Donnerstag, 20. November 2025

Silhouette

Geizig war er, der Etienne de Silhouette, Finanzminister Ludwigs XV., sehr geizig. Keine Ölgemälde in seinem Schloss, nur die preiswerten Scherenschnitte! Keine schlechte Idee, denn nun geht der Begriff Silhouette auf ihn zurück. Das können wir auf dieser Seite lesen. Und die Geschichte findet sich mit Ausschmückungen an vielen Stellen. Die englische National Portrait Gallery bietet aber zum Thema Silhouette etwas ganz anderes an: Profile or shadow portrait filled in with black or a dark colour. A common pictorial technique in Europe in the late 18th and early 19th centuries, it was named after Etienne de Silhouette (1709–1767), a French finance minister who made paper cut-outs as a hobby. Diese Geschichte können wir in vielen Varianten lesen, da langweilt sich Frankreichs Finanzminister in seiner Büro so, dass er anfängt, mit einer Schere Papier zu schneiden. Das nimmt auch die Britannica auf: parsimonious mid-18th-century French finance minister Étienne de Silhouette, whose hobby was the cutting of paper shadow portraits (the phrase à la Silhouette grew to mean “on the cheap”) 

Wahrscheinlich stimmt keine dieser Geschichten. Der Marquis von Silhouette (hier sein Schloss in Bry-sur-Marne) war ein gebildeter Mann, der die Welt bereist und in London den britischen Geldmarkt studiert hatte. Durch die Protektion von Madame de Pompadour wird er Finanzminister und soll den Staatshaushalt des gegen England Krieg führenden Landes sanieren. Er geht das rigide an, Lars Klingbeil könnte sich den Marquis zum Vorbild nehmen. Aber alles, was Silhouette unternimmt, liebt man in Frankreich nicht. Nach neun Monaten fliegt er aus dem Amt. Jean-Jacques Rousseau soll ihm geschrieben haben: Sie haben dem Geschrei der Profiteure die Stirn geboten. Als ich Sie sah, wie Sie diese Elenden zertraten, habe ich Sie um Ihr Amt beneidet; dafür, dass Sie es verließen, ohne zu widerrufen, bewundere ich Sie.

Und die französische Sprache hat den neuen Begriff à la Silhouette (das hat die Britannica richtig gesehen), was etwas wie minderwertig, billig, vorübergehend und unvollständig bedeutet. Kleidung ohne Taschen (da kein Geld mehr vorhanden war) wurde zu „Silhouette-Hosen“, ein Attribut, das fortan allem zugeschrieben wurde, was beengt, kleinlich, flüchtig oder unfertig wirkte, wie Louis-Sébastien Mercier in seinem „Tableau de Paris“ (1781) beschrieb: „Silhouette, der Name eines Generalrechnungsprüfers des 18. Jahrhunderts; obwohl er über großen Witz verfügte, beging er einige Torheiten; von da an schien alles ‚Silhouette‘ zu sein, und sein Name wurde bald lächerlich; die Mode trug bewusst den Stempel der Trockenheit und Kleinlichkeit … Schnupftabakdosen wurden aus grobem Holz gefertigt; Porträts waren Gesichter, die im Profil auf schwarzes Papier gezeichnet wurden, ausgehend vom Schatten einer Kerze auf einem Blatt weißem Papier. 

Monsieur Étienne de Silhouette zieht sich ins Schloss von Bry-sur-Marne zurück, das er gerade gekauft hat. Er lässt es ein wenig umbauen, aber von Scherenschnitten an den Wänden gibt es keine Berichte. Er übersetzt Alexander Pope und William Warburton aus dem Englischen. Und Baltasar Gracián aus dem Portugiesischen. Er hat uns keine Portraits und keine Scherenschnitte von sich hinterlassen. Aber wir haben ja dies. Ein Kunstwerk von Christian Capurro mit dem Titel Another Misspent Portrait of Etienne de Silhouette, 1999-2014.

Der deutsche Dichter Walter Helmut Fritz, der heute vor fünfzehn Jahren starb, hatte aber nur die Geschichte mit dem geizigen Marquis im Kopf, als er sein Gedicht Schattenrisse schrieb.

Sie sollten so sparsam
wie möglich sein,
meinte Etienne de Silhouette.
Die billigste Bildnisart.

Keine Nachrichten
vom Leben der Gefühle

von Überlegungen
zu unverstandenen Vorkommnissen

von Antworten,
die einer sucht
auf das Schweigen des andern.

Keine offenen Augen,
die man auch betrachten könnte,
wenn man das Bild umdrehte.

Nur ein Schatten,
nicht zu durchdringen.

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