Samstag, 29. September 2012
Antonioni
Seine schönsten Filme wurden ausgepfiffen. Die Meisterstücke stießen nicht nur auf Unverständnis eines großen Teils der Kinogänger; sie provozierten auch denkfaule ungeduldige Festivaliers zu dummdreistem Hohngelächter... Michelangelo Antonioni wird sie überdauern. Seine Kunst ist der Zeit so weit voraus, daß er geduldig abwarten kann, daß seine Gegner eines Tages zu ihm überlaufen, schrieb Karl-Heinz Krüger 1962 in Der Abend. Man kann sich das heute nicht mehr vorstellen, dass ein Film wie L'avventura (Die mit der Liebe spielen) vor einem halben Jahrhundert in Cannes ausgebuht und ausgepfiffen wurde. Wahrscheinlich mochte man in Deutschland La Notte damals nur, weil da Bernhard Wicki drin mitspielte.
Ich hätte natürlich nicht bei einer Premiere gepfiffen, denn ich war Michelangelo Antonioni Fan. Nicht, dass ich Cronaca di un amore (➱hier ganz zu sehen) wegen des schönen ➱Maserati angeguckt hätte oder wegen der bildschönen ➱Lucia Bosé. Oder wegen der eleganten Klamotten. Nein, man liebte Antonioni wegen der Filmkunst. Das sagte man so voller Überzeugung, Antonioni war cool. Andere guckten Schön ist die Liebe am Königssee, wir kleinen Cineasten schwärmten für Michelangelo Antonioni.
In Wirklichkeit habe ich seine Filme natürlich nur wegen der schönen Frauen, wegen der eleganten Kleidung und wegen der Autos gesehen. L'avventura habe ich wegen ➱Lea Massari gesehen, ➱L'eclisse wegen Monica Vitti. Das Tweedjackett hier von Steven Cochran in Il Grido vergesse ich ebenso wenig wie die Anzüge, die Marcello Mastroianni in La Notte getragen hat. So etwas prägt, vor allem in einer Zeit in der die Adenauer Republik trotz des Wirtschaftswunders in Bezug auf die Mode ein Entwicklungsland war. Und wenn man sich auf den Straßen umschaut, ist sie das heute immer noch so, obgleich überall diese widerlichen Designer Outlets eröffnet werden, die angeblich den Höhepunkt der Mode bringen. Was man aber nie auf der Straße sieht.
Ich übertreibe jetzt etwas (nicht mit den Bemerkungen über den Zustand der deutschen Mode heute). Natürlich habe ich auch damals schon gemerkt, dass dies wirkliche Filmkunst war. Dafür war man schließlich in einem Filmclub und ging in Kinos, die den hochtrabenden Namen Studio für Filmkunst hatten. Man ging natürlich auch in ganz andere Kinos und in ganz andere Filme, aber das durfte man in Cineastenkreisen nicht so laut sagen. Ich war damals sehr glücklich, dass der amerikanische Western durch André Bazin und den Rest der französischen Filmkritik geadelt wurde. Wenn Western Filmkunst waren, dann durfte man sie auch ohne schlechtes Gewissen genießen.
Ich besaß 1964 sogar schon ein Buch über Antonioni, Pierre Leprohons Michel Antonioni: Der Regisseur und seine Filme, war gerade bei Fischer als Taschenbuch erschienen. Es gab zu der Zeit hier kaum Bücher über Filme und Regisseure. Gedruckte Drehbücher erst recht nicht, da hatte L'Avant-scène cinéma (gerade 1961 gegründet) das Monopol. Die Franzosen waren schon weiter als wir. Die Cahiers du cinéma gab es schon seit 1951, das deutsche Imitat Filmkritik kam erst später und druckte zu Anfang auch beinahe nur Übersetzungen der Artikel aus den Cahiers du cinéma nach. Pierre Leprohons Buch (übrigens ein erstklassiges Buch!) markiert auch einen Wendepunkt in der Rezeption von Antonioni.
Jetzt wurde er nicht mehr ausgebuht, jetzt war er Kunst. Und die Italiener waren auch eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Franzosen. L'avventura kam im gleichen Jahr wie Fellinis La dolce Vita oder Viscontis Rocco e i suoi fratelli ins Kino. Aus Frankreich kamen damals Louis Malles Zazie dans le Métro, Godards À bout de souffle und ➱Truffauts Tirez sur le pianiste zu uns. Wir hatten den Faust Film mit Gründgens und Quadflieg, die Fabrik der Offiziere und Der letzte Fußgänger mit Heinz Erhardt. Man könnte aus der These Kracauers, aus den Filmen einer Nation etwas über ihren Nationalcharakter abzuleiten (wie er das in From Caligari to Hitler vorgemacht hatte) sicherlich auch für das nationale Kino der sixties eine Menge Rückschlüsse ziehen.
Es ist der Mittelteil seines Werkes, Filme wie Die mit der Liebe spielen, Die Nacht und Liebe 1962 (L'eclisse), der Antonioni seine Anerkennung beim Publikum sicherte. Ich liebe keinen meiner Filme: zumindest habe ich keine besondere Vorliebe für einen von ihnen, weil ich niemals einen Film unter normalen Bedingungen drehen und ausdrücken konnte, was ich wollte, hat Antonioni gesagt, als er Le amiche gedreht hatte. Doch in den sechziger Jahren sind die Schwierigkeiten des Filmemachers vorbei, jetzt bekommt er genügend Geld für seine Projekte.
Jetzt dreht er auch in Farbe. Obgleich Il deserto rosso wie ein Schwarzweißfilm wirkt, den man - bis auf die roten Haare von Antonionis neuer Muse Monica Vitti - künstlich eingefärbt hat. Aber der Farbfilm ist auch eine Gefahr für einen Regisseur, der in der Schwarzweißästhetik des italienischen Neorealismus großgeworden war. Antonioni schien nicht mehr zu wissen, was er wollte. Da ähnelte er dem Regisseur Guido Anselmi (gespielt von Marcello Mastroianni) aus Fellinis Otto e mezzo, der irgendwann sagt: Ich wollte einen einfachen, ehrlichen Film, und jetzt herrscht in meinem Kopf die größte Verwirrung.
Dann drehte er Blow-Up und verlegte seine immer wieder variierte Geschichte von Entfremdung und Selbstfindung aus dem Italien, das er kannte, in das Swinging London, das gerade angesagt war. Eine hippe Version von Fellinis La Dolce Vita. Obgleich ich den Film mehrfach gesehen habe, wußte ich, dass dies jetzt nicht mehr der Antonioni von Le amiche (ein Film, der wie Blow-Up etwas mit der Welt der Mode zu tun hat) war. Dieser Film schielte auf die Kinokassen. Und was Antonioni danach drehte, hat mich eigentlich nicht mehr interessiert.
Michelangelo Antonioni wurde heute vor hundert Jahren geboren. In diesem Blog ist er schon zweimal vorgekommen: ➱hier und ➱hier. Das letzte ist ein ziemlicher Verriss von Blow-Up, der allerdings schon über fünftausend Mal gelesen wurde. Hat sich aber bisher niemand beschwert.
Inzwischen gibt es in diesem Blog noch mehr Antonioni: Michelangelo Antonioni, Monica Vitti, Steve Cochran, Vittorio Gassman, Ossessione, Ingmar Bergman, Cinecittà und die Mode, Brioni, Dieter Borsche, Peter Finch
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