Mittwoch, 11. Mai 2011
Münchhausen
Ja, es hat ihn wirklich gegeben, den Baron von Münchhausen, der heute vor 291 Jahren geboren wurde. Aber auf einer Kanonenkugel ist wohl nicht wirklich geritten. Hans Albers natürlich schon. Der Baron liebte es zu seinen Lebzeiten, Lügengeschichten zu erzählen, tall tales wie das im amerikanischen Westen heißen würde. Nach seinem Tod ist er in die Literatur gewandert. Und so kennen wir ihn auf der Kanonenkugel und in vielen anderen komischen Situationen. Die Sache mit der Kanonenkugel hat er wahrscheinlich erfunden, als er Fähnrich in der russischen Armee war, die gerade gegen die Türken vor Otschakow kämpfte. Sein Vorgesetzter war ein Landsmann, der Generalissimus Burkhard Christoph von Münnich, der aus einem kleinen Kaff bei Berne im Oldenburgischen kam. Sein Vater war da der Oberdeichgraf gewesen, und in dem Prunkgrab auf dem kleinen Friedhof von Neuenhuntdorf liegt der russische General auch begraben.
Der Baron von Münchhausen ist in der Familiengruft deren von Münchhausen in der Klosterkirche Kemnade begraben, das heute ein Stadtteil von Bodenwerder ist. In Bodenwerder haben sie natürlich auch ein Münchhausen Museum für ihren weltberühmten Baron. Ein Museum gibt es auch in Eschershausen, das nicht weit von Bodenwerder entfernt ist, für den berühmtesten Sohn der Stadt. Ich meine natürlich ➱Wilhelm Raabe, der seine Heimat in manche Romane hineingeschrieben hat. Und auch die Münchhausens kommen bei ihm vor. Wie der Wildfang Thedel von Münchhausen in seiner Erzählung Das Odfeld.
Er kommt nach Raabe aus der Bevernschen Linie der Münchhausens, aber diesen Familienzweig gibt es natürlich nicht (obgleich es in Bevern ein Schloss der Münchhausens gibt), den hat Raabe erfunden. Er hat es erfunden, um die drei Hauptpersonen durch einen Ort symbolisch zusammenzubringen. Denn der Magister Buchius und der gute Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel, der große Feldherr mit dem Kinderherzen, kommen auch aus Bevern. Der tollkühne Junker wird den Tag der Schlacht nicht überleben, wie der Magister Buchius in sein Amtshaus zurückgekehrt zu berichten weiß: Der letzte Münchhausen aus Bevern! Seine Durchlaucht, Herzog Ferdinand von Braunschweig-Bevern haben ihn mit dem Herrn Vetter von Bodenwerder unter den englischen Reitern gegen den Franzosen geschickt, und er hat den letzten Schlag auf ihn heute getan. Frau Drostin, er ist der einzige von uns, der heute einen vergnügten Tag, einen Tag nach seinem Herzen erlebt hat, und er liegt mit einem Lachen auf dem Gesicht draußen auf dem Odfelde unter den Völkern und Präsagio vom gestrigen Abend!
Die kleine Welt des Magister Noah Buchius von der Weser bis zum Reinhardswald ist plötzlich zum Mittelpunkt des Siebenjährigen Krieges geworden. Und so kommen in dem Roman auch der Herzog Ferdinand aber auch der französische Herzog de Broglie vor. Und der englische ➱General George Augustus Eliott. Der hat von den drei Herren einwandfrei das beste Portrait erhalten, weil ihn Sir Joshua Reynolds gemalt hat (das Bild, das Johann Georg Ziesenis von ➱Herzog Ferdinand gemalt hat, ist eher unfreiwillig komisch). Mit der Reiterei Eliotts wird auch der junge Münchhausen reiten, der gerade in der Schlacht einen Vettern, den Leutnant von Münchhausen von den hannöverschen Jägern, wiedergetroffen hat. Der gute Herzog Ferdinand schüttelte nur den Kopf und seufzte, aber voll Unruhe und Ungeduld nach den Bergen im Süden ausschauend; dann rief er doch: »Er ist auch ein Münchhausen und will uns helfen, noch einmal die Reiterei an den Feind zu bringen? Junger Mensch, kann man Ihm trauen?« »Parole de Munchhausen, Monseigneur!« »Man helfe beiden Herren von Münchhausen zu Pferde. Was haben wir noch von unserer Kavallerie hier bei Eschershausen zur Disposition, Westphalen?« »Die beiden Schwadronen von den Elliots, Durchlaucht; die Greys, Ancram, Moystin, Bauer und Riedesel stecken leider Gottes schon vor Stadtoldendorf in den Wäldern und hohlen Wegen fest.« »Wollen die Herren von Münchhausen mit den Elliots reiten und denselben die Wege zeigen um die linke Flanke des Feindes.«
Wenn der Münchhausen dem Herzog Parole de Munchhausen, Monseigneur! antwortet, dann ist das nicht ironisch gemeint. Man kennt die Geschichten des Lügenbarons noch nicht. Die Schwadronen, die hier erwähnt werden, hat es auch wirklich gegeben (Raabe hat seine Hausaufgaben gemacht), von den 11. Ancram Dragoons bis zu den Truppen von Bauer und Riedesel. Letzterer ist in diesem Blog schon ➱hier und ➱da aufgetaucht. Über den General Bauer weiß ein zeitgenössischer französischer Chronist zu berichten, dass der Herzog Ferdinand als Feldherr nichts ohne seine Berater Bauer und von Westphalen gewesen wäre. Die Franzosen sind ja so mißgünstig, vor allem wenn sie den Krieg verlieren. Friedrich Wilhelm Bauer ist nach dem Siebenjährigen Krieg als General in russische Dienste getreten, wo er im Kriege gegen die Türken gut den Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen kennengelernt haben kann. Philipp von Westphalen lernt wenige Jahre nach der von Wilhelm Raabe beschriebenen Schlacht im Feldlager eine junge Engländerin namens Jeanie (oder Jane) Wishart of Pittarow kennen, die hier ihre Schwester besucht. Die Schwester ist mit dem General John Beckwith verheiratet, der bei der Schlacht von Minden dabei war. Philipp von Westphalen heiratet Jeanie Wishart auf der Stelle. Einer seiner Söhne wird später der Schwiegervater von Karl Marx werden. Das ist jetzt kein Lügenmärchen von Münchhausen.
Die Schlacht auf dem Odfeld am 5. November des Jahres 1761 ist der Phantasie des Schriftstellers entsprungen, es hat sie so - mit oder ohne Raben - bei Amelungsborn nicht gegeben. Obgleich alle Namen von Generälen und Regimentern stimmen. Aber wahrscheinlich ist der Roman deshalb um so eindrucksvoller, weil wir hier den herumirrenden Nonkombattanten folgen und Raabe auch keinen Wert auf historisch korrekte detaillierte Schlachtbeschreibung legt. Und so etwas wie In Stahlgewittern will er eh nicht schreiben. Raabe hat das Odfeld gegen den heutigen Kammerjungfer- und Ladenschwengel-Geschmack unserer Nation geschrieben. Und so gibt es auch kein Happy Ending für den jungen von Münchhausen, dessen Tod sich immer wieder andeutet.
Wie in diesem Traum, den der alte Magister Buchius hat: Der alte Herr, der alte Magister Buchius aus Kloster Amelungsborn, ja, dem sank der Kopf zwischen den hagern Fäusten tiefer und tiefer. Er saß im Halbschlaf und fiel nach und nach in einen wirklichen tiefen Schlaf, aus dem er anfangs auch noch von Zeit zu Zeit erschreckt auffuhr und verwundert um sich sah, bis ihn die Ermattung gänzlich überwältigte. Da fing er an, im Traum zu reden, und zwar von seinem Schlimmsten und Liebsten und Jüngsten im Drangsal dieses fünften Novembers Anno siebenzehnhunderteinundsechszig, von dem Junker Thedel von Münchhausen. »Um Gottes willen, ihr Herren!... Lieber Thedel, mit Vorsicht! Will Er denn mit aller Gewalt Arm und Beine brechen?... Den Hals stürzt Er sich noch ab an der Klostermauer –« Nun murmelte der Alte mehr aus dem gegenwärtigen Tage heraus: »Alariae cohortes – ala equitum – ganz recht, die Reuterei der Alliierten auf die Flügel. Münchhausen, ist Er denn wieder von Gott verlassen? Zu Pferde unterm engländischen Hülfsvolk? Herr Vetter, Herr Vetter, Herr Leutnant von Münchhausen, der junge Mensch kennt zwar die Gegend; aber – Mamsell Selinde, Sie wissen ja, was für ein Kind er noch ist. Nicht in den Qualm, nicht in den Brand, Thedel! Der ganze Wald um die Homburg geht im Feuer auf. Durchlaucht, da sind sie aneinander vor Stadtoldendorf – England, Frankreich und die Große Schule von Amelungsborn! Sie kommen nur in Fetzen nach Dassel, die Welschen, die Franschen, die landfremden Landschädiger. Vivat Fridericus! Vivat Ferdinandus! Dulce et decorum est pro patria mori! Ach Gott, Durchlaucht, Herr Herzog – Herr Herzog Ferdinand, ich bin nur der Magister Buchius aus Amelungsborn und weiß, daß der Herr Herzog keine Zeit heute für uns haben können; und dies ist der Junker von Münchhausen aus Bevern, und er kennt die Gegend. Münchhausen! Thedel, ist Er denn ganz verrückt geworden?... Herr Gott, die Raben! Herr Gott, die Raben über dem Campus Odini! Herr Gott, Herr Gott, die Raben über dem Odfelde!«...
Als Raabes Schlacht auf dem Odfeld stattfindet, hat der andere Münchhausen, der Hieronymus Carl Friedrich, der so gerne Lügengeschichten erzählte, längst seinen Abschied von der Armee genommen. Er sitzt auf seinem Stammsitz in Bodenwerder und ist vierzig Jahre lang glücklich verheiratet. Als seine Frau stirbt, heiratet er ein junges Ding, das ihm nicht treu ist. Die Scheidung wird ihn ruinieren. Mitglieder der Familie von Münchhausen gibt es immer noch. Der junge Börries von Münchhausen gehörte zu den größten Bewunderern Wilhelm Raabes. Er ist später Nazi geworden, da lassen wir ihn mal lieber weg. Zur Zeit macht ein gewisser Marco von Münchhausen von sich reden, den kann man buchen, damit er charismatische Vorträge hält. Da ist mir doch der Lügenbaron lieber.
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