Freitag, 27. September 2019

Kakao


Gibt es eigentlich noch Kaba? Das Getränk war ja mal von Ludwig Roselius erfunden worden, dem wir Bremer den Kaffee HAG und die Böttcherstraße verdanken. Als ich klein war, bekam ich immer Kakao zu trinken, oder genauer: heiße Schokolade. Die beste Schokolade gab es bei Tante Cilly, die ich einmal im Monat besuchte. Von ihrem Großvater, dem Kaufmann Julius von Minden, hatten wir ein Portrait im Wohnzimmer hängen, darauf ist er dezent im Schwarz des 19. Jahrhunderts gekleidet. Er hat einen gepflegten grauen Bart und er trägt eine dunkelblaue Samtkappe. Ich weiß nicht weshalb, aber es sieht sehr elegant aus. Tante Cilly war eine vornehme kleine Dame, sie trug immer Schwarz, doch ihre Kleider aus Satin oder Seide zierte immer ein weißes Krägelchen. Tante Cilly, deren Neffe mein Patenonkel war, griff für die heiße Schokolade nicht zur Kaba Dose, sie bereitete sie selbst zu. Manchmal gab es bei ihr nach der Schokolade auch noch einen 5 Mark Schein.

Man konnte natürlich auch in einem Café Schokolade trinken. An einer Schokolade kann man die Qualität eines Cafés erkennen, sagte mein Freund Peter. Er sagte das mit der gleichen Bestimmtheit, wie er Wir müssen jetzt Proust lesen gesagt hatte. Die Schokolade durfte natürlich nicht diese Plörre sein, die man heute bei Starbucks (oder wie diese austauschbaren Café-Macdonalds heißen) bekommt. Die sieht genauso aus wie der Kakao der Schulspeisung in der Volksschule, den uns die amerikanischen Besatzer verordnet hatten. Schmeckt auch so. Nachdem wir alle Bremer Cafés getestet hatten, blieben wir bei Stecker in der Knochenhauerstraße hängen, diesem hübschen kleinen Haus aus der Renaissance, das im 18. Jahrhundert eine Rokoko Fassade bekam. Klein (nur sieben Meter breit), verwinkelt, intim und mit Stil. Es war geradezu privat.

Hierher verirrten sich nie die Pennäler der Hermann Böse Schule, die damals in Horden in das Café Jacobs einfielen. Wir hätten zu Knigge in der Sögestraße gehen können, wo ich jedes Jahr zu Weihnachten den telephonisch bestellten Bremer Klaben abholte, aber das Café wurde in jedem Reiseführer empfohlen. Und Hillmann war zu groß und voller Touristen. Obgleich Theodor Fontane der Vorläufer des Cafés, Hillmanns Hotel, gut gefallen hatte.

Er hat es in seinen Roman Cécile hineingeschrieben: Den andern Morgen war er in Bremen und nahm Wohnung in 'Hillmanns Hotel', einem entzückenden Gasthause, das er schon aus früheren Aufenthalten kannte. Die Fenster in seinem Zimmer standen auf, und er sah abwechselnd über die die Vorstadt von der Altstadt trennende Esplanade hin in die buntbelebte Sögestraße hinein und dann wieder unmittelbar auf eine neben der ganzen Hotelfront hinlaufende, mit Kies bestreute Rampe, darauf die Gäste saßen und eben ihren Frühkaffee nahmen. Denn es war noch milde Luft, und die mächtigen Bäume des benachbarten Wallgangs bildeten einen Schirm, der die ganze Rampe zu einer windgeschützten Stelle machte. Hier wollt er auch sitzen, und als er sich umgekleidet hatte, stieg er treppab und nahm an einem der Tische Platz. Das Treiben, das vorüberwogte: Rollwagen, die nach dem Hafen fuhren, Mägde, die zu Markt, und Kinder, die zur Schule gingen, alles tat ihm wohl und gab ihm ein stilles Behagen wieder, das er seit dem Tage, wo Clothildens Brief eintraf, nicht mehr gekannt hatte. Dabei sah er Cécile beständig vor sich, die, wie ein hinschwindendes Nebelbild, ihn aus weiter Ferne her zu grüßen und doch zugleich auch abzuwehren schien.

Wir gingen nicht wie die Flensburger Petuh Tanten einfach so zu Stecker, das Café beschloss immer einen kulturellen Bremen Besuch, Kino oder Kunsthalle. Auf dem Rückweg wurde bei Hespen am Wall in die Fenster geguckt, damit wir auf dem Laufenden waren, wie sich die Bremer die Engländer vorstellen sollen, erst danach gingen wir zu Stecker. Wir waren immer zurückhaltend elegant gekleidet: Flanell- oder Cordhosen, Tweedjackett und braune englische Schuhe. Einmal sah ich im ersten Stock des Cafés einige Tische weiter drei Bundeswehroffiziere. Während ich so tat, als würde ich meinen am Bahnhof gekauften Observer lesen, beobachtete ich sie. Man sah die damals ja selten in der Öffentlichkeit, bei Stecker hatte ich noch nie welche gesehen. Sie trugen die neuen Uniformen, nicht mehr die Affenjacken der ersten Jahre der Bundeswehr.

Einer der Männer fiel mir auf, seine Uniformjacke war dunkler als gewöhnlich. Und sein blaugraues Hemd hatte einen anderen Farbton als das der beiden anderen Offiziere. Seine Manschetten waren ausgefranst, das ist ja immer ein Zeichen der Oberklasse, die sich das erlauben kann. Er hatte lange schmale Hände, und die Gesichtshaut war über den Wangenknochen angespannt. Das Gesicht mit den tiefliegenden Augen hatte etwas Totenkopfähnliches an sich. Gehen solche Leute zum Bund, weil sie den Tod suchen? Draußen auf der Knochenhauerstraße wuchs die Dämmerung, und das Dämmerlicht, das sich mit dem Licht der Tischlampen mischte, ließ ihn wie einen Raubvogel aussehen. Degenerierter Adel? Zur Zeit von Lord Byron wäre das bestimmt ein romantisches Schönheitsideal eines schon todgeweihten Helden gewesen. Lese ich mit meinen morbiden Beobachtungen damals zu viel Tod in Venedig?

Aber ich habe das Bild dieser Gruppe von Offizieren und diesen Moment des Todeshauchs nicht vergessen, weil Stecker in Bremen wenige Jahre später nur noch mit dem Tod assoziiert wurde. Anfang der siebziger Jahre wird der Juniorchef Gerd Stecker auf der Straße erschossen. Von einem Matrosen, der sich in seine Frau verliebt hatte und mit ihr durchbrennen wollte. Die Ironie an der Geschichte ist, dass Gerd Stecker eigentlich schon dreißig Jahre vorher so gut wie tot war. Seine Mutter hatte ihn aus dem von den Phosphorbomben brennenden Asphalt der Hansastraße gerettet, wo das Café vor 1948 beheimatet war. Sie hat dabei schwerste Verletzungen davongetragen und konnte nie wieder ein Kleid mit kurzen Ärmeln tragen. Ihr Mann war unter den Trümmern des Hauses ums Leben gekommen. Das war die Bombennacht vom 19. August 1944, als der ganze Bremer Westen eine Flammenhölle war.

Nach dem Tod von Gerd Stecker blieb das Café erst einmal geschlossen. Aber wenn es wieder öffnet, ist irgendwie nichts wie früher. Das Café zog jetzt ein anderes Publikum an, die wohl wegen der Sensation hierher kamen. Danach soll es ein Treffpunkt lokaler Prominenz gewesen sein, angeblich war Otto Rehagel hier Stammgast. Das alles weiß ich nicht, ich habe nie wieder bei Stecker Schokolade getrunken. Ich fuhr lieber nach Worpswede zum Kaffee Verrückt, aber das ist gerade geschlossen worden.

Seit dem Jahre 2000 gehören Café und Konditorei dem Konditormeister Bernard Timphus, der der TAZ nur Trauriges über die Familie Stecker zu sagen wusste: Das Album mit den historischen Fotos der Familie Stecker hat jemand auf dem Flohmarkt gefunden und ihm vorbeigebracht – die beiden Töchter, die in den USA leben, haben die Familientradition wie Gerümpel verhökert. Und die alte Frau Stecker wurde anonym beerdigt, weil die Erben kein Interesse an einer Grabstelle hatten. Eine der Töchter soll in Arizona ein German Café betreiben. Stecker in Bremen ist heute bei Facebook, da stellen die Kunden Selfies von sich ins Netz und photographieren ihre Tortenstücke.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen