Samstag, 14. Juni 2025

tenore di grazia


Der Sänger Heddle Nash, der am 14. Juni 1894 geboren wurde, war in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen Englands berühmtester lyrischer Tenor. Er ist auch nach hundert Jahren unvergessen, viele seiner Aufnahmen aus den 1920er und 1930er Jahre sind heute noch als CD erhältlich. Vieles schwirrt auch bei YouTube herum, manches sogar remastered in guter Qualität. Nash begann als Chorsänger im Westminster Abbey Chor und bekam dank der berühmten Maria Brema, die sein Talent entdeckte, ein Stipendium für das Blackheath Conservatory. Die in Liverpool geborene Sängerin hieß eigentlich Mary Agnes Fehrmann, ihren Künstlernamen Brema hat sie gewählt, weil ihr Vater aus Bremen kam. Eine Woche nach der Aufnahmeprüfung für das Konservatorium brach der Erste Weltkrieg aus. 

Der zwanzigjährige Nash meldete sich freiwillig zum Second 20th London Regiment und kam mit der Armee nach Frankreich, Saloniki, Ägypten und Palästina. Er war einer der ersten britischen Soldaten, der 1917 in Jerusalem einmarschierte. Als er verwundet wird, war für Sergeant Nash, der während des Krieges immer für die Männer seiner Kompanie gesungen hatte, der Krieg zu Ende. Die Krankenschwester, die ihn gepflegt hatte, wird er später heiraten. Das Blackheath Konservatorium hatte ihm seine Stelle offengehalten, Maria Brema nimmt sich seiner stimmlichen Fortbildung an. Danach hat Nash eine Stelle in einem →Marionettentheater. Während auf der Bühne die Marionetten tanzen, singt er unten im dunklen Orchestergraben die Tenorparts der italienischen Opern. Er kommt mit dem Marionettentheater sogar nach New York. Aber dann leiht ihm ein Freund eine größere Geldsumme, und er geht nach Italien, um dort zu studieren.

Seinen ersten Auftritt wird er als Vertretung für einen erkrankten Sänger 1924 in Mailand haben, auch in Genua, Bologna und Turin können die Italiener den jungen Engländer mit dem italienischen Timbre hören. Ein Jahr später ist er als Rigoletto in London zu sehen. Seine Stimme wird immer ein bisschen nach Verdi klingen, sagen die Kritiker. Es ist eine leichte Stimme, tenore di grazia nennt man das. Wunderbar geeignet für das Dalla sua pace des Ottavio in Mozarts Don Giovanni. Der Musikkritiker J. B. Steane hat ihn the English lyric tenor par excellence, without equal then or now genannt. Und hat über die Aufführung geschrieben: ... and it seems they fell to the young tenor singing Don Ottavio. The 'Evening Standard' carried the headline 'Have We Another McCormack?' and the subheading, 'English Tenor’s Brilliance at Covent Garden'. The 'Express' reported that he twice brought down the house, quite a feat if you think about it, and he had a special success in 'Il Mio Tesoro', where, as the record shows, he not only sang that run in a single breath, but could also sustain a ralentando at the end of it. Das Il Mio Tesoro will ich gerne hier nachliefern.

Von 1929 bis 1939 wird Nash jedes Jahr im Royal Opera House Covent Garden auftreten. Er hat ein Repertoire von vierundzwanzig Opern, die er in allen Sprachen (englisch, französisch, deutsch und italienisch) singen kann. In vielem ist er der Nachfolger des berühmten irischen Tenors John McCormack. Das war ein Sänger, denJames Joyce bewundert hatte, der ja auch einmal Sänger werden wollte. Lesen Sie mehr dazu mehr in dem Post The Lass of Aughrim. Man kann den Unterschied der beiden Stimmen sehr schön an dem Lied Macushla aufzeigen, das seit 1911 ein Klassiker von McCormack war. Die Aufnahme ist remastered und klingt nach über hundert Jahren wie neu. Wir verlassen damit mal eben die Welt von Mozart und Verdi und kommen zum schmalzig Schnulzigen. Tenöre singen nicht nur immer Dalla sua pace, sie singen auch häufig Leichteres, das bringt Geld. Fritz Wunderlich konnte neben dem Dalla sua pace auch leicht und locker so etwas wie ✺ Tiritomba singen. Zwanzig Jahre nach McCormack hat Heddle Nash Macushla auch gesungen (das zehn Jahre später sogar Richard Tauber nicht auslassen wird). Am Klavier war Gerald Moore, der später noch Dietrich Fischer-Dieskau begleiten wird. Hören Sie einmal hinein und vergleichen Sie die Aufnahmen, beide Versionen sind technisch aufbereitet.

Bei der ersten ✺Oper, die 1934 in dem kleinen Opernhaus des exzentrischen Millionärs John Christie in Glyndebourne unter Fritz Busch aufgeführt wird, ist Heddle Nash natürlich auch dabei. Lesen Sie zu dem Thema mehr in dem schönen Post Glyndebourne, der im letzten Jahr leider überhaupt keine Leser fand. Nash wird in Glyndebourne bis 1938 auftreten, wird Pedrillo und Ferrando in Così fan tutte singen und den Ottavio in Don Giovanni. Der Kritiker Richard Capell schrieb damals: Hardly another tenor of his time has sung Mozart with such elegance and at the same time such a minstrel-like effect of spontaneity.

In ✺Così fan tutte sang Nash 1935 den Fernando und hatte Ina Souez, eine Amerikanerin mit indianischen Vorfahren, als Fiordiligi neben sich. Die beiden sind wirklich gut, hören Sie ✺hier einmal hinein. Ich finde Nash am besten, wenn er italienisch singt. Ich habe hier auch noch ✺Un' aura amorosa aus der Oper für Sie. Zu der Aufnahme von Sir Thomas Beechams ✺La Bohème, die Gramophone in einer Rezension The Incomparable Heddle Nash betitelte, hat bei YouTube jemand geschrieben: 

Thank you! I consider this one of Heddle Nash's greatest recordings. A great joy to hear him singing so movingly and beautifully in Italian. I'm very grateful to those who are doing their best to share their awareness of this amazing singer, who was famous in his day and is still greatly loved by some very loyal fans, longstanding and also recent. He is not so well known now as he deserves to be, but our digital age is a real opportunity to put this right. If you enjoy this as much as I do, maybe there are several people you know who would like it too....? Das kann man so unterschreiben. Aber selbst wenn er das ✺eiskalte Händchen in englischer Sprache besingt, klingt das ein klein wenig italienisch. Da merkt man, dass er einmal bei ✺Giuseppe Borgatti studiert hat.

Dass ich den Tenor Heddle Nash kenne, verdanke ich einer Schallplattenbörse im Kieler Legienhof zu D-Mark- und Schallplattenzeiten. Ich hatte bei einem Händler die Complete Piano Concertos von John Field gekauft, 4 LPs im Schuber. Als ich bezahlen wollte, sagte der Händler: Nimm die noch mit, die will keiner haben. Aber der Mann ist wirklich gut. Und drückte mir zwei kleine  Columbia 78er Platten von Heddle Nash in die Hand. Ich hatte den Namen noch nie gehört. Ich hätte Jürgen Kesting Die großen Sänger unseres Jahrhunderts wohl genauer lesen sollen. Heddle Nash war seit 1924 bei der Firma Columbia, er profitierte von ihren neuen Aufnahmetechniken. Charles Wakefield Cadmans ✺At Dawning aus dem Jahre 1925 war dort seine erste Aufnahme. War nie zu hören, da sie im Familienbesitz war, aber jetzt gibt es sie bei YouTube. Vieles taucht da plötzlich auf, was es vorher nicht gab. Ich habe gestern zufällig dort ✺Die schöne Müllerin von dem lyrischen Tenor Werner Krenn gefunden, eine der schönsten Aufnahmen des Liederzyklus.

Und damit Sie die schöne Stimme von Heddle Nash noch einmal geniessen können, habe ich noch ein wenig ✺Bizet für Sie. Ist ✺Caruso da wirklich besser?

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