Dienstag, 28. Mai 2024

Glyndebourne


Der Engländer John Christie hatte Eton und das Trinity College in Cambridge besucht. Obwohl eins seiner Beine beinahe gelähmt war, wurde er Leutnant beim King's Royal Rifle Corps und erhielt nach der Schlacht bei Loos das Military Cross. Aber dann entlässt die Armee den Captain. Weil bei einer ärztlichen Untersuchung herausgekommen war, was er bisher sorgfältig verborgen hatte: Er war auf einem Auge blind. Am Ende des Krieges, als er in Eton als Physiklehrer arbeitet, schreibt er an seine Mutter: Somehow it is not easy to write as I should do. You wish me to give up Eton and to marry and settle down at Glyndebourne. My inclinations are not to do so. I detest politics and have no wish to take up county work. What the future will bring forth, I don't know. As regards marriage, I have never met anybody whom I wanted to marry and I believe I am too cautious to get engaged. Besides, I cannot imagine myself having any respect for anyone who consented to marry me. It seems to me to be impossible. Doch er wird die Erbschaft antreten und das große Gut Glyndebourne übernehmen. Und er wird eine Frau finden, eine außergewöhnliche Frau. Mit ihr zusammen macht er Glyndebourne berühmt, weltberühmt.

1923 kauft der Großgrundbesitzer Christie die Firma William Hill & Son & Norman & Beard Ltd, die Orgeln baut. Es sind große Jahre für den Orgelbau, die Kinos wollen Orgeln haben, der Tonfilm ist noch nicht erfunden. Christie wird sein Leben lang Direktor dieser Firma sein. Ein Kino hat er auch für kurze Zeit, er hatte aus dem Opera House in Tunbridge Wells ein Kino gemacht. Captain Christie hatte an sein Landhaus einen kleinen Flügel angebaut, in dem eine Orgel (eine der größten Englands) Platz findet und in dem kleine Konzerte gegeben werden. 

Bei solch einem Konzertabend lernt John Christie die Sängerin Audrey Mildmay kennen. Sie sang die Blonde in Mozarts Singspiel Entführung aus dem Serail. Christie ist so von ihr begeistert, dass er ihr sofort einen Heiratsantrag macht. Sie zögert ein wenig: My Dear John, Two letters from you this morning – both charming. Yesterday’s is, I think, one of the very nicest letters I have ever had in my life. You are such a darling, John, that I don’t want you to fall in love with me… Doch kurz danach sind sie verheiratet. Und Christie baut für seine Frau ein Opernhaus. Ein kleines Opernhaus, dreihundert Plätze und Platz für das Orchester. 

I want to give my country a model of perfection... Nothing less. My country needs cheering up. I'm the man to do it, sagt Christie in dem Theaterstück ✺The Moderate Soprano von Sir David Hare (Sie können das Theaterstück hier lesen). John Christie wurde in dem Theaterstück von Roger Allam gespielt, den wir als Inspector Fred Thursday aus der Serie Der junge Inspektor Morse kennen. Nancy Carroll spielte die Sängerin Audrey Mildmay. Man kennt Nancy Carroll in Deutschland als Lady Felicia Montague in der Father Brown Serie. 

Audrey Mildmay (hier als Susanna in der Aufführung von 1934) hatte vielleicht keine so großartige Stimme. Sie war eben nur ein moderate soprano. Aber das tat der Liebe von John Christie keinen Abbruch. Und ohne sie hätte es das Glyndebourne Festival nicht gegeben. David Hare hat über Mildmay gesagt: Even before meeting her, Christie was obsessed with the music of Wagner and the beauty of Germany, a country he adored. When it came to constructing a theatre from scratch, it was Christie who had the original dream, but it was his wife who made the dream real, bringing a much-needed practicality. Audrey is the unsung heroine of the whole venture. 

Heute vor neunzig Jahren wurde das erste Glyndebourne Festival eröffnet. Mit Mozarts Le nozze di Figaro. Christies Gattin Audrey, im zweiten Monat schwanger, singt die Susanna. Der Dirigent ist Fritz Busch, der war im Jahr zuvor von einem SA Mob aus der Semperoper gegrölt worden und hatte Deutschland verlassen. Obgleich ihn Hitler, Goebbels und Göring gerne als Wagnerdirigenten in Deutschland gesehen hätten. Aber als Toscanini sich 1933 geweigert hatte, in Bayreuth aufzutreten, erklärte sich Busch mit seinem Kollegen solidarisch und verzichtete auf die fragwürdige Ehre der Berufung durch den Wagner Clan. Man kann den Lohengrin ja auch in Buenos Aires und an der Met dirigieren, was er tun wird. 

Erst einmal bietet ihm John Christie in Glyndebourne ein künstlerisches Zuhause. Christies erste Dirigenten, Dramaturgen und Intendanten sind alle Emigranten aus Hitlers Reich: Rudolf Bing (der später noch Chef an der Met werden wird), Fritz Busch und Carl Ebert (hier auf dem Photo von links nach rechts). Das einzige Parteimitglied der NSDAP bei der Figaro Aufnahme von 1934 ist Willi Domgraf-Fassbaender. Der Bariton kann kein so überzeugter Nazi gewesen sein, sonst hätte Busch (und später Toscanini) ihn wohl nicht genommen. Domgraf-Fassbaender (der Vater der Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender) hat über Fritz Busch gesagt: Bei Busch stimmte einfach alles! Ein Tempo, das er anschlug, war - wie seine gesamte Mozartinterpretation - so, dass man sich etwas anderes überhaupt nicht vorstellen konnte.

Mit dem Kriegsbeginn ist es mit der Oper zu Ende, Busch geht nach Buenos Aires an das Teatro Colón. Christies Haus wird ein Heim für evakuierte Kinder. Das Glyndebourne Festival Orchestra ist zwar nicht mehr in Glyndebourne zu hören, aber überall sonst. Sie sind ab 1940 auf Tour mit der Beggar's Opera, Audrey Mildmay singt die Polly Peachum, das hatte sie schon mit großem Erfolg getan, bevor sie John Christie kennenlernte. Sie können sie hier in der Aufnahme von 1940 hören. 1950 ist Fritz Busch wieder in Glyndebourne, er wird bis zu seinem frühen Tod 1951 in London acht Opernaufführungen in Glyndebourne dirigieren. Meistens Mozart. Glyndebourne ist mit ihm zu einem Mozartfestival geworden. Wäre es nach John Christie gegangen, hätte es in seiner Oper Wagner gegeben, dann wäre Glyndebourne ein zweites Bayreuth geworden. 

Glücklicherweise haben seine Frau (hier 1936 als Zerlina in Don Giovanni) und Fritz Busch ihn zu Mozart gebracht. Bei den Proben zu The Moderate Soprano diskutieren die Beteiligten hier die Frage Mozart oder WagnerI ask on behalf of the audience ... Mozart. Is he any good? fragt John Christie in dem Theaterstück von Hare. I know everyone says that a genius sees things other people don't. But geniuses aren't always so bloody brilliant at seeing what other people do ... What I'm saying: Mozart may be great, but is he any good? That's my question. Because it's by no means the same thing. 

Das Theaterstück endet mit: 28 MAY 1934 For the first time, there is the sound of the audience gathering in the theatre, talking, coughing a little. Bing moves across to the table and sits down to work at his papers. John remains in his wheelchair, his eyes bandaged, staring out. Ebert appears at the side, lolling against a wall in the auditorium waiting for the performance to begin. And to one side Audrey, in costume to play Susanna, paces nervously, rubbing her hands together, preparing. Then, seeing him before we do, there is polite applause in the audience and a settling as Fritz Busch, wearing tails, walks out in front of the curtain. He makes a gesture with his arms for the unseen orchestra to stand, and the applause is a little firmer. Then it dies, and the noise of the audience falls away to silence. There is an expectant moment. Busch raises his arms, and on the beat, the orchestra is heard to begin Mozart’s overture for The Marriage of Figaro. Bing looks up from his desk, as if hearing it. Ebert beats time nervously. Audrey paces ever more quickly, as if the tension were unbearable. Only John is serene, staring out, unseeing. The music grows louder and louder till it fills the theatre, sublime.

Alles, was Fritz Busch in Glyndebourne dirigiert hat, kann man noch auf →CD bekommen. Und seit die DVD erfunden wurde, kann man viel Mozart aus Glyndebourne auf DVDs sehen. Meine Lieblingsaufnahme ist Così fan tutte aus dem Jahr 2006. Jeden Morgen, wenn ich meinen Computer anmache, singen Miah Persson, Anke Vondung und Nicolas Rivenq ✺Soave sia il vento.

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