Freitag, 20. Mai 2011

Margery Allingham


Wenn von weiblichen englischen Detektivromanautoren die Rede ist, dann fallen immer wieder die Namen Agatha Christie und Dorothy Sayers. Von Margery Allingham redet hierzulande niemand. Dass John Strachey 1939 im Saturday Review of Literature sie zusammen mit Michael Innes und Nicholas Blake zu den drei white hopes des englischen Detektivromans gezählt hat, ist in Vergessenheit geraten. Er hatte damals auch gesagt: Miss Sayers has now almost ceased to be a first-rate detective writer and has become an exceedingly snobbish popular novelist.

Es wird wohl niemanden verwundern, dass man Margery Allingham (heute vor 107 Jahren geboren) in England heute immer noch kennt. Margery Allingham stands out like a shining light, hat Agatha Christie nach dem Tode von Allingham 1966 gesagt. Allinghams Detektiv Albert Campion hat einen Wikipedia Eintrag und es gibt natürlich eine Margery Allingham Society. Und sie kommt in einer Vielzahl von Blogs vor, von denen mir dieser ➱hier gut gefällt. Sie sollten da auch im Archiv die anderen Margery Allingham Post anklicken. Und an dieser ➱Stelle gibt es den Abdruck des Lexikonartikels aus dem Dictionary of Literary Biography, Volume 77: British Mystery and Thriller Writers 1920-1939.

Detektivromane leben von der Figur des Detektivs. Das ist eine Binsenweisheit, dafür braucht man kein studierter Literaturwissenschaftler zu sein. Aber nachdem die ersten Rollen des Detektivs mit Exzentrikern wie Edgar Allan Poes Chevalier C. Auguste Dupin und Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes (geschickt bei Poe geklaut) besetzt worden waren, mussten die Krimiautoren feststellen, dass das Rollenreservoir der Detektivfigur nicht ganz so riesig ist. Wir kennen das aus dem Fernsehen: heute klaut ja jeder Krimi bei Simenon, bei ➱Sjöwall Wahlöö oder bei Raymond Chandler.

Aber Margery Allingham hatte etwas Neues. Ihr Detektiv Albert Campion (links in der BBC Version), der in dem Roman The Crime at Black Dudley 1929 das Licht der Welt entdeckte, war ein wenig anders. Er war adlig wie Dorothy Sayers' Lord Peter Wimsey, allerdings gehörte er, und das war eine ironische Spitze von Allingham, dem Hochadel an. Margery Allingham hat einmal einer Freundin anvertraut, dass Campion der Bruder des englischen Königs sei. Bei seinem ersten Auftritt ist er ein fresh-faced young man with tow-coloured hair and foolish, pale blue eyes behind tortoiseshell-rimmed spectacles. Vom Aussehen ein adliger nerd, der genau so von P.G. Wodehouse erfunden sein könnte. Aber er ist blitzgescheit, und er hat als eine Art Watson-Figur einen Gehilfen, den Cockney sprechenden ehemaligen Einbrecher Magersfontein Lugg.

Als Margery Allingham The Crime at Black Dudley schreibt, ist sie fünfundzwanzig Jahre alt, ihr Detektiv ist vier Jahre älter. In The Puritan Pleasures of the Detective Story hat Erik Routley die Formel aufgestellt, dass Detektive immer so alt (plusminus fünf Jahre) wie ihre Schöpfer sind. Der Autor muss sich nur entscheiden, ob er seinen Helden im Laufe der Jahre älter werden lässt (diesen Weg geht Allingham) oder ihn wie Wildes Dorian Gray in ewiger Jugend erhält. James Bond wäre jetzt eigentlich 91, sieht aber erstaunlicherweise aus wie der 43-jährige Daniel Craig. Im Laufe seines literarischen Lebens wird unser Albert Campion auch die karikaturhaften Züge aus den ersten Romanen verlieren. Und im Spätwerk von Allingham tritt er in den Hintergrund und macht einem sympathischen Cockney Inspector namens Charles Luke Platz. The Allingham-Campion 'method' is an admirable blend of good story-telling, delicate, yet sharp delineation of character, and puzzles that hinge primarily on mental rather than physical means -- the whole presented in the fluid prose of a thoroughly adept and sophisticated craftsman, hat der Amerikaner Howard Haycraft in seinem Buch Murder for Pleasure (einem der ersten Bücher über dies Genre) gesagt.

Allingham beginnt ihre Karriere in einer Zeit, die wir heute The Golden Age of the Detective Novel nennen, die Zeit, als die Morde noch auf dem Eisbärenfell vor dem Kamin in dem Landhaus in einem kleinen beschaulichen Dorf stattfinden. Mayhem Parva hat Colin Watson in seinem Buch Snobbery With Violence diesen Ort getauft: The setting for the crime stories by what we might call the Mayhem Parva school would be a cross between a village and commuters' dormitory in the South of England, self-contained and largely self-sufficient. It would have a well-attended church, an inn with reasonable accommodation for itinerant detective-inspectors, a village institute, library and shop — including a chemist's where weed killer and hair dye might conveniently be bought. The district would be rural, but not uncompromisingly so — there would be a good bus service for the keeping of suspicious appointments in the nearby town, for instance — but its general character would be sufficiently picturesque to chime with the English suburb dweller's sadly uninformed hankering after retirement to `the country.'

Es gibt ihn leicht modifiziert immer noch, er heißt heute Midsomer und ➱Inspector Barnaby arbeitet dort. Erfolgreiche Formeln sind nicht totzukriegen. Hammett took murder out of the Venetian vase and dropped it into the alley, hat Raymond Chandler über seinen Kollegen gesagt, der die hardboiled detective story erfunden hat. Aber in der Welt von Mayhem Parva sind wir noch nicht bei diesem Realismus angekommen, die Romane des Golden Age of the Detective Novel haben noch keinen Realitätsanspruch. Die ist England, nicht die Welt von Mickey Spillane. Und deshalb lieben wir diese Romane, auch wenn es uns klar ist, dass dies ein eingefrorenes Idyll einer englischen Gesellschaft ist, die mehr mit der spätviktorianischen und edwardianischen Gesellschaft zu tun hat als mit dem England von David Cameron.

In beinahe zwanzig Romanen hat Margery Allingham in drei Jahrzehnten ihre Märchenwelt behutsam modifiziert. The Tiger in the Smoke (auch verfilmt) wird von vielen Kritikern als ihr bester Roman gerühmt. Julian Symons (Verfasser der Studie Bloody Murder) hat ihren Roman Death of a Ghost unter die hundert besten englischen Detektivromane gewählt. Her work attains classic status and will not be forgotten; not for nothing was she compared to Charles Dickens and Robert Louis Stevenson, hat Barry Pike gesagt, der muss so übertreiben, weil er der Vorsitzende der Margery Allingham Society ist. Aber es ist etwas dran, Margery Allingham, die aus einer Schrifstellerfamilie stammt, kann erzählen.

Ich will mich auf der Suche nach dem besten Campion-Roman nicht festlegen. Seit mir vor Jahrzehnten eine alte Tauchnitz Ausgabe von Sweet Danger in die Hände gefallen ist, habe ich alle Romane gelesen. Ich mag sie eigentlich alle. Bei Amazon Marketplace gibt es diese Tauchnitz Ausgabe von 1934 noch, allerdings kostet sie 326 Dollar, weil sie von Margery Allingham signiert ist. Die BBC hat acht Romane verfilmt und vor einigen Jahren hat Random House mit einer Neuauflage der Romane begonnen. Viele ihrer Romane sind auch in deutscher Übersetzung erhältlich, weil der Diogenes Verlag seit den 1980er Jahren ihr Werk in einer sorgfältigen Neuübersetzung herausgebracht hat. Bevor man Elizabeth George liest, die schamlos alle Versatzstücke der englischen Romane des Golden Age of the Detective Story plagiiert, sollte man die Originale lesen.

Die englische Schriftstellerin und Literaturprofessorin Jane Stevenson hat Margery Allingham in einer schönen Würdigung im ➪Guardian das Kompliment gemacht, dass ihre Romane zu den meistgeklauten Büchern im Haus gehörten: At least twice in my life I have owned the complete works of Margery Allingham, but I keep finding that some have gone astray. The detective-story collection is stockpiled in the spare bedroom, and over the years I have found that the Allinghams effortlessly top the list of Books Most Often Nicked (I stole half of them from my mother in the first place; thin wartime Penguins with brittle, browning paper and advertisements for Kolynos toothpaste or Craven "A"s in the back). Quite a few people pass through this house, and I can only think that guests pick up an Allingham to read in bed, get hooked and take it away. I can't think of any other writer who has quite this effect, certainly not among the interwar queens of crime.

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