Die deutsche Schriftstellerin Hannelies Taschau ist im letzten Monat siebenundachtzig geworden. Da hätte ich gratulieren und ein Gedicht von ihr einstellen sollen, weil hier ja der Poetry Month war. Das habe ich leider verschusselt. Aber es gibt in diesem Blog seit 2013 schon den Post Hannelies Taschau, der viele tausend Leser gefunden hat. Und sie wird in acht weiteren Posts erwähnt. Ich gratuliere mal nachträglich zum Geburtstag und stelle ein Gedicht hier ein, das sie 1969 für ihren Freund Nicolas Born geschrieben hat:
Freunde tragen
schwer am Wohlbehagen ihrer
Freunde
die zurückgezogen wie Piloten
lange aufsteigend
winken von einer Hochebene
mit bloßen Händen
Und in Gesellschaft von Wildhütern
und Teerkochern
ihren Beruf überleben
Ich habe beinahe alle Gedichtbände von Hannelies Taschau. Die sind leider teuer, manche sogar sehr teuer. Kann dreistellig sein, wenn es von der Eremiten Presse kommt und aufwendig gedruckt ist. Viele ihrer Gedichtbände hatten nur eine kleine Auflage; von Weg mit dem Meer gibt es, glaube ich, nur tausend Exemplare. Ihre Romane kann man ganz billig bekommen. Ab 25 Cent bei booklooker. Das ist eine erstaunliche Sache. Ich suchte noch nach ihrem ersten Gedichtband, der 1969 beim Christian Wegner Verlag im Hamburg erschienen war, ein schmales Bändchen. Ich fand den Band endlich für sechs Euro bei buchfreund, das ist so etwas Ähnliches wie das ZVAB. Ich kaufte das Buch, bezahlte per PayPal und bekam eine Bestätigung über den Kauf. Meine Bestellung wurde weitergeleitet an das Antiquariat Uwe Berg. Kannte ich nicht, guckte ich aber mal im Netz nach. Da packte mich blankes Entsetzen. Das sind Rechtsradikale, die die ganze Nazi Literatur auf Lager haben. Alle Reden von Adolf Hitler lieferbar. Unglaublich. Wie sich der Gedichtband von Hannelies Taschau in diesen Laden verirrt hat, das weiß ich nicht. Die haben glücklicherweise auch kein zweites Buch von ihr.
1989 hat es mal einen Brandanschlag auf das Bergsche Antiquariat gegeben, der nie aufgeklärt wurde. Das erinnert mich ein wenig an die rechtsradikale Buchhandlung Nordwind hier in der Wilhelminenstraße. Da hat mal jemand in der Nacht ein ganzes Fuder Mist vor der Buchhandlung von Dietmar Munier abgeladen. Fand ich sehr witzig, ist aber auch nie aufgeklärt worden. Das Versandantiquariat Uwe Berg und Muniers Nordwind sind Einzelbeispiele, aber es gibt viel, viel mehr. Erst im letzten Jahr war der Grossist Libri (vorher Lingenbrink) bereit, rechtsradikale Titel in seinem White Label Shop zu sperren.
Hannelies Taschau hat nun nichts, aber auch gar nichts mit dieser Buchhandlung zu tun, bei der ich ihren ersten Gedichtband kaufte. Wahrscheinlich würde Sie über die Geschichte lachen. Oder ein Gedicht darüber schreiben. Für die Demokratie ist sie ja immer eingetreten. Auf der Rückseite des Buches ist ein schönes Photo von ihr, das sich leider nicht im Internet findet. Ein Bild des Buches gibt es auch nicht im Internet. Ich stelle hier mal ein anderes Jugendbild ein. Als der Schriftsteller W. Christian Schmitt sie kennenlernte, sah sie wahrscheinlich so aus. In seiner Autobiographie →Willkommen in der Aula der Erinnerungen schreibt er über sie:
Hannelies Taschau (Jg. 1937) sagte am Telefon: 'Wir treffen uns vorm Bahnhof, Erkennungszeichen knallgrüne Bluse, blaue Hose, und am besten gehen wir irgendwohin eine Tasse Kaffee trinken...'. Also reiste ich nach Hameln, um mit dem Mitglied des 'Redaktionskomitees der Bertelsmann Autoren Edition' über die Autorin, ihre Arbeit und 'das Komitee' zu sprechen. In der HAZ schrieb ich unter der Überschrift 'Es ist ja alles ganz anders' am 12. Juli 1973 über die etwas kompliziert verlaufende Begegnung u.a.: Die Sache ist gebongt. Hannelies Taschau also: lässig, locker, spontan, sporadisch. Wer ihre Bücher kennt, kennt schon fast die ganze Hannelies Taschau, die Tabubrecherin, die Reporterin, das Agitprop-Mäuschen, die Kämpferin an der täglichen Demokratiefront, die Chiffrenschreiberin, die Unterhalterin, die Sprach-, Laut-, Wortverliebte. Bisweilen hat sie das Bedürfnis, all das, was sie unmittelbar entdeckt, weiterzugeben. Unbekümmert, nicht genau bedenkend, dass es vielleicht schon bekannt sein könnte. Als die Wohmann seinerzeit mit dem Schreiben anfing, hätte man sich die Taschau als deren literarische Schwester vorstellen können. Die Wohmann ist sich und ihrem Stil treu geblieben. Hannelies Taschau hat sich auf den langen Marsch zu sich selbst begeben und Phasen herrlich belangloser Verklärungen durchlaufen. Das alles scheint vorbei. Hinter sich gelassen hat sie auch einen Teil der spektakulären Erfolge und Kritiken anlässlich ihres Romans 'Die Taube auf dem Dach'. Die FAZ schrieb, über den vierblättrigen Klee lobend: 'Die Autorin registriert im gleichen Atemzug Wesentliches und Unwesentliches... registriert sachlich und unbewegt wie eine Filmkamera'. Und Nicolas Born schrieb über Taschaus Gedichte: 'Sie sind ein Muster der Unruhe. Bedeutungen zwischen den Zeilen gibt es nicht'.... Gut ein halbes Jahr später erreicht mich mit Datum vom 11. Februar 1974 ein Brief von Hannelies Taschau aus Hameln, in dem u.a. in vorwurfsvollem Ton zu lesen ist: 'Sieht man sich nun mal generell Ihre Interviews an, fällt einem auf, dass Sie gern, wohl der Einfachheit halber, drei, vier sog. Zitate der Interviewten aneinanderreihen, allenfalls durch ... verbunden, die offensichtlich nicht zusammengehören. Sie machen sich ́s überhaupt in vielem zu leicht...'.
Auf dem Buchdeckel ihres ersten Gedichtbandes, unter dem schönen Photo dieser schönen Frau, stehen einige Zeilen von Nicolas Born. Der ebenso wie sein Freund Rolf Dieter Brinkmann ganz früh gestorben ist: Hannelies Taschau verläßt sich nicht auf ihre Sensibilität. Auf ihre Aufmerksamkeit kann sie sich verlassen. Ihre Gedichte sind moderne Genrebilder, kreisen um entfremdetes Interieur, zeigen gestörte Beziehungen zwischen Menschen, das Zumutbare und das Unzumutbare, reflektieren Abhängigkeit, Mißtrauen, Angst, legen sich an mit privaten und öffentlichen Ärgernissen. Sie sind weder Abhub noch Endprodukt von Erfahrungen, sie sind diese Erfahrungen selbst. Sie selbst hat vor über vierzig Jahren über sich gesagt: Ich sehe keinen Sinn mehr in einer experimentellen Literatur, die der Sprache ein Primat vor der materiellen Wirklichkeit einräumt. Schreibend artikuliere ich meine Ängste und Hoff nungen und teile mich anderen mit, das halte ich in unserer Situation noch für sinnvoll: zu ermuntern — sich zu sehnen — sich zu wehren.
Ich habe zum Schluss noch ein kleines böses Gedicht von Hannelies Taschau, das den Titel Objekt hat:
Er schläft leicht ein
du mußt ihm die Augen offenhalten
Er ißt gern lange
Wenn man ihn kalt anfasst schrumpft
er
aber das kennst du
das ist bei allen gleich
Nimm ihn bis Freitag kannst du ihn
haben
zum Wochenende hätte ich ihn
gerne zurück
Er schläft leicht ein
du mußt ihm die Augen offenhalten
Er ißt gern lange
Wenn man ihn kalt anfasst schrumpft
er
aber das kennst du
das ist bei allen gleich
Nimm ihn bis Freitag kannst du ihn
haben
zum Wochenende hätte ich ihn
gerne zurück
Das Gedicht findet sich in dem Band Gefährdung der Leidenschaft, der 1984 bei Luchterhand erschien. Ist aber auch in Wundern entgehen: Gedichte 1957–1984 (auch bei Luchterhand) mit drin. Das wäre ein Buch, mit dem man anfangen könnte, wenn man ihre Gedichte lesen will. Ist auch nicht so teuer, gibt es bei booklooker sehr preiswert. Das Wikipedia Lexikon spendiert Hannelies Taschau mal gerade acht mickrige Zeilen. Ein klein wenig bedeutender ist sie schon. Der Katalog der deutschen Nationalbibliothek verzeichnet neununddreißig Bücher von ihr, der Wikipedia Artikel zehn weniger. Sie hat mit Richard Hey, Uwe Timm und dem Bertelsmann Lektor Andreas Hopf die AutorenEdition bei Bertelsmann hochgezogen. Sie hat Literaturpreise und Stipendien bekommen, und Karl Otto Conrady hat sie in seine Lyriksammlung aufgenommen. Als ich in der Vorlesung von Professor Conrady über den deutschen Expressionismus saß, fing Hannelies Taschau an zu schreiben. Sie wurde in Hamburg geboren, hat aber die Bombardierung Hamburgs nicht erleben müssen, weil die Familie nach Schwaben evakuiert worden war. Sie hat zwei Jahre in →Paris gelebt, zwischen zwei Etagen In der Rue Cassette Ohne Stuhl und Tisch. Sie hat viele Jahre im Ruhrgebiet gelebt. Heute lebt sie in Hameln, die Weser kommt in manchen ihrer Gedichte vor. In der Stadtbücherei Hameln hat sie auch zwei Interviews über ihr Leben und ihr Werk gegeben. Sie können diese zwei ✺Gespräche hier hören, dann kennen Sie sie schon ein bisschen besser.
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