Freitag, 26. Dezember 2014

Fremdenlegion


Mit kleinen, gut getarnten Kommandounternehmen hielt Giap die Franzosen immer wieder so auch am 24. Dezember, bei schlechter Laune. Dazu ein kalter Nieselregen, dem sogenannten 'Crachin', verdarb den Truppen die Stimmung auf Nüsse, Kekse und Glühwein, welcher extra von Hanoi herbeigeflogen wurde. Navarre ist zu der Feierlichkeit angereist, um der Garnison zu zeigen, wie er zu der Truppe stehe. Nicht Cogny, sondern er sei der Chef von allen. De Castries und Navarre besuchten die einzelnen Bataillone auf einer Visite, gaben mal hier, mal da ein mitgebrachtes, feines Fläschchen aus. Einige Kompanien hatten provisorische Christbäume aufgestellt, welche eher skurril und schrill auf den Befestigungen wirkten als weihnachtlich. Aus Bambusrohren zusammengebastelte Weihnachtsbäume, als Lametta musste der überall rumliegende Stacheldraht herhalten und eingefärbte Eierhandgranaten sollten wohl den Zweck von Weihnachtskugeln liebevoll erfüllen.

Aus vielen Palettenbrettern, bunten Fallschirmen wurde neben dem Hauptquartier von den Pionieren der Fremdenlegion ein Baldachin mit einem Altar zusammengebastelt, der von sieben großen Kerzenhaltern mit brennenden Kerzen flankiert wurde. Lange, mystisch anmutende Schatten wurden so gegen die aufgespannten Fallschirme geworfen, welche eine gewisse Spannung unter den Beteiligten aufkommen ließ. Der Eindruck wurde noch durch das große Kruzifix aus Bambushalmen verstärkt, welches sich wie ein Wächter über den Altar schützend stellte.

Ob Schwarzafrikaner, Indochinesen, Europäer und sogar Araber lauschten bei dem wieder eingesetzten, jedoch mildem Nieselregen wie die frommen Schäflein ihrem christlichen Hirten. Die Gedanken der anwesenden Soldaten verflogen, als nun Navarre, de Castries, sein marokkanischer Bursche und seine Sekretärin auftauchten. Madame Pauline Bourgeade hatte sich extra sauber rausgeputzt, trug ihrem Chef seine Reitergarde mit schwarzen, ledernen Handschuhen. Knallrote Lippen, grelle, blaue Schminke, extravaganter, tiefausgeschnittener Tarnoverall, zierte die nicht gerade weihnachtlich gestylte, aufreizende Sekretärin. So blickte sie mit verschränkten Armen, Zigarette im Mund, die Reitergarde unter ihrer Achsel geklemmt, etwas entfernt vom Altar, streng auf das Tun des Predigers. Die Legionäre wussten nicht, wohin sie zuerst schauen sollten. Zum Prediger oder zur Sünde.

War es so? Der Text, der Weihnachten in Dien Bien Phu betitelt ist, findet sich auf einer Internetseite. Allerdings war der Autor nicht dabei, im Gegensatz zu Peter Scholl-Latour, der über seine Erlebnisse als Fallschirmjäger in Indochina in Tod im Reisfeld geschrieben hat, war dieser Autor niemals in der Fremdenlegion. Er war nicht einmal bei der Bundeswehr, wie er auf seiner Seite gesteht. Man wüsste es auch so, dass der Text etwas nachträglich Verfertigtes ist. Zu viele Adjektive und Adverbien. Die zu zählen ist immer ein guter Test für schlechte Literatur. Der Detailreichtum beeindruckt. Nicht nur Sätze über Colonel de Castries wie: im Schlepptau seine adrette, gut proportionierte und grell geschminkte 28jährige Sekretärin Pauline Bourgeade, die von einem grellen Gepfeife der Kolonialsoldaten begrüßt wurde, nein, auch die Badewanne von de Castries wird nicht vergessen.
 
Die hatte der Mann aus einer alten Adelsfamilie für sich einfliegen lassen, es ist ein wenig absurd. Rundherum sterben die Soldaten, und der Colonel sitzt im Bunker und hat eine Badewanne. Die Geschichte mit der Badewanne kennt auch Rainer Calmund, dessen Vater in Dien Bien Phu gefallen ist. Der Colonel de Castries ist noch während der Schlacht von Dien Bien Phu zum General ernannt worden, ähnlich wie man Paulus während der Schlacht von Stalingrad zum Feldmarschall gemacht hat. Aber das hat nichts geholfen, Dien Bien Phu bedeutet das Ende der französischen Kolonialherrschaft in Indochina.

Ich konnte den fremden Ortsnamen schon früh ausprechen, wenn Jängjängfu die richtige Aussprache ist. Auf jeden Fall klang das so im Radio. Ich hatte bei uns im Keller einen alten Volksempfänger gefunden, der erstaunlicherweise noch funktionierte. Die Senderzahl war begrenzt, AFN und BFN konnte ich leider nicht empfangen. Aber die Schlacht um Dien Bhien Phu und das Schicksal der Frau, die man den Engel von Dien Bhien Phu nennt, die verfolgte ich jeden Tag. Ich bangte um das das Leben von Geneviève de Galard-Terraube. Bemühte mich, ihren Namen richtig auszusprechen. 

Später sah ich sie in der Wochenschau, als Präsident Eisenhower ihr einen Orden verlieh, da trug sie eine weiße Uniform. Eisenhower hat bei der Ordensverleihung gesagt: Mademoiselle Geneviève de Galard-Terraube, French Airborne Nurse, by her ministrations to the sick and wounded at Dien Bien Phu, inspired and heartened the entire free world. Her service to her comrades, marked by the courage of a woman in battle and by the devotion of a nurse to her sworn duty, has been unsurpassed in this century. Her supreme fortitude in hours of peril, her unfaltering dedication to her mission reflected the greatness of spirit manifested on many fields, in many centuries, by the soldiers of France.

Da war der Krieg schon zu Ende. Wer nicht in Gefangenschaft geraten war, kam mit der Pasteur zurück. Hier ist sie auf dem Weg nach Saigon, die képis blancs der Fremdenlegionäre kann man gut erkennen. Wenige Jahre später lag die Pasteur, die jetzt Bremen hieß, bei uns in der Weser. Wurde beim Bremer Vulkan umgebaut, ich konnte sie täglich sehen.

Als sie ankam, hatte sie nichts mehr von einem stolzen Passagierschiff an sich. Als sie den Vulkan verließ, galt sie als das schönste Schiff seiner Zeit. Das Piano im großen Salon war schneeweiß. Das hat mir Peter erzählt, der die Bremen dank einer Führung des Direktors vom Vulkan besichtigte, bevor sie abgeliefert wurde. Ich hätte dabei sein können, war es aber nicht. Ich konnte diesen Direktor des Bremer Vulkans nicht ausstehen.

Auf der alten Bremen, dem Stolz des Norddeutschen Lloyds, hatte Opa einmal in den dreißiger Jahren eine Schiffsreise für sich und Oma gebucht. Von Bremerhaven nach Southampton, Touristenklasse. Zurück ging's mit Fähre und Bahn. Er hatte eine Speisekarte von dieser Reise aufbewahrt, die meine Mutter blöderweise der Reederei der neuen Bremen geschenkt hat.

Sie kriegt einen Dankesbrief dafür und einen bunten Prospekt. Ich fand das richtig doof, eine originale Speisekarte von einem Bremer Schiff wegzuschenken, welches einmal das Blaue Band errungen hat. Dass die Pasteur zuvor kein Passagierschiff mehr war, sondern nur noch ein Truppentransporter, wusste ich damals nicht, aber Hans Fander hat mir erzählt, dass er mit diesem Schiff nach Frankreich zurückgekommen ist (lesen Sie mehr in dem letzten Absatz von Monte Carlo, or Bust!).

Die Schlacht von Dien Bien Phu kam auch noch einmal in mein Leben zurück. Nicht nur bei den Bildern von der Vicomtesse in der Wochenschau, als sie damals heiratete. Nein, das war 1964 in Frankreich in La Courtine, als der patron der kleinen Gaststätte unten im Ort, der mit der Legion in Dien Bien Phu gewesen war, uns beim Abendessen davon erzählte. Sie können die Geschichte in dem Post Élysée Vertrag lesen, der ruhig noch einige Leser bekommen könnte. Der ehemalige Legionär hatte aus Indochina seine Frau mitgebracht, aber Madame kochte jetzt französisch. Spezialitäten aus ihrer Heimat habe ich da nie auf der kleinen Speisekarte gesehen.

Was damals nicht auf den Tisch kam, war ein Wein der Fremdenlegion. Ja, das gibt es. Weiß ich auch erst seit Weihnachten, weil ich da drei Flaschen davon von Hans Fander geschenkt bekommen habe. Der als junger Mann mal in der Legion war. Und dann gleich in Indochina. Ach, da auf dem Bahnhof stand ein Zug voll mit jungen Leuten, da bin ich einfach eingestiegen, hat er gesagt, als ich ihn einmal fragte, wie er in die Legion gekommen sei. Das kann natürlich nicht die ganze Geschichte sein. Ich hoffe, dass er sie einmal auf seiner Seite selbst erzählt. Um einen Eindruck von seinen Geschichten zu bekommen, sollten Sie hier einmal Der Weg nach Barbarenque von ihm lesen. Die Bilder auf der Seite sind auch von ihm.

Wenn Sie mich jetzt fragen, was das Bild von Manet von der Erschießung des Kaisers Maximilian an dieser Stelle soll, dann habe ich natürlich eine Antwort. Natürlich ist es auch da, um auf den Post Edouard Manet hinzuweisen, in dem sich eine lange Interpretation des Bildes findet. Und um auf die französische Einmischung in Mexiko hinzuweisen. Denn die kostet nicht nur den Kaiser Maximilian das Leben, sondern auch den Capitaine Jean Danjou von der Fremdenlegion. Für die im Jahre 1831 von Louis-Philippe (einem König, der die Fremde nur zu gut kannte, war er doch einmal Tanzlehrer in Friedrichstadt) gegründete Legion ist der Capitaine Jean Danjou heute noch ein Held. Als man die Institution des Invalides de la Legion Etrangère neunzig Jahre nach dem Gefecht von Camerone gründete, gab man der Domäne, auf der man heute den Wein anbaut, den Namen Capitaine Danjou.

Und das Gefecht von Camerone im Jahre 1863 ist für die Franzosen so etwas Ähnliches wie der Alamo für die Amerikaner. Nur dass es nicht so viele Filme über Capitaine Danjou und Camerone gibt, wie es die über die Colonels James Bowie, William Barret Travis und Davy Crockett gibt. Aber die Legion ehrt ihren Helden jedes Jahr wieder, defiliert an der Prothese seiner Hand vorbei. Sehen Sie hier einen kurzen Film zum 150. Jahrestag der Schlacht von Camerone. Und es fällt jetzt nicht so schwer, beunruhigende Analogien zwischen Camerone und Dien Bien Phu zu finden. Die Legion schickt man immer dorthin, wo gestorben wird, im Krimkrieg waren sie auch dabei.

Filme über die Legion und Legionäre gibt es genug, aber die haben meistens sehr wenig mit der Elitetruppe der französischen Armee zu tun, über die der Marschall Hubert Lyautey sagte: On ne saurait proclamer trop haut les mérites de cette troupe admirable et la bonne fortune que c'est pour la France d'en avoir une telle à son service. In der Phantasiewelt Hollywoods trägt dann Gary Cooper das weiße Képi und flirtet in Morocco mit Marlene Dietrich. Beau Geste lassen wir einmal unerwähnt.

In seinem Buch Visions of Yesterday hat Jeffrey Richards ein langes Kapitel, das The Cinema of Empire heißt. Gäbe es ein französisches Äquivalent zu diesem Buch, dann würde das Kapitel viel kürzer ausfallen. Morocco und Beau Geste sind keine französischen Produktionen. Französische Filme über Indochina oder die Legion, die kann man zählen. Die französische Kolonialarmee kommt in dem bezaubernden kleinen Film Ein Affe im Winter vor, Indochine gewann (wahrscheinlich wegen der Deneuve) einen Oscar. Im gleichen Jahr hatte Pierre Schoendoerffer Dien Bien Phu: Symphonie des Untergangs gedreht, ein Film der hierzulande kaum bekannt wurde. Vielleicht schreibe ich ein anderes Mal noch einmal zu dem Thema Indochina und Popular Culture. Etwas muss aber hier noch erwähnt werden: Edith Piaf hat ihr berühmtes Chanson Non, je ne regrette rien der Fremdenlegion gewidmet. Und die Legion, deren Fallschirmjäger 1961 an dem Putsch gegen de Gaulle teilgenommen hatten, hat das begeistert gesungen.

Von Schauspielern abgesehen, hat es viel Prominenz in den Reihen der Legion gegeben: Louis II. von Monaco, Prinz Aage von Dänemark (der über seine siebzehn Jahre in der Legion in A royal adventurer schrieb. Hier links auf dem Photo neben Oswald Bjerring) und Prinz Louis Napoléon. Manche waren nur ganz kurz in der Legion wie Ernst Jünger oder Arthur Koestler (in Nordafrika desertiert). Blaise Cendrars, der im Krieg einen Arm verlor (und der hier schon einen Post hat), war in der Legion, ebenso wie der spätere SPD Abgeordnete Philip Rosenthal, der darüber sein Buch Einmal Legionär schrieb. Die Legion führt auch Cole Porter als einen der ihren, obgleich dessen Zugehörigkeit nie so ganz geklärt wurde.

Im Indochinakrieg waren elftausend Legionäre gefallen. Darunter auch viele Deutsche, wie der Vater von Rainer Calmund. Aber der Krieg ist mit Dien Bien Phu für die Legion noch nicht zu Ende. Der Krieg ist nie zu Ende. Als wir 1959 in Paris waren, habe ich mich in ein Algerierviertel verlaufen. Die menschenleere Straße da hinein war mit Sandsäcken abgeschirmt. Maschinengewehre obendrauf, ich habe das damals photographiert. Und natürlich war es wieder die Legion, die in Algerien war. Dorthin transportiert von der Pasteur. Wir haben im Juli 1959 (lesen Sie hier mehr dazu) den kleinen blonden Dieter B. in Paris verloren, da hatte unser Diakon Klaus Nebelung schon Angst, dass er der Fremdenlegion in die Fänge geraten wäre. Vor unserer Fahrt hatte man uns Schauergeschichten erzählt, ganz Paris schien nur aus Werbebüros der Legion zu bestehen, die darauf aus waren, blonde Deutsche anzuheuern. Nichts davon war wahr.

Die Amerikaner haben aus den französischen Verlusten nichts gelernt, als sie in Vietnam einmarschierten. Wie sang Tom Paxton so schön: Lyndon Johnson told the nation, "Have no fear of escalation. I am trying everyone to please. Though it isn't really war, We're sending fifty thousand more, To help save Viet Nam from Viet Namese." Die Fremdenlegion hatte auch hohe Zahlen von Verwundeten, und für die wurde die Institution des Invalides de la Legion Etrangère geschaffen. Um die Invaliden, die die Helden der Grande Nation sind, muss man sich kümmern, und das tut man auch. Wein anzubauen, ist vielleicht nicht die schlechteste Beschäftigung. Wundern Sie sich nicht über den Bart dieses Winzers, die Legion ist der einzige Teil der französischen Armee, in der Bärte getragen werden dürfen.

Die Gewinne aus dem Weinverkauf bessern die Kasse der Institution des Invalides de la Legion Étrangère etwas auf. Man braucht nicht wie Hans Fander in der Legion gewesen zu sein, man kann ihn hier in der Boutique de la Légion Étrangère bestellen. Oder man bekommt ihn zu Weihnachten geschenkt, dann schreibt man als kleines Dankeschön einen Post der 'Fremdenlegion' heißt.

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