Samstag, 31. Dezember 2016
Jahreswechsel
Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt Läuft die Zeit; wir laufen mit. Wieder einmal ist Silvester, ein Name, der von dem lateinischen silva abgeleitet wurde. So wie das silvae, das der Titel dieses Blogs ist. Und deshalb muss in SILVAE natürlich etwas zu Silvester stehen. Natürlich muss es einen Hinweis auf ⭐︎Dinner for One geben, aber die Fröhlichkeit, die es noch ⭐︎Silvester 2012 gab, ist dahin. Wir hätten uns das Jahr 2016 anders gewünscht. Silvester ist für viele die Zeit, Böller zu kaufen, was ich für den größten Unsinn überhaupt halte. Was ist denn gegen das Abrennen einer Wunderkerze zu sagen? Vierzehn Tage Pionierlehrgang haben mir einen großen Respekt vor dem Trinitrotoluol beigebracht. Die dreistelligen Millionenbeträge, die die Deutschen am Ende des Jahres für Knallkörper ausgeben (plus die Beträge, die sie für Böller in Fußballstadien ausgeben), könnte man sinnvoller für wohltätige Zwecke verwenden. Treiben die Böller wirklich böse Geister aus? Oder erinnern sie nicht eher an Krieg und Attentate?
Ich stelle heute lieber etwas Nachdenklicheres ein, das ⭐︎Gottfried Benn im Jahre 1956 geschrieben hat:
Ich erinnere mich der Silvesternacht, in der das jetzige Jahrhundert sich erhob. Diese Nacht lag über einem Dorf jenseits der Oder-Neiße-Linie. Es war für die damalige so glückliche Welt eine Sensation, dass ein neues Jahrhundert begann. Alles wachte, alles feierte, die Kirchenglocken läuteten um Mitternacht, man erwartete irgend etwas ganz besonderes, eine Art Anbruch des Paradieses innen und außen. Mein Vater trat aus seinem Pfarrhaus und umarmte den Dorfschulzen, einen großen reichen Bauern, alles umarmte sich, es war eine schnee- und regenlose Nacht, es war ein großes Ereignis.
Ich erinnere mich an eine Silvesternacht im Ersten Kriege. Wir waren in einer glänzenden eleganten Stadt, einer Hauptstadt. In der berühmten wunderbaren weißen Kathedrale fand die Mitternachtsmesse statt. Das Land war katholisch, der Dom war überfüllt, die meisten mußten stehen, wir fremden Soldaten standen in Uniform zwischen ihnen, und alles gehörte in dieser Nacht zusammen.
Ich erinnere mich an eine Silvesternacht im Zweiten Krieg. In einer kleinen Stadt im Osten, im Warthegau. Es war in einer Kaserne. Ein schneereicher Dezember war gewesen, ungewöhnliche Kälte herrschte seit Wochen, Frost – und wir hatten nichts zu heizen. Wir hatten hundert Gramm Streichmettwurst als Sonderzulage erhalten und Bratlingspulver. Damals feierte man nicht Weihnachten, sondern Wintersonnenwende, und die Kommandeure hatten in der Neujahrsparole über Erneuerung des Lichts zu sprechen. Am Morgen war ein schwerer Angriff auf Berlin gewesen, und man fragte sich, ob die Wohnung noch stünde und was von den wenigen Bekannten, die dort lebten, übriggeblieben war.
1900, 1914, 1944, drei Silvesternächte! Drei Silvesternächte, alle in diesem Europa, in diesem Abendland, tief und gleisnerisch, universal und abstrakt, Olymp und Golgatha, Leda und Maria. Drei Silvesternächte, sie umschließen zwei Generationen, zwei verwundete Generationen, denen alles fraglich wurde, für die es zwar wieder Komfort, aber keinen Inhalt mehr gibt.
Eine Art Anbruch des Paradieses innen und außen werden wir 2017 wohl nicht erleben, aber wir können ja immer hoffen, dass die Welt ein klein wenig besser wird als im letzten Jahr. Ich wünsche all meinen Lesern eine gutes neues Jahr. Und Gesundheit und Frieden.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Diese Wünsche gebe ich Ihnen zurück.
AntwortenLöschenEine solche Rückschau ist durchaus von Nöten.
Auch ich habe vor mehr als 25 Jahren ständig irgendwelche Raketen, die sich Leuchtzeichen nannten, oder auch Rauch in verschiedenen Farben enthielten, ständig in den Himmel geballert. Das war für mich genug Feuerwerk. Gekauft habe ich nie (doch halt, einmal) irgendwelches Ballerzeug.
Allerding wäre mir der Lehrgang mit dem bekannten TNT in diesem Zusammenhang nicht in den Sinn gekommen. Nun ist er es doch, und ich weiß noch, Respekt und Spaß waren durchaus dabei.
Ihnen einen guten Rutsch und viele schöne Blogideen im nächsten Jahr.
Ein sehr treffender Jahresabschlussbeitrag. Und ich genieße jegliche Anspielungen auf Alte Sprachen; ich wünsche Ihnen für 2017 etwas, das tatsächlich mal keine Belanglosigkeit darstellt: Viele Phasen gedanklicher Klarheit. Auch wenn noch so viele Unwägbarkeiten auftreten mögen, so beruhigt es doch immer, den Überblick zu haben.
AntwortenLöschen