Montag, 1. Juni 2020

Mozart?


Es war kurz vor Mitternacht, ich war auf dem Weg zum Bad, als ich aus meinem Digitalradio etwas hörte, was mich irritierte. Ich kannte die Melodie, und dann kannte ich sie wieder nicht. Der Pianist wechselte das Tempo, etwas schien zu haken. Hörte für eine Sekunde auf, fing wieder an. Dann ein mißlungener Triller. Übte der noch? War das Mozart? Ich ging zum Radio zurück und las auf dem Display: Mozart: Piano Sonata in F, KV332 (Adagio) Chick Corea. Es war eine seltsame Sache. Am nächsten Tag hörte ich das Ganze noch einmal auf dem Computer an und erfuhr, dass dies etwas war, das im August auf der CD Chick Corea Plays erscheinen wird. Da wird es neben Mozart auch noch Domenico Scarlatti, Alexander Scriabin und Frédéric Chopin geben, aber nur in Häppchen. Von Mozart gibt es auch nicht die ganze Sonate, nur die vier Minuten und achtzehn Sekunden von dem Adagio.

Das klang nun am nächsten Morgen nicht mehr so gut wie in der Nacht, und wenn man es ein paar Mal hintereinander hört, kommt man dem Interpreten auch auf seine Schliche. Bei YouTube steht in einem Kommentar: It's ridiculous. Except that you shouldn't change Mozart's works (Because they are perfect), Combining the music of civilized people (Classical) with non-civilized ones (Jazz), is a disaster. Es ist nicht das erstemal, dass Chick Corea sich an Mozart versucht, ich habe eine CD von ihm und Bobby McFerrin, da spielt er ein Klavierkonzert von Mozart. Hat mich mal 'nen Euro gekostet, braucht man aber nicht zu haben.

Es ist eine interessante Sache, sich nach dem Anhören von Chick Coreas Adagio richtige Pianisten anzuhören. YouTube bot mir als erstes Elisabeth Leonskaja an, die spielt das sehr schön. Ohne die Mätzchen von Chick Corea. Friedrich Gulda, der ja auch immer mit dem Jazz geflirtet hat, würde ich unbedingt empfehlen (der hat mit Friedrich Gulda und Gulda hier auch schon zwei Posts). Ich mag Mikhail Pletnev auch sehr gerne. Und dann müssen wir mal eben zu Glenn Gould kommen. Der mochte Mozart überhaupt nicht, hielt ihn für einen mittelmäßigen Komponisten, Mozart was a bad composer who died too late rather than too early, hat er gesagt. Aber dennoch hat er alle Klaviersonaten von Mozart gespielt.

Als ich mir Glenn Gould anhörte, fiel mir etwas auf, er spielte das Adagio auch etwas anders als die anderen. Gut, das erwartet man von ihm, dafür ist er Glenn Gould. Jeder Klavierschüler weiß, dass bei Mozart die Begleitung in der linken Hand ziemlich einfach ist, das sind diese nach Domenico Alberti genannten Alberti Bässe. Langweilig. Nicht bei Glenn Gould, der spielt mit der linken Hand so etwas wie Johann Sebastian Bach. Ich dachte, ich hätte eine ganz großartige Entdeckung gemacht, die haben allerdings auch schon andere gemacht. Jean-Yves Clément sagt in seinem schönen Buch Glenn Gould oder das innere Klavier: Allerdings will Gould Mozarts Sonaten oft in eine Welt ziehen, in die sie nicht gehören – die des Kontrapunkts nämlich.

Glenn Goulds Aufnahme der F-DurSonate KV 332 unterscheidet sich noch in einem anderen Punkt von allen anderen Pianisten: Horowitz war mit vier Minuten und zweiunddreißig Sekunden im Allegro assai schon schnell, aber Gould hält mit vier Minuten den Geschwindigkeitsrekord. Elisabeth Leonskaja und Mikhail Pletnev brauchen beide über sechs Minuten. Ich glaube, ich höre jetzt für den Rest der Woche Mozart. Daran ist jetzt Chick Corea schuld.

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