Dienstag, 9. Juli 2019

Hans am Ende


Das erste Bild des Worpsweder Malers Hans am Ende sah ich vor Jahrzehnten im Wohnzimmer der Eltern einer Freundin. Es war eine dieser Landschaften, die sofort Worpswede sagen. Es war ein großes Bild, zu groß für das kleine Wohnzimmer, es schrie förmlich danach, an den Wänden einer Kunsthalle zu hängen. Ich fragte, von wem das Bild sei, man sagte mir, dass es von Hans am Ende sei. Ich hatte den Namen noch nie gehört. Wir hatten zu Hause ein halbes Dutzend Overbecks, und ich kannte Leute, die Modersohns besaßen. Worpsweder waren chic im Bremen der fünfziger Jahre, selbst wenn es nur eine Radierung von Vogeler oder eine signierte Photographie von Hans Saebens war. Aber Hans am Ende, wer war das? Er ist wahrscheinlich heute noch immer der Unbekannteste aus der Worpsweder Gründergeneration.

Das hier sind der Maler Hans am Ende und seine Frau Magda vor ihrem vom Berliner Architekten Otto March (dessen Sohn das Reichssportfeld bauen wird) entworfenen Haus in Worpswede. Die große Villa war so gebaut worden, dass der Maler einige Räume an seine Schüler und Schülerinnen vermieten konnte. Paula Modersohn-Becker schrieb nach einem Besuch des Hauses in ihr Tagebuch: Ich war einen Abend bei am Endes, der wirkte wie warmer, lauer Frühlingsregen und Frühlingssonnenschein auf mein Gemüt. Die Zartheit der Liebe, mit der diese beiden Menschen verkehren, durchleuchtet ihr ganzes Häuslein mit rosenrotem Licht. Und jeder, der diese Atmosphäre atmen darf, muß auch zart und weich werden. 

Er ist eine weiche Künstlerseele mit strengem, keuschem Formensinn. Dürer und Donatello, Botticelli, die liebt er. Die hängen in schönen ernsten Rahmen an seinen Wänden. Und er lauscht den Schwingungen der andern Seele. Er versteht das Unausgesprochene und antwortet unausgesprochen. Dieses Zwiegespräch bringt das ganze Sein in liebliche Schwingungen. Und dann sein Weiblein. Sie hat ein Herz, vor dem man knien möchte. Sie haßt die Spinnen. Sie haben für sie etwas Niedriges. Und doch, wenn sie in ihrem Schmuckkästlein von Haus eine findet, nimmt sie ihre Feindin mit ihrer großen Liebe in dem kleinen Herzen und setzt sie hinaus vors Fenster, auf daß sie doch froh weiterlebe. 

Die von Otto March (dessen Neffe Werner Hegemann das berühmte Buch Das steinerne Berlin: Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Welt schreiben wird) gebaute Villa ist heute ein Hotel. Der Barkenhof, das benachbarte Haus, das sich Heinrich Vogeler gebaut hatte, ist heute ein Museum. Weil Vogeler berühmter ist als Hans am Ende. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen der Maler nie so berühmt geworden ist wie seine Kollegen. Es gibt nicht sehr viel Literatur zu ihm, keine relevanten Kataloge, Ausstellungen und solche Dinge.

Dabei ist er technisch, vor allem in seinen Radierungen, vielen seiner Kollegen überlegen, eine seltene Reife und Sicherheit der Technik attestierte ihm Rilke. Der Maler liebäugelt vielleicht auch ein wenig mit dem französischen Impressionismus, wie man an dieser Ölskizze sehen kann. Er selbst sieht sich kaum als Impressionisten, redet eher ironisch von den franzosentollen Impressionisten mit deutschem Namen. Den von Carl Vinnen initiierten Protest deutscher Künstler hat Hans am Ende selbstverständlich unterschrieben.

Rilke, der über den Tellerrand von Worpswede hinwegguckt, hat Hans am Ende den Daubigny vom Weyerberg genannt. Bei Daubigny fällt mir immer das scheußliche grün-schwarze Bild in der Kunsthalle Bremen ein, aber Daubigny hat natürlich auch ganz andere, hellere Bilder gemalt. Nach langen Jahren des Wartens muss an dieser Stelle auf ein Wunder hingewiesen werden: der Online Katalog der Kunsthalle Bremen funktioniert! Als die Worpsweder 1895 zum ersten Mal in der Bremer Kunsthalle ausstellten, konnte man bei einem Kritiker lesen: Vor allem Hans am Ende ... gelangte zu einer Landschaftsmalerei, die mit ihrer hellen Farbpalette und atmosphärisch dichten Bildwirkungen in die Nähe impressionistischer Bildsprache gelangte.

Hans am Endes Vater war Divisionspfarrer gewesen, und das Militär, in dem der Maler bis zum Hauptmann aufsteigt, wird sein Leben bestimmen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, meldet er sich (wie sein Nachbar Heinrich Vogeler) sofort als Freiwilliger. Eigentlich ist er mit fünfzig zu alt für einen Frontoffizier, 1918 ist er tot. Sein Nachbar Vogeler ist da zurück auf seinem Barkenhof, nachdem er zuvor zwei Monate in der Bremer Irrenanstalt war, weil er dem Kaiser einen Friedensbrief geschrieben hat. Seine Ehefrau wird über den Tod des geliebten Mannes nicht hinwegkommen, sie schottet sich mit ihren Hunden immer mehr von der Außenwelt ab und begeht am Ende des Zweiten Weltkriegs Selbstmord.

Dieses Bild könnte den Eindruck vermitteln, dass der Hauptmann am Ende während des Krieges nur ein Schlachtenmaler gewesen ist. Er hat zwar immer wieder gemalt und gezeichnet, aber die weiche Künstlerseele von der Becker-Modersohn spricht, war ein pflichtbewusster Infanterieoffzier. Mit vorbildlichem Fleiß, mit eiserner Pflichterfüllung, bildete er seine Offiziere und Mannschaften zu echten deutschen Soldaten heran. Seiner rücksichtslosen persönlichen Tapferkeit, seiner nie versagenden Tatkraft, dankt das Regiment manchen schönen Erfolg, schrieb sein Kommandeur nach am Endes Tod über seinen an der Spitze seines Bataillons auf dem Schlachtfelde von M verwundeten Offizier.

Der Ortsname wird aus Geheimhaltungsgründen nicht angegeben. Das M steht für Messines, wir sind in der Vierten Flandernschlacht. Hier aus dem Flugzeug von Hans am Endes englischen Malerkollegen Richard Carline gemalt. Der Kemmelberg hier ist mir seit Kindertagen vertraut, mein Opa war in der Ersten Flandernschlacht. Die Verwundung bei dem Sturmangriff schien am Anfang nur leichter Art zu sein, doch der Granatsplitter hat innere Organe verletzt. Hans am Ende stirbt am 9. Juli 1918 in einem Lazarett in Schwerin an den Folgen der Verwundung. Seine Beisetzung fand in Bremen statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand man sein Grab in den Trümmern des Friedhofs, man brachte den Grabstein nach Worpswede und setzten ihn mit auf das Grab seiner Frau.

Hans am Ende gehörte mit Fritz Mackensen, mit dem er seit seiner Miltärzeit befreundet war, und den Malern Otto Modersohn, Heinrich Vogeler und Fritz Overbeck zu den Gründern der Worpsweder Künstlerkolonie. Mit Ausnahme von Mackensen, der ihn nach Worpswede gelockt hatte, hatte er in dem Bauerndorf wenig Freunde. Aber er hatte Schüler. Zum Beispiel Walter Bertelsmann, den man als den letzten Worpsweder bezeichnet hat. Und die Bremerin Anna Feldhusen wird bei ihm die Kunst der Radierung erlernen. In der er auch seinen Nachbarn Vogeler unterrichtet. Hans am Ende ist der erste Worpsweder, der sich der Druckgraphik zuwendet. Da ist Rembrandt sein großes Vorbild, aber auch Max Klinger ist für ihn interessant.

Die Radierungen haben insbesonders Rainer Maria Rilke interessiert, der ausführlich über sie geschrieben hat: Dann giebt es ein zweites Blatt. Ein Haus, hell, weit zurückgeschoben, am Rande einer Blumenwiese. Dünne Birken stehen licht davor und werfen lange Morgenschatten in das Gras. Und dann giebt es ein Bild: Blütenbäume, nichts als eine Reihe blühender Bäume in weitem ebenen Land; eine Frau, die die Arme hebt, ein Kind: Millet klingt an, aber es ist noch mehr wie Jacobsen es geschrieben hat: »Blütenweiß stehen, Bouquette von Schnee, Kränze von Schnee, Kuppeln, Bogen, Guirlanden, eine Feenarchitektur von weißen Blüten mit einem Hintergrunde von blauestem Himmel«. Solche Momente sind köstlich: wie wenn man am Abend bei einem einsamen Landhaus vorübergeht; man hört Musik, aber, wie man stehen bleibt, um zu lauschen, ist sie verklungen. Und nun steht man und wartet. Es sind Minuten voll Nachklang, Stille und Ungewißheit. Was wird nun kommen: etwas Frohes, etwas Mächtiges oder wird man hören wie das Klavier geschlossen wird? So sind diese Blätter, so ist dieses Bild: Pausen, Intervalle voll Nachklang, Stille und Ungewißheit. Sie sind selten bei Am Ende, dessen Kunst eigentlich Musik ist.

Was wäre aus Hans am Ende geworden, wenn er nicht 1918 gestorben wäre? Wäre er Nazi geworden wie sein Freund Fritz Mackensen? Wir wissen es nicht, konservativ und national ist er durchaus gewesen, er teilte viele der Anschauungen, die Mackensen schon früh äußerte. Denn beinahe gleichzeitig mit der Gründung der Worpsweder Künstlerkolonie war das Buch Der Rembrandtdeutsche von Julius Langbehn erschienen, eine Kulturgeschichte der Heimatkunst, die direkt zum Nationalsozialismus führte. Wir lassen mal diese Spekulationen und geben Rilke das letzte Wort:

Hans am Ende malt Musik, und die Landschaft, in der er lebt, wirkt musikalisch auf ihn. Darum sieht er sie nicht mit der stillen, sachlichen Ruhe des Malers an und versenkt sich nicht in sie mit des Dichters lauschenden Sinnen. Er ist ergriffen von ihr, hingerissen, emporgehoben und hinabgezogen. Er malt sie, gleichsam im Kampfe mit ihr; als ob einer die Welle malte, die über ihm zusammenschlägt. Darum wächst sie ihm so über alle Maße hinaus, darum haben seine Formen, obwohl sie so stark und wirklich sind, doch etwas Unabgeschlossenes: als ob sie noch weiter wachsen wollten, um, wie jede Form in der Musik, endlich, an einem Punkte höchster Spannung, abzubrechen, sich aufzulösen, ein neues Leben zu beginnen.


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