Dienstag, 11. November 2025

Dommi ✝

Als er mich vor zwanzig Jahren zum ersten Mal in meiner neuen Wohnung besuchte, blieb er in der Zimmermitte stehen, als hätte ihn der Blitz getroffen. Iss was, Dommi? fragte ich. Ich geh' noch mal raus, Jay, sagte er. Ich klingle dann noch mal und Du läßt mich wieder rein. Ich war ein klein wenig irritiert, aber so machten wir es. Als er wieder in der Wohnung war, sagte er mir, dass es ihm gerade eben klargeworden sei, dass hier in diesem Zimmer vor -zig Jahren seine erste Freundin mit ihm Schluss gemacht hatte. Ich schenkt uns erstmal einen kleinen Single Malt ein. Er trauerte der Frau nicht nach, er war seit Jahrzehnten mit Sabine glücklich verheiratet. Es war nur dieser seltsame Moment der Erinnerung, dass ihm klar wurde, dass das wirklich hier in diesem Zimmer gewesen war. Diese Geschichte war das erste, das mir einfiel, als ich am Wochenende las, dass mein Freund Dommi Dombrowski gestorben war. Er war häufig in diesem Blog. Zum Beispiel in dem Post Harry Graf Kessler, weil er eine Gesamtausgabe des Werkes besaß, das habe ich sehr bewundert. Aber am Ende des Posts steht eine kleine Dommi-Geschichte, die ich hier noch einmal hinstelle: 

Das bringt mich noch einmal auf Irland, die Heimat von Kesslers Mutter. Mein Freund Dommi Dombrowski, der mich vor Monaten auf den Grafen Kessler brachte, hat mir von einem seiner vielen Irlandaufenthalte eine wunderbare Geschichte erzählt. Das kleine Dorf, wo er länger gewesen war, hatte ein Abschiedsfest vorbereitet, sozusagen ein German wake. Dommi hat den Termin extra so gelegt, dass der drei Tage vor seiner Abreise liegt, er weiß, solch ein wake kann hier in Irland lange dauern. Sein Freund, der Kapitän von dem kleinen Kutter, auf dem Dommi mal gejobbt hat, ist auch da. Hat seinen Sunday best Anzug an. Als Dommi am nächsten Tag noch einmal in die Kneipe kommt, sitzt der Käpt'n schon wieder an der Bar. Sein Anzug sieht nicht mehr so gut aus, er hat offensichtlich draußen geschlafen. Und als Dommi am Tag der Abreise noch einmal kurz in den Schankraum guckt, sitzt sein Freund schon wieder an der Bar. Der Anzug sieht jetzt ganz schlimm aus. Dommi geht zu ihm hin, legt den Arm um ihn, und fragt ihn, was mit ihm sei. Und der guckt ihn mit blutunterlaufenen Augen an und sagt: When I see my best friend off, we do it in schtoil. Das ist es: We do it in style.

Dommi wusste alles über Irland und Schottland. Er hatte vor mehr als einem halben Jahrhundert mal eine Band, die Beda Folk hieß. Dommi ist der zweite von links auf dem Cover dieser LP, der Typ rechts (Andreas Stanisak) konnte herzergreifend schön auf der tin whistle spielen. Ich weiß alles über die Gruppe, weil Dommi mir vor wenigen Jahren mal die Dokumentation The Story of Beda Folk 1966-1996 geschenkt hat. Auf 77 Seiten die Geschichte der Band, alle Rezensionen aus der Presse, alle Dokumente der Auftritte, alle Verhandlungen mit Schallplattenfirmen. Massenhaft Photos und die Texte aller Lieder, die sie gesungen haben. Man kann da auch lesen, dass damals mal Udo Lindenberg im Vorprogramm der Beda Folk aufgetreten ist. Those were the days.

Dies Bild von Dommi fand ich in einem Nachruf, den die Heikendorfer SPD ins Netz gestellt hat. Dort konnte man lesen: Dietmar war passionierter und beliebter Lehrer und Oberstudienrat und seit 53 Jahren Mitglied der SPD. In zahlreichen Funktionen vertrat er die Partei. Er war er unter anderem von 1978-2012 Gemeindevertreter in Großbarkau, sowie von 2005-2012 Ortsvereinsvorsitzender der SPD im Barkauer Land. Aber aus irgendeinem Grund hat die SPD Heikendorf, wohin Dommi 2012 gezogen war, den Nachruf wieder aus dem Netz genommen, nur das Bild von ihm mit seiner Gitarre ist geblieben (inzwischen ist der Text an anderer Stelle wieder im Netz). 

Von seiner Musik ist noch viel im Netz. Bei YouTube gibt es Step it Our Mary, die Geschichte von der Mary aus Kilgory mit dem goldenen Haar, die dem reichen Mann ihre Beine nicht zeigen will, weil sie einen Soldaten liebt. Aber es gibt bei YouTube noch viel mehr. Nämlich die ganze Platte I Will Go von 1973 bei HappyBird, die 2011 (nach etwas zähen Verhandlungen) von Master Classics Records neu auf den Markt gebracht wurde. Hören Sie doch einmal in The Ballad Of Pat Rooney hinein. Wenn man das 1973 so hinkriegte, dann war man schon ziemlich professionell. Die Beda Folk werden übrigens in der 1983 erschienenen Dissertation von Gabriele Haefs mit dem etwas barocken Titel Das Irenbild der Deutschen: dargestellt anhand einiger Untersuchungen über die Geschichte der irischen Volksmusik und ihrer Verbreitung in der Bundesrepublik Deutschland mehrfach erwähnt.

Die Beda Folk waren in Norddeutschland schon eine Größe, als viele der deutschen Volkssänger noch nicht vor dem Mikrophon eines Studios erschienen waren. Die Zeit nach 1968 ist die große Zeit der Folklore, auch Joan Baez hat damit angefangen. Aber die ehrliche Folk Music von kleinen Gruppen wird selten honoriert. Die Kitschversionen irischer Lieder werden ein Welterfolg. Das fängt schon 1911 mit John McCormacksMacushla an. ✺Hayley Westenra und die Mitglieder von ✺Celtic Woman müssen schon längst Millionärinnen sein. Ich mag Volksmusik, wenn sie ehrlich daherkommt. Wenn zum Beispiel Maggie in ihrer Küche ✺I Skovens Dybe Stille Ro singt. Wenn Harry Belafonte ✺O Danny Boy, the pipes, the pipes are calling singt, dann ist das schon grenzwertig. Viele Folklore Gruppen verdanken den Dubliners etwas, der Kelly Family verdankt niemand etwas. Auf dieser Platte ist Dommi auch mit dabei, da spielt er allerdings nicht seine Mandoline oder seine Gitarre, sondern eine irische Bodhrán. 1996 machte Dommis Band nach dreißig Jahren Schluss, die Beda Folk verabschiedeten sich mit dem Lied ✺Wild Mountain Thyme. Das habe ich hier von Bob Dylan gesungen, der ja auch mal mit Folklore anfing, in einer Aufnahme vom Isle of Wight Festival 1969.

Es gibt noch einen anderen Dommi als den, der irische Lieder singt. Und das ist der Dommi, der viele Jahre mit dem Rowohlt Theater Verlag als Übersetzer zusammenarbeitet. Während des Studiums hatte er er mal bei Goldmann ein paar schlechte englische Krimis (ich glaube, es war auch ein früher Wallace dabei) für einen Billiglohn übersetzt, aber das hier war eine ganz andere Sache. Die Arbeit mit Rowohlt hat ihm immer gefallen. Er übersetzte jetzt im Team mit Helmut Hansen oder Michael Augustin (der zehn Jahre jünger als Dommi und ich ist, und den ich schon in Literaturstadt Bremen erwähnt habe). 

Und er übersetzte viel: Bill Morrison, Blindflug (1978), Simon Gray, Theaterblut (1979), Simon Gray, Ende des Spiels (1979), Peter Sheridan, No Entry (1979), Jason Lindsay, Kaiserin Eugenie: ein Divertissement (1980), Philip Martin, Du und ich (1980), James Saunders, Das Mädchen in Melanie Klein (1981), Tony Marchant, Willkommen, ihr Helden (1983), Tony Marchant, Glückspilze (1983), Simon Gray, Verlorenes Glück (1984), Heno Magee, Blut-Bande (1985), Nick Ward, Die anderen sind komisch (1989). Ein oder zwei der Übersetzungen sind beim Rowohlt Theater Verlag nicht als Buch erschienen, lagen aber für Bühnen als gedrucktes Manuskript vor. Von James Saunders hat Dommi auch zwei Hörspiele übersetzt: Ein Tag beim Zahnarzt und The Weekly Horror Radio Show. Viel Arbeit nebenbei für einen Oberstudienrat, der aber zur Erholung seine Tennisfreunde und die Doppelkopf Runde nie vergaß.

Er war ein Büchernarr mit erstaunlichen Interessen. Zu denen wie erwähnt Harry Graf Kessler gehörte, aber auch Nikolaus Meyer aus Bremen. Als er das Asthma kriegte, trennte er sich von seinen Büchern. Seine Irland-Schottland Bibliothek kaufte ihm die Universitätsbibliothek für gutes Geld ab. Für den Rest der Bücher, und das waren viele, fand er ein vorzügliches Antiquariat. Die wohnten ein paar Wochen bei ihm und katalogisierten jeden Tag die Bibliothek. Die Adresse der Firma hat er mir auch gegeben, falls ich mal meine Bücher verkaufen wollte. Aber so ganz von den Büchern trennen konnte er sich nie, ich traf ihn immer wieder bei Eschenburg, einem Laden, der für uns ein zweites Zuhause geworden war. 

Als ich ihm meinen Internetroman Que reste-t-il de nos amours vorbei schickte, schrieb er mir: die Lektüre war Nostalgie pur, vergiss nicht, wir sind gleich alt, nur die Namen der Frauen waren andere. Jetzt ist er im Alter von zweiundachtzig Jahren gestorben. Die Liebe, die Lieder, die Geschichten aber bleiben, steht in der Todesanzeige der Familie. Die Geschichten bleiben, wie die Geschichte mit dem We do it in style. Die Lieder bleiben dank YouTube auch. Und die Liebe bleibt immer. Death leaves a heartache no one can heal, love leaves a memory no one can steal.


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