Heute vor 99 Jahren wurde das Royal Flying Corps gegründet, der Vorläufer der Royal Air Force. Natürlich hatte das RFC wie alle militärischen Organisationen in England auch seinen eigenen Schlips. Das mit dem Schlips weiß ich, weil der Vater meines Freundes Tony im Ersten Weltkrieg beim RFC gewesen war und auf seinen Schlips sehr stolz war. Er hatte einmal in den sechziger Jahren in London jemanden mit einer Krawatte des Royal Flying Corps getroffen und war gleich auf ihn zugestürzt, um einen Kampfgefährten aus den alten Tagen zu begrüssen. Der Italiener, der seinen Schlips in Mailand gekauft hatte, wußte überhaupt nicht, was dieser Engländer von ihm wollte und suchte entsetzt das Weite. Transkulturelle Missverständnisse. Es ist für Kontinentaleuropäer eine gefährliche Sache, in England Krawatten zu tragen, es sei denn, Sie tragen Blümchenschlipse oder einen einfarbigen Macclesfield tie. Ich weiß nicht, ob Raymond Chandler einen RFC Schlips gehabt hat. Er war aber berechtigt ihn zu tragen, weil er zum Kriegsende in diesem Korps war. Andere prominente Mitglieder des RFC waren der Cricketspieler Jack Hobbs und der englische Faschist Sir Oswald Mosley. Und natürlich der Autor der Biggles Romane.
Ich habe noch einen sehr schönen Schlips aus den siebziger Jahren, der dies ganze Club-, Schul- und Regimentskrawatten-Unwesen ironisch auf die Schippe nahm. Er ist dunkelblau, und es sind lauter kleine rosa Schweinchen drauf unter denen jeweils MCP steht. Was nicht der Name eines vornehmen Clubs ist, sondern schlicht für male chauvinist pig steht. Im Futter innen ist auch noch eine leichtbekleidete junge Dame zu sehen. War damals bei Englandtouristen der Renner.
Aber nicht jede Krawatte wird auch an jeden Touristen verkauft. Als die australische Schauspielerin Coral Browne für den englischen Spion Guy Burgess, den sie in Moskau getroffen hat, einen Old Etonian Schlips kaufen will, hat sie in London Schwierigkeiten. Auf jeden Fall in dem wunderbaren Film An Englishman Abroad, den John Schlesinger nach dem Theaterstück von Alan Bennett gedreht hat. Leider ist der Film seit Jahren nicht mehr als DVD lieferbar, aber mein Geheimtipp für alle anglophilen Leser ist: kaufen Sie die Cassette Alan Bennett at the BBC! Bei den vier DVDs ist sowohl An Englishman Abroad als auch der unübertreffliche Film A Question of Attribution dabei.
Heute hätte Coral Browne keine Schwierigkeiten, einen Old Etonian tie zu kaufen, neunzig Prozent dieser Schlipse werden an Leute verkauft, die niemals in Eton waren. Bei T.M. Lewin allerdings, die in London das wahrscheinlich größte Angebot von Schul- und Regimentskrawatten haben, hat man viele Schlipse von renommierten Institutionen weiter hinten im Laden versteckt: We keep them all locked away in the back now. Before, I had too many arguments with tourists—I must say, quite a lot of Americans—who came in and wanted to buy a Marylebone Cricket Club tie or a Garrick Club tie. I’d ask them for identification, and when they said they weren’t members, I’d apologize and tell them I couldn’t sell them the tie. Then they would say, ‘You have to sell it to me, you have it on display, and I’d have to explain that’s not the law in this country. This would go on for hours.
Unter Etonabsolventen, die offensichtlich häufiger ihren OE tie tragen als die Absolventen anderer exklusiver Public Schools, gibt es auch noch arkane Regeln, angeblich trägt man den OE tie niemals in der Stadt, sondern nur auf dem Land. David Cameron, der 19. Premierminister, den Eton hervorgebracht hat, hält sich auf jeden Fall an diese Regel. Von allen Geschichten über den Schlips der Privatschule (und ich lasse mal die Aufregung über Gordon Browne aus, der vor zwei Jahren so einen ähnlichen Schlips trug) gefällt mir diese am besten: Um seiner Freundin damit zu imponieren, dass er einen Old Etonian tie erkennt, motzt ein junger Möchtegern Old Etonian einen heruntergekommenen Straßenhändler an, der einen Eton Schlips trägt: What the devil do you mean by wearing an Old Etonian tie? Und dann kommt die wunderbare Antwort: Because I cannot afford to buy a new one. Das soll uns immer daran erinnern, dass Eton nicht nur Premierminister hervorgebracht hat. Interessanter als die Liste ehemaliger Eton Zöglinge ist natürlich die Liste literarischer Figuren, die in Eton waren. Dass Bertie Wooster und Lord Peter Wimsey dort waren, ist uns allen klar. Aber auch James Bond war dort, flog da aber raus. Im Gegensatz zu seinem Schöpfer Ian Fleming. Vom dem habe ich noch nie ein Photo gesehen, auf dem er einen Eton Schlips trägt. Ich glaube langsam, dass der Old Etonian Langbinder nur etwas für nerds ist, für Touristen und Leute, die es nötig haben ist.
Wenn man schon einen Eton Schlips (und auch Krawatten noch vornehmerer Organisationen) kaufen kann, einen Schlips kann man in England nicht kaufen. Und das ist der Battle of Britain tie. Den durften wirklich nur Leute tragen, die bei der Battle of Britain dabei gewesen waren. Sehr exklusiv ist auch der I Zingari Schlips mit seinen schwarz-rot-goldenen Streifen (out of darkness, through fire, into light). Aber ebenso wie beim Schlips des Marylebone Cricket Club sollte man den nicht tragen, wenn man kein Mitglied ist. Auch wenn es die Farben der deutschen Nationalflagge sind.
Häufig haben die Farben der Krawatten, die die Amerikaner rep ties nennen (was von dem Wort reppe kommt und eine spezielle Art des Webens der Seide bezeichnet), eine besondere Bedeutung. Oder die Verkäufer denken sich das aus und erzählen das den arglosen Kunden. Die Krawatte der Guards soll das blaue Blut des Königshauses und das rote Blut symbolisieren. Das Braun, Rot und Grün des Royal Tank Corps steht angeblich für die Erde Flanderns und das Blut, dass dort im Ersten Weltkrieg vergossen wurde. Ähnliche Farben hat aber auch der Old Wykehamist Tie, also der von der Public School Winchester. Und das ist das kleine Problem beim englischen Gesellschaftsspiel des Schlipserkennens, häufig werden die gleichen Farben und Muster von mehreren Vereinen, Schulen oder Truppenteilen verwendet. Der größte Hersteller von Krawatten in England, die Firma P.L. Sells, hält über 10.000 Muster bereit. Wenn Sie die alle kennen, ist Ihnen ein Platz im Guinness Book of Records sicher.
Für konservative Amerikaner gibt es nicht anderes als den rep tie. Die Kombination von dunklem Anzug, weißen Hemd und zurückhaltendem rep tie kleidet FBI-Agenten, Politiker und Mormonenwerber. Bei den amerikanischen rep ties laufen die Diagonalstreifen übrigens seitenverkehrt zu den englischen. Dafür hat man eine Vielzahl von zum Teil originellen Erklärungen gesucht, die wahrscheinlich alle nicht stimmen. Der rep tie ist das ideale Kleidungsstück für geschmacksunsichere Menschen, viele glauben, dass ein Clubschlips geradezu adelt. In den notorisch anglophilen Hansestädten Bremen und Hamburg wurden in den fünfziger und sechziger (also bevor die flower power aus der Carnaby Street kam) Jahren die Regimentskrawatten von Atkinson oder Michelson verkauft wie geschnitten Brot. Irgendwie scheint das heute noch ein Thema zu sein wie dieser Text beweist: In kaum einem anderen Detail kommt diese Mentalität so gut zum Ausdruck wie in der gestreiften Regimentskrawatte. Nicht nur deshalb wissen Kenner diese Manifestation britischer Eleganz seit Jahrzehnten zu schätzen. Die Kombination aus einer dezenten Regimental in bordeaux oder Senfgelb mit einem weißen Hemd und einem ebensolchen Einstecktuch - am besten in klassischer Rechtecksfaltung - macht jeden zum Gentleman. Habe ich aus dem Internet kopiert, reine Werbelyrik, reiner Schwachsinn. Klingt aber auf den ersten Blick ganz toll.
Schon im 19. Jahrhundert gibt es Bilder von Cricket Dandies, die ihre Krawatte als Gürtel in der weißen Flanellhose tragen. Sieht spektakulär aus, ist aber nicht gut für den Schlips. Aber es kann durchaus sein, dass hier der Ursprung für die farbenprächtigen Clubschlipse liegt. Es gibt eine Theorie, dass zuerst die Vereinsfarben von Cricket- und Ruderclubs als farbige Bänder um den Strohhut (boater genannt) getragen wurden, um dann irgendwann zum Halsschmuck zu werden. Die Rudermannschaft vom Exeter College in Oxford soll das um 1880 zum ersten Mal gemacht haben. Viel früher wird man auch keine buntfarbenen Clubschlipse finden, eher bunte Blazer.
Viele Clubs werden zum Ende des 19. Jahrhunderts Blazer in den Clubfarben haben, wobei die während des Spieles zwar vom Bowler, aber nicht vom Batsman getragen werden. Hier links sehen sie F.R. Spofforth (auch der demon bowler genannt) in typischer Bekleidung. Wahrscheinlich ist der I Zingari Cricket Club der erste gewesen, der Clubfarben schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet hat.
Andere werden schnell folgen, 1858 hat der Free Foresters Cricket Club schon Clubfarben (rot, grün und weiß), zwei Jahre später folgt der MCC. Seit der berühmte Thomas Arnold, der in dem Roman Tom Brown's Schooldays verewigt wurde, die Public School Reform ins Rollen gebracht hat, entstehen immer mehr Privatschulen in England. Die sich alle dem Ideal einer Muscular Christianity verschrieben haben. Und alle Schulen und Sportvereine brauchen jetzt eigene Uniformen in eigenen Farben, Blazer und Clubschlipse. Mehr darüber findet man in dem Buch Blazers, Badges and Boaters: A Pictorial History of School Uniform von Alexander Davidson. Obgleich das mit den Clubschlipsen noch ziemlich lange dauert. Der necktie ist erst seit 1838 im Englischen belegt, und man wird ihn erst zum Ende des Jahrhunderts sehen. Weil nämlich die Westen und frock coats derart hochgeschlossen sind, dass man von dem neuen necktie partout nichts sehen kann.
Am besten von all diesen Clubschlipsen gefällt mir der in Pink vom Leander Ruderclub, dem ältesten Ruderverein Englands. Für die City gibt es noch eine zweite Krawatte, die ist dunkelblau mit ganz allerliebsten pinkfarbenen Nilpferden drauf. Hugh Laurie (den wir als Dr House kennen) darf sowas tragen, der war mal in diesem Club. Alle anderen sollten lieber die Finger davon lassen. Wenn Sie ihn auf der Seite vom Leander Club kaufen wollen, müssen Sie schon Ihre Mitgliedsnummer eintippen. Die Boxershorts mit den pinken Hippos kriegt man auch ohne Mitgliedsausweis.
Man kann das, vor allem als Nichtengländer, mit dieser ganzen gefakten Englishness auch übertreiben. Mein Freund Tony, der auf der gleichen Public School war wie Raymond Chandler und danach in Cambridge Examen gemacht hat, war mal in Hamburg zu einer Gartenparty von ehemaligen Cambridge Studenten eingeladen. Die Herren standen alle in blauen Blazern (die auch noch große Wappen auf der Brust hatten) und Krawatten von irgendwelchen Colleges auf dem grünen Rasen, ein Glas Pimm's in der Hand. Die hatten nicht wirklich in Cambridge studiert, die waren da nur mal bei einem Ferienkurs gewesen. Diese blauen Blazer sind ja etwas, was die Deutschen so furchtbar englisch finden. Wenn man so ein Teil schon trägt, dann bitte ohne Clubembleme und Clubschlipse. Prince Michael of Kent macht das schon richtig. Tony hat stante pede kehrtgemacht, das hielt er nicht aus. Tony trug an dem Tag das, was ein Engländer so tragen würde. Rote Chelsea Boots, eine gelbe Hose (drainpipes) und ein grünes Cordjackett. Dazu ein lila Hemd und keinen Schlips. Cool.
Neuerdings tragen ja viele Männer keinen Schlips mehr, weil sie jugendlich wirken wollen. Bei Prince Michael lassen wir das gerade noch mal durchgehen, ansonsten ist es ein bisschen eine Unsitte. Allerdings gibt es Situationen, in denen der korrekt gebundene Schlips nicht unbedingt nötig ist. Als Dr Thomas Neill Cream in den frühen Morgenstunden des 16. Novembers 1892 dabei war, sorgfältig seine Krawatte zu binden, sagte James Billington zu ihm: I don't think that will be necessary this morning, Sir. James Billington war der Henker des Newgate Gefängnisses.
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