Sonntag, 6. Juli 2014

Hosenumschlag


I grow old … I grow old … 
I shall wear the bottoms of my trousers rolled.

Shall I part my hair behind? Do I dare to eat a peach?
I shall wear white flannel trousers, and walk upon the beach.
I have heard the mermaids singing, each to each.

I do not think that they will sing to me. 

Das ist natürlich von dem englischen Dichter, dessen Nachname ein Anagramm von toilets ist, das lernen Anglistikstudenten im ersten Semester. Und vergessen es nie, auch wenn sie sonst nichts mehr von T.S. Eliot wissen. I shall wear the bottoms of my trousers rolled, warum nicht einmal über Hosenumschläge schreiben? Je älter man wird, desto mehr empfiehlt es sich, darauf zu achten, wie man auf andere wirkt. Der Satz ist nicht von mir, er ist von Martin Walser. Es ist der erste Satz des Romans Mein Jenseits. Aber ob Literatur oder nicht, es ist natürlich ein wahrer Satz. Hosenumschlag oder nicht? Lange verpönt, ist er jetzt wieder zurück. Aber nicht bei Männern, die kleiner sind als 1,80 Meter. Das wiederum ist kein wahrer Satz, das ist der übliche Unsinn, den man in Modezeitschriften findet. Hosenumschläge gehen immer, es muss nur die richtige Hose für einen Umschlag sein. Falls Sie so etwas da oben noch nie gesehen haben: das ist die sartoriale Form des Umschlags, nicht festgenäht sondern geknöpft. Kann man aufknöpfen und den Schmutz heraus bürsten.

Fangen wir mal mit den einfachen Dingen an: Jeans haben keinen Hosenumschlag. Es sei denn, Sie tragen Bundfaltenjeans mit Bügelfalte, dann ist sowieso alles egal. Neuerdings gilt es als chic, Jeans umgekrempelt zu tragen. Womit man nicht Marlon Brando in The Wild One imitieren will, sondern lediglich die Aufmerksamkeit auf die selvedge Naht im Bein lenken will. Die dann hoffentlich echt ist, es sind ja schon massenhaft ➱fakes auf dem Markt. Das hier auf diesem Bild, das geht nun gar nicht. Wenn man einen ➱Langbinder trägt, sollte man keine Jeans tragen. Natürlich kann man sich wie Rudolf Oetker in den Swinging Sixties bei Max Dietl einen Jeans Anzug schneidern lassen, aber dann sieht man wirklich lächerlich aus.

Es ist nichts dagegen zu sagen, im Sommer ein leichtes Jackett zu einer eleganten Jeans zu tragen. Und dazu englische loafer. Die kann man natürlich auch zu Chinos tragen und zu allen gelben Hosen, die Valentini und Incotex so herstellen. Aber flatfront trousers sollten dann natürlich keine Umschläge haben. Hosenumschläge und loafers gehen nun mal nicht zusammen. Fragen Sie mich nicht weshalb.

Wir bleiben noch bei den einfachen Dingen: die Hosen von einem dinner jacket können galons haben (brauchen sie nicht), aber niemals Umschläge. Und es wäre natürlich auch schön, wenn der Schneider die richtige Länge hinbekommen würde. Für alles weitere lesen Sie doch bitte die Posts ➱Etiquette und ➱Morning Coat. Bei dem letzten Post bin ich ich mir nicht so sicher: wie finden die Leute den? Zu meiner Überraschung ist der schon über 15.000 mal angeklickt worden. Wir merken uns einmal die ganz simple Regel: je förmlicher die Kleidung ist (sprich Cutaway, Smoking oder Frack) desto weniger haben Umschläge etwas an der Hose verloren. Bei Uniformen gibt es natürlich auch keine.

Und damit haben wir eigentlich schon alles über dieses Detail gesagt, das die Savile Row als PTU (Permanent Turn-Up) bezeichnet. Und da hat sich auch in den 110 Jahren, die seit diesem Bild vergangen sind nix geändert. Ein Umschlag an den Hosen dieses frock coat wäre Grund genug für die clothes police gewesen, diesen Herrn festzunehmen, noch bevor er am Altar Yes, I will sagen kann. Mit dem Jahr 1904 komme ich langsam in die Zeit, in der die turn-ups (die die Amerikaner cuffs nennen) entstanden sind.

Also, von diesem Herrn hier weiß man, dass er einmal Hosen mit einem Umschlag zu einer Gelegenheit, wo sich das damals bestimmt nicht gehörte, getragen hat. Nämlich im englischen Parlament. Der Herr heißt William Heneage Legge, er spielt gerne ➱Cricket und hat den Titel eines Viscount Lewisham (und wird eines Tages der Earl of Dartmouth sein). Und er ist to the horror of the fashionable world (so die Fachzeitschrift Cutter & Tailor im Jahre 1893) der erste, der es wagt mit Hosenumschlägen im Parlament zu erscheinen, um über ein Gesetz abzustimmen. Das britische Empire ist offensichtlich nicht untergegangen, aber im Jahre 1893 war es schon beinahe ein Skandal. Da kann man nur mit P. G. Wodehouse sagen: There are moments, Jeeves, when one asks oneself, 'Do trousers matter? 'The mood will pass, sir'.

Ich bleibe noch für einen Augenblick in der Zeit von P.G. Wodehouse, der natürlich in diesem Blog schon mit den Posts ➱P.G. Wodehouse und ➱Sir Pelham Grenville Wodehouse vertreten ist). Das hier ist übrigens die Illustration von Arthur Rackham zu Wind in the Willows (es ist die letzte ➱Zeichnung des Illustrators gewesen), und was trägt die Ratte da auf dem Bild? Einen Sommeranzug mit Umschlägen, völlig angemessen für eine Bootstour mit dem Maulwurf. Der Maulwurf braucht so etwas natürlich nicht, der ist mit seinem Pelz immer korrekt gekleidet. Wir lernen daraus: für alle sportlichen Anzüge - wie überhaupt für Anzüge - sind Umschläge an den Hosen völlig korrekt. Wenn man einen eleganten Kreidestreifen Zweireiher trägt, und ihm durch Wildlederschuhe (dazu gibt es ➱hier natürlich einen Post) eine sportliche Note geben will, dann muss es eine Hose mit einem Umschlag sein.

Seit der Prince of Wales das im Jahre 1924 getan hat, ist das offensichtlich in der Herrenmode de rigueur. Angeblich ist es ein anderer ➱Prince of Wales gewesen, der offensichtlich noch vor unserem Viscount Lewisham seine Hosen umgekrempelt hat, nämlich der, der eines Tages Edward VII sein wird. Für modische Neuerungen sind die englischen Thronfolger ja immer gut. Wir lassen den Sohn von George III, der trotz seiner Körperfülle so gerne ein ➱Beau Brummell gewesen wäre, mal aus. Aber unser Albert Eduard, der vierzig Jahre lang der Prince of Wales ist, der hat schon einiges an modischen Neuerungen zu verantworten.

Neben den Hosenumschlägen soll er ja auch die Bügelfalte erfunden haben. Ich habe auch mal eine Bügelfalte erfunden, aber die kann man nicht zur Nachahmung empfehlen. Mein Kompaniefeldwebel (den ich schon in den Post ➱Beinkleider hineinschrieb) legte bei der Grundausbildung in der Bundeswehr großen Wert auf eine scharfe Bügelfalte. Meine Erfindung sprach sich schnell in der Kompanie herum: man drehe die Hose um und lege einen schönen Strang UHU Alleskleber in die Falte. Dann dreht man die Hose wieder um und bügelt sie. Permapress à la Jay. Gibt eine rattenscharfe Falte.

Mit Edward und den umgerollten (und noch nicht festgebügelten) Hosenumschlägen ist das so eine Sache, niemand weiß genau, wann er sie zum ersten Mal getragen haben soll. Alle möglichen Daten schwirren herum. Jemand wie Hermann Marten von Eelking, der es ganz genau weiß (weil er im Geiste dabei war), schreibt in gewohnt blumigem Stil: Auf die Idee, das Beinkleid umzuschlagen, kam kurz vor der Jahrhundertwende König Eduard  VII., damals noch Prince of Wales, als er auf dem durchweichten Paddock von Ascot durch Regenpfützen waten mußte, und deshalb kurz entschlossen diese Manipulation durchführte, um seine Hosen vor der Schmutzkruste zu schützen. Es war ein durchaus vernünftiger Einfall, der dann wie eine Offenbarung wirkte und sofort in der Weltmode nachgeahmt wurde. Unglücklicherweise haben wir von der Offenbarung keine Photos. Das erste Photo, das den König mit aufgerollten Umschlägen zeigt (hier ist es leider falsch herum kopiert), stammt aus dem Jahre 1906.

Für die Propagierung des ➱Norfolk Jacketts, des Vorläufers des ➱Sportjacketts, ist er auch verantwortlich. Für das dinner jacket auch. Die englischen Gentlemen schauen in Dingen der Mode auf ihren zukünftigen König, der die Rolle als arbiter elegantiarum hat. Von ihm ist die schöne Anekdote überliefert (Philip Magnus widmet den Modeanekdoten des Königs in seiner Biographie King Edward VII eine ganze Seite), dass er zu Lord Harris, der in der Royal Enclosure in Ascot in einem Tweedanzug erschien (was man ja bekanntlich nicht tut), gesagt hat: Morning Harris, going rattin'? Pferderennen und Rattenjagd sind ja nun zwei verschiedene Dinge, ein Gentleman sollte das auseinanderhalten.

Edward, hier rechts bei der Taufe des zukünftigen Duke of Windsor, hat nie vergessen, was seine Mutter, die Königin Victoria, ihm schrieb, als er noch jung war: Dress is a trifling matter which might not be raised to too much importance in our own eyes. But it gives also the one outward sign from which people in general can and often do judge upon the inward state of mind and feeling of a person; for this they all see, while the other they cannot see. On that account it is of some importance particularly in persons of high rank. I must now say that we do not wish to control your own tastes and fancies which, on the contrary, we wish you to indulge and develop, but we do expect that you will never wear anything extravagant or slangy not because we don't like it but because it would prove a want of self-respect and be an offence against decency, leading, as it has often done before in others, to an indifference to what is morally wrong.

Um das mit dem offence against decency zu illustrieren, habe ich hier mal eben diese Herrschaften in Ascot abgebildet. Die tragen zwar keinen Tweed wie Lord Harris, haben aber natürlich auch keinerlei Chance, in die Royal Enclosure zu kommen, das muss einmal gesagt werden. Auf der Suche nach der Originalquelle des Morning Harris, going rattin'?, habe ich bei der englischen Schrifstellerin Hilary Spurling eine hübsche Geschichte gefunden:

My father told me this story long ago. He died nearly thirty years ago and I missed him dreadfully, so when 'Who's Who' asked me what my recreations were, I just put it in as a joke for him. It stands for all the un-PC things that one does. The story that my father loved was when Edward VII saw Lord Harris in a brown bowler hat and tweeds in the Royal Enclosure at Ascot and said: "Morning Harris, going ratting?" Whenever we did anything wrong, or he did, it was always, "Morning Harris, going ratting?" Since most of my life has been spent not doing things people expect me to do, "ratting" seemed to sum that all up. It stands for all the frightful things you have to do in order to write a biography that seem so trivial, so silly, so laughable. You can hardly bear to tell people the dreadful drawers you have to open. It's like being a detective, and a lot of what a detective does is pretty shoddy.

Diesen Herrn hat man eines Tages auch nicht mehr in der Royal Enclosure gesehen. Was an der Dame neben ihm liegt. Die trägt zwar nicht bauchfrei, aber dennoch hat sie etwas, was man in der Royal Enclosure nicht gerne sieht. Doch wir beachten die Herzogin mal nicht. Wenn Sie ein wirklich gutes Buch über Wallis Simpson lesen wollen, dann kann ich nur Caroline Blackwoods The Last Duchess empfehlen. Die Autorin ist übrigens ein klein wenig aristokratischer als die Duchess of Windsor, der Vater von Lady Caroline war der vierte Marquess of Dufferin and Ava. Der Herzog von Windsor trägt hier einen perfekten Sportanzug, dessen Hosen natürlich einen Umschlag haben. Sogar einen ziemlich hohen. Und was ist mit dem Satz Hosenumschlag oder nicht?Lange verpönt, ist er jetzt wieder zurück. Aber nicht bei Männern, die kleiner sind als 1,80 Meter aus dem GQ? Der Herzog von Windsor war sehr, sehr viel kleiner als 1,80 und trotzdem sieht er perfekt aus.

Das Bild hier zeigt Luciano Barbera, der modisch eigentlich immer alles richtig macht, in der italienischen Version des englischen country gentleman. Ein anderer Herr, der auch als Vorbild dienen kann, ist Alan Flusser. Der sagt uns in der Frage der Hosenumschläge in seinem Buch Clothes and the Man nicht sehr viel: When Abe Lincoln was asked how long a man's legs should be, he replied glibly, 'Long enough to reach the ground.' Such advice, somewhat modified, might be used to answer the question regarding the proper length of a man's trousers. Trousers should be long enough so that when you walk, your hose does not show. Cuffed trousers are hemmed on a straight line and should be long enough to break slightly over the instep. 

Cuffless trousers are hemmed on a slant so that the back falls slightly lower (just at the point where the heel and sole meet). The use of cuffs is optional, although they do give more weight and pull, thereby emphasizing the line of the trousers. Like any other detail of the suit, cuffs should never be so exaggerated that they call attention to themselves. For this reason, the cuff should be 1 5/8 inches if the man is five feet ten inches or less and 1 3/4 inches if he is taller. Was immer die korrekte Höhe ist - die Savile Row empfiehlt angeblich 1 3/4", Jay trägt immer fünf Zentimeter - an diesem Bild können wir sehen, dass diese Umschläge zu hoch sind. Scheint jetzt Mode zu sein, zu engen Hosen hohe Umschläge zu tragen. Aber wie Jeeves sagt: The mood will pass, sir.

Der Siegeszug des Hosenumschlags beginnt in den zwanziger und dreißiger Jahren, als die Mode sportlicher und weniger formell wird. Und als die Herren ihre Gamaschen abzulegen beginnen. Als P.G. Wodehouses Kurzgeschichtensammlung Young Men in Spats 1936 erscheint, sind die titelgebenden Gamaschen schon out. Obgleich sie manchmal unerwartet wieder auftauchen. So trug der König von Tonga beim letzten royal wedding einen grauen frock coat (mit hellblauem Futter!) mit Gamaschen, das sah sehr ➱chic aus. Der junge Dandy am Strand auf dem Bild von Lucien Hector Jonas ist im Jahre 1921 mit seinen weißen Flanellhosen (natürlich mit Hosenumschlag) sehr modisch gekleidet. In Sachen Hosenmode tut sich jetzt etwas.

Der Prince of Wales (der wenig später der Herzog von Windsor ist) hatte in Bezug auf Hosen kein Vertrauen mehr zu seinem Schneider ➱Frederick ScholteI never had a pair of trousers made by Scholte. I disliked his cut of them; they were made, as English trousers usually are, to be worn with braces high above the waist. So, preferring as I did to wear a belt rather than braces with trousers, in the American style, I invariably had them made by another tailor… Diese Anzughose, die ➱Anthony Sinclair für ➱Sean Connery geschneidert hat, wäre für den Prince of Wales vielleicht schon zu traditionell gewesen, weil der Hosenbund so hoch sitzt.

So wie der Prince of Wales dachten damals viele englische Herren. Weg mit den Hosenträgern, keine Hosen mehr, die beinahe bis zu den Brustwarzen reichen. Das ist die große Stunde der Firma Simpson Piccadilly, die sich jetzt mit DAKS (vielleicht aus dad's slacks gebildet) einen neuen Namen zulegt. Mit einer riesigen Werbekampagne von Englands führender Werbeagentur W.S. Crawford (die ein Büro in Berlin haben und die Ideen des Bauhauses nach England importieren) werden die neuen trägerlosen Hosen (natürlich alle mit turn-ups) mit dem Slogan the most beautiful trousers you have ever seen auf den Markt gebracht. Alec Simpson hatte in vollem Vertrauen auf seinen Coup in seinen Fabriken und bei seinen Lieferanten 100.000 Stück geordert.

Wenige Jahre später steht der Hosenumschlag vor dem Aus. Es ist Krieg, und Kleidung wird rationiert. Manche Gentlemen murren auch, aber denen sagt Sir Hugh DaltonThere are no turn-ups to the trousers of officers or other ranks in either the Army, Navy or Air Force, and I should have thought a style good enough for the Fighting Forces should have been good enough for the civilian population. Nor do the police and other wearers of uniform have turn-ups. DAKS-Simpson stellt jetzt um auf Uniformen für Offiziere. Also, ich weiß jetzt nicht, wo ➱Adrian Carton de Wiart seine Uniform gekauft hat, aber Simpson war damals zum größten Lieferanten von Uniformen geworden. Und Alec Simpson stellt das oberste Stockwerk seines Haus am Piccadilly den Truppen zur Verfügung.

Die Einschränkungen in der Konfektion bedeuteten in der Herrenmode: es gibt schmalere Hosen (natürlich ohne Umschläge), kürzere Jacketts (die den Namen bumfreezer bekommen und keine Taschenklappen mehr haben) und es gibt keine Westen mehr. Übrigens nicht nur in England, 1942 hatte das War Production Board in Amerika ähnliche Maßnahmen beschlossen. Manche Herren behelfen sich bei Hosen, indem sie eine lange Größe kaufen und sich zu Hause von ihrer Gattin einen Umschlag nähen lassen, aber ansonsten wird es auch chic, als Zeichen der Teilnahme am war effort stolz seine Vorkriegskleidung zu tragen. Und keine Hosen mit Umschlägen. Diese Werbeanzeige schaltet Daks-Simpson im Jahre 1947, die alte Anzeige von Max Hoff bekommt jetzt einen neuen Twist: a national habit which will soon return. Sprich: Liebe Kunden, die berühmten Daks Hosen mit den Hosenumschläge kommen wieder, wenn nur Sir Stafford Cripps die ➱Restriktionen bei der Fertigkleidung aufgibt. Zwei Jahre später ist es dann endlich soweit. Die Schlange der Kunden von Simpsons reicht vom Piccadilly bis zur St James Church. Und die Schneider nehmen auf der Straße schon mal die Maße der Kunden auf.

Alec Simpson setzt in den dreißiger Jahren kompromisslos auf die Moderne, der von Joseph Pemberton gebaute neue Firmensitz am Piccadilly ist ein Symbol dafür. Er lässt sich von László Moholy-Nagy die Innenausstattung des Hauses entwerfen, und er vertraut dem Werbegenie William Crawford. Erstaunlicherweise verpflichtet er für die Modezeichnungen und Plakate nicht deren Chefdesigner Ashley Havinden (der das DAKS Warenzeichen entworfen hatte), sondern überredet den jungen Wiener ➱Max Hoff, nach London zu ziehen und der Firma DAKS-Simpson eine neue Identität zu geben. Und das tut Max Hoff, bis in die sechziger Jahre ist er der Marke treu. Obgleich er auch für andere Firmen gearbeitet hat, wie zum Beispiel für Fewa oder Reemtsmas Marke Astor. Ich weiß nicht, was aus DAKS-Simpson geworden wäre, wenn sie Ashley Havinden und Max Hoff nicht gehabt hätten.

Die Frage nach den Hosenumschlägen scheint heute nur die selbsternannten Verfasser von Benimmregeln in hunderten von Foren zu beschäftigen. Das sind die, die das satirisch gemeinte Official Preppy Handbook für die Bibel der Kleidung nehmen. Ich will nicht verschweigen, dass der Herr von ➱Eelking (Deutschlands selbsternannter Modepapst in der Zeit, in der Frau Pappritz für den guten Ton zuständig war) in seinem Lexikon der Herrenmode auch einen Eintrag für die Hosenumschläge hat (aus dem ich oben den ersten Absatz zitiert habe).

Die Herren, die hier Jeeves und Bertie Wooster verkörpern, sind natürlich Stephen Fry und Hugh Laurie. Bertie Wooster war in Eton und Oxford, Hugh Laurie war in Eton und Cambridge (wo er Stephen Fry kennenlernte), von daher ist er ja ideal für die Rolle in Wooster and Jeeves. Statt noch mehr aus Eelkings Lexikon der Herrenmode zu zitieren, zitiere ich zum Schluss für die P.G. Wodehouse Freunde lieber den ganzen Absatz von The Code of the Woosters, in dem Do trousers matter? vorkommt:

"Yes, sir. The trousers perhaps a quarter of an inch higher, sir. One aims at the carelessly graceful break over the instep. It is matter of the nicest adjustment." “Like that?" “Admirable, sir." I sighed. “There are moments, Jeeves, when one asks oneself, ‘Do trousers matter?’" “The mood will pass, sir." “I don’t see why it should. If you can’t think of a way out of this mess, it seems to me that it is the end. Of course," I proceeded, on a somewhat brighter note, "you haven’t really had time to get your teeth into the problem yet. While I am at dinner, examine it once more from every angle. It is just possible that an inspiration might pop up. Inspirations do, don’t they? All in a flash, as it were?"

Und ich möchte noch einen Gruß nach Freiburg schicken, wo der Leser sitzt, der sich einen Post über Hosenumschläge gewünscht hat. Was tut man nicht alles für seine Leser.

Freitag, 4. Juli 2014

Declaration of Independence


1. Resolved, That whosoever directly or indirectly abetted, or in any way, form, or manner, countenanced the uncharted and dangerous invasion of our rights, as claimed by Great Britain, is an enemy to this County, to America, and to the inherent and inalienable rights of man.
     2. Resolved, That we the citizens of Mecklenburg County, do hereby dissolve the political bands which have connected us to the Mother Country, and hereby absolve ourselves from all allegiance to the British Crown, and abjure all political connection, contract, or association, with that Nation, who have wantonly trampled on our rights and liberties and inhumanly shed the innocent blood of American patriots at Lexington.
     3. Resolved, That we do hereby declare ourselves a free and independent people, are, and of right ought to be, a sovereign and self-governing Association, under the control of no power other than that of our God and the General Government of the Congress; to the maintenance of which independence, we solemnly pledge to each other, our mutual cooperation, our lives, our fortunes, and our most sacred honor.
     4. Resolved, That as we now acknowledge the existence and control of no law or legal officer, civil or military, within this County, we do hereby ordain and adopt, as a rule of life, all, each and every of our former laws - where, nevertheless, the Crown of Great Britain never can be considered as holding rights, privileges, immunities, or authority therein.
     5. Resolved, That it is also further decreed, that all, each and every military officer in this County, is hereby reinstated to his former command and authority, he acting conformably to these regulations, and that every member present of this delegation shall henceforth be a civil officer, viz. a Justice of the Peace, in the character of a 'Committee-man,' to issue process, hear and determine all matters of controversy, according to said adopted laws, and to preserve peace, and union, and harmony, in said County, and to use every exertion to spread the love of country and fire of freedom throughout America, until a more general and organized government be established in this province.

Was Sie hier lesen, ist nicht die berühmte Declaration of Independence, die angeblich am 4. Juli 1776 unterzeichnet wurde. Angeblich? Ich merke schon, Sie haben eben beim Lesen gestutzt. Wahrscheinlich haben Sie heute vor vier Jahren den Post ➱Independence Day hier noch nicht gelesen. Was da oben steht, ist eine Unabhängigkeitserklärung, die ein Jahr vor der amerikanischen Unabhänigskeitserklärung geschrieben wurde. Ist sie echt? Either these resolutions are a plagiarism from Mr. Jefferson's Declaration of Independence, or Mr. Jefferson's Declaration of Independence is a plagiarism from those resolutions, sagte der ehemalige Präsident John Adams.

Natürlich fällt in dem Text oben auf, dass sich da nicht dreizehn Staaten von dem englischen Mutterland lossagen, sondern nur die Bürger von Mecklenburg County. Die Grafschaft in North Carolina heißt nicht etwa so, weil da besonders viele Mecklenburger leben; nein, man hat sich den Namen zu Ehren der Gattin von ➱George III gegeben, die aus dem Haus Mecklenburg-Strelitz stammte. Deshalb heißt die Hauptstadt von Mecklenburg County auch Charlotte. Allerdings hat sie keine Strelitzien im Wappen, also diese Blumen, denen Sir Joseph Banks den Namen Strelitzia reginae gab.

Außer der Königin Charlotte gibt es noch eine andere Strelitzienkönigin. Die heißt  Romy Wibelitz und residiert in Neustrelitz, aber das ist eine andere Geschichte. Was die Bürger von Mecklenburg County in der Nacht zum 20. Mai 1775 (nachdem sie die Nachricht von dem Gefecht von Lexington gehört hatten) beschlossen haben, ist unter Historikern ein klein wenig umstritten. Es existieren keine Originaldokumente der Mecklenburg Declaration of Independence (und das da ganz oben ist auch wohl nicht ganz echt).

Der 20. Mai ist in North Carolina Meck Dec Day, spricht sich so aus, wie wir Mäck Pomm aussprechen. Beides ist falsch, das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden, die korrekte Aussprache des Landes ist Meeklenburch. Mit langem e. Damit man in North Carolina den Meck Dec Day nicht vergisst, steht das Datum auch auf der Flagge des Staates. Zusammen mit dem 12. April 1776. Das ist das Datum, an dem der Provincial Congress von North Carolina seine Delegierten für den Second Continental Congress ermächtigte, für die Unabhängigkeit zu stimmen. Die Flagge hatte auch mal ein anderes ➱Datum, nämlich den 20. Mai 1861. Das war der Tag, an dem sich North Carolina von der Union lossagte, aber das hat man 1865 schnell geändert.

Der ehemalige Präsident John Adams hatte die Geschichte mit der Mecklenburg Declaration 1819 in der Zeitung gelesen und schickte das Ganze an Thomas Jefferson. Der antwortete ➱prompt: But what has attracted my peculiar notice, is the paper from Mecklenburg county, of North Carolina, published in the Essex Register, which you were so kind as to enclose in your last, of June the 22d. And you seem to think it genuine. I believe it spurious. I deem it to be a very unjustifiable quiz, like that of the volcano, so minutely related to us as having broken out in North Carolina, some half a dozen years ago, in that part of the country, and perhaps in that very county of Mecklenburg, for I do not remember its precise locality. Es ist eine schwierige Sache mit der Erinnerung. Für Jefferson blieb die Geschichte spurious, aber wir sollten nicht vergessen, dass sich weder Jefferson noch Adams genau daran erinnern konnten, wann denn die amerikanische Declaration of Indepence wirklich endgültig unterzeichnet wurde. Das erste ➱Buch, das Zweifel an dem Datum auf der Flagge von North Carolina äußerte, erschien 1907. Der Autor hieß William Henry Hoyt, und sein Werk hatte den ausufernden Titel: The Mecklenburg declaration of independence : a study of evidence showing that the alleged early declaration of independence by Mecklenburg County, North Carolina, on May 20th, 1775, is spurious.

In der ➱Hymne von North Carolina kommt die Meck Dec nicht vor, die ganze schöne ➱Geschichte wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Aber, wie der Italiener sagt: Se non è vero, è ben trovato.

Mittwoch, 2. Juli 2014

18th century: Architecture


The stately Homes of England,
How beautiful they stand!
Amidst their tall ancestral trees,
O’er all the pleasant land;
The deer across their greensward bound
Through shade and sunny gleam,
And the swan glides past them with the sound
Of some rejoicing stream.


So sieht die erste Strophe des Gedichts The Homes of England von Felicia Dorothea Hemans im Original aus. Bekannter ist heute die Version von ➱Noel Coward:

The stately homes of England
How beautiful they stand,
To prove the upper classes
Have still the upper hand.
Though the fact that they have to be rebuilt,
And frequently mortgaged to the hilt
Is inclined to take the gilt
Off the gingerbread...


England hat viel an stately homes zu bieten, Touristen sind dafür immer dankbar gewesen. Die Bedrohung der historischen englischen Architektur durch Immobilienspekulanten scheint größer als die Bedrohung durch Kriege. Das liegt daran, dass es nur wenige Kriege im Land gegeben hat. Wenn wir einige Feldzüge gegen die Schotten und den englischen Bürgerkrieg im 17. Jahrhundert ausnehmen, bleibt den Deutschen das zweifelhafte Verdienst, englische Architektur zerstört zu haben. Um vieles, das heute noch steht, kümmert sich der National Trust, der über zweihundert country houses besitzt. Und der auch sehr gute Bücher publiziert. Das National Trust Book of English Architecture von James Maude Richards ist sicher eine gute Einführung in die englische Architektur.

Als ich den Post über den schottischen Architekten ➱Robert Adam geschrieben hatte, gratulierte mir ein Leser. Er schrieb, dass es sehr schön sei, dass in diesem Blog endlich einmal etwas über Architektur gesagt würde. Ich hatte nicht unbedingt das Gefühl, dass die wirklich zu kurz kommt. Also mal von mittelalterlichen ➱Sakralbauten und dem Vegesacker Architekten ➱Becker-Sassenhof abgesehen. Und ein kleiner Post über Architektur mit dem unauffälligen Namen ➱Oskar ist bei meinen Lesern ein richtiger Bestseller. Aber die berühmtesten Baumeister des 17. Jahrhundert, ➱Inigo Jones und ➱Christopher Wren haben in diesen Blog schon lange einen Post. Der Sitz des ➱Premierministers auch. Und aus dem 18. Jahrhundert sind ➱Lord Burlington, Robert Adam und ➱Sir John Soane mit einem Post bedacht worden.

Ich gebe zu, dass Architekten wie John Vanbrugh und Nicholas Hawksmoor hier bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Obgleich es natürlich schon einen kleinen Post gibt, der ➱Stately Homes heißt. Ich habe hier einmal ein Bild von Vanbrughs Castle Howard, das wir natürlich kennen, wenn wir einmal als Touristen dort waren. Oder wenn wir die Serie Brideshead Revisited gesehen haben.

Selbstverständlich die schöne alte Version mit Jeremy Irons und Anthony Andrews, die schon in ➱Wildlederschuhe und ➱John Betjeman erwähnt wurde. Anthony Andrews ist übrigens mit der Erbin von ➱Daks-Simpson verheiratet. Das ist diese englische Traditionsfirma, die ihr architektonisch interessantes ➱Haus am Piccadilly verkauft hat und die jetzt irgendwelchen Japanern gehört. Diese kleine modehistorische Abschweifung bringt mich auf den Gedanken, noch einen Post über die Mode des 18. Jahrhunderts zu schreiben, vielleicht wird das ja noch was. Der dreiteilige Anzug mit dem justacorps, den Lord Vernon auf dem Bild von Gainsborough trägt, ist das Kleidungsstück, das sich im 18. Jahrhundert durchsetzt. Dabei belassen wir es erst einmal.

In dem Post über Sir Christopher Wren hatte ich schon einen kleinen Literaturbericht eingefügt, den ich gerne noch einmal zitiere: Für den Fall, dass Sie nun doch noch mehr über englische Architektur wissen wollen, hätte ich noch einige Literaturtips. Falls Sie lieber auf das Internet setzen, können Sie ➱hier eine einstündige Vorlesung über die Zeit von Wren hören. Und ➱hier gibt es noch ein Transkript dazu, beides kommt vom Gresham College, wo Wren einst lehrte. Aber so schön solche Internetveranstaltungen sein können, es geht doch nichts über ein gutes Buch.

Wenn Sie noch preiswert antiquarisch ein Exemplar von ➱John Betjemans A Pictorial History of English Architecture finden, haben Sie eigentlich alles, was für die Erstinformation nötig ist. Und das schöne Begleitbuch von Roy Strong zu der BBC Serie Spirit of the Age: Eight Centuries of British Architecture (BBC Classics) kann man bei Amazon.co.uk ganz billig bekommen. Neben John Betjeman, den zu lesen es immer lohnt, gibt es noch seinen Intimfeind ➱Nikolaus Pevsner (lesen Sie auch diesen ➱Post). In seinem bei Prestel erschienenen Buch Europäische Architektur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart steht auch eine Menge zu Sir Christopher Wren.

Wenn ich Pevsner schon erwähne, muss ich natürlich auch das berühmte Lexikon der Weltarchitektur erwähnen. Wobei erstaunlicherweise die deutsche Ausgabe noch besser als die Originalausgabe ist, die Sir Nikolaus Pevsner, John Fleming und Hugh Honour 1966 als Penguin Dictionary of Architecture auf den Markt brachten. Auf 639 Seiten von 'Aalva Aalto' bis 'Zyklopenmauerwerk' die gesamte Weltarchitektur in konzisen Einträgen (inklusive weiterführender Literatur). 

Für die Ausgabe des Prestel Verlags in München wurden die Originalstichworte noch einmal von deutschen Spezialisten überarbeitet und zum Teil umgeschrieben. Sehr große Erweiterungen des Originalwerkes gab es dabei von Orientalisten und Byzantinisten. Die Abbildungen sind, wie bei dem relativ kleinen Format des Bandes nicht anders zu erwarten, ein bisschen klein geraten. Aber das wird jeder Leser angesichts der Materialfülle gerne hinnehmen. Sir Nikolaus war mit der deutschen Ausgabe sehr zufrieden. Jeder Käufer und Leser dieses Bandes sicher auch.

Ich habe mit den vier Bildern in den obigen Absätzen die vier wichtigsten Stilrichtungen des 18. Jahrhunderts skizziert. Das erste Gebäude ist Winslow Hall, das vielleicht von Sir Christopher Wren gebaut wurde. Was jetzt für die Periode, in der William und Mary und Queen Anne herrschen, wichtig ist, ist der holländische Einfluss. Und der Backstein, den die Holländer als prägendes Stilmerkmal mitbringen.

Wenn man dann doch Türen und Fenster dekorativ weiß umrandet und die Tür weiß streicht, hat man (die langen Schornsteine nicht zu vergessen) einen Stil, der ein ganzes Jahrhundert hält. Und nach den jeweiligen Herrschern William and Mary, Queen Anne oder Georgian (wie Gunston Hall im sechsten Bild oben) genannt werden kann. Man kann heute noch darin wohnen, wie zum Beispiel im Westwell House in Kent, das im Lexikon der Weltarchitektur als Beispiel für den Queen Anne Style abgebildet wird. Auf dem Bild mit dem Pferdefuhrwerk scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Wir sind in Williamsburg (Virginia), das dank Rockefeller den Charme des 18. Jahrhunderts ausstrahlt (der Governor's Palace wurde schon einmal in dem Post ➱Conegocheague erwähnt). Wir dürfen nicht vergessen, dass alles was architektonische Mode in England ist, schnell seinen Weg in die amerikanischen Kolonien findet. Und da heißt der Stil dann Colonial (oder Colonial Georgian).

Von einem Queen Anne Stil zu sprechen, kann ein wenig irreführend sein. Dies ist auch ein Haus im Queen Anne Stil, aber es stammt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Und es steht in Amerika. Ich habe auf diesen kuriosen Stil schon in dem Post über ➱Frank Lloyd Wright erwähnt. Es wäre mir am liebsten, wenn wir diesen Queen Anne Stil jetzt vergessen könnten.

Doch wir können diese Häuser (Ernest Hemingway wurde ich solch einem Haus geboren) nicht vergessen, weil sie in unserer Bilderwelt verankert sind. ➱Edward Hopper hat schon dafür gesorgt. Und natürlich Alfred Hitchcock. Wenn man Marion Crane heißt, blond ist und gerade vierzigtausend Dollar geklaut hat, dann sollte man nicht in einem ➱Queen Anne Haus absteigen, das Bates Motel heißt. Oder auf keinen Fall duschen.

Zurück ins England des 18. Jahrhunderts. Wir müssen Lord Burlington und den englischen Palladianismus erwähnen. Richard Boyle, der dritte Lord Burlington, den man auch den architect Earl nennt, hatte bei einer Italienreise die Besichtigung der Villen von Palladio ausgelassen. Erst wieder zurück in London und unter dem Einfluss der Veröffentlichungen von Colen Campbells Vitruvius Britannicus und Palladios Four Books of Architecture wird er zur treibenden Kraft dessen, was wir Palladianismus nennen. Und wird zusammen mit Coleen Campbell und William Kent seine Ideen verwirklichen.

Das da oben ist das vielleicht schönste Beispiel für den englischen Palladianismus, das Schloss Holkham Hall, das William Kent für  Thomas Coke, den ersten Earl of Leicester William Kent gebaut hat, mit ständiger Unterstützung von Lord Burlington. Der zweite Earl of Leicester wird dadurch berühmt werden, dass er das erfindet, was wir den Bowler nennen (lesen Sie ➱hier alles dazu).  Holkham Hall ist (wie Chiswick House in der Abbildung oben) ein schöneres Beispiel für die Palladian architecture als dies Bauwerk hier. Das ist natürlich Woburn Abbey (und sein Besitzer, der Duke of Bedford, hat ➱hier selbstverständlich schon einen Post). There will never be great architects or great architecture without great patrons, hat der englische Architekt Edwin Lutyens gesagt. Für das 18. Jahrhundert gilt das sicher. Für den Steglitzer Kreisel und die Hamburger Elbphilharmonie wahrscheinlich nicht.

Das hier ist natürlich an coolness nicht zu überbieten. Wir sind Greenwich, in einem Säulengang, der zum Queen's House führt. Inigo Jones hat den Palast für die dänische Gemahlin von James I in Greenwich entworfen. Das Gebäude ist architektonisch schon originell gewesen, selbst wenn es letztlich eine etwas schlichtere Ausführung von Palladios Palazzo Chiericati war, es war der Beginn eines neuen Bauens in England. Queen Anne hat von dem Schloss nicht so viel gehabt, als es beinahe fertig war, ist sie gestorben. Erst sehr viel später wurde der Bau von Christopher Wren vollendet. Allerdings sind diese schönen Kolonnaden erst 1807 von Daniel Asher Alexander hinzugefügt worden (der übrigens gleichzeitig das Gefängnis von Dartmoor baute).

In Amerika gibt es keine Schlösser, selbst die Angehörigen der First Families of Virginia - dem Äquivalent des englischen Landadels - haben nur große Landsitze. Wie Washingtons Mount Vernon oder Jeffersons Monticello, von ➱Jefferson selbst entworfen. Aber für alles andere, was sie in den Kolonien bauen, nehmen sie sich natürlich englische Vorbilder.

Überall in New England findet man Kirchen wie diese, geben Sie bei Google Bilder mal New England Churches ein, und sie werden sofort verstehen, was ich meine. Wenn die Amerikaner schon ihre Revolution machen und bei der Kapitulation von General Cornwallis angeblich von einer Militärkapelle The world turned upside down gespielt wurde, hier bei den Kirchen ist die englische Welt noch in Ordnung.

Denn der Prototyp aller Kirchen Neuenglands stammt von dem Architekten James Gibbs (den Lord Burlington einst gefeuert hatte, um sich von Colen Campbell Burlington House fertig bauen zu lassen) und heißt St Martin-in-the Fields. Die Kirche in London haben die meisten amerikanischen Baumeister natürlich nicht gesehen. Doch Gibbs hatte 1728 A Book of Architecture (mit 150 Kupferstichen) veröffentlicht, er war der erste britische Architekt, der so etwas tat. Das ➱Buch dient jetzt in den Kolonien als Vorlage für den Kirchenbau. James Gibbs ist Schotte. Ebenso wie Coleen Campbell und die Adams Brüder. Es kommt im 18. Jahrhundert viel aus Schottland. Wie diese Architekten und die schottische Philosophie der Aufklärung. Und es kommt auch ein wenig Rebellion: die Anhänger der Stuarts proben 1715 und 1745 den Aufstand. Dazu gibt es hier mit Bonnie ➱Prince Charlie schon einen Post.

Für alles, was im 18. Jahrhundert in Amerika gebaut wird (und auch danach) gibt es nur eine Empfehlung: Palladio in Amerika: Die Kontinuität klassizistischen Bauens in den USA von Baldur Köster. Man kann nur hoffen, dass der Prestel Verlag dieses Buch endlich mal wieder auflegt, es ist ein wirklich hervorragendes Buch. Bis dahin könnten Sie bei Amazon Marketplace die restlichen Exemplare aufkaufen. Das Bild hier zeigt die Massachusetts Hall der Harvard Universität, ein klassisches Beispiel für die Georgian architecture. Die typischen langen Schornsteine hat das Gebäude auch.

Und diese wunderschönen Proportionen, die man jetzt durch die Verwendung der neuen sash windows erzielt, tragen natürlich zu dem zeitlosen Gesamteindruck bei. Man kann nur hoffen, dass sie niemals durch diese scheußlichen Plastikfenster ersetzt werden, mit denen man heute Häuser verschandelt. Ich weiß noch, welche Sensation Dieter Wielands Bauen und Bewahren auf dem Lande 1978 war. Eigentlich war es eine ➱Informationsbroschüre des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, in Wirklichkeit war es eher eine Kampfschrift. Man kann sie übrigens in der zehnten Auflage kostenlos beim Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz bestellen.

Auf 175 durchgehend illustrierten Seiten (durchgehend schwarz-weiß, was für Architekturphotographie immer das Medium der Wahl ist) erläutert Baldur Köster die Kontinuität klassizistischen Bauens. Von den Einflüssen, die auf Wren und Gibbs zurückgehen, über das Weiße Haus bis zu Philip Johnsons postmodernem AT&T Building.

Was nicht in dem Buch ist, ist das obige Bild der Observatory Hill Dining Hall von Robert A.M. Stern, ein gelungener Versuch, Georgian Style und (Post-) Moderne miteinander zu verbinden. Mehr solcher Beispiele finden sich in Michael Greenhalghs interessantem Buch Was ist Klassizismus? Sie können das Buch ➱hier lesen, da gibt es aber nicht die Abbildungen, die in der Ausgabe des Artemis Verlags für Architektur enthalten sind. Wie dies schöne Neo-Georgian Haus von Quinlan Terry. Aber die schöne postmoderne Fassade täuscht, dahinter verbergen sich Parkhäuser und Großraumbüros.

Das hier ist natürlich keine postmoderne Schöpfung oder ein im 20. Jahrhundert restauriertes Gebäude wie das Haus, in dem ➱Thaddeus Kosciuszko gewohnt hat. Dies ist das Haus, das sich ein reicher Grundbesitzer namens Matthias Hammond in Annapolis kurz vor der amerikanischen Revolution von dem Architekten William Buckland (der auch Gunston Hall gebaut hatte) bauen ließ. Es stammt auch aus dem Buch eines Architekten, aus dem zweiten Buch von Palladios I Quattro Libri dell’Achitettura.

Zugegeben, Palladios Villa Pisani sieht ein wenig anders aus, aber der Einfluss ist nicht zu leugnen. William Buckland ist als indentured servant nach Amerika gekommen, hatte aber nach vier Jahren seine Freiheit zurück. Und ein erstklassiges Zeugnis seines Arbeitgebers. Eigentlich ist ein indentured servant ja eine Art weißer Sklave, aber in Bucklands Fall ist das Beschäftigungsverhältnis bei dem Bruder von George Mason (für den er auch Gunston Hall baut) wohl mehr ein Ausbildungsvertrag gewesen, denn er erhielt eine jährliche Bezahlung. Das Portrait von Buckland stammt von dem amerikanischen Maler Charles Willson Peale (der ➱hier natürlich einen Post hat).

Im Fall von William Buckland wissen wir eine Menge über den Architekten, aber das ist nicht bei allen Häusern aus dieser Zeit so. Über die Baumeister des Wentworth-Gardner Hauses (Bild) in Portsmouth (New Hampshire) oder des Vassall Hauses wissen wir überhaupt nichts. Dafür wissen wir beim Vassall Haus, dass es einst Washington als Hauptquartier diente und der Dichter Longfellow es im 19. Jahrhundert kaufte. Das bringt uns architekturgeschichtlich aber nicht viel weiter.

Baldur Kösters Buch Palladio in Amerika ist für Kunsthistoriker unverzichtbar, es gibt zwar Literatur zu Jeffersons Monticello und über Benjamin Latrobe, aber es gibt keine so vorzügliche Übersichtsdarstellung. Man braucht aber kein Kunsthistoriker zu sein, jeder normale Leser kann das Buch lesen. Köster schreibt klar und verständlich, man kann das Buch lesen und der Argumentation des Verfassers folgen, auch wenn man keine Grundkenntnis der Formensprache der Architektur besitzt. Man könnte zum Beispiel einen Amerikaurlaub mit diesem Buch vorbereiten. Ist vielleicht gewinnbringender, als Disneyland zu besuchen. Und das Buch wird den Leser neugierig machen auf den Mann, der all dies auf dem Gewissen hat: Andrea Palladio. Oder seine englischen Verehrer Inigo Jones, Christopher Wren und Lord Burlington.

War noch was? Ach ja, die englische Neugotik mit ihren sham ruins und ornamental hermits in künstlichen Grotten. Die erste Phase dieses Phänomens, das Alfred Kamphausen Gotik ohne Gott genannt hat, kommt im 18. Jahrhundert. Es sei denn, wir wollten es mit Christopher Wrens St. Mary Aldermary oder den Tom Tower vom Christ Church College als Beginn der Neugotik werten. Die zweite Welle des Gothic Revival beginnt im Jahrhundert darauf (ich hätte ➱hier eine ganz interessante Seite).

John Ruskin erklärte die Neugotik zum spirituellen Schönheitsideal des 19. Jahrhunderts, London ist voll davon. Man hätte die ganzen Scheußlichkeiten vielleicht längst abgerissen, wenn nicht der Poet Laureate John Betjeman seinen Kampf für die Erhaltung dieser Monströsitäten des 19. Jahrhunderts aufgenommen und gewonnen hätte. Im Bahnhof St Pancras (Bild) gibt es deshalb für ihn ein Denkmal. Betjeman verstand es auch geschickt, das neue Medium Fernsehen zu nutzen, um den Engländern seine architektonischen Geschmacksideale näher zu bringen. Aber wir hätten in Deutschland da auch einiges zu bieten, vom Kölner Dom bis zum Schloß Neuschwanstein.

Die Kunstgeschichte hat sich mit diesem Phänomen irgendwie ungern beschäftigt. Zwar gibt es für einzelne Länder wegweisende Studien, wie natürlich Kenneth Clarks Klassiker The Gothic Revival, aber niemand hatte sich bisher daran gemacht, die Neugotik als ein gesamteuropäisches Phänomen zu sehen. Von daher ist Christian Baurs in der Reihe Heyne Stilkunde erschienenes Buch Neugotik ein wirklich originelles Buch. Souverän von einem Kenner geschrieben, durchgehend farbig und schwarz-weiß illustriert. Eigentlich hätte das Buch es verdient, kein kleines Taschenbuch, sondern ein richtig fetter Bildband zu sein. So ein richtiges coffee table book. Den könnten sich auch Engländer ins Wohnzimmer legen. Lord Clark und Sir John Betjeman wären begeistert gewesen.

Alles weitere zum Gothic Revival habe ich eigentlich schon in die Posts zu ➱Horace Walpole und ➱William Beckford gesagt. In dem Post über Walpole kommt auch Ursula von der Leyen vor, die Gernot Hassknecht letztens in der Heute Show ein hyperaktives Frettchen genannt hat. Wenn Sie wissen wollen, wie es mit der amerikanischen Architektur weitergeht, dann lesen Sie die Posts ➱Louis Henry Sullivan und ➱Frank Lloyd Wright.


Ich habe es leider verpasst etwas über Christoph Willibald Gluck zu schreiben, der heute vor dreihundert Jahren geboren wurde. Lesen Sie doch einfach diesen schönen Post der ➱Che farò senza Euridice heißt.