist eine ähnliche Hysterie, wie sie nach Philipp Jenningers Rede vom 10. November 1988 eingesetzt hatte. Damals hatte man die gewählte rhetorische Kunstform nicht verstanden - oder besser: nicht verstehen wollen. Als Ignatz Bubis ein Jahr später Passagen aus Jennigers Rede vortrug, regte sich niemand auf. Urplötzlich sind jetzt Leute, die in den letzten Jahrzehnten garantiert kein einziges Gedichte gelesen haben, Fachleute für Poesie. GÜNTER GRASS EMPÖRT DEUTSCHLAND Irres Gedicht gegen Israel titelt das Fachorgan für feinfühlige Gedichtsexegese - die Bild Zeitung als Praeceptor Germaniae, das hatten wir uns schon immer gewünscht. Irgendjemand muss entdeckt haben, dass man das Ganze auch prima vermarkten konnte. Wahrscheinlich sind das die Leute, die Grillparzer verstanden haben:

In Politik zwei wichtge kleine Dinger
Sind Daumen eben und Zeigefinger,
Sie halten die Feder,
Das weiß ein jeder.
Doch Wichtgres noch wird oft durch sie betrieben,
Wenn sie sich übereinander schieben.


Und nun geht er los, der Medienrummel, der zu einer Art Günter Grass Vernichtungsmaschine wird. Mit Gedichtinterpretation hat das wenig zu tun. Die Rentner, die 1968 einer K-Gruppe angehörten, werden mit Befriedigung feststellen, dass die Stilanalyse durch die Ideologiekritik ersetzt wird. Und dann wird auch noch, zack, zack, zwei Huhn ein Gänse, ein ➱Wikipedia Artikel zu dem Gedicht geschrieben - wo bedeutende Werke der Weltliteratur noch immer auf solche Nobilitierung warten. Wahrscheinlich kommen zum Monatsende schon die ersten Bücher zu dem Thema auf den Tisch. Ich kann die ganze Aufregung nicht verstehen, sagte Klaus Staeck im Interview der Mitteldeutschen Zeitung. Wirklich nicht? Staeck, der vor Jahrzehnten keinem Konflikt mit seinen politischen Plakaten aus dem Weg gegangen ist, sollte schon verstehen, was jetzt läuft. Doch er hat in einem Interview mit Nana Brink auch gesagt: Also ich bin kein Gedichte-Rezensent, schon gar nicht einer, der sich anmaßt, das Gedicht eines Nobelpreisträgers in irgendeiner Form zu kritisieren. Es ist eine Form gewählt worden, die ja bewusst eine Kunstform ist. Wäre es ein normaler Text gewesen, ich glaube, die Aufregung wäre auch nur halb so groß gewesen. Das spricht eigentlich, was ich so gar nicht mehr vermutet hätte, für die Gedichte. Gedichte sind eine gefährliche Sache. Haben Dichter plötzlich wieder die verwaiste Position auf dem Olymp der sinnstiftenden Meinungsbildung erobert? Der Satz Ich habe eine gesellschaftliche Rolle eingenommen, die in Deutschland unbesetzt war. […] Die Rolle des öffentlich präsenten Intellektuellen ist nicht von Grass, der ist von Herrn Precht.

Wäre es ein normaler Text gewesen, ich glaube, die Aufregung wäre auch nur halb so groß gewesen. Hätte Grass das Ganze im Schleswig-Holsteinischen Wahlkampf in irgendeinem Provinzkaff erzählt, hätte es bestimmt niemanden interessiert. An Stammtischen auf dem platten Land kann man ähnliche Dinge hören. So aber äußert sich jetzt selbst ein Organ wie die ➱Homepage des Heimatortes von Grass dezidiert zu dem literarischen Werk. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich Anne Will oder Sandra Maischberger dem Thema Günter Grass widmen werden und ➱Richard David Precht seinen Senf dazu gibt. Und das wird jetzt so weiter gehen, bis die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird. Es ist ein Land, wo die Philister thronen... Herr Gott, wie lang willst du die Brut verschonen!

So ist er nun persona non grata in Israel, Einreiseverbote hatte er zuletzt in der DDR und in Birma. Man hat die Aberkennung des Literaturnobelpreises gefordert, und der greise Großinquisitor ➱Reich-Ranicki sieht bei Grass (den er schon bei Erscheinen von Ein weites Feld zerrissen hatte, wie man auf dem Spiegel Titelbild sieht) nur die Absicht den Judenstaat zu attackieren. Und auf die Frage Warum macht Grass das? antwortet Reich-Ranicki: Er macht es aus einem sehr einfachen Grund. Er, Grass, war immer schon an Sensationen, an Affären, an Skandalen interessiert. Mit seinen Gedichten hat er wenig erreicht, Romane hat er nur einen wirklich sensationellen geschrieben, die 'Blechtrommel'. Mit seinem literarischen Werk hat er erreicht, was er erreichen konnte, mehr hat er nicht zu bieten. Und dass er jetzt die Juden attackiert, das ist kein Zufall. Er hat etwas verstanden, was ein anderer vor ihm genau so verstanden hat. Und dieser andere ist Martin Walser. Er hat verstanden: Wenn man die Juden attackiert, kann man damit allerhand erreichen. Und in der Tat haben beide, er und Walser, viel erreicht.

Ich liebe diese literarischen Verschwörungstheorien. Die schönste ist die von ➱Kurt Vonnegut, der einmal erklärte, warum er nie den Nobelpreis bekommen hat: I used to be the owner and manager of an automobile dealership in West Barnstable, Massachusetts, called 'Saab Cape Cod.' It and I went out of business 33 years ago. The Saab then as now was a Swedish car, and I now believe my failure as a dealer so long ago explains what would otherwise remain a deep mystery: Why the Swedes have never given me a Nobel Prize for Literature. Old Norwegian proverb: “Swedes have short dicks but long memories...” Im Gegensatz zu Reich-Ranicki, der vielleicht das glaubt, was er da faselt, hat Vonnegut seine komische Geschichte nicht ernst gemeint.

Welches Gedicht soll ich jetzt zitieren? Mir fiele vieles ein, was den Trubel der letzten Tage kommentiert. Ich nehme einmal ein Gedicht von Günter Grass, das ein wirkliches Gedicht ist. Das keinen nationalen Aufruhr bewirkte und für das es keine Interpretationshilfe von der Bild Zeitung gibt:

Verwaiste Reime - Peter Rühmkorf nachgerufen

Vier, fünf Minuten nachdem das Herz stillstand,
der Atem verging,
waren wir bei ihm: noch warm die Stirn,
auf die ich später, als sie erkaltet schon,
drei Tröpfchen Grappa rieb.


Im Schlaf gestorben: schön sein Profil,
das ich zu zeichnen nicht zögerte.
Kein letztes Wort überliefert: Klappe zu!
Auch mußte, weil haltlos das Kinn
und jederzeit handlich
das große Gedichtbuch –
kurz »der Conrady« genannt –
als Stütze dienen.


Wir hatten den Tod erwartet.
Er ließ mit sich reden, war nachts
woanders geschäftig, trat gegen Mittag ein,
schattenlos aus der Helle kommend:
der verläßliche Gast.


Draußen war Sommer.
Die Vögel zu laut.
Ach Freund! Wer kümmert sich jetzt
um deine Reime? Findling und Gründling,
Eckensteher und Heckenspäher
suchen verwaist einander,
warten vergeblich auf dich,
des Meisters kuppelnder Griff.


Wer hören (und sehen) will, was Günter Grass zu Was gesagt werden muss sagt, der sollte sich dies ➱Interview anschauen.

1 Kommentar:

  1. Merkwürdig, "Ein weites Feld" mag ich ebenso, man muß sich inzwischen wohl selbst zu Grass-Verteidigungen aufraffen (Sie haben das ja respektabel hinbekommen), unangenehme Zeiten.

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