Sonntag, 7. April 2013

Flora Tristan


Dies hier ist die Illustration von Paul Gauguin zu dem berühmten Gedicht Le ciel est par-dessus le toit von Paul Verlaine. Das Gedicht ist von Gauguin oben mit in das Bild hinein geschrieben. Falls Sie zufälligerweise zu diesem Gedicht eine (oder mehrere) englische Übersetzungen brauchen sollten, dann schauen Sie sich doch diese interessante ➱Seite einmal an.

Le ciel est, par-dessus le toit,
Si bleu, si calme !
Un arbre, par-dessus le toit,
Berce sa palme.

La cloche, dans le ciel qu'on voit,
Doucement tinte.
Un oiseau sur l'arbre qu'on voit
Chante sa plainte.


Mon Dieu, mon Dieu, la vie est là
Simple et tranquille.
Cette paisible rumeur-là
Vient de la ville.

Qu'as-tu fait, ô toi que voilà
Pleurant sans cesse,
Dis, qu'as-tu fait, toi que voilà,
De ta jeunesse ?

Ich habe natürlich auch eine deutsche Übersetzung, sogar eine berühmte. Sie ist von ➱Wolf Graf von Kalckreuth, der neben Verlaine auch ➱Baudelaire übersetzt hat.

Es glänzt der Himmel über dem Dach 
so blau, so stille. 
Ein Baum wiegt draußen über dem Dach 
der Blätter Fülle.

Eine Glocke im Himmel, den du siehst, 
hörst sanft du klingen, 
einen Vogel auf dem Baum, den du siehst, 
seine Klage singen.

Mein Gott! Mein Gott! Das Leben fließt dort 
ohne Leiden und Härmen, 
vom Städtchen kommt mir herüber dort 
ein friedliches Lärmen. 

Und du dort, der weint bei Tag und Nacht 
in schmerzlicher Klage, 
o sage mir du dort, wie hast du verbracht 
deine jungen Tage?

Und dann habe ich für die Philippe Jaroussky Fans unter meinen Lesern (nein, ich habe die nicht vergessen) ➱hier noch ein Schmankerl. Als Jaroussky das Lied bei einem Liederabend vor zwei Jahren in Köln sang, gab es ein Programmheft, in dem sich die köstlichen Sätze fanden: Bitte beachten Sie: Ihr Husten stört Besucher und Künstler. Wir halten daher für Sie an den Garderoben Ricola-Kräuterbonbons bereit und händigen Ihnen Stofftaschentücher des Hauses Franz Sauer aus. Sollten Sie elektronische Geräte, insbesondere Handys, bei sich haben: Bitte schalten Sie diese zur Vermeidung akustischer Störungen aus. Eine wunderbar plazierte Werbung des Modehauses Sauer. Ich weiß sogar, wo das Geschäft ist. Der Laden ist übrigens auch in dem ➱Kultfilm Tote Taube in der Beethovenstraße zu sehen, achten Sie mal drauf.

Heute vor 210 Jahren wurde Flora Célestine Thérèse Henriette Tristán y Moscoso geboren. Da sie keine Dichterin war, musste ich mal eben einen Umweg gehen. Über Paul Gauguin zu Paul Verlaine. Wie ich auf Gauguin komme? Ganz einfach, er war ihr Enkel: Meine Großmutter war eine merkwürdige Frau. Sie nannte sich Flora Tristan. Proudhon sagte, daß sie genial war. Da ich sie nicht kannte, halte ich mich an Proudhon. Sie erfand eine Vielzahl sozialistischer Geschichten, unter anderem die Arbeiterunion. Die dankbaren Arbeiter errichteten ihr ein Denkmal im Friedhof von Bordeaux. Wahrscheinlich konnte sie nicht kochen. Ein sozialistischer, anarchistischer Blaustrumpf! Man schreibt ihr zusammen mit Papa Enfantin die Gründung einer Gemeinschaft, einer Religion zu: die Religion von Mapa, wobei der Gott Ma Enfantin und sie die Göttin Pa gewesen wäre. Ich kann Wahrheit und Dichtung nicht auseinanderhalten, und Ihr könnt daraus machen, was Ihr wollt. Sie starb 1844. Ihrem Sarge folgten viele Abordnungen. Immerhin kann ich mit Gewißheit behaupten, daß Flora Tristan eine hübsche und edle Dame war. Sie war mit Madame Desbordes-Valmore eng befreundet. Auch weiß ich, daß sie ihr ganzes Vermögen für die Arbeitfrage verbrauchte, da sie fortwährend auf Reisen war

Samstag, 6. April 2013

Raffael


Das Bild kennen wir alle. Vielleicht auch nur wegen der beiden kleinen Puttenfiguren, die sich da unten gelangweilt auf der Fensterbank lümmeln. Sie haben längst ein ➱Eigenleben in der Werbung gefunden, schmücken die Dosen des ➱Dresdner Christstollens, Postkarten, Hundehalsbänder und ➱RegenschirmeWenn wir für jeden Abdruck nur einen Cent bekämen, unser Haus würde im Geld schwimmen, hat ➱Martin Roth, der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden gesagt. Das Bild hängt heute in ➱Dresden, weil der Kurfürst August ein Kunstliebhaber war. Der mit der Hilfe seines Premierministers Heinrich Graf von Brühl seine Kunstschätze vermehrte. Und sein Land ein klein wenig ruinierte. 1745 hatte August III. die wertvollsten Bilder aus der Galerie des Herzoges Francesco III. von Modena gekauft, jetzt musste noch ein Raffael her. Dafür war er sogar bereit, seinen Thron zur Seite zu räumen.

Platz für den großen Raffael! soll er gesagt haben, und hat eigenhändig seinen Thron zur Seite geschoben. Adolph Menzel hat es hundert Jahre später im Bild festgehalten. Das Bild aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg wurde natürlich im letzten Jahr bei der ➱Ausstellung in Dresden ständig zitiert, da war Raffaels Sixtinische Madonna fünfhundert Jahre alt geworden.

Vor dem spektakulären Ankauf durch den sächsischen Kurfürsten hatte das Bild nicht die Aufmerksamkeit der Dichter auf sich gezogen, es war überhaupt weithin unbeachtet geblieben (ich lasse jetzt mal Giambattista Marino aus, der Gedichte auf Bilder von Raffael geschrieben hat). Es war definitiv noch kein Kultbild, zum dem es im letzten Jahr durch die Ausstellung in Dresden erklärt  wurde: Die schönste Frau der Welt wird 500. Die Sixtinische Madonna - Raffaels Kultbild feiert Geburtstag. Es fällt heute nicht schwer, Dichter zum Thema Sixtinische Madonna zu zitieren. Zumal die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden auf einer Seite eine Handvoll Gedichte vereint haben. Die können wir natürlich nicht nehmen, es muss etwas Besonderes her. Da geht auch Hebbels allzu bekanntes ➱Gedicht Auf die Sixtinische Madonna nicht. Ich könnte William Bell Scotts ➱Raphaels's Madonna Di San Sisto nehmen, aber das wäre etwas weit hergeholt. Oder auch nicht, weil der Dichter und Maler zu den Präraffaeliten gezählt wird. Nein, ich bleibe im Lande und zitiere das Gedicht eines deutschen Philosophen, das dieser im Jahre 1815 geschrieben hat.

Es ist der junge Dr. Arthur Schopenhauer, der nach einem Streit mit seiner Mutter nach Dresden gezogen ist und jetzt der eifrigste Besucher der königlichen Bibliothek und der Dresdner Kunstsammlungen ist. In seinen frühesten Aufzeichnungen beschäftigt ihn die Kunst immer wieder, so notiert er 1814 (er ist gerade in Dresden angekommen): Mit einem Kunstwerk muß man sich verhalten wie mit einem großen Herrn: nämlich sich davor hinstellen und warten daß es Einem etwas sage. Ich finde das einen sehr schönen Satz, das ist sehr viel sinnvoller, als sich von einem an der Museumskasse gemieteten Tonbandgerät irgendetwas ins Ohr säuseln zu lassen. Die ständigen Museumsbesuche haben den jungen Philosophen geprägt, die Kunst wird auch seine Philosophie beeinflussen. Lesen Sie doch mal das dritte Buch von ➱Die Welt als Wille und Vorstellung.

Aber leichter verständlich ist natürlich sein Gedicht mit dem Titel Auf die Sixtinische Madonna:

Sie trägt zur Welt ihn:
und er schaut entsetzt
In ihrer Greu'l chaotische Verwirrung,
In ihres Tobens wilde Raserei,
In ihres Treibens nie geheilte Torheit,
In ihrer Qualen nie gestillten Schmerz -
Entsetzt: doch strahlet
Ruh und Zuversicht
Und Siegesglanz sein Aug', verkündigend
Schon der Erlösung ewige Gewißheit.

Aber was wäre ein Philosoph, der sich von Gefühlen überwältigen lassen würde? Ein Jahrzehnt später können wir bei ihm den Satz lesen: Jetzt, da ich alt bin, che vä mancando l'entusiasmo Celeste (heut bin ich 38 Jahr) kann es geschehn, dass ich vor Raphaels Madonna stehe, und sie sagt mir nichts! Wenn der l'entusiasmo Celeste fehlt, kann man vor dem Bild warten daß es Einem etwas sage, es redet dann einfach nicht mit einem. 

Raffael, auch Raffael da Urbino, Raffaello Santi, Raffaello Sanzio oder Raphael ist am 6. April 1520 gestorben. Seine Sixtinische Madonna wird weiterleben. In der ein oder anderen Form.


Freitag, 5. April 2013

Karajan


Vor 105 Jahren wurde Herbert von Karajan geboren. Er ist in diesem Blog schon häufiger erwähnt worden (wie zum Beispiel ➱hier), ich mag ihn allerdings nicht so besonders. Ich kenne auch keine guten Gedichte über Karajan, Spottgedichte gibt es ja genug. Also zum Beispiel das Trara, trara, die Hochkultur von dem österreichischen Politiker Fritz Hermann. Als Karajan die Strophe 15 gelesen hatte, hat er gedroht, nie wieder in Wien zu dirigieren. Aber das will ich hier nicht abdrucken, Sie können es auf dieser ➱Seite lesen. Wenn Sie wollen. Wollen Sie bestimmt.

Ein Gedicht fällt mir natürlich sofort ein, das zu den ganz großen Werken der deutschen Literatur zählt. Ich kannte den Verfasser nie, aber nachdem ich es in dem Post ➱Tigerente zitiert hatte, haben mich verschiedene Leser belehrt, dass es natürlich in Die Wahrheit über Arnold Hau von F.K. Waechter, Robert Gernhardt  und  F.W. Bernstein steht. Wo sonst?

Die Zirbelente sprach gedämpft: 
'Ich hab mein Leben lang gekämpft. 
Nun sollen auch mal andre ran, 
zum Beispiel dieser Karajan'.

Und für die Leser, denen angesichts des Namens Karajan nach etwas mehr Klassik zumute ist, habe ich natürlich auch etwas zu bieten:

Der mensch ist recht als anderew tyer 
mit natur und mit der gier. 
wann er lebt nach seinem mut
daz er sich nicht twingen tut,
so ist er ein viech in menschen pild, 
und ward nie chain tyr so wild 
der mensch mocht dannoch wilder sein.
wo man zug ein chindlein in einer wilden wustenschaft 
da ez zucht noch maisterschaft 
nicht gesach pey chainer vrist, 
waz tungt an einem menschen ist, 
daz chumpt in in mit gutem rat. 
ye mer der mensch chunst hat, 
so er ye paz geporn than.
nu wirt ein pawr ein edel man 
sunder von der chunst fygur, 
daz er pricht dw natur
mit gewonhait guter ding; 
daz muezdw chuns tin in pring

Das ist über siebenhundert Jahre alt (hat aber sicher heute noch seine Bedeutung), von einem Dichter namens Heinrich der Teichner, Neuhochdeutsch heißt das so etwas wie: Hinsichtlich seiner Natur und seiner Begierlichkeit ist der Mensch ganz wie andere Lebewesen. Wenn er so lebt, wie er will. (also) ohne sich zu beherrschen [zu 'zwingen'], dann ist er ein Vieh in Menschengestalt [Menschenbild]. Kein Tier war jemals so wild, dass der Mensch nicht noch wilder sein könnte. Zöge man ein kleines Kind in der abgelegenen Einöde heran, in der es niemals Disziplin und Autorität kennenlernte, (dann erwiese sich:) was ein Mensch an Fähigkeiten (Tugend) besitzt, das hat er durch Belehrung erworben. Je mehr Kunst dem Menschen zur Verfügung steht, umso besser ist seine gesellschaftliche Stellung. Ein Bauer wird nur durch Kunst zum Adeligen, (und zwar dadurch,) dass er die Natur bricht mit dem Gewöhnen an gutes Handeln; das muss die Kunst in ihm verursachen.

Wie ich von Heinrich dem Teichner auf Karajan komme? Ganz einfach, Karajan hat ein Buch über den Dichter geschrieben. Na ja, nicht der Dirigent Herbert von Karajan. Sondern sein Urgroßvater Theodor von Karajan. Und dank Heinrich dem Teichner wissen wir jetzt auch, dass man nur durch die Kunst zum Adligen wird.

Ein wirklich schönes Karajan Gedicht hätte ich allerdings doch. Es ist besonders gut, weil Karajan in dem Gedicht gar nicht vorkommt. Und so gibt es hier zum Schluss Enzensbergers Gedicht Für Karajan und andere:

Drei Männer in steifen Hüten 
vor dem Kiewer Hauptbahnhof – 
Posaune, Ziehharmonika, Saxophon – 

im Dunst der Oktobernacht, 
die zwischen zwei Zügen zaudert, 
zwischen Katastrophe und Katastrophe: 

vor Ermüdeten spielen sie, die voll Andacht 
in ihre warmen Piroggen beißen 
und warten, warten 

ergreifende Melodien, abgetragen 
wie ihre Jacken und speckig 
wie ihre Hüte, und wenn Sie da 

fröstelnd gestanden wären unter Trinkern, 
Veteranen, Taschendieben, 
Sie hätten mir recht gegeben: 

Salzburg, Bayreuth und die Scala 
haben dem Bahnhof von Kiew 
wenig, sehr wenig voraus.

Donnerstag, 4. April 2013

Edith Södergran


Ich begebe mich zögernd in Gefilde, von denen ich nicht viel weiß: schwedische Lyrik. Als Tomas Tranströmer vor zwei Jahren den Nobelpreis für Literatur erhielt, wusste ich nicht mal, wer der war. Inzwischen besitze ich die Ausgabe der Sämtlichen Gedichte des Hanser Verlags. Und irgendwann habe ich die auch mal zu Ende gelesen. Ich lese zu wenig. Ich schreibe zu viel. Doch was soll ich mich beklagen, es ist keine Sklavenarbeit, ich habe es so gewollt. Von Edith Södergran - die am 4. April 1892 in St. Petersburg geboren wurde -  hatte ich allerdings schon früh gehört, sie war mit fünf Gedichten in Enzensbergers museum der modernen poesie vertreten (Tomas Tranströmer war da nicht drin).

Das ➱Buch von Enzensberger war vor einem halben Jahrhundert meine Bibel. Ich habe es immer noch, nur den Schutzumschlag hat es mittlerweile verloren. Zwei der Gedichte waren von Enzensberger übersetzt, die restlichen drei von ➱Nelly Sachs. In dem Band Klauenspur, 1990 herausgegeben von Richard Pietraß (bei Reclam Leipzig) ist Enzensberger wiederum mit einer Nachdichtung von Södergran vertreten - der größte Teil der Übersetzungen stammt von Christiane Grosz, Klaus-Jürgen Liedtke, Brigitte Pietraß, Richard Pietraß, Brigitte Struzyk und Dorothea von Törne. Nelly Sachs und Hans Magnus Enzensberger sind nicht die einzigen deutschen Dichter, denen die finnlandschwedische Dichterin Edith Södergran am Herzen lag, schon 1978 hatte der Kieler Dichter Hans-Jürgen Heise (dessen Essays zur Lyrik immer lesenswert sind) in der Zeit eine schöne Rezension von dem Gedichtband Feindliche Sterne geschrieben, in der er auch auf das Nachwort von Horst Bienek einging (beide Texte ➱hier). Vor zehn Jahren hat Heinrich Detering, der neben seiner Tätigkeit als Literaturprofessor auch Gedichte schreibt, in der ➱FAZ die Übersetzungen von Klaus-Jürgen Liedtke rezensiert. Leider sind die Bücher von Pietraß und Liedtke inzwischen vom Markt verschwunden, auch Nelly Sachs' Band Schwedische Gedichte, in dem siebenundzwanzig Gedichte von Södergran waren, ist nicht mehr lieferbar. Aber da Edith Södergran heute Geburtstag hat, wollen wir den Faden der Erinnerung mal nicht abreißen lassen. Und so gibt es hier etwas Schwedisches (übersetzt von Richard Pietraß):

Gefährliche Träume

Geh nicht zu nah an deine Träume:
sie sind Rauch und können zerstieben −
sie sind gefährlich und können bestehn.

Sahst du deinen Träumen in die Augen:
sie sind krank und verstehen nichts −
sie folgen nur eigenem Sinn.

Geh nicht zu nah an deine Träume:
sie sind nicht wahr und sollten gehn −
sie sind ein Wahn und wollen dauern.


Wenn Sie lieber etwas im schwedischen Original haben wollen, dann hätte ich natürlich auch etwas aus ihrer ersten Gedichtsammlung Dikter von 1916. Da war sie vierundzwanzig Jahre alt, sechs Jahre später war sie schon tot. Das Gedicht mit der Anfangszeile Dagen svalnar mot kvällen ist hundertfach im Internet vertreten, es muss vielen Menschen heute noch etwas bedeuten, wobei traurige Liebesgedichte natürlich immer ihre Leser finden werden. Ich kann jetzt nicht sagen, weshalb meine erste Assoziation Ernst Josephsons Svarta Rosor war. Geht wohl auf eine zurückliegende schlimme ➱Kirsten Flagstad Phase zurück, die diesen Sibelius Klassiker mit Emphase gesungen hat. Falls sie so etwas mögen, hätte ich ➱hier noch ein Schmankerl. Nach dieser kleinen Digression komme ich doch endlich zu Dagen svalnar mot kvällen zurück:

Dagen svalnar mot kvällen…
Drick värmen ur min hand,
min hand har samma blod som våren.
Tag min hand, tag min vita arm,
tag mina smala axlars längtan…
Det vore underligt att känna,
en enda natt, en natt som denna,
ditt tunga huvud mot mitt bröst.

Du kastade din kärleks röda ros
i mitt vita sköte —
jag håller fast i mina heta händer
din kärleks röda ros som vissnar snart…
O du härskare med kalla ögon,
jag tar emot den krona du räcker mig,
som böjer ned mitt huvud mot mitt hjärta…

Jagsåg min herre för första gången i dag,
darrande kände jag genast igen honom.
Nu känner jag ren hans tunga hand på
min lätta arm…
Var är mitt klingande jungfruskratt,
min kvinnofrihet med högburet huvud?
Nu känner jag ren hans fasta grepp om
min skälvande kropp,
nu hör jag verklighetens hårda klang
mot mina sköra sköra drömmar.

Du sökte en blomma
och fann en frukt.
Du sökte en källa
och fann ett hav.
Du sökte en kvinna
och fann en själ -
du är besviken.

Ich hätte hier eine Gedichtanalyse, allerdings ist die auch in schwedischer Sprache. Ich habe aber ➱hier eine deutsche Übersetzung von dem Komponisten Caspar René Hirschfeld, der das Gedicht vertont hat. Ich könnte bei Vertonungen auch noch auf die Platte ➱Ett liv von Lill Lindfors hinweisen (aus der Platte gibt es ➱hier ein Video). Aber es gibt zum Schluss etwas viel Schöneres, nämlich ein kongeniales Video zu Dagen svalnar mot kvällen. Klicken Sie unbedingt ➱hier!

Mittwoch, 3. April 2013

Washington Irving


Wenn Sie zwei Diagonalen durch dieses Bild ziehen, sehen Sie in der Mitte einen kleinen Menschen. Sehr klein angesichts der erhabenen Natur, aber er ist da. Und es ist ein Indianer. Das Bild heißt Falls of the Kaaterskill, es wurde von Thomas Cole gemalt. Der ist in diesem ➱Blog schon häufig erwähnt worden. Es wäre jetzt schön, wenn das Bild The Falls of the Passaic heißen würde. Denn dazu habe ich ein gleichnamiges Gedicht - auch mit Wasserfall und Indianer - von Washington Irving. Man könnte Irving, der heute vor 230 Jahren geboren wurde, den Stammvater der amerikanischen Literatur nennen. Denn er ist einer der ersten amerikanischen Autoren (noch vor James Fenimore Cooper), der in Europa gelesen wird. Irving und Cooper strafen den englischen Literaturpapst Sydney Smith vom Edinburgh Review Lügen, der erklärt hatte: Literature the Americans have none – no native literature . . . It is all imported und später noch eins draufsetzt: In the four quarters of the globe, who reads an American book? Nein, die amerikanische ➱Literatur ist längst da. Und so kann Washington Irving in The Falls of the Passaic von der Schönheit der amerikanischen Natur dichten:

IN a wild, tranquil vale, fringed with forests of green,
Where nature had fashion’d a soft, sylvan scene,
The retreat of the ring-dove, the haunt of the deer,
Passaic in silence roll’d gentle and clear.

No grandeur of prospect astonish’d the sight,
No abruptness sublime mingled awe with delight;
Here the wild flow’ret blossom’d, the elm proudly waved,
And pure was the current the green bank that laved.

But the spirit that ruled o’er the thick tangled wood,
And deep in its gloom fix’d his murky abode,
Who loved the wild scene that the whirlwinds deform,
And gloried in thunder, and lightning, and storm;

All flush’d from the tumult of battle he came,
Where the red men encounter’d the children of flame,
While the noise of the war-whoop still rang in his ears,
And the fresh bleeding scalp as a trophy he bears:

With a glance of disgust, he the landscape survey’d,
With its fragrant wild flowers, its wide waving shade;—
Where Passaic meanders through margins of green,
So transparent its waters, its surface serene. 


He rived the green hills, the wild woods he laid low;
He taught the pure stream in rough channels to flow;
He rent the rude rock, the steep precipice gave,
And hurl’d down the chasm the thundering wave.

Countless moons have since roll’d in the long lapse of time—
Cultivation has softened those features sublime;
The axe of the white man has lighten’d the shade,
And dispell’d the deep gloom of the thicketed glade.

But the stranger still gazes, with wondering eye,
On the rocks rudely torn, and groves mounted on high;
Still loves on the cliff’s dizzy borders to roam,
Where the torrent leaps headlong embosom’d in foam.


Die Schönheit der Natur, das American Paradise, ist aber längst bedroht. James Fenimore Cooper und Thomas ➱Cole haben das schon gesehen. Doch solche Zweifel gibt es für einen gewissen Thomas Ward nicht. Noch 1842 wird Thomas Ward in seinem Gedichtband Passaic, a group of poems touching that river: with other musings schwärmen von:

Beautiful Rivers! that adown the vale
With graceful passage journey to the deep,
Let me along your grassy marge recline
At ease, and, musing, meditate the strange
Bright history of your life...

Thomas Ward, der als Flaccus schreibt, ist ein Dichter, der übrigens ➱Edgar Allan Poe im höchsten Masse ➱erzürnte: Who calls Mr. Ward a poet? He is a second-rate, or a third-rate, or perhaps a ninety-ninth-rate poetaster. Der Fluss muss aber damals noch schön gewesen sein, sogar einen Maler wie George Innes zog es noch zum Passaic River. Doch das wird sich sehr schnell ändern.

Ich hätte da noch einen anderen amerikanischen Dichter, der über den ➱Wasserfall geschrieben hat, einen Dichter, der den Passaic River und die Great Falls in Paterson gut kennt. The Wanderer, eins seiner ersten Langgedichte (hundert Jahre nach The Falls of the Passaic geschrieben), führt direkt zu dem Hauptwerk Paterson. Es ist viel von dem Passaic River in William Carlos Williams' ➱The Wanderer (in Paterson IV noch mehr). Aber da heißt es über den Fluss auch schon The Passaic, that filthy river.

In seiner Essaysammlung In the American Grain spricht Williams von the vilest swillhole in Christendom, the Passaic River. Und in Life Along the Passaic River (1938) ist die Rede von the river was so full of sewage and dye waste from the mills that you didn’t want to go near it. Von dem Fluss, der bei Washington Irving in silence roll’d gentle and clear, ist nichts übrig geblieben. Der Fluss ist zur Müllkippe geworden. Indianer gibt es da auch nicht mehr. 

Dienstag, 2. April 2013

George Herbert



Vor 420 Jahren wurde der englische Dichter George Herbert geboren. Da muss hier natürlich sein Gedicht Easter Wings stehen, auch wenn es einen Tag zu spät für Ostern ist. Es ist sogenanntes pattern poem, so etwas liebt man damals. Das Gedicht ist auf zwei Buchseiten gedruckt, es sieht aus wie zwei Vögel, die zum Himmel fliegen. Es ist die Zeit der Metaphysical Poetry, man will sehr geistreich sein. Man will wit haben, wie der Monarch of Wit ➱John Donne. Dr Johnson hat das schön definiert: But wit, abstracted from its effects upon the hearer, may be more rigorously and philosophically considered as a kind of discordia concors; a combination of dissimilar images, or discovery of occult resemblances in things apparently unlike. Of wit, thus defined, they have more than enough. The most heterogeneous ideas are yoked by violence together; nature and art are ransacked for illustrations, comparisons, and allusions; their learning instructs, and their subtlety surprises; but the reader commonly thinks his improvement dearly bought, and, though he sometimes admires, is seldom pleased.

Ein gutes Beispiel für Dr Johnsons Ausführungen wäre sicher George Herberts Gedicht The Pulley. Wenn man heute ein Gedicht Der Flaschenzug nennen würde, hätte es beim Leser wohl keine großen Chancen. Wenn man bei Google Bilder Herbert The Pulley eingibt, erhält man als erstes Bild dies hier. Von einem witty ➱Blogger eingestellt, der damit offensichtlich Leser anlocken will. Was tut man nicht alles, damit man Leser für Gedichte findet!

WHEN God at first made man,
Having a glasse of blessings standing by ;
Let us (said he) poure on him all we can :
Let the worlds riches, which dispersed lie,
Contract into a span.

So strength first made a way ;
Then beautie flowíd, then wisdome, honour, pleasure :
When almost all was out, God made a stay,
Perceiving that alone, of all his treasure,
Rest in the bottome lay.

For if I should (said he)
Bestow this jewell also on my creature,
He would adore my gifts in stead of me,
And rest in Nature, not the God of Nature :
So both should losers be.

Yet let him keep the rest,
But keep them with repining restlesnesse :
Let him be rich and wearie, that at least,
If goodnesse leade him not, yet wearinesse
May tosse him to my breast.

Der Blogger hat allerdings noch ein zweites Photo von Marilyn Monroe unter Herberts Gedicht gestellt, das will ich nicht verheimlichen. Sozusagen als Illustration des Nearer my God to Thee. Der Blogger, der Tom Clark heißt, darf sich solche Spässchen erlauben. Denn er ist Dichter, noch dazu a published poet, er versteht etwas davon. Als ich studierte, stand George Herbert auf jeder Leseliste, es gab Seminare über den Dichter, und ich habe Freunde und Bekannte, die damals ihre Examensarbeit über Herbert geschrieben haben (oder über ihn promoviert haben). Heute scheint er völlig aus dem Lehrplan verschwunden zu sein.

Wie überhaupt die Literatur in der Literaturwissenschaft der Theorie zu weichen scheint. Da lese ich in der Ankündigung einer Lehrveranstaltung: In this course we will analyse texts from the Early Modern Period through the eighteenth and nineteenth centuries to Postmodernism in order to explore the historically specific differences and continuities in the perception and construction of identity and alterity. Simultaneously we shall test the heuristic potential as well as the limits of the concept of hybridity. Und da bin ich froh, dass ich von dieser Sorte Universität weit weg bin.

Montag, 1. April 2013

Haydn: Klaviersonaten


Es gibt in ➱Amerika im April den National Poetry Month, hier in diesem Blog auch. War im letzten Jahr schon so, im Jahr davor auch. Hat im letzten Jahr die Besucherzahlen etwas gesenkt. Warum eigentlich? Ich fange heute am ersten April (an dem Haydn ja vielleicht geboren wurde) mit einem ganz kurzen Gedicht von Eduard Mörike an, dass Joseph Haydn heißt:

Manchmal ist sein Humor altfränkisch, ein zierliches Zöpflein,
Das, wie der Zauberer spielt, schalkhaft im Rücken ihm tanzt.

Man kann diesen Zweizeiler auch sehr schön auf Haydns Klaviersonaten beziehen, über die ich heute mal eben ein wenig schreiben will. Ich habe in den letzten Tagen nichts anderes getan, als Haydns Klaviersonaten zu hören, da bin ich jetzt ganz fit drin. Ich war sogar versucht, eine auf dem Klavier zu spielen, aber habe davon die Finger gelassen. In Haydn auf dem Klavier bin ich nicht so fit. Nicht dass ich mit Haydn sagen könnte: Ich war auf keinem Instrument ein Hexenmeister, aber ich kannte die Kraft und die Wirkung aller; ich war kein schlechter Klavierspieler und Sänger, und konnte auch ein Konzert auf der Violine vortragen.

Angeblich ist Haydn ja sehr leicht. Weil er seine Sonaten für seine Klavierschülerinnen geschrieben hat. Aber Johann Baptist Cramer wusste schon 1776: Übrigens sind die Sonaten schwerer in der Ausführung als man anfangs glauben sollte. Sie erfordern höchste Präcision und viel Delicatesse im Vortrag. Viele Konzertpianisten haben es für unter ihrer Würde gehalten, Klaviersonaten von Haydn zu spielen. ➱Arturo Benedetti Michelangeli hat die Sonaten nie aufgenommen - hat aber die Klavierkonzerte ➱No. 4 und No. 11 gespielt. Bei vielen scheint noch Carl Ferdinand ➱Pohls Satz aus dem Jahre 1875 nachzuwirken: Während sich Haydn im Symphonie- und Quartettfach zu so ungeahnter Höhe erhob, blieb er auch in der Claviercomposition nicht unthätig, obwohl er hier gegen Mozart, in dem Virtuose und Componist vereinigt war, zurückstand.

Glenn Gould wäre da anderer Meinung, denn die sechs Sonaten, die er von Haydn gespielt hat, hat er mit großer Liebe gespielt (den Mozart eher nicht): The plain fact is that the Haydn sonatas, for instance, which are much more extensive in the canon than the Mozart — there being fifty-something to seventeen or eighteen — are also more interesting as pieces  and as experiments, musically. It's the only late-night music that I've sat down and really played for myself in the last year, the early one especially, the baroque-ish ones. They are so beautiful and in every case so delightfully innovative. One never gets the feeling that any two are cut from the same cookie stamp. Hat er 1974 in einem nächtlichen Telephongespräch mit ➱Jonathan Cott gesagt, er überlegte damals, ob er alle Sonaten spielen sollte: The project which most interests me, at the moment, is a survey of the complete Haydn sonatas. There are, as you probably know, more than fifty in all ... I think that we could manage two Haydn discs a year. Ein Zehnjahresprojekt, aber die Verhandlungen mit der Deutschen Grammophon führten zu nichts. 1981 hat Gould dann die Sonaten 42 und 48-52 für Columbia aufgenommen, die für die Aufnahme von Sony das damals neueste digitale Aufzeichnungsgerät, den Sony PCM 600, geliehen bekamen. Das sind nicht nur die last piano sonatas wie es auf dem CD Cover steht, es sind auch die letzten Aufnahmen von Glenn Gould gewesen.

In dem Jahr, in dem Glenn Gould seine Begeisterung über Haydn äußert (die Sonate No. 49 hatte er schon im Januar 1958 aufgenommen, er hat sie auch bei seinem Konzert in Stockholm im Oktober 1958 gespielt), nimmt ➱Rudolf Buchbinder sämtliche Haydn Sonaten auf. Das ist ein wenig in Vergessenheit geraten. Obgleich er damals den Grand Prix du Disque bekommen hat. 1974 scheint irgendwie ein inoffizielles Haydn Jahr zu sein, denn in England nimmt ➱John McCabe die ersten Platten seiner Gesamtaufnahme für Decca auf. Und in der DDR beginnt ein Pianist weithin unbemerkt, alle Haydn Sonaten aufzunehmen. Er heißt ➱Walter Olbertz, er ist beinahe gleichaltrig mit Glenn Gould. Er ist nur nicht so berühmt, das Internet kennt ihn bis heute kaum. Höchstens als Begleiter von Peter Schreier, mit dem er bei vielen Aufnahmen zusammengearbeitet hat. Unter anderem bei der CD Die schöne Müllerin (➱hier ganz zu hören), ich habe die Aufnahme im Doppelpack mit einer anderen, bei der der Gitarrist Konrad Ragossnig den Sänger begleitet. Aber das habe ich schon einmal erwähnt, als ich über die ➱Winterreise schrieb. Ich weiß jetzt nicht, was zwischen Peter Schreier und Walter Olbertz gelaufen ist, denn in Schreiers Autobiographie Im Rückspiegel: Erinnerungen und Ansichten kriegt der nur einen Satz hin wie: Aber auch Walter Olbertz, der wesentlich sachlichere und vielleicht etwas kühlere Pianist, war mir in den vielen Jahren der Zusammenarbeit ein zuverlässiger Partner. Also ein wenig mehr Enthusiasmus hätte Olbertz schon verdient.

Denn er ist wirklich gut, auch wenn man ihn kaum kennt. Auf jeden Fall ist er Joachim Kaiser in Große Pianisten in unserer Zeit keinerlei Erwähnung wert. Annerose Schmidt kennt Kaiser übrigens auch nicht. Das ist die Strafe dafür, dass man in der DDR wohnt, da wird man bei dem deutschen Musikpapst nicht erwähnt. Olbertz hat nicht nur Peter Schreier begleitet, der Professor an der Berliner Hochschule für Musik ➱Hanns Eisler, war ein gefragter Begleiter für Sängerinnen wie Arleen Augér, Annelies Burmeister, Gisela May oder Anneliese Rothenberger. Und er steht bei mir ganz oben, bei meiner persönlichen Auswahl von Haydn Aufnahmen. Dazu kommt, dass die neun CDs sagenhaft preiswert sind. Gut, es gab kein ➱booklet in der Pappbox mehr, und die CDs steckten nur in festen Kartonhüllen. Aber was macht das, wenn der Haydn gut ist?

Ich hätte noch eine zweite Gesamtausgabe zu empfehlen, die früher zum Billigpreis verramscht wurde, jetzt allerdings im Preis etwas gestiegen ist. Hat man endlich die Qualitäten von ➱Carmen Piazzini erkannt? Ich habe diese hervorragende Pianistin ja schon einmal erwähnt, als ich über Mozarts ➱Klaviersonaten schrieb. Es ist immer wieder erstaunlich, welch gute Pianisten man bei den Billigpreis Labels findet. Auf ➱Klára Würtz hatte ich ja schon einmal hingewiesen, und vielleicht schreibe ich irgendwann noch einmal über Jenő Jandó (der bei Naxos auch eine sehr gute ➱Gesamtausgabe von Haydns Sonaten eingespielt hat). Es braucht ja nicht immer Lang Lang zu sein. Der erstaunlicherweise auch eine Haydn Sonate im Programm hat. Der lange verpönte Haydn ist offensichtlich im Kommen.

Was vielleicht auch ein wenig an Ragna Schirmer liegt. Die Pianistin, die Haydn spielt, seit sie zwölf Jahre alt wurde, hatte 2002 (in dem Jahr war die Dreißigjährige Professorin für Musik in Mannheim geworden) eine wunderbare Doppel CD von Haydn Klavierwerken vorgelegt. Mit dem selten gespielten Capriccio Acht Sauschneider müssen seyn auf CD 1. Er ist unglaublich humorvoll. Auch wenn es ganz dramatisch wird, ist immer ein Augenzwinkern dabei, es ist aber auch eine Prise Melancholie darin. Und was bei Haydn so spannend ist und ihn von praktisch allen anderen Komponisten unterscheidet: Er kann ganz viel mit einem einzelnen Ton machen, hat sie in einem Interview gesagt. Und sechs Jahre später die Doppel CD Haydn Revisited folgen lassen. Ragna Schirmer war vor Jahren ein Geheimtipp (ich hatte sie ➱hier auf die Liste der Top Ten der Goldberg Interpretationen gesetzt), aber sie hat sich inzwischen ihren Platz ganz weit oben erobert.

Bei den Gesamtaufnahmen sollte ich wohl noch ➱Christine Schornsheim erwähnen, die 2005 das an fünf historischen Tasteninstrumenten (vom Cembalo bis zum Fortepiano) eingespielte Klavierwerk herausbrachte. Was ihr den französischen Diapason d'Or  und den Preis der deutschen Schallplattenkritik einbrachte. Aber ich habe um diese Aufnahme einen Bogen gemacht, Haydn auf dem Cembalo nervt mich ungeheuer. Ich weiß auch nicht, ob man wirklich eine vollständige Aufnahme aller Haydn Klaviersonaten besitzen muss. Das, was auf den drei CDs ist, die die viel zu früh verstorbene Catherine Collard herausgebracht hat, reicht sicher den meisten Hörern. Sie könnten ➱hier einmal hineinhören. Ist aber ansteckend. Und das larghetto von XVI/47 ist wirklich göttlich.

Die englische Gramophone Redaktion (der man eigentlich immer vertrauen kann) empfahl ihren Lesern die Aufnahme von Julia Cload: her feeling for the imaginative range of colour, along with her strong sense of cumulative growth, is a thing of untrammelled wit and brio. Der Amerikaner HC Robbins Landon, unbestritten der Haydn Fachmann, hat über sie gesagt: Haydn’s piano sonatas take on a new dimension when they are played by Julia Cload, whose intense musicality and forceful personality are evident throughout these extraordinary recordings. She has now become one of our leading interpreters of Haydn. Julia Cload ist im letzten Jahr im Alter von 65 Jahren gestorben, leider habe ich noch immer keine Aufnahme von ihr, aber das kann ja noch kommen.

Wen sollte ich sonst noch nennen? Die Fans von ➱Alfred Brendel werden natürlich sagen: Alfred Brendel. YouTube bietet ➱hier eine schöne Auswahl. Und Verehrer von ➱Swjatoslaw Richter werden auf die beiden Aufnahmen bei Decca 1986 und 1987 schwören. Es ist ein ganz anderer Haydn, ein Haydn, der streckenweise wie Beethoven klingt. Wo Brendel leichthändig über die Tasten hüpft, scheint Richter seinen Haydn in das Elfenbein meisseln zu wollen. Aber dennoch sollte er in keinem CD Regal fehlen.

Mein Geheimtip heißt Patrick Cohen. Ein Mann, von dem man lange nichts gehört hat. Für Richard Brody vom ➱New Yorker ist er one of the greatest living classical musicians. Dank des Internets kann man ja heute etwas über ihn herausfinden, aber vor zwanzig Jahren als ich die CD Six Sonates kaufte, wusste ich nichts über ihn. Ich wusste nur, dass hier jemand war, der durchsichtiger, intelligenter und feinfühliger spielt als der Rest der Konkurrenz. Ich kaufte alles von ihm, was ich bekommen konnte. Was vor den Tagen der 1-Klick Bestellung bei Amazon nicht so einfach war. ➱Richard Brody ist das ähnlich gegangen, da sind wir schon mal zwei. Wenn Sie jetzt die Reste von Patrick Cohen CDs, die auf dem Markt sind, kaufen, machen Sie bestimmt keinen Fehler (Cohen, der 1999 in Salzburg auf Mozarts Klavier spielen durfte, spielt übrigens auch einen wunderbaren ➱Mozart).

Das mit dem Zweizeiler von Mörike da oben war zur Eröffnung des Poetry Month etwas mickrig, und so gibt es zum Schluss noch ein Gedicht. Es heißt Time, wir können es auch auf die Zeitumstellung gestern beziehen. Aber es hat auch etwas mit Joseph Haydn zu tun, weil die Dichterin Anne Hunter die Muse von Haydn gewesen ist und die ➱Texte zu vielen seiner Lieder geschrieben har,

TIME may ambition's nest destroy,
Though on a rock 'tis perch'd so high,
May find dull av'rice in his cave,
And drag to light the sordid slave;
But from affection's temper'd chain
To free the heart he strives in vain.
The sculptur'd urn, the marble bust,
By time are crumbled with the dust;
But tender thoughts the muse has twin'd
For love, for friendship's brow design'd,
Shall still endure, shall still delight,
Till time is lost in endless night.